Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 5. Juli 2023, Zl. LVwG 2023/47/0420 10, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: A G in I), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Innsbruck (im Folgenden: Amtsrevisionswerber) vom 27. Dezember 2022 wurde der Antrag der Mitbeteiligten vom 13. Dezember 2022 auf Gewährung von Mindestsicherung nach § 15 Abs. 1 und 7 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) als unbegründet abgewiesen.
2 Begründend führte der Amtsrevisionswerber im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte habe im verfahrensgegenständlichen Antrag Angaben zu einer Liegenschaft im Iran gemacht. Die Voraussetzungen für das Absehen von der Verwertung von unbeweglichem Vermögen im Sinn des § 15 Abs. 7 TMSG seien nicht erfüllt. Dazu lägen iranische Dokumente über den Verkauf eines Hauses im Iran vor, weshalb davon auszugehen sei, dass die Mitbeteiligte über weitere Vermögenswerte verfüge. Gemäß § 15 Abs. 1 TMSG sei Vermögen des Hilfesuchenden vor der Gewährung von Mindestsicherung einzusetzen.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Landesverwaltungsgericht Tirol (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde der Mitbeteiligten statt, hob den angefochtenen Bescheid auf und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Amtsrevisionswerber zurück. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, die Mitbeteiligte, eine iranische Staatsangehörige, habe nach dem am 21. November 2022 erfolgten Auszug aus der gemeinsamen Ehewohnung für sich und ihren minderjährigen Sohn einen eigenen Antrag auf Leistungen nach dem TMSG gestellt; davor habe ihre Familie als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem TMSG bezogen. Der Ehemann der Mitbeteiligten habe am 9. November 2022 anlässlich einer Vorsprache beim Amtsrevisionswerber angegeben, dass seine Ehefrau zwei Wohnungen im Iran besitze und sich außerdem der Verkaufserlös seines iranischen Unternehmens, das seine Ehefrau veräußert habe, im Iran befinde. Dazu habe der Ehemann der Mitbeteiligten Dokumente in iranischer Sprache vorgelegt, bei denen es sich um sehr schlechte Kopien handle, die nur zum Teil leserlich seien. Bei zwei Dokumenten handle es sich um Vollmachten, zwei weitere Dokumente würden ein Grundstück betreffen, das die Mitbeteiligte erworben habe. Zwischenzeitlich seien alle drei Ebenen des darauf befindlichen Gebäudes verkauft worden. Die Mitbeteiligte sei Miteigentümerin einer Wohnung im Iran, in der derzeit ihre demenzkranke Mutter wohne. Sie verfüge zudem über ein Konto im Iran, auf welchem sich kein Geld mehr befinde. Dokumente besitze sie weder hinsichtlich der Wohnung noch hinsichtlich des Kontos. Über den Anteil der Wohnung könne sie nicht selbst verfügen, weil ihr das in ihrer Heimatregion als Frau nicht möglich sei. Zu ihrer Familie im Iran habe die Mitbeteiligte keinen Kontakt mehr.
5 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, der Amtsrevisionswerber habe verkannt, dass der Mitbeteiligten der Verkauf ihres Miteigentumsanteils an der Wohnung im Iran nicht möglich, ihr Vermögen daher nicht verwertbar sei. Daher sei ein Ermittlungsverfahren zur Feststellung der Höhe des Anspruchs der Mitbeteiligten (gemeint: nach dem TMSG) durchzuführen. Zu diesem Zweck sei der angefochtene Bescheid zu beheben und die Sache zur Erlassung eines neuen Bescheides an den Amtsrevisionswerber zurückzuverweisen gewesen.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B VG).
8Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
9Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision (gesondert) vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
10Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in den gemäß § 28 Abs. 3 VwGG gesondert vorzubringenden Gründen konkret auf die vorliegende Rechtssache bezogen aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte und in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht bzw. konkret welche Rechtsfrage dieser uneinheitlich oder noch nicht beantwortet hat (vgl. etwa VwGH 25.10.2023, Ra 2023/10/0390; 11.4.2023, Ra 2023/10/0009).
11 Weiters liegt eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung „abhängt“ (vgl. VwGH 15.7.2024, Ra 2022/10/0126; 15.5.2024, Ra 2024/10/0063).
12Mit dem Zulässigkeitsvorbringen, es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob ein im Ausland befindliches Vermögen eines Antragstellers generell unter die Bestimmung des § 15 TMSG subsumiert werden könne, wird den Anforderungen an die gesetzmäßige Ausführung einer außerordentlichen Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG nicht entsprochen. Damit wird nämlich nicht aufgezeigt, inwiefern das rechtliche Schicksal der Revision von der abstrakt gestellten Rechtsfrage abhängen sollte, zumal das Verwaltungsgericht zwar festgestellt hat, dass die Mitbeteiligte über einen Miteigentumsanteil an einer Wohnung im Iran verfüge, dessen Berücksichtigung im Mindestsicherungsverfahren aber allein mit der fallbezogen fehlenden Möglichkeit, diesen zu verwerten, verneinte.
13 Die Revision wirft in der Zulässigkeitsbegründung weiters die Frage auf, welche Qualität ein allfälliger Beweis aufweisen müsse, wenn seitens eines Antragstellers die Unmöglichkeit der Veräußerung von Vermögen behauptet werde, insbesondere, ob die Unmöglichkeit der Veräußerung einer Liegenschaft durch einen vor Ort befindlichen, bevollmächtigten Stellvertreter glaubhaft gemacht werden müsse, wenn es sich beim Antragsteller um einen Drittstaatsangehörigen handle, der über den Status des Asylberechtigten verfüge und dessen Einreise in sein Heimatland einen Grund für die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens darstellte.
14 Damit wird die Frage der Erforderlichkeit weiterer Beweismittel angesprochen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Beurteilung, ob eine Beweisaufnahme im Einzelfall notwendig ist, dem Verwaltungsgericht obliegt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG läge diesbezüglich nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. etwa VwGH 13.7.2022, Ra 2022/02/0126; 25.1.2017, Ra 2016/10/0137, jeweils mwN). Solches ist angesichts der Tatsache, dass der Amtsrevisionswerber mit seinem Vorbringen (betreffend Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit einer Veräußerung durch einen Stellvertreter) keinerlei Bezug zum Revisionsfall im Sinn der oben ausgeführten Anforderungen an die Zulässigkeitsbegründung herstellt, nicht ersichtlich.
15 In den weiteren Zulässigkeitsausführungen bringt der Amtsrevisionswerber unter dem Aspekt einer Abweichung von näher dargestellter hg. Judikatur zur Begründungspflicht vor, dem Verwaltungsgericht seien einander widersprechende Aussagen der Mitbeteiligten und ihres Ehemannes zu allfällig vorhandenem Vermögen im Iran und damit widerstreitende Beweisergebnisse vorgelegen, mit welchen es sich nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Vielmehr habe das Verwaltungsgericht die Aussage der Mitbeteiligten pauschal als glaubwürdig beurteilt und sich mit dem Vorbringen des Ehegatten nicht auseinandergesetzt.
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanzzur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. dazu für viele etwa VwGH 18.7.2024, Ra 2024/10/0081; 24.2.2022, Ra 2021/10/0160, jeweils mwN). Einen derart krassen Fehler des Verwaltungsgerichtes vermag die Revision nicht darzulegen, zumal sich das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung nicht ausschließlich mit den Ausführungen der Mitbeteiligten auseinandersetzte, sondern ebenso mit den vom Ehegatten der Mitbeteiligten vorgelegten Dokumenten, über deren Inhalt es sich mittels Dolmetscher Kenntnis verschaffte und der als mit den Ausführungen der Mitbeteiligten in Einklang stehend beurteilt wurde.
17 Weiters habe es das Verwaltungsgericht so die Zulässigkeitsbegründung weiter unterlassen, Nachforschungen zu den Verhältnissen im Iran anzustellen, etwa zur dort üblichen Dokumentation von Wohnungs und Liegenschaftseigentum oder dazu, ob es auch Frauen möglich sei, solches zu veräußern. Die Einvernahme weiterer Zeugen, etwa des Ehemannes oder der volljährigen Kinder der Mitbeteiligten, sei unterlassen worden. Das Verwaltungsgericht habe damit das Gebot zur amtswegigen Wahrheitserforschung missachtet. Eine während der Revisionsfrist vom Amtsrevisionswerber eingeholte Auskunft der Staatendokumentation zum Iran habe ergeben, dass Frauen in Grundstücksangelegenheiten gegenüber Männern nicht schlechter gestellt seien; sie könnten Grundstücke besitzen, kaufen oder verkaufen und benötigten dazu keine Einverständniserklärung ihres Ehemannes, Vaters oder anderer männlicher Verwandter.
18 Zu den tragenden Grundsätzen des Verfahrensrechts gehört die Pflicht des Verwaltungsgerichts, beantragte Beweise aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht istauch im Hinblick auf die das verwaltungsgerichtliche Verfahren beherrschenden Grundsätze der Amtswegigkeit (§ 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG) und der materiellen Wahrheit (§ 37 AVG iVm § 17 VwGVG)verpflichtet, für die Durchführung aller zur Klärung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhalts von Bedeutung sein kann, einzugehen. Beweisanträge dürfen nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts beizutragen. Das Verwaltungsgericht ist verpflichtet, erforderliche Beweise aufzunehmen. Es darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne eine dem Gesetz entsprechende Begründung hinwegsetzen (vgl. etwa VwGH 6.5.2020, Ra 2019/08/0162, mwN).
19 Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein ausreichend ermittelter Sachverhalt vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 18.7.2023, Ra 2021/10/0106; 15.9.2021, Ra 2021/01/0271; s. auch oben Rz 14). Derartiges wird in der Revision mit den pauschalen Forderungen nach weiteren Einvernahmen und nach Nachforschungen zu den Verhältnissen im Iran wozu in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht keine Beweisanträge seitens des Amtsrevisionswerbers gestellt wurden nicht dargetan.
20 Der zur Rechtskontrolle berufeneVerwaltungsgerichtshof ist auch nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 2.5.2023, Ra 2023/14/0118, mwN).
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 17. Dezember 2024