JudikaturVwGH

Ra 2024/21/0163 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
28. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald, den Hofrat Mag. Schartner und den Hofrat Mag. Pichler als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision des R H, vertreten durch Mag. Walter Pirker, Rechtsanwalt in Wien, gegen das am 15. Februar 2024 verkündete und mit 27. Februar 2024 ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, I423 2133113 2/10E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

1 Der Revisionswerber ist ein 1979 geborener tunesischer Staatsangehöriger. Die Niederlassungsbehörde erteilte dem Revisionswerber beginnend ab April 2009 wiederholt Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs und Aufenthaltsgesetz, die insgesamt eine Gültigkeitsdauer bis 23. April 2012 hatten. Danach verblieb der Revisionswerber im Bundesgebiet.

2Mit Bescheid des BFA vom 18. Juli 2016 wurde dem Revisionswerber von Amts wegen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien zulässig sei, gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und ihm gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gewährt.

3Mit Erkenntnis vom 18. Oktober 2017 behob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) den Bescheid des BFA vom 18. Juli 2016 und erteilte dem Revisionswerber gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 1 AsylG 2005 eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten. In weiterer Folge wurden dem Revisionswerber von der Niederlassungsbehörde wiederholt Aufenthaltstitel „Rot Weiß Rot Karte plus“ erteilt, zuletzt mit einer Gültigkeitsdauer bis 20. März 2024.

4 Der Revisionswerber wurde im Zuge seines Aufenthalts im Bundesgebiet mehrfach straffällig und insgesamt dreimal rechtskräftig zu (teilweise bedingt nachgesehenen) Freiheitsstrafen verurteilt.

5 Mit Bescheid vom 8. November 2023 erließ das BFA gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Tunesien zulässig sei, gewährte dem Revisionswerber gemäß § 55 Abs. 1 und Abs. 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise und erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot.

6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das BVwG, welches für den 15. Februar 2024 eine mündliche Verhandlung anberaumte und den Revisionswerber in der Ladung zur mündlichen Verhandlung aufforderte, an der Verhandlung als Partei persönlich teilzunehmen. Am 23. Jänner 2024 langte beim BVwG eine via E Mail vom rechtsfreundlichen Vertreter des Revisionswerbers eingebrachte Vertagungsbitte ein, in der beantragt wurde, die Verhandlung auf einen späteren Termin zu verschieben, weil der Revisionswerber zur mündlichen Verhandlung vier Zeugen stellig machen wolle, was ihm zeitlich bis 15. Februar 2024 nicht möglich sei. Am 13. Februar 2024 langte beim BVwG eine weitere via E Mail übermittelte Vertagungsbitte ein, der neben einer „Arbeitsunfähigkeitsmeldung“ eine Bestätigung einer Fachärztin für Zahn , Mund und Kieferheilkunde vom 12. Februar 2024 angeschlossen war, wonach der Revisionswerber starke Schmerzen im Oberkiefer habe und ihm ein Antibiotikum verschrieben worden sei, weil der Verdacht einer Kieferhöhlenentzündung bestehe. In einem Begleitschreiben des rechtsfreundlichen Vertreters wird ausgeführt, der Revisionswerber habe aufgrund dieser Erkrankung Probleme beim Sprechen.

7 Das BVwG führte in Abwesenheit des Beschwerdeführers und seines Rechtsvertreters die für den 15. Februar 2024 anberaumte mündliche Verhandlung durch und verkündete im Anschluss an die mündliche Verhandlung das nunmehr angefochtene Erkenntnis. Mit diesem Erkenntnis wurde die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet abgewiesen. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.

8 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 12.4.2024, E 1313/2024 5, ablehnte und die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit dem Beschluss VfGH 11.6.2024, E 1313/2024 8, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

9 Über die in der Folge rechtzeitig ausgeführte außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

10Die Revision, die in ihrem Zulässigkeitsvorbringen die Vorgehensweise des BVwG im Zusammenhang mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2024 rügt und diesbezüglich ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geltend macht, erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt.

11 § 19 Abs. 3 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl. I Nr. 5/2008, lautet:

„Ladungen

§ 19. [...]

(3) Wer nicht durch Krankheit, Behinderung oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.“

12Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt festgehalten, dass das Nichterscheinen einer Partei trotz ordnungsgemäßer Ladung die Durchführung der Verhandlung nicht hindert (vgl. § 17 VwGVG iVm § 42 Abs. 4 AVG). Voraussetzung für die Durchführung der mündlichen Verhandlung in Abwesenheit der Partei ist eine „ordnungsgemäße Ladung“. Davon kann dann nicht gesprochen werden, wenn einer der in § 19 Abs. 3 AVG genannten das Nichterscheinen des Geladenen rechtfertigendenGründe vorliegt. Eine rechtswirksam geladene Partei hat die zwingenden Gründe für ihr Nichterscheinen darzutun. Sie muss etwa im Fall einer Erkrankung nicht nur deren Vorliegen behaupten und dartun, sondern auch die Hinderung am Erscheinen bei der Verhandlung aus diesem Grund. Die Triftigkeit des Nichterscheinens muss überprüfbar sein (VwGH 26.5.2020, Ra 2020/21/0144, Rn. 12, mwN).

13 Zunächst hat das BVwG dadurch, dass es den Revisionswerber zum persönlichen Erscheinen zur mündlichen Verhandlung geladen hat, zu verstehen gegeben, dass es dessen Einvernahme im Zuge einer mündlichen Verhandlung für erforderlich erachtete. Eine Begründung, warum die Einvernahme des Revisionswerbers nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am 15. Februar 2024, die sich im Wesentlichen auf die Verlesung des Akteninhalts beschränkt hat, nicht mehr erforderlich sei, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen. Auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der vorgelegten fachärztlichen Bestätigung und den daran anknüpfenden Erläuterungen des rechtsfreundlichen Vertreters des Revisionswerbers ist im angefochtenen Erkenntnis nicht erfolgt. Vielmehr erachtete das BVwG die via E Mail eingebrachte Entschuldigung des Revisionswerbers vom 13. Februar 2024 vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 1 BVwG EVV als unbeachtlich, weil sie nicht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs eingebracht wurde.

14Die Frage, ob ein geltend gemachter Hinderungsgrund vorliegt, der ein Fernbleiben von der mündlichen Verhandlung rechtfertigt, ist amtswegig zu erforschen (VwGH 31.1.2014, 2013/02/0260), wobei die Partei hierbei eine Mitwirkungspflicht dahingehend treffen kann, den Grund der Verhinderung glaubhaft zu machen, zumal der Grund der Verhinderung in der Regel in der Sphäre der Partei liegen wird (VwGH 14.6.2005, 2005/02/0043). Es kommt darauf an, dass ein „begründetes Hindernis“ im Sinn des § 19 Abs. 3 AVG konkretisiert und unter Angabe von Bescheinigungsmitteln dargelegt wurde (vgl. VwGH 14.2.2013, 2012/08/0254; darauf Bezug nehmend VwGH 23.2.2023, Ra 2022/08/0137).

15 Es stellt einen Begründungsmangel dar, wenn das Verwaltungsgericht das unter Vorlage eines Belegs und substantiiert erstattete Vorbringen des Revisionswerbers, er sei am Erscheinen zur mündlichen Verhandlung gehindert, ohne es einer Würdigung zu unterziehen sohin begründungslos , dahingehend qualifiziert, dass der Revisionswerber zur Verhandlung „unentschuldigt“ nicht erschienen sei (vgl. zu ebenfalls via EMail eingebrachten schriftlichen Entschuldigungen von einer mündlichen Verhandlung in einem Verfahren vor dem BVwG etwa VwGH 23.2.2023, Ra 2022/08/0137).

16 Im vorliegenden Fall ist die Entschuldigung des Revisionswerbers vom 13. Februar 2024 faktisch zu Tage getreten und der erkennenden Richterin zur Kenntnis gelangt. Das BVwG wäre somit verpflichtet gewesen, seiner amtswegigen Ermittlungspflicht nachzukommen, und in weiterer Folge in seiner Entscheidung entsprechende Feststellungen über den Grund der Verhinderung des Revisionswerbers zu treffen und inhaltlich zu begründen, warum es die vom Revisionswerber in seiner Eingabe vom 13. Februar 2024 dargelegten Hinderungsgründe insbesondere in Zusammenhalt mit der fachärztlichen Bestätigung vom 12. Februar 2024als nicht geeignet angesehen hat, um von einem tauglichen Hinderungsgrund im Sinne des § 19 Abs. 3 AVG auszugehen. Da das BVwG dies unterlassen hat, hat es seine Entscheidung mit einem sekundären Feststellungsmangel und damit mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

17Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

18Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGHAufwandersatzverordnung 2014. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die in den Pauschalbeträgen nach der genannten Verordnung bereits enthaltene Umsatzsteuer (VwGH 20.12.2022, Ro 2021/21/0002, Rn. 8, mwN).

Wien, am 28. August 2025