JudikaturVwGH

Ra 2025/21/0107 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
22. August 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Wagner, über die Revision des G D, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 24. Juni 2025, G314 2302028 1/11E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1972 geborene Revisionswerber, ein rumänischer Staatsangehöriger, befindet sich nach einem ersten Aufenthalt von Oktober 2007 bis Jänner 2009 seit Juni 2009 mit einer Unterbrechung von Jänner 2018 bis Februar 2019 in Österreich. Zwei bis dreimal jährlich hält er sich für ein bis drei Monate in Rumänien auf, wo er auch seine beiden dort lebenden Geschwister besucht.

2 Der Revisionswerber war zunächst im Zeitraum von Anfang 2013 bis März 2014 als Personenbetreuer selbständig beschäftigt. Ab Juli 2015 war er im Rahmen eines gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes zur Unterstützung von Menschen mit geringen Chancen am Arbeitsmarkt immer wieder tageweise geringfügig beschäftigt. Nach einer Tuberkuloseerkrankung und mehreren Operationen wurde ihm im November 2023 ein Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50% ausgestellt.

3 Der kinderlose Revisionswerber, dem im März 2017 eine unbefristete Anmeldebescheinigung als Familienangehöriger ausgestellt wurde, ist seit 2012 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die eine Berufsunfähigkeitspension bezieht und an medikamentös behandelten Erkrankungen (insbesondere Depressionen, Grünem Star, chronischer Niereninsuffizienz und Atemwegserkrankungen) leidet. Sie benötigt keine Hilfe bei Tätigkeiten des höchstpersönlichen Bereichs, allerdings Unterstützung im Haushalt, die aktuell der Revisionswerber leistet und die während seiner Abwesenheit aufgrund des Strafvollzugs eine Freundin gegen Entgelt geleistet hat.

4 Im Zuge seines Aufenthaltes im Bundesgebiet wurde der Revisionswerber wiederholt rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt, nämlich zunächst mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 25. März 2013 wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 StGB iVm §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer einjährigen Freiheitsstrafe (davon acht Monate bedingt). Der Revisionswerber hatte am 16. Februar 2013 nach Versetzung in einen die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Rauschzustand durch Alkoholkonsum mit Bereicherungsvorsatz versucht, einer anderen Person durch Faustschläge und Tritte eine Geldtasche mit etwa € 600,- in bar, ein Mobiltelefon, Hausschlüssel sowie Lotto- und Totoscheine wegzunehmen.

5 Mit Urteil des Bezirksgerichts Graz-West vom 11. Jänner 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des tätlichen Angriffs auf einen Beamten nach § 270 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, er habe am 23. August 2017 im Zuge einer Polizeikontrolle in einer Erotikbar Polizeibeamte, die ihn wegen seiner Weigerung, sich auszuweisen, zur Vernehmung auf eine Polizeidienststelle bringen wollten, tätlich angegriffen, indem er mit der Geldbörse gegen den Oberkörper eines Polizisten geschlagen und einen anderen Polizisten, auf den er zugestürmt sei, zu Boden gebracht und am rechten Knie verletzt habe.

6 Daraufhin wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet, im Jahr 2020 jedoch wieder von Amts wegen eingestellt.

7 Schließlich wurde der Revisionswerber mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. März 2024 wegen des Verbrechens des versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Dem Urteil lag zugrunde, der Revisionswerber habe am 5. Jänner 2024 mit Bereicherungsvorsatz versucht, einem minderjährigen weiblichen Opfer zwei Taschen mit Gewalt wegzunehmen, indem er beide Taschen festgehalten und so heftig daran gezerrt habe, dass das Opfer hin- und hergerissen worden sei, wobei es nur aufgrund des Einschreitens weiterer Personen beim Versuch geblieben sei. Der Revisionswerber befand sich vom 5. Jänner 2024 bis zur bedingten Entlassung am 3. Jänner 2025 zuerst in Untersuchungs- und dann in Strafhaft.

8 Aufgrund seiner Straffälligkeit erließ das BFA mit Bescheid vom 6. Oktober 2024 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und gewährte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

9 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 24. Juni 2025 als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

10 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

11 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

13 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich der Revisionswerber gegen die vom BVwG vorgenommene Gefährdungsprognose und führt dazu aus, dass seine Straftaten zeitlich weit auseinanderlägen und im Zusammenhang mit seiner Alkoholabhängigkeit zu sehen seien. Er sei aber bereit, sich Therapien zu unterziehen und unter Berücksichtigung seiner Krankengeschichte wieder im Rahmen eines gemeinnützigen Beschäftigungsprojektes einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. All das und die Pflegebereitschaft für seine Ehefrau, deren sich möglicherweise verschlechternder Gesundheitszustand auch Hilfe für Tätigkeiten des höchstpersönlichen Bereichs notwendig machen würde, stünden der Gefährdungsannahme des BVwG entgegen. In Anbetracht dieser Umstände sei auch die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG rechtswidrig.

14 Vorauszuschicken ist, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. etwa VwGH 18.1.2024, Ra 2022/21/0012, Rn. 19, mwN).

15 Das BVwG prüfte die vom Revisionswerber ausgehende Gefährdung unter anderem wegen der Aufenthaltsunterbrechung von Jänner 2018 bis Februar 2019 anhand des Gefährdungsmaßstabs des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“), dessen Anwendung in der Revision auch nicht in Frage gestellt wurde.

16 Was das Vorbringen zur Pflegebereitschaft des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Ehefrau im Kontext der Gefährdungsprognose anbelangt, ist darauf hinzuweisen, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa VwGH 3.4.2025, Ra 2024/21/0066, Rn. 19, mwN).

17 Das BVwG attestierte dem Revisionswerber eine auch in der Revision vorgebrachte Therapiewilligkeit, hob aber hervor, dass die Teilnahme des Revisionswerbers an einem Anti Gewalt Training aufgrund der Sprachbarriere alsbald abgebrochen worden sei. Überdies führte das BVwG gegen eine positive Zukunftsprognose ins Treffen, dass der Revisionswerber auch nach der gerade erst erfolgten Entlassung aus dem Strafvollzug in der mündlichen Verhandlung in Bezug auf seine Straftaten keine Schuldeinsicht gezeigt, sondern die Angriffe auf Polizeibeamte bagatellisiert und die mit Bereicherungsvorsatz gesetzte Aggressionshandlung gegen ein minderjähriges Opfer mit vorherigem Alkoholkonsum bei einem Freund erklärt habe, wobei das BVwG ein äußerst problematisches Konsumverhalten des (nach Einschätzung des BVwG auch in der Verhandlung alkoholisierten) Revisionswerbers hervorhob. Angesichts dieser Umstände und der Straffälligkeit des Revisionswerbers, insbesondere des zuletzt im einschlägigen Rückfall begangenen und zu einer 18 monatigen unbedingten Freiheitsstrafe führenden Raubversuchs zum Nachteil eines minderjährigen Opfers, ist die vom BVwG getroffene Gefährdungsprognose nicht zu beanstanden.

18 Auch die Interessenabwägung, die das BVwG am Maßstab des § 9 BFA VG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Verschaffung eines persönlichen Eindrucks durchgeführt hat, erweist sich im Ergebnis als vertretbar: Das BVwG nahm auf die familiäre Bindung des Revisionswerbers hinsichtlich seiner Ehefrau und auf ihre Unterstützungsbedürftigkeit im (gemeinsamen) Haushalt wegen ihrer Erkrankungen ausreichend Bedacht. Bei der Abwägung bezog das BVwG aber auch mit ein, dass dem Revisionswerber zu keiner Zeit eine nachhaltige Integration am Arbeitsmarkt gelang, er nach einer relativ kurzen Phase der Tätigkeit als Selbständiger, in der er keine Sozialversicherungsbeiträge leistete, nur noch im Rahmen gemeinnütziger Beschäftigungsprogramme und in den letzten Jahren überhaupt nicht mehr erwerbstätig war. Das BVwG durfte ferner in Anschlag bringen, dass die Unterstützung der Ehefrau in der Haushaltsführung während der einjährigen Abwesenheit des Revisionswerbers infolge des Strafvollzugs durch eine Freundin gewährleistet werden konnte, wobei das BVwG pro futuro auch auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme sozialer Dienste verwies. Ausgehend davon und unter Berücksichtigung der bereits erwähnten Erwägungen des BVwG zur fehlenden Schuld- bzw. Problemeinsicht des Revisionswerbers bezüglich seiner mit Alkoholmissbrauch in Verbindung stehenden Gewaltdelinquenz begegnet die Annahme des BVwG, dass das persönliche Interesse am Verbleib im Bundesgebiet das aus der Straffälligkeit des Revisionswerbers resultierende große öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung zur Vermeidung insbesondere von Gewaltdelikten nicht überwiege, keinen Bedenken.

19 Schließlich wendet sich die Revision noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht dagegen, dass die „Umstandsänderungen der gefährdeten Gesundheit der Ehefrau des Revisionswerbers“ nicht durch ihre Einvernahme in der mündlichen Verhandlung ermittelt, sondern „schlichtweg gar nicht“ der Entscheidung zugrunde gelegt worden seien.

20 Dazu genügt der Hinweis, dass die Vernehmung der Ehefrau des Revisionswerbers in der Beschwerde als Zeugin zum Beweis der familiären Situation und ihrer Beziehung zum Revisionswerber beantragt worden war und das BVwG die familiären Verhältnisse des Revisionswerbers entsprechend dessen Angaben und den von ihm vorgelegten Unterlagen im Verfahren feststellte. Dies gilt gleichermaßen für die gesundheitliche Verfassung seiner Ehefrau (dazu, dass für die Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes die Sach und Rechtslage im Zeitpunkt ihrer Erlassung maßgeblich ist, vgl. etwa VwGH 29.8.2024, Ra 2021/21/0163, Rn. 12, mwN). Vor diesem Hintergrund legt die Revision in ihrer Zulässigkeitsbegründung nicht ausreichend dar, welche Beweisergebnisse zu einem anderen, für den Revisionswerber günstigeren Verfahrensergebnis hätten führen können. Auch hinsichtlich der in der Revision ferner gerügten Unterlassung der Berücksichtigung nicht näher konkretisierter Milderungsgründe aus einem der Strafverfahren wird die Relevanz dieses behaupteten Begründungs bzw. Verfahrensmangels nicht dargelegt (zu diesem Erfordernis vgl. etwa VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0338, Rn. 10, mwN).

21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen iSd Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 22. August 2025

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