JudikaturVwGH

Ro 2022/10/0019 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. März 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Grünstäudl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Dr. Hofbauer als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Prendinger, über die Revision 1. der H M, 2. der G M, 3. des Dr. S M, diese in W, 4. der Dr. G M, LL.M., in I, und 5. des W M in W, sämtliche vertreten durch die Haslinger/Nagele Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Mölker Bastei 5, gegen Spruchpunkt III. des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes Wien vom 21. Jänner 2020, Zl. VGW 141/023/1813/2018 21, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Akteneinsicht (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: Fonds Soziales Wien in Wien, vertreten durch Dr. Martin Neuwirth und Dr. Alexander Neurauter, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Petersplatz 3), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

1 1.1. R.M., der 1962 geborene und am 28. März 2022 verstorbene Rechtsvorgänger der revisionswerbenden Parteien, litt an schweren Behinderungen durch einen hypoxischen Hirnschaden. Bereits seit 1980 war er daher in verschiedenen Einrichtungen der Lebenshilfe Wien untergebracht und besuchte Einrichtungen der „Tagesstruktur“, wobei Förderungen der mitbeteiligten Partei direkt von der mitbeteiligten Partei an die Lebenshilfe Wien ausbezahlt wurden.

2 Im Jahr 2017 wurde R.M. gegen Unterfertigung von Betreuungsverträgen und darin enthaltenen Verpflichtungen zur Bezahlung von monatlichen „Differenzentgelten“ an die Lebenshilfe Wien in einer bestimmten Einrichtung untergebracht. Zufolge einer „Verfügung“ der belangten Behörde vom 10. November 1980 in Verbindung mit der Übergangsbestimmung des § 26 Abs. 1 Chancengleichheitsgesetz Wien CGW wurden R.M. Förderungen der Tagesstruktur nach § 9 CGW und des vollbetreuten Wohnens nach § 12 Abs. 2 CGW bewilligt.

3 1.2. Mit Schreiben an die belangte Behörde vom 7. Mai 2017 beantragte R.M. die Übernahme des „Differenzentgeltbetrages“, der aufgrund der von der mitbeteiligten Partei genehmigten Betreuungsverträge mit der Lebenshilfe Wien zwingend zu bezahlen sei, weiters die Erlassung eines Bescheides über die Verpflichtung zur Eigenleistung sowie die Akteneinsicht in seinen Akt bei der mitbeteiligten Partei und bei der belangten Behörde.

4 Mit Bescheid vom 30. November 2017 verpflichtete die belangte Behörde R.M. aufgrund der Inanspruchnahme der Förderung des betreuten Wohnens für das Jahr 2015 zur Zahlung einer Eigenleistung in bestimmter Höhe.

5 Dagegen erhob R.M. Bescheidbeschwerde, mit welcher er mit Blick auf noch nicht erledigte Begehren seines Antrages vom 7. Mai 2017 eine Säumnisbeschwerde verband.

6 1.3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. Jänner 2020 gab das Verwaltungsgericht Wien der Bescheidbeschwerde Folge und behob den bekämpften Bescheid ersatzlos (Spruchpunkt I.), gab der Säumnisbeschwerde Folge (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass der Antrag des R.M. auf Akteneinsicht in die über diesen „[bei der mitbeteiligten Partei] geführten Unterlagen“ als unzulässig zurückgewiesen (Spruchpunkt III.) und dass der Antrag auf Übernahme des Differenzentgeltbetrages, der aufgrund der von der mitbeteiligten Partei genehmigten Betreuungsverträge mit der Lebenshilfe Wien zwingend zu bezahlen sei, als unbegründet abgewiesen werde (Spruchpunkt IV.); die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen diese Entscheidung ließ das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu.

7 Die (allein revisionsgegenständliche) Zurückweisung des Antrages auf Akteneinsicht in die über R.M. bei der mitbeteiligten Partei geführten Unterlagen (Spruchpunkt III.) begründete das Verwaltungsgericht im Wesentlichen damit, dass nach § 17 Abs. 1 AVG den Parteien des Verwaltungsverfahrens das Akteneinsichtsrecht lediglich hinsichtlich der Akten des behördlichen, somit hoheitlichen Verfahrens zukomme; der Verwaltungsgerichtshof judiziere diesbezüglich, dass in einem Verfahren im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung eine Parteistellung nach dem AVG und sohin ein Recht auf Akteneinsicht nicht bestehe (Hinweis auf VwGH 20.5.2015, Ra 2015/10/0044). Die mitbeteiligte Partei ein privatrechtlich organisierter Fonds nach dem Wiener Landes Stiftungs und Fonds Gesetz erbringe ihre Aufgaben nach dem CGW im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung.

8 „Abgesehen davon“ sei „festzuhalten“, dass es R.M. offensichtlich eher um die Einsichtnahme in Aktenbestandteile gehe, welche sich auf die finanzielle Gebarung der mitbeteiligten Partei bzw. von Pflegeeinrichtungen bezögen; da derartige Unterlagen berechtigte Interessen akkreditierter Pflegeeinrichtungen oder dritter Personen betreffen könnten, „wäre betreffend solche Unterlagen auch im behördlichen Verfahren von der Norm des § 17 Abs. 3 AVG in weitem Umfang Gebrauch zu machen“.

9 Mangels eines Rechtes des R.M. auf Einsicht in Unterlagen oder Aktenbestandteile der mitbeteiligten Partei als Träger der Privatwirtschaftsverwaltung sei dessen diesbezügliches Ansuchen daher als unzulässig zurückzuweisen.

10 Die Zulassung der Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass eine bestimmte (im Zusammenhang mit Spruchpunkt IV. stehende) Rechtsfrage vom Verwaltungsgerichtshof zu klären sei.

11 1.4. Ausschließlich gegen die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Erkenntnisses erhob R.M. Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 B VG.

12 Mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2021, E 782/2020 22, hob der Verfassungsgerichtshof Spruchpunkt IV. des angefochtenen Erkenntnisses wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz auf, lehnte „im Übrigen“ die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.

13 Demgemäß richtet sich die vorliegende, gemäß § 26 Abs. 4 VwGG fristgerecht erhobene (ordentliche) Revision ausschließlich gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses.

14 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie Aufwandersatz anspricht.

15 2. Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein Beschluss nach § 34 Abs. 1 VwGG ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

17 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.

18 3. Vorauszuschicken ist, dass sich wie die Revision und die Revisionsbeantwortung zutreffend ausführen die Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichtes ausschließlich auf den (durch den Verfassungsgerichtshof aufgehobenen) Spruchpunkt IV. und nicht auf den (nunmehr revisionsgegenständlichen) Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses bezog. Daraus kann somit eine Zulässigkeit der vorliegenden Revision nicht abgeleitet werden.

19 Reicht die Begründung der Zulässigkeit der Revision durch das Verwaltungsgericht für deren Zulässigkeit nicht aus oder erachtet der Revisionswerber andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für gegeben, hat der Revisionswerber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeitsgründe gesondert darzulegen (vgl. etwa VwGH 18.1.2023, Ro 2021/10/0013, oder 17.11.2020, Ro 2020/07/0011, jeweils mwN).

20 Dem entsprechend enthält die vorliegende ordentliche Revision in ihrem 3. Abschnitt Ausführungen zu ihrer „Zulässigkeit“.

21 3.1. Nach der hg. Rechtsprechung hatte die Revision dabei konkret für die vorliegende Revisionssache aufzuzeigen, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. etwa VwGH 16.11.2023, Ra 2023/10/0411 bis 0413, mwN). Dabei reicht ein nur ganz allgemein gehaltenes Vorbringen ohne Herstellung eines Fallbezugs und ohne jede fallbezogene Verknüpfung mit der angefochtenen Entscheidung nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 28.2.2022, Ro 2021/10/0018, mwN).

