Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Pollak sowie die Hofrätinnen Dr. Leonhartsberger, Mag. Liebhart Mutzl, Dr. in Sembacher und Dr. in Gröger als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Tichy, über die Revisionen des E H und der E H, beide in L, beide vertreten durch Mag. Bernhard Kispert, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 20/2, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 19. Dezember 2022, 1. LVwG AV 1040/001 2022, 2. LVwG AV 1040/002 022, 3. LVwG AV 1041/001 2022 und 4. LVwG AV 1041/002 2022, betreffend Zurückweisung von Beschwerden und Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Bauangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtrat der Stadtgemeinde Litschau; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung),
Spruch
I. zu Recht erkannt:
Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt 1. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Gemeinde Litschau hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Die Revisionen werden, soweit sie sich gegen Spruchpunkt 2. des angefochtenen Beschlusses richten, zurückgewiesen.
1 Mit Bescheiden vom 23. Juni 2022 gab der Stadtrat der Stadtgemeinde L Berufungen der revisionswerbenden Parteien gegen erstinstanzliche Bescheide des Bürgermeisters der Stadtgemeinde L jeweils keine Folge.
2 Diese Bescheide wurden dem gemeinsamen Parteienvertreter am 27. Juni 2022 zugestellt, welcher am letzten Tag der Beschwerdefrist, dem 25. Juli 2022, um 18:49 und 19:20 Uhr Beschwerden jeweils per E Mail an die E Mail Adresse der belangten Behörde sowie an die persönliche E Mail Adresse der Leiterin des Bauamtes einbrachte. Mit E Mail Nachrichten vom 26. Juli 2022 um 07:00 bzw. 07:06 Uhr bestätigte die belangte Behörde dem Beschwerdeführervertreter den Eingang der Beschwerden für den 26. Juli 2022.
3 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerden (Spruchpunkt 1.) und die ebenfalls erhobenen Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 25. Oktober 2022 (Spruchpunkt 2.) als verspätet eingebracht zurück und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt 3.).
4Begründend führte es aus, die vierwöchige Beschwerdefrist habe mit Ablauf des 25. Juli 2022, 24:00 Uhr, geendet. Die belangte Behörde habe auf ihrer Homepage unter der Registerkarte „Impressum“ organisatorische Beschränkungen gemäß § 13 Abs. 2 AVG bekannt gemacht. Darin habe sie u.a. erklärt, dass außerhalb der Amtsstunden per E Mail an die Behörde übermittelte Anbringen erst mit Wiederbeginn der Amtsstunden als eingebracht und eingelangt gälten. Demzufolge hätten die Beschwerden am Montag, dem 25. Juli 2022, nur bis 17:00 Uhr übermittelt werden können, um für diesen Tag als eingebracht und eingelangt zu gelten. Die belangte Behörde habe den Eingang der Beschwerden per E Mail für den 26. Juli 2022 bestätigt. Bereits zu diesem Zeitpunkt und nicht erst mit dem Zugehen der Verspätungsvorhalte des Verwaltungsgerichts am 11. Oktober 2022 hätte der Parteienvertreter davon ausgehen müssen, dass er die Beschwerden mit einem Tag Verspätung eingebracht hatte. Die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheiterten daher schon am Erfordernis der Rechtzeitigkeit.
5 Gegen diesen Beschluss erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof. Mit Beschlüssen vom 27. April 2023, E 362/2023 5 und E 356/2023 6, lehnte dieser die Behandlung der Beschwerden ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
6 Daraufhin wurden die vorliegenden außerordentlichen Revisionen eingebracht.
7 Die belangte Behörde erstattete Revisionsbeantwortungen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die vorliegenden Revisionen wegen ihres sachlichen und rechtlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und dabei erwogen:
8Die Revisionen sind zur Frage der Publizitätsanforderungen von Beschränkungen des elektronischen Verkehrs gemäß § 13 Abs. 2 AVG zulässig. Sie sind auch begründet.
9§ 13 Abs. 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, in der hier maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 5/2008 (Verwaltungsverfahrens und Zustellrechtsänderungsgesetz 2007), lautet:
„ § 13. [...]
(2) Schriftliche Anbringen können der Behörde in jeder technisch möglichen Form übermittelt werden, mit E-Mail jedoch nur insoweit, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. Etwaige technische Voraussetzungen oder organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs zwischen der Behörde und den Beteiligten sind im Internet bekanntzumachen.“
10 Die revisionswerbenden Parteien haben per E Mail Beschwerden gegen Bescheide der belangten Behörde erhoben. Die Erhebung einer Beschwerde per EMail ist als „schriftliches Anbringen“ im Sinn des § 13 AVG zu qualifizieren und zulässig.
11 Mit E Mail können Anbringen jedoch nur insoweit an die Behörde übermittelt werden, als für den elektronischen Verkehr zwischen der Behörde und den Beteiligten nicht besondere Übermittlungsformen vorgesehen sind. EMails können daher „organisatorischen Beschränkungen“ im Sinn des § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG unterworfen werden.
12Durch das in § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG normierte Gebot der Publizität wird gewährleistet, dass jedermann erkennen kann, ob entsprechende „organisatorische Beschränkungen“ (durch das Organisationsrecht) für schriftliche Anbringen in Form von EMails festgelegt worden sind. § 13 Abs. 2 AVG knüpft an die von der Behörde im Rahmen ihrer Organisationshoheit verfügten Beschