JudikaturVwGH

Ro 2023/10/0019 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision der Bildungsdirektion für Niederösterreich in 3109 St. Pölten, Rennbahnstraße 29, gegen das am 24. Mai 2023 mündlich verkündete und am 19. Juni 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W203 2271479 1/7E, betreffend Behebung einer Anordnung in einer schulrechtlichen Angelegenheit (mitbeteiligte Parteien: 1. mj. L G, vertreten durch Mag. V G, 2. Mag. V G, beide in P, beide vertreten durch Mag. Peter Kuess, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 23 25), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Bund hat den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 668,84 zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Mit Bescheid vom 9. März 2023 sprach die Bildungsdirektion für Niederösterreich die nunmehrige Amtsrevisionswerberin gemäß § 11 Abs. 4 und Abs. 6 Schulpflichtgesetz 1985 (im Folgenden: SchPflG) aus, dass die minderjährige Erstmitbeteiligte eine öffentliche Schule bzw. eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Privatschule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen habe. Nach der wesentlichen Begründung hätte im Zuge des im Schuljahr 2022/2023 begonnenen häuslichen Unterrichts trotz an die mitbeteiligten Parteien gerichteter schriftlicher Einladung kein Reflexionsgespräch stattgefunden.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) der Beschwerde der Mitbeteiligten statt und behob den Bescheid ersatzlos, wobei es die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zuließ.

3 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, am 29. Juni 2022 sei die Teilnahme der Erstmitbeteiligten am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2022/2023 durch ihre Mutter (die Zweitmitbeteiligte) angezeigt und in der Folge von der Amtsrevisionswerberin nicht untersagt worden. Jedoch habe das für den häuslichen Unterricht nach § 11 Abs. 4 SchPflG vorgesehene Reflexionsgespräch über den Leistungsstand innerhalb der dafür vorgesehenen Frist (bis spätestens zwei Wochen nach Ende der Semesterferien) nicht stattgefunden, weshalb die Amtsrevisionswerberin mit am 3. April 2023 zugestelltem Bescheid vom 9. März 2023 angeordnet habe, dass die Erstmitbeteiligte mit sofortiger Wirkung eine öffentliche Schule bzw. eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Privatschule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen habe. Die Erstmitbeteiligte besuche daher seit 2. Mai 2023 eine Schule gemäß § 5 SchPflG. Es sei beabsichtigt, dass sie das Schuljahr 2022/2023 auch auf diese Weise abschließen werde.

4 Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht, das Reflexionsgespräch sei eingeführt worden, um auf etwaige Unzulänglichkeiten des häuslichen Unterrichts rascher reagieren und dem Kind so durch einen Übertritt in den schulischen Unterricht zur Hälfte des Schuljahres noch einen positiven Abschluss des Schuljahres ermöglichen zu können. Dies setze voraus, dass das vorgeschaltete Verfahren möglichst rasch endgültig abgeschlossen werde, wovon im gegenständlichen Verfahren aber nicht die Rede sein könne, da der mit 9. März 2023 datierte Bescheid erst am 3. April 2023 zugestellt worden sei. Die Versäumung des Reflexionsgespräches sei überwiegend durch die Amtsrevisionswerberin verursacht worden, indem diese beispielsweise in einem Schreiben vom 7. Juli 2022 und in den anschließend mit den Mitbeteiligten geführten Gesprächen zwar ausdrücklich auf das Erfordernis einer Externistenprüfung, nicht aber auf das Erfordernis eines Reflexionsgespräches hingewiesen habe. Es erscheine vor diesem Hintergrund insbesondere in Hinblick auf das Kindeswohl im Allgemeinen nicht zweckmäßig, ein Kind mit dem Ziel, dem Schüler noch einen erfolgreichen Abschluss des sich bereits dem Ende zuneigenden Schuljahres zu ermöglichen, für wenige Wochen in den schulischen Unterricht überzuführen. Vielmehr sollte diesfalls eine unmittelbar bevorstehende Externistenprüfung ausreichend Aufschluss darüber geben, ob sich der häusliche Unterricht bewährt habe oder nicht. Dies umso mehr in Fällen, in denen abgesehen vom nicht stattgefundenen Reflexionsgespräch keine Hinweise darauf hervorgekommen seien, dass der schon über einen längeren Zeitraum praktizierte häusliche Unterricht mangelhaft durchgeführt worden sei oder dass die für den häuslichen Unterricht Verantwortlichen nicht willens wären, am Reflexionsgespräch teilzunehmen oder in der Folge den Schüler zur Externistenprüfung antreten zu lassen. Im Sinne einer teleologischen Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen über das Reflexionsgespräch, vor allem in Hinblick auf das Kindeswohl, sei der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben gewesen.

5 Die Zulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Fragen, 1. inwieweit ein (Mit )Verschulden der Schulbehörden bzw. der Schule am nicht fristgerechten Zustandekommen des Reflexionsgespräches einen Grund darstelle, um das Reflexionsgespräch zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können, und 2. bis zu welchem Zeitpunkt innerhalb eines laufenden Unterrichtsjahres sich eine behördlich angeordnete Überführung eines Schülers vom häuslichen in den schulischen Unterricht insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl als sinnvoll erweise, fehle.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende (ordentliche) Amtsrevision.

7 Die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung und beantragten Kostenersatz.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

11Eine die Zulässigkeit der Revision begründende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt (nur) dann vor, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Dies ist dann der Fall, wenn das rechtliche Schicksal der Revision von der behaupteten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung abhängt (vgl. etwa VwGH 18.6.2024, Ra 2023/10/0016; 15.1.2024, Ro 2023/10/0029).

12 Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision im Sinne des Art. 133 Abs. 4 zweite Variante BVG („weil ... eine solche Rechtsprechung fehlt“) ist das Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer konkreten Rechtsfrage (vgl. erneut VwGH 15.1.2024, Ro 2023/10/0029).

13 Mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts, die die Frage aufwerfen, inwieweit ein (Mit )Verschulden der Schulbehörden bzw. der Schule am nicht fristgerechten Zustandekommen des Reflexionsgespräches einen Grund darstelle, „um das Reflexionsgespräch zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu können“, wird eine vom Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der Entscheidung über die Revision zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage schon deshalb nicht darlegt, weil es dieser Zulassungsbegründung an der erforderlichen fallbezogenen Verknüpfung mit der angefochtenen Entscheidung mangelt und somit nicht dargelegt wird, weshalb die Entscheidung über die Revision von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt. Dies vor dem Hintergrund, dass das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Bescheides der Amtsrevisionswerberin vom 9. März 2023 nicht darauf gestützt hat, dass bei (Mit )Verschulden der Schulbehörden bzw. der Schule am nicht fristgerechten Zustandekommen des Reflexionsgespräches dieses zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen sei, sodass die Anordnung des Besuchs einer öffentlichen Schule bzw. einer mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Privatschule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung gegenüber der Erstmitbeteiligten zu unterbleiben habe.

14 Soweit das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Zulassungsbegründung weiters die Frage aufwirft, bis zu welchem Zeitpunkt innerhalb eines laufenden Unterrichtsjahres sich eine behördlich angeordnete Überführung eines Schülers vom häuslichen in den schulischen Unterricht insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl als „sinnvoll“ erweise, übersieht es, dass diese Frage jedenfalls ohne Verknüpfung mit einer darauf abstellenden Norm keine Rechtsfrage darstellt, zumal auch nicht ersichtlich ist, im Rahmen welchen Tatbestandselements welcher Rechtsnorm sich diese Frage im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht gestellt haben sollte. Der dieser Frage nachfolgende allgemeine Hinweis auf „seit Kurzem geltende Regelungen des Schulpflichtgesetzes“ vermag die erforderliche Konkretisierung nicht zu erfüllen.

15Reicht die Begründung der Zulässigkeit der Revision durch das Verwaltungsgericht für deren Zulässigkeit nicht aus oder erachtet der Revisionswerber andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für gegeben, hat der Revisionswerber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeitsgründe gesondert darzulegen (vgl. VwGH 29.2.2024, Ro 2023/10/0035; 21.3.2024, Ro 2022/10/0019).

16 Zu ihrer Zulässigkeit wird in der Revision vorgebracht, bei den gesetzlichen Bestimmungen über das verpflichtende Reflexionsgespräch bei häuslichem Unterricht handle es sich um erst seit Kurzem geltende Bestimmungen, weshalb Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs dazu bisher fehle.

17Mit diesen Ausführungen wird jedoch nicht konkret dargelegt, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, bzw. konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Damit wird das Zulässigkeitsvorbringen schon den Anforderungen an die Darlegung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung in der gesonderten Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht (vgl. etwa VwGH 4.6.2024, Ra 2023/10/0370, mwN).

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

19Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47, insbesondere § 49 Abs. 6 und § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Hinsichtlich des Ausmaßes des zuerkannten Aufwandersatzes ist darauf hinzuweisen, dass die Mitbeteiligte an Schriftsatzaufwand, zuzüglich der verzeichneten Umsatzsteuer und des verzeichneten ERVZuschlags, die beide nicht gesondert zuzusprechen sind (vgl. etwa VwGH 18.1.2024, Ra 2023/21/0169), weniger als den nach § 1 Z 3 lit. a der genannten Verordnung in Betracht kommenden Höchstbetrag begehrt und ihr daher Aufwandersatz in der beantragten Höhe gebührt (vgl. VwGH 18.2.2010, 2008/22/0178).

Wien, am 13. Dezember 2024