JudikaturVwGH

Ra 2024/13/0024 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Baurecht
08. September 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr. in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., MA, über die Revisionen 1. der B, vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 14. Dezember 2023, Zl. LVwG 2023/29/26691 (protokolliert zu Ra 2024/13/0024), und 2. der A, vertreten durch Dr. Johannes Hibler, Rechtsanwalt in Lienz, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 13. Dezember 2023, LVwG 2023/20/2667 1 (protokolliert zu Ra 2024/13/0026), jeweils betreffend Erschließungsbeitrag nach dem TVAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Marktgemeinde Matrei in Osttirol), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revisionen werden zurückgewiesen.

1 Mit Bescheiden vom 24. Juli 2023 schrieb der Bürgermeister der Marktgemeinde M den Revisionswerberinnen als Miteigentümerinnen eines näher bezeichneten Grundstücks einen Erschließungsbeitrag nach dem Tiroler Verkehrsaufschließungs und Ausgleichsabgabengesetz (TVAG) iHv jeweils 9.047,09 € für den mit Baubewilligung vom 2. November 2020 nachträglich genehmigten Neubau eines Wohnhauses vor.

2 Gegen diese Bescheide erhoben die Revisionswerberinnen jeweils Beschwerde, in der sie vorbrachten, bei der erteilten Baubewilligung vom 2. November 2020 handle es sich um die nachträgliche Genehmigung eines bereits in den Jahren 1966 bis 1969 errichteten Gebäudes. Schon im Jahr 1966 sei auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück die Errichtung eines Wohnhauses baurechtlich bewilligt worden. Im Jahr 1969 sei die Benützungsbewilligung für das Wohnhaus erteilt worden. Das errichtete Gebäude sei von den der ursprünglichen Genehmigung zugrunde liegenden Bauplänen insoweit abgewichen, als es einige Meter südlicher situiert worden sei. Die Baumasse selbst sei kaum verändert worden. Im Jahr 1997 sei eine Erweiterung des Hauses (Überdachung der Terrasse und des Stiegenaufgangs) bewilligt worden. Für diese Erweiterung sei dem Voreigentümer der Revisionswerberinnen eine Wasseranschluss und eine Kanalanschlussgebühr vorgeschrieben worden. Es sei daher anzunehmen, dass für diese Erweiterung auch ein Erschließungsbeitrag gemäß der damals gültigen Bauordnung vorgeschrieben worden sei oder zumindest vorgeschrieben hätte werden können. Auch wenn es baurechtlich notwendig sein möge, für das Wohngebäude um Konsens gemäß Bestand anzusuchen, stehe der Abgabenvorschreibung der Grundsatz der Einmalbesteuerung entgegen, sei die Gemeinde doch aufgrund des Gesetzes vom 8. Februar 1960, LGBl. Nr. 10/1960, ermächtigt gewesen, eine Abgabe zu ihrem Kostenaufwand für die Herstellung öffentlicher Straßen, Wege, Brücken, Plätze und der Straßenbeleuchtung zu erheben.

3 Mit Beschwerdevorentscheidungen vom 17. Oktober 2023 änderte der Bürgermeister der Marktgemeinde M die Bescheide vom 24. Juli 2023 dahingehend ab, dass er der Erstrevisionswerberin einen Erschließungsbeitrag iHv 6.031,39 € und der Zweitrevisionswerberin einen Erschließungsbeitrag iHv 12.062,79 € (entsprechend dem Verhältnis ihrer Miteigentumsanteile) vorschrieb.

4 Die Revisionswerberinnen beantragten die Vorlage der Beschwerden an das Landesverwaltungsgericht Tirol (Verwaltungsgericht).

5 Mit den angefochtenen Erkenntnissen änderte das Verwaltungsgericht die erstinstanzlichen Bescheide unter Ansatz eines geringfügig größeren Bauplatzanteils als in der Beschwerdevorentscheidung dahingehend ab, dass es der Erstrevisionswerberin einen Erschließungsbeitrag iHv 6.070,18 € und der Zweitrevisionswerberin einen Erschließungsbeitrag iHv 12.140,36 € vorschrieb. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht jeweils für nicht zulässig.