22 Mit dem allein revisionsgegenständlichen Spruchpunkt III. des angefochtenen Erkenntnisses wurde (ausschließlich) der Antrag des R.M. auf „Akteneinsicht“ in die über diesen bei der mitbeteiligten Partei geführten Unterlagen als unzulässig zurückgewiesen; daran vermag die in der Begründung des angefochtenen Erkenntnisses „im Übrigen“ hergestellte Bezugnahme auf eine aufrechte Möglichkeit des Einschreiters zur Einsichtnahme „in den Behördenakt“ (schon mangels Unklarheit des Spruchpunktes III.; vgl. etwa VwGH 13.12.2023, Ra 2021/11/0165, mwN) nichts zu ändern.

23 Angesichts dessen gehen sämtliche weitwendige Zulässigkeitsausführungen der Revision, welche sich auf die „Akteneinsicht beim Magistrat der Stadt Wien“ (also bei der belangten Behörde) beziehen, ins Leere.

24 3.2. Das Verwaltungsgericht hat den in der Revision bekämpften Spruchpunkt III. (Zurückweisung des Antrages des R.M. auf Akteneinsicht in die über diesen bei der mitbeteiligten Partei geführten Unterlagen) unter Berufung auf die hg. Entscheidung Ra 2015/10/0044 damit begründet, dass R.M. ein derartiges Recht nicht zukomme, weil die mitbeteiligte Partei ihre Aufgaben nach dem CGW im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung erbringe.

25 Anders als die Revision glauben machen will, liegt der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung Ra 2015/10/0044 (worauf die Revisionsbeantwortung treffend hinweist) die in ständiger hg. Rechtsprechung vertretene Auffassung zugrunde, dass bei einem Handeln im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung mangels Anwendbarkeit des AVG kein Recht auf Akteneinsicht nach dessen § 17 besteht (vgl. etwa die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb , AVG 2 Rz 2 zu § 17, oder VwGH 24.3.2021, Ra 2018/13/0062, mwN).

26 Auch mit seiner weiteren Rechtsauffassung, die mitbeteiligte Partei erbringe ihre Aufgaben nach dem CGW im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung (vgl. dazu gerade das erwähnte, zum angefochtenen Erkenntnis ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes E 782/2020 22 [Rz 45] oder etwa VwGH 22.8.2023, Ra 2022/10/0166 [Rz 21]), ist das Verwaltungsgericht entgegen der von der Revision vertretenen Behauptung nicht von der hg. Rechtsprechung abgewichen:

27 Die in der Revision dazu ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (etwa VwGH 17.3.2016, Ro 2014/11/0012, oder 24.2.2017, Ra 2016/11/0150) betrafen ausnahmslos an Behörden gerichtete Anträge auf Akteneinsicht und sind daher auf einen „selbstständigen Rechtsträger des Privatrechts“ wie die mitbeteiligte Partei (VfGH Erkenntnis E 782/2020 22 [Rz 45]) von vornherein nicht anwendbar.

28 3.3. Soweit das in der Revision unterbreitete Zulässigkeitsvorbringen § 17 Abs. 3 AVG thematisiert, genügt der Hinweis, dass den diesbezüglichen, zudem ausdrücklich auf das „ behördliche Verfahren “ bezogenen (eine hier nicht tragende Hilfsbegründung darstellenden) Ausführungen des Verwaltungsgerichtes (vgl. deren Wiedergabe oben unter Rz 8) bloß hypothetischer Charakter zukommt („wäre betreffend solche Unterlagen auch im behördlichen Verfahren von der Norm des § 17 Abs. 3 AVG in weitem Umfang Gebrauch zu machen“).

29 Mit dem auf § 17 Abs. 3 AVG bezogenen Vorbringen kann somit keine (grundsätzliche) Rechtsfrage dargelegt werden, von deren Beantwortung die Entscheidung über die Revision abhinge (zu diesem Erfordernis vgl. wiederum etwa VwGH Ro 2021/10/0013, mwN).

30 4. Die Revision war somit gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

31 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die geltend gemachte Umsatzsteuer in den Pauschalbeträgen nach dieser Verordnung bereits enthalten ist (vgl. etwa VwGH 16.11.2022, Ra 2022/07/0012, 0013, mwN).

Wien, am 21. März 2024

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