JudikaturVwGH

Ra 2022/10/0126 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Juli 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision 1. des Uverbandes in W, 2. des Avereines in I und 3. des „Öbewegung in W, alle vertreten durch Mag. a Dr. in Gerit Katrin Jantschgi, Rechtsanwältin in 8010 Graz, Grazbachgasse 57/1. Stock, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom 1. Juli 2022, Zl. LVwG 2021/35/2836 25, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Landeck; mitbeteiligte Partei: K GmbH in K, vertreten durch Dr. Christian Girardi, Ing. Dr. Stefan Schwärzler und Mag. Daniel Pichler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 29/P), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 1. Juli 2022 erteilte das Landesverwaltungsgericht Tirol unter Abweisung von Beschwerden des Landesumweltanwaltes und der revisionswerbenden Parteien gegen einen Bescheid der belangten Behörde vom 22. September 2021 gestützt (u.a.) auf §§ 23 Abs. 5 lit. c und 29 Abs. 2 lit. b Z 2, Abs. 3 lit. b, Abs. 4 und 5 Tiroler Naturschutzgesetz 2005 TNSchG 2005 der mitbeteiligten Partei unter Vorschreibung bestimmter Auflagen die naturschutzrechtliche Bewilligung für die Errichtung von 25 Lawinensprengmasten und einer Wetterstation zum Schutz einer bestimmten Hochgebirgsstraße; die Revision gegen diese Entscheidung ließ das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zu.

2 Das Verwaltungsgericht bejahte in seiner Begründung zunächst mit Blick auf § 43 Abs. 6 TNSchG 2005 die Beschwerdelegitimation der (nunmehr) revisionswerbenden Parteien, weil die belangte Behörde in ihrem Bescheid unzweifelhaft über die Frage einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung im Zusammenhang mit geschützten Pflanzen abgesprochen habe.

3 Im Weiteren führte das Verwaltungsgericht soweit für die vorliegende Revisionsentscheidung von Belang zur Begründung aus, hinsichtlich der im Verfahren (vom Landesumweltanwalt) ins Treffen geführten Bestimmung des § 2 lit. d der von der Landesregierung aufgrund § 11 Abs. 1 und 3 TNSchG 2005 erlassenen Verordnung betreffend das „Ruhegebiet Ötztaler Alpen“ (VO Ruhegebiet Ötztaler Alpen), wonach „jede erhebliche Lärmentwicklung“ verboten sei, komme (aus unter Hinweis auf VwGH 11.12.2019, Ro 2018/05/0018, näher dargelegten Gründen) die Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 zur Anwendung.

4 Im Folgenden ging das Verwaltungsgericht von einer Bewilligungspflicht des beantragten Vorhabens gemäß § 10 Abs. 2 lit. a TNSchG 2005 iVm § 2 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die Erklärung des Kaunergrates zum Landschaftsschutzgebiet (LGBl. Nr. 46/2021; VO Landschaftsschutzgebiet Kaunergrat) sowie § 11 Abs. 3 lit. a TNSchG 2005 iVm § 3 Abs. 1 lit. a VO Ruhegebiet Ötztaler Alpen aus.

5 Unstrittig würde durch das geplante Vorhaben der Standort geschützter wild wachsender Pflanzenarten und von Arten gefährdeter besonderer Pflanzengesellschaften so behandelt, dass deren weiterer Bestand an diesem Standort unmöglich werde, weshalb für das gegenständliche Vorhaben eine Ausnahmegenehmigung in Hinblick auf die diesbezüglichen pflanzenschutzrechtlichen Verbotstatbestände (vgl. § 23 Abs. 5 lit. c TNSchG 2005) notwendig sei.

6 Was den Vogelschutz anlange, sei es zwar in Hinblick auf die eingeholten naturkundefachlichen Gutachten „durchaus naheliegend“, dass durch das geplante Vorhaben die Lebensräume bestimmter Vögel in einer Weise behandelt würden, dass deren weiterer Bestand in diesem Lebensraum erheblich beeinträchtigt oder unmöglich werde (Hinweis auf § 6 Abs. 3 lit. f Tiroler Naturschutzverordnung 2006 [TNSchVO 2006]); nach den vorgelegten ornithologischen Gutachten würden allerdings hinsichtlich bestimmter im Projektgebiet vorkommender Vogelarten ausgenommen das Schneehuhn und das Birkhuhn die Beeinträchtigungen kein solches Ausmaß annehmen, dass dadurch deren weiterer Bestand im gegenständlichen Lebensraum erheblich beeinträchtigt oder unmöglich werde (Hinweis auf § 25 Abs. 1 lit. f TNSchG 2005). Schneehuhn und Birkhuhn seien gemäß § 6 Abs. 2 TNSchVO 2006 vom Schutz nach § 25 TNSchG 2005 ausgenommen.

7 Auch für die Arten Bartgeier und Steinhuhn verneinte das Verwaltungsgericht mit eingehender beweiswürdigender Begründung eine mit dem beantragten Projekt einhergehende erhebliche Beeinträchtigung. Aus diesen Erwägungen sei eine Ausnahmebewilligung nach § 25 Abs. 3 TNSchG 2005 (für unter die Richtlinie 2009/147/EG Vogelschutz Richtlinie fallende Vogelarten) nicht erforderlich.

8 Mit Blick auf ein entsprechendes Vorbringen im Beschwerdeverfahren prüfte das Verwaltungsgericht, ob für das Vorhaben eine Naturverträglichkeitsprüfung nach § 14 (Abs. 4) TNSchG 2005 erforderlich sei. Nach einem bereits im behördlichen Verfahren erstatteten Gutachten einer naturkundefachlichen Amtssachverständigen würden durch das gegenständliche Vorhaben die in der Verordnung der Landesregierung vom 11. November 2014, LGBl. Nr. 156/2014, festgelegten Erhaltungsziele des betroffenen Natura 2000 Gebietes „Ötztaler Alpen“ nicht beeinträchtigt, zumal das Vorhaben nur die geringe Fläche von 13 m 2 des Natura 2000 Gebietes beanspruche.

9 Ungeachtet eines im Verfahren vorgelegten Gutachtens zu einer Beeinträchtigung des Natura 2000 Gebietes „im Hinblick auf die zu erwartenden Auswirkungen auf näher bezeichnete Vogelarten“ ergäben sich keine Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Naturverträglichkeitsprüfung, weil der Schutz dieser Vogelarten kein verordnetes Erhaltungsziel des gegenständlichen Natura 2000 Gebietes darstelle.

10 Schließlich legte das Verwaltungsgericht eingehend die von ihm vorgenommenen Interessenabwägungen nach § 29 Abs. 2 lit. b Z 2 sowie § 23 Abs. 5 lit. c TNSchG 2005 dar. Im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zu den Interessen des Naturschutzes iSd § 1 Abs. 1 TNSchG 2005 befasste sich das Verwaltungsgericht abermals mit den Auswirkungen des beantragten Vorhabens auf geschützte Vögel und gelangte in umfangreicher Beweiswürdigung zu dem Ergebnis, dass sich die Situation für die vorkommenden Tierarten durch das geplante Vorhaben gegenüber der „Ist Situation“ (insbesondere infolge einer markanten Reduktion der Zahl der notwendigen Hubschraubersprengungen und damit der notwendigen Hubschrauberflugzeit) „gemessen am gesamten Lebensraum“ entlang eines bestimmten Stausees verbessern werde.

11 Die vom Verwaltungsgericht unter Hinweis auf die Vorgaben des hg. Erkenntnisses vom 14. Juli 2011, 2010/10/0183, vorgenommene Interessenabwägung schlug zugunsten des beantragten Vorhabens aus; abschließend legte das Verwaltungsgericht auch dar, weshalb es zum beantragten Vorhaben keine Alternative im Sinn des § 29 Abs. 4 TNSchG 2005 gebe.

12 1.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

13 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht, in der sie die kostenpflichtige Zurück , in eventu Abweisung der Revision beantragt.

14 2.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

15 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

16 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

17 2.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss sich die Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, die nach Ansicht des Revisionswerbers die Zulässigkeit der Revision begründet, aus der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe ergeben. Der Verwaltungsgerichtshof überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B VG sohin (nur) im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe. Der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit der Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 19.2.2024, Ra 2024/10/0011, oder 15.3.2024, Ra 2023/10/0019, jeweils mwN).

18 Eine wesentliche Rechtsfrage gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG liegt nur dann vor, wenn die Beurteilung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes von der Lösung dieser Rechtsfrage „abhängt“. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In der Revision muss daher gemäß § 28 Abs. 3 VwGG konkret dargetan werden, warum das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. etwa wiederum VwGH Ra 2023/10/0019 oder VwGH 26.1.2024, Ra 2024/10/0008, jeweils mwN).

19 3.1. Zunächst bringen die revisionswerbenden Parteien unter Berufung auf das ihnen „im Bereich des Unionsumweltrechtes“ zustehende Beschwerderecht (dazu Hinweis u.a. auf VwGH 20.12.2019, Ro 2018/10/0010) zur Zulässigkeit ihrer außerordentlichen Revision vor, das Verwaltungsgericht habe ihnen „ein auf § 14 TNSchG gestütztes Beschwerderecht in Bezug auf die Unterlassung einer NVP [Naturverträglichkeitsprüfung]“ abgesprochen. (Diesem Vorbringen entspricht die als Revisionspunkt geltend gemachte Behauptung, die revisionswerbenden Parteien seien durch das angefochtene Erkenntnis [u.a.] „in dem gesetzlich gewährleisteten Recht auf Teilnahme am Verfahren als Partei, Erhebung einer Beschwerde und Parteistellung“ verletzt worden.)

20 Damit lassen die revisionswerbenden Parteien allerdings gänzlich außer Acht, dass das Verwaltungsgericht ihnen im Wege des § 43 Abs. 6 TNSchG 2005 ausdrücklich die Beschwerdelegitimation zuerkannt und ihre Beschwerde durch deren Abweisung meritorisch behandelt hat.

21 3.2. Im Weiteren richten sich die Zulässigkeitsausführungen gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, dass für das Vorhaben eine Naturverträglichkeitsprüfung nach § 14 Abs. 4 TNSchG 2005 nicht notwendig sei (vgl. die Wiedergabe oben unter Rz 8 und 9), wobei sich die revisionswerbenden Parteien auf ein „deckungsgleiches (faktisches) Vogelschutzgebiet“ beziehen, für welches „Erhaltungsziele (noch) nicht festgelegt“ worden seien. Als Rechtsfragen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG machen die revisionswerbenden Parteien in diesem Zusammenhang bestimmte Rechtsfragen zu „im Standarddatenbogen genannten Vogelarten“ geltend.

22 Dem ist zu entgegen, dass die in § 14 Abs. 4 ff TNSchG 2005 geregelte Naturverträglichkeitsprüfung in Übereinstimmung mit Art. 6 Abs. 3 der Fauna Flora Habitat Richtlinie auf „Natura 2000 Gebiete“ und die Verträglichkeit des Vorhabens mit den für ein Natura 2000 Gebiet „festgelegten Erhaltungszielen“ abstellt. Für das vom gegenständlichen Vorhaben (geringfügig) betroffene Natura 2000 Gebiet „Ötztaler Alpen“ wurden mit der Verordnung LGBl. Nr. 156/2014 bestimmte Erhaltungsziele (im Übrigen nach dem klaren Wortlaut des § 1 der genannten Verordnung durch taxative Aufzählung) festgelegt. Das Verwaltungsgericht hat somit im Einklang mit der hg. Rechtsprechung (vgl. etwa VwGH 2.10.2007, 2006/10/0165, 17.11.2015, Ra 2015/03/0058 = VwSlg. 19.248 A, 21.6.2017, Ra 2017/03/0016, 0036, oder 29.2.2024, Ra 2022/10/0149) seiner Prüfung nach § 14 Abs. 4 TNSchG 2005 die derart festgelegten Erhaltungsziele zugrunde gelegt.

23 3.3. Soweit die revisionswerbenden Parteien im Folgenden die vom Verwaltungsgericht in Bezug auf Schneehuhn und Birkhuhn vertretene Auffassung (vgl. oben Rz 6) unter Hinweis auf den „artenrechtlichen Schutz gemäß Vogelschutzrichtlinie“ als nicht unionsrechtskonform erachten, legen sie die vom Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang erstmals zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage nicht konkret dar; das bloße Vorbringen, es fehle an Rechtsprechung zur Anwendung von „§ 25 Abs 1 TNSchG iVm Art 7 und Art 5 VS RL“ reicht hiezu nicht aus (vgl. aus vielen etwa VwGH 24.9.2020, Ra 2019/11/0141, mwN; im Übrigen dazu, dass § 25 Abs. 1 lit. f TNSchG 2005 nicht auf ein Verbot nach der Vogelschutz Richtlinie zurückgeht, VwGH 25.5.2023, Ra 2021/10/0139 [Pkt. 4.2.]).

24 3.4. Schließlich wenden sich die revisionswerbenden Parteien in ihren Zulässigkeitsdarlegungen gegen die vom Verwaltungsgericht mit Blick auf die mit dem beantragten Vorhaben verbundene Lärmentwicklung vertretene Anwendung der Ausnahmebestimmung des § 2 Abs. 1 lit. b TNSchG 2005 (vgl. oben Rz 3).

25 In diesem Zusammenhang wird allerdings keinerlei Zusammenhang mit dem Unionsumweltrecht hergestellt; das erwähnte Vorbringen ist somit vom Mitspracherecht der revisionswerbenden Parteien, welche als Umweltorganisationen auf die Wahrung der Einhaltung des Unionsumweltrechtes beschränkt sind (vgl. etwa das von den revisionswerbenden Parteien selbst erwähnte Erkenntnis Ro 2018/10/0010, weiters VwGH 21.6.2021, Ra 2018/04/0078, 28.3.2022, Ra 2020/10/0101, oder 9.3.2023, Ra 2022/07/0052, jeweils mwN), nicht umfasst.

26 4. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

27 Die Revision war daher (bereits aus diesem Grund) gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

28 Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 15. Juli 2024

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