Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger, den Hofrat Dr. Chvosta, die Hofrätin Dr. in Oswald und den Hofrat Mag. Schartner als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision der S D, vertreten durch Mag. Gabriel Kielbasa, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lange Gasse 50, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14. März 2024, I405 2281625 1/5E, betreffend Abweisung eines Antrages auf Ausstellung eines Fremdenpasses (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, wurde mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesasylamtes vom 24. Juli 2013 der beantragte Status der Asylberechtigten versagt, jedoch der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.
2 Nachdem ihr bereits zweimal (am 16. Juli 2014 mit Gültigkeit bis zum 15. Juli 2016 und am 23. Februar 2017 mit Gültigkeit bis zum 22. Februar 2022) Fremdenpässe ausgestellt worden waren, beantragte die Revisionswerberin am 8. Mai 2023 erneut die Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 88 Abs. 2a FPG. Nach einem schriftlichen Vorhalt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) legte die Revisionswerberin mit Schreiben vom 13. Juli 2023 eine mit 25. Oktober 2016 datierte Bestätigung der nigerianischen Botschaft vor, wonach der Revisionswerberin mangels Vorlage notwendiger Dokumente kein Reisepass ausgestellt werden könne.
3 Das BFA wies den Antrag vom 8. Mai 2023 mit Bescheid vom 20. September 2023 gemäß § 88 Abs. 2a FPG ab.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. März 2024 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 In der Begründung stellte das BVwG nur fest, die Revisionswerberin habe keinen aktuellen Antrag auf Ausstellung eines Reisedokuments bei der nigerianischen Botschaft gestellt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin nicht in der Lage sei, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen.
6 Beweiswürdigend legte das BVwG dar, es hätten sich keine Hinweise ergeben, warum es der Revisionswerberin nicht möglich sein solle, sich bei der nigerianischen Botschaft in Wien um die Ausstellung eines Reisepasses zu bemühen. Weiters führte das BVwG (disloziert in der rechtlichen Beurteilung) aus, die Revisionswerberin habe zwar in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass sie zweimal bei der nigerianischen Botschaft gewesen sei, man habe ihr dort aber lediglich erklärt, dass Bestätigungen darüber, dass die Ausstellung eines Reisepasses für sie nicht möglich sei, nicht mehr ausgestellt würden. Die Revisionswerberin habe jedoch „unbeschadet der Unplausibilität dieser Begründung der Botschaft“ nicht „belegen“ können, dass sie tatsächlich bei der Botschaft gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass sie sich nicht um die Ausstellung eines Reisedokuments ihres Heimatstaates bemüht habe. Mangels Vorlage eines aktuellen Schreibens der nigerianischen Botschaft könne nicht davon ausgegangen werden, dass ihr durch die nigerianische Botschaft in Wien kein Reisedokument ausgestellt werde.
7 In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, die Revisionswerberin habe die tatsächliche Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Beschaffung eines Reisedokuments nicht nachweisen können „bzw.“ sich nicht bemüht, ein Reisedokument zu beschaffen, weshalb die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Fremdenpasses nach § 88 Abs. 2a FPG nicht vorlägen.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die gegenständliche außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
9 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und auch als berechtigt, weil das BVwG wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision auch teilweise aufgezeigt wird von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es einerseits die Rechtslage verkannt und andererseits seine Feststellungen auf eine nicht nachvollziehbare Beweiswürdigung gestützt und von amtswegigen Ermittlungen abgesehen hat.
10 Gemäß § 88 Abs. 2a FPG sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag Fremdenpässe auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Die Bestimmung ist vor dem Hintergrund der entsprechenden unionsrechtlichen Regelung, nämlich Art. 25 Abs. 2 der Statusrichtlinie (RL 2011/95/EU), auszulegen (vgl. dazu sinngemäß VwGH 27.6.2024, Ra 2023/21/0163, Rn. 10, wonach die Bestimmungen über Konventionsreisepässe im Einklang mit Art. 25 Abs. 1 der Statusrichtlinie auszulegen sind). Gemäß dem hier maßgeblichen Art. 25 Abs. 2 der Statusrichtlinie sind Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist und die keinen nationalen Pass erhalten können, Dokumente für Reisen außerhalb ihres Hoheitsgebiets auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Nach den Gesetzesmaterialien zum FNG Anpassungsgesetz, mit dem (in Abänderung der bisherigen Bestimmung des § 88 Abs. 2 Z 2 FPG) der Abs. 2a in den § 88 FPG mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2014 eingefügt wurde, sollte damit Art. 25 Abs. 2 der Statusrichtlinie umgesetzt werden, indem subsidiär Schutzberechtigten nunmehr ein Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Fremdenpasses eingeräumt werde, der nur aus Gründen der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung beschränkt werden könne (so die ErläutRV 2144 BlgNR 24. GP 25). Eine weitere Ausnahme von diesem Rechtsanspruch besteht für den Fall, dass die subsidiär Schutzberechtigten wie es die Richtlinie formuliert einen nationalen Pass erhalten können.
11 Das scheint das BVwG zu verkennen, wenn es zu dieser Tatbestandsvoraussetzung bloß die negative Feststellung trifft, es könne nicht festgestellt werden, dass die Revisionswerberin nicht in der Lage sei, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen. Gleiches gilt für die beweiswürdigenden Ausführungen, dass sich keine Hinweise ergeben hätten, warum es der Revisionswerberin nicht möglich sein solle, sich bei der nigerianischen Botschaft in Wien um die Ausstellung eines Reisepasses zu bemühen und nicht davon ausgegangen werden könne, dass ihr (dann) durch die nigerianische Botschaft in Wien kein Reisedokument ausgestellt werde. Richtig ist zwar, dass den Antragsteller insofern eine Mitwirkungspflicht trifft, dass er die Erlangung eines nationalen Reisepasses versuchen muss, es sei denn die Beschaffung eines solchen Dokuments ist ihm nicht zumutbar oder (von vornherein) unmöglich, etwa weil er nicht im Besitz hierfür notwendiger Dokumente ist und sie auch nicht besorgen kann oder weil die Botschaft des Herkunftsstaates aus sonstigen, nicht in der Sphäre des Antragstellers liegenden Gründen die Ausstellung eines nationalen Reisepasses verweigert. Diese Mitwirkungspflicht hat aber nicht zur Konsequenz, dass den subsidiär schutzberechtigten Antragsteller die Beweispflicht und Beweislast für das Nichtvorliegen des als Ausnahme vom grundsätzlich bestehenden Rechtsanspruch auf Ausstellung eines Fremdenpasses konzipierten Versagungstatbestandes trifft. Das scheint das BVwG zu verkennen, wenn es zu dessen Vorliegen keine ausdrücklichen positiven Feststellungen trifft, sondern die aus den im angefochtenen Erkenntnis getroffenen negativen Annahmen ableitbare „non liquet Situation“ zu Lasten der Revisionswerberin wertet.
12 Schon deshalb hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet. Zur Vollständigkeit ist in Bezug auf die oben wiedergegebene Begründung des BVwG fallbezogen aber noch Folgendes festzuhalten:
13 Zwar stellt die Beurteilung der (Un )Zumutbarkeit bzw. der faktischen (Un )Möglichkeit der Beschaffung eines gültigen Reisedokuments iSd § 88 Abs. 2a FPG eine einzelfallbezogene Beurteilung dar, die wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht erfolgreich mit Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG bekämpft werden kann (siehe etwa VwGH 27.7.2023, Ra 2021/21/0363, Rn. 10, mwN).
14 Allerdings mangelt es im vorliegenden Fall an einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage, weil das BVwG seine Feststellung, wonach die Revisionswerberin nicht versucht habe, bei der nigerianischen Botschaft ein Reisedokument zu erlangen, auf eine mangelhafte und unvertretbare Beweiswürdigung stützte (zum Maßstab für die Prüfung der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof siehe etwa VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056 , Rn. 12, mwN). Denn das BVwG gründete diese Feststellung lediglich auf die beweiswürdigende Erwägung, dass die Revisionswerberin einen Besuch bei der nigerianischen Botschaft nicht habe (offenbar gemeint: durch eine aktuelle schriftliche Bestätigung der Botschaft) „belegen“ können. Die Glaubwürdigkeit der von der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben, sie habe die nigerianische Botschaft im September 2023 aufgesucht, wo ihr erklärt worden sei, dass Bestätigungen über die Nichtausstellung von Reisepässen nicht mehr ausgestellt würden, unterzog das BVwG hingegen überhaupt keinen beweiswürdigenden Erwägungen, die schon deshalb als mangelhaft anzusehen sind. Das gilt auch für die nicht weiter begründete Unterstellung, eine solche „Begründung der Botschaft“ sei „unplausibel“.
15 Im Übrigen greift es zu kurz, auf einen schriftlichen Nachweis für das erfolglose Aufsuchen der Botschaft abzustellen, denn der Verwaltungsgerichtshof hat bereits festgehalten, dass weder dem FPG noch der FPG DV eine Bestimmung zu entnehmen ist, die für die Erstattung eines Antrags auf Ausstellung eines Fremdenpasses besondere Angaben oder gar die Beibringung irgendwelcher Unterlagen anordnet (vgl. dazu schon VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0124). Dem widerspricht somit auch die vom BFA im Bescheid vom 20. September 2023 vertretene Meinung, die Revisionswerberin hätte schon mit dem Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses „entsprechende Bestätigungen (übersetzt und beglaubigt)“, ausgestellt von der Botschaft, vorlegen müssen, in denen aktuell die „endgültige Unmöglichkeit“ der Ausstellung eines heimatstaatlichen Reisedokuments bestätigt werde. Vielmehr kann ein Nachweis für die Erfüllung der diesbezüglichen Mitwirkungspflicht auf jede andere taugliche Weise erbracht werden. Daher hätte das Verwaltungsgericht die Angaben der Revisionswerberin in der mündlichen Verhandlung zum Aufsuchen der Botschaft und zur Verweigerung der Ausstellung eines nigerianischen Reisedokuments und einer entsprechenden Bestätigung wie in der Revision zu Recht bemängelt wird einer amtswegigen Prüfung auf ihre Glaubwürdigkeit zu unterziehen gehabt und sie mit nachvollziehbaren Argumenten unter diesem Gesichtspunkt bewerten müssen, wobei etwa auch eine diesbezügliche Anfrage bei der nigerianischen Botschaft oder in Bezug auf deren generelle Praxis allenfalls auch beim Bundesministerium für Inneres in Betracht gekommen wäre (vgl. zu Letzterem erneut VwGH 27.7.2023, Ra 2021/21/0363, nunmehr Rn. 11). Deshalb hat das BVwG das angefochtene Erkenntnis auch mit einem relevanten Begründungsmangel belastet.
16 Das angefochtene Erkenntnis war aber schon aus den oben genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 27. Februar 2025