JudikaturVwGH

Ra 2025/01/0217 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
14. Oktober 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., MA, über die Revision des mj. P, vertreten durch die Laback Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 3. Juni 2025, Zl. LVwG 70.9 444/2025 5, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Steiermärkische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.446,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) in der Sache den Antrag des Revisionswerbers auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft für den Fall des Erwerbs der neuseeländischen Staatsangehörigkeit gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) ab (I.) und erklärte eine Revision für unzulässig (II.).

2 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der im Jahr 2010 geborene Revisionswerber lebe seit der Scheidung seiner Eltern „permanent“ bei seinem Vater in Neuseeland. Dem alleinerziehenden Vater sei infolge seines „Antrags auf Doppelstaatsbürgerschaft“ am 11. März 2024 die neuseeländische Staatsangehörigkeit verliehen worden. Dieser werde in den nächsten Jahren als Arzt im Bereich des flugmedizinischen Bergungsdienstes arbeiten; die neuseeländische Staatsbürgerschaft ermögliche diesem insbesondere, ohne bürokratische Hürden auch im pazifischen Raum zu arbeiten. Da der Vater auch als Notarzt in der Steiermark tätig sei, würden dieser und der Revisionswerber mehrere Monate im Jahr in Österreich verbringen; der Großteil der Familie des Revisionswerbers lebe in der Steiermark.

3In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, die Kindeswohlbestimmungen (Hinweis auf § 138 ABGB) sollten die Grundsätze, unter denen Kinder leben und aufwachsen sollen, darlegen. Auch wenn damit die Lebensverhältnisse insgesamt angesprochen seien, seien „der Antragsgrundlage“ großteils „Wahrscheinlichkeitserwägungen“ zu entnehmen, wie vermutete zukünftige Reisebewegungen des Vaters des Revisionswerbers und die Berufsausbildung des 15 jährigen Revisionswerbers.

4 Die vom Revisionswerber angeführten, vermeintlichen Kindeswohlbeeinträchtigungen seien keine solchen, die „kapitale Grundsätze der Gewährleistung des Kindeswohles“ verletzen könnten, sondern stellten möglicherweise in der Zukunft gelegene allenfalls auch finanzielleErschwernisse dar; um tatsächlich eine Kindeswohlbeeinträchtigung annehmen zu können, müssten diese jedenfalls konkret vorliegen. Die angeführten allfälligen höheren Kosten für einen Schulbesuch bzw. ein zukünftiges Studium stellten „keinerlei fundamentale Kindeswohlgefährdung“ im Sinne des § 138 Z 1 ABGB dar und es seien auch keine negativen Auswirkungen im Hinblick auf das „Persönlichkeitsverhältnis“ des Revisionswerbers zu seinen in Österreich lebenden Verwandten ersichtlich.

5Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit u.a. vorbringt, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, wonach in derartigen Fällen entscheidend sei, ob die Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft dem Kindeswohl entspreche (Hinweis auf VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076).

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die belangte Behörde keine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen:

6 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

7Gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 idF BGBl. I Nr. 56/2018 (StbG), ist einem Staatsbürger für den Fall des Erwerbes einer fremden Staatsangehörigkeit (§ 27) die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu bewilligen, wenn es im Fall von Minderjährigen dem Kindeswohl entspricht.

8Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem - vom Revisionswerber bereits in der Beschwerde ins Treffen geführten - Erkenntnis VwGH 15.5.2019, Ra 2018/01/0076, ausgesprochen, dass die gemäß § 28 Abs. 1 Z 2 StbG beantragte Bewilligung der Beibehaltung der Staatsbürgerschaft nicht erst dann zu erteilen ist, wenn deren Versagung das Kindeswohl gefährden würde oder besonders berücksichtigungswürdige Gründe für die Erteilung der Bewilligung sprechen. Vielmehr genügt es, dass die Bewilligung der beantragten Beibehaltung dem Kindeswohl entspricht. Auf die näheren Entscheidungsgründe wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

9 Das Verwaltungsgericht hat diese Rechtsprechung nicht beachtet.

10 Es hat seiner Entscheidung vielmehr die vom Verwaltungsgerichtshof explizit verworfene Auffassung zu Grunde gelegt, dass dem Revisionswerber die Beibehaltung der Staatsbürgerschaft zu versagen sei, weil der Verlust der Staatsbürgerschaft keine („kapitale“ bzw. „fundamentale“) Beeinträchtigung des Kindeswohls bewirke.

11 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich insofern als inhaltlich rechtswidrig.

12 Darüber hinaus hat das Verwaltungsgericht das auch keine mündliche Verhandlung durchgeführt hat nicht berücksichtigt, dass in der vorliegenden Konstellation (möglicher Verlust der Staatsund damit Unionsbürgerschaft des Revisionswerbers im Falle des Erwerbs der neuseeländischen Staatsangehörigkeit gemäß § 27 StbG) bereits im Vorfeld, nämlich im Rahmen des Beibehaltungsverfahrens nach § 28 StbG, die unionsrechtlich gebotene Verhältnismäßigkeitsprüfung (im Sinne der Rechtsprechung des EuGH Tjebbes u.a.) vor dem Hintergrund von Art. 8 EMRK zu erfolgen hat (vgl. bereits etwa VwGH 8.10.2020, Ra 2020/01/0354, Rn. 28, mwN, insbesondere auch mit Hinweis auf VfGH 17.6.2019, E 1832/2019, VfSlg. 20.330; vgl. weiters VwGH 14.8.2025, Ra 2025/01/0097, mit Hinweis auf VfGH 11.12.2024, E 4341/2024-6, und EuGH 25.4.2024, C 684/22 bis C 686/22, Stadt Duisburg [Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit] ).

13 Es hat insoweit das angefochtene Erkenntnis auch mit wesentlichen Begründungsmängeln behaftet.

14 Das angefochtene Erkenntnis war daherin einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat wegen (der prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

15Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 14. Oktober 2025