6 In den Begründungen führte das Verwaltungsgericht soweit hier wesentlich aus, die Revisionswerberinnen seien zu einem bzw. zwei Drittel Miteigentümerinnen des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, welches sie mit Kaufvertrag vom 27. August 2020 erworben hätten. Mit Bescheid vom 15. Dezember 1966 sei dem vormaligen Eigentümer die baubehördliche Bewilligung für den Neubau eines Wohnhauses erteilt worden. Das Bauvorhaben sei in den Jahren 1966 bis 1969 fertiggestellt, jedoch nicht bewilligungskonform ausgeführt worden. Mit Bescheid vom 10. November 1997 sei dem vormaligen Eigentümer die baubehördliche Bewilligung für die Überdachung der Terrasse und des Stiegenaufgangs erteilt worden. Für dieses Bauvorhaben sei dem vormaligen Eigentümer mit Bescheid vom 30. September 1998 ein Erschließungsbeitrag iHv 7.044 ATS unter Zugrundelegung eines Bauplatzanteils von 59,42 m 2 und einer Baumasse von 57,30 m 3 vorgeschrieben worden. Mit Bescheid vom 2. November 2020 habe der Bürgermeister der Marktgemeinde M die nachträgliche baurechtliche Genehmigung für den Neubau eines Wohnhauses mit Stützwänden, Treppenaufgang und Garage auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück erteilt. Mit dieser Bewilligung sei das konsenswidrig errichtete Wohnhaus „baurechtlich saniert“ worden. Dieses Bauvorhaben stelle sich bezogen auf die ursprünglich erteilte Baubewilligung als aliud dar. Die Baumasse betrage 1.135,04 m³, die Grundstücksgröße 999 m².

7 Die Erteilung einer Baubewilligung für ein auf einem Grundstück befindliches Wohnhaus löse grundsätzlich eine Abgabepflicht iSd § 12 Abs. 1 lit. a TVAG aus. Die gegenständliche baurechtliche Sanierung stelle sich letztlich wie ein Abbruch des nicht von einer Baubewilligung gedeckten Altbestands samt einer Neuerrichtung an anderer Stelle auf demselben Grundstück dar. Nach § 11 Abs. 3 TVAG sei in einem solchen Fall maßgeblich, inwieweit die Baumasse bereits Grundlage für die Vorschreibung eines Erschließungsbeitrags nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften gewesen sei. Nach dem Grundsatz der Einmalbesteuerung komme es nicht auf die tatsächliche Vorschreibung der Abgabe und deren Entrichtung an, sondern seien auch verjährte Abgabenansprüche zu berücksichtigen.

8 Am 1. Jänner 1960 sei das Gesetz zur Erhebung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand der Gemeinden, LGBl. Nr. 10/1960, in Kraft getreten. Die Marktgemeinde M habe von der Verordnungsermächtigung, eine Abgabe zur Deckung der Kosten für die Herstellung öffentlicher Straßen, Wege, Brücken, Plätze und der Straßenbeleuchtung von allen Bauten im Gemeindegebiet, die einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen, einzuheben, keinen Gebrauch gemacht. Erst mit 1. Jänner 1975 sei die Tiroler Bauordnung, LGBl. Nr. 42/1974, in Kraft getreten, mit der die Vorschreibung von Beiträgen zu den Kosten der Verkehrserschließung sowie der Errichtung von Gehsteigen geregelt worden sei. Somit habe in der Marktgemeinde M vor 1975 keine rechtliche Grundlage für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen bestanden. Bei der Abgabenfestsetzung sei daher lediglich die Baumasse des im Jahr 1997 bewilligten Umbaus in Abzug zu bringen.

9 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen der beiden Miteigentümerinnen des verfahrensgegenständlichen Grundstücks, die der Verwaltungsgerichtshof aufgrund ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden hat.

10 Zur Zulässigkeit führen die Revisionswerberinnen aus, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob Bauten, die in Tirol nach dem 1. Jänner 1960 neu errichtet worden seien, nicht doch aufgrund des mit 1. Jänner 1960 in Kraft getretenen Gesetzes vom 8. Februar 1960 über die Erhebung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand der Gemeinden, LGBl. Nr. 10/1960, „steuerverfangen“ seien.

11 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

12Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

13Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

14Nach der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zu Bestimmungen, die den Grundsatz der Einmaligkeit bei der Vorschreibung einer bestimmten Abgabe normieren, ist eine Anordnung, der zu Folge nach ihrem Wortlaut bei der Ermittlung des Abgabenanspruchs (nur) bereits „entrichtete“ Abgaben zu berücksichtigen sind, nicht so zu verstehen, dass nur tatsächlich entrichtete oder vorgeschriebene Beiträge erfasst wären. Vielmehr erfassen solche Regelungen auch verjährte Abgabenbeiträge (vgl. etwa VwGH 31.8.2016, Ro 2014/17/0110, mwN). Maßgebend ist daher, ob ein Erschließungsbeitrag vorgeschrieben wurde oder allenfalls vorzuschreiben gewesen wäre (vgl. VwGH 7.3.2022, Ra 2021/13/0109).

15Daraus folgt, dass auch die Anordnung des § 11 Abs. 1 TVAG, wonach nur ein dem Baumassenanteil entsprechender Erschließungsbeitrag zu entrichten ist, wenn „bereits ein Erschließungsbeitrag nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften unter Zugrundelegung der Gesamtfläche des Bauplatzes entrichtet wurde“ sowie die Regelung des § 11 Abs. 3 TVAG, wonach bei der Ermittlung des Baumassenanteils die Baumasse um die Baumasse des abgebrochenen Gebäudes oder Gebäudeteiles zu vermindern ist, die „bereits Grundlage für die Vorschreibung eines Erschließungsbeitrages nach diesem Gesetz oder nach früheren Rechtsvorschriften war“, so zu verstehen sind, dass auch verjährte Abgabenbeiträge bzw. Baumassen, die einem mittlerweile verjährten Anspruch auf einen Erschließungsbeitrag zugrunde lagen, erfasst sind (vgl. nochmals VwGH 31.8.2016, Ro 2014/17/0110).

16 § 8 Abs. 5 F VG 1948 ermächtigt den Landesgesetzgeber, den Gemeinden das sogenannte „freie Beschlussrecht“ zur Ausschreibung bzw. Erhebung von Abgaben zu gewähren. Im Rahmen dieses freien Beschlussrechts können die Gemeinden durch Verordnungen Steuerquellen erschließen und sie nutzen. Innerhalb der Grenzen dieses Beschlussrechts sind die Gemeinden an keine Weisungen gebunden, sie sind insoweit autonom. Es steht der einzelnen Gemeinde daher frei, eine solche Abgabe einzuheben oder nicht (vgl. etwa VfGH 28.9.1967, B 28/67; 10.10.1966, B 250/66).

17 Dementsprechend wurden die Tiroler Gemeinden gemäß § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 8. Februar 1960 über die Erhebung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand der Gemeinden, LGBl. Nr. 10/1960, ermächtigt, zu ihrem Kostenaufwand für die Herstellung öffentlicher Straßen, Wege, Brücken, Plätze und der Straßenbeleuchtung von allen Bauten im Gemeindegebiet, die einer baubehördlichen Bewilligung bedürfen (Neu , Zu und Aufbauten), eine Abgabe zu erheben.

18 Im revisionsgegenständlichen Fall ist unstrittig, dass die Marktgemeinde M von dieser Verordnungsermächtigung keinen Gebrauch gemacht hat. Damit fehlte es aber an einer rechtlichen Grundlage für die Erhebung einer solchen Abgabe anlässlich der Erteilung der Baubewilligung im Jahr 1966.

19Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, kommt der Einmaligkeitsgrundsatz nicht zum Tragen, wenn keine rechtliche Grundlage für die Vorschreibung einer entsprechenden Abgabe bestanden hat, weil die Gemeinde von der Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 1 des Gesetzes vom 8. Februar 1960 über die Erhebung einer Abgabe zum Straßenbauaufwand der Gemeinden, LGBl. Nr. 10/1960, keinen Gebrauch gemacht hat (vgl. VwGH 18.12.2024, Ra 2021/13/0023).

20 Wurde die zu beantwortende Rechtsfrage in der Rechtsprechung nach Einbringen der Revision geklärt, liegt keine Rechtsfrage (mehr) vor, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme (vgl. VwGH 30.6.2021, Ra 2019/16/0002, mwN).

21Die Revisionen waren daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 8. September 2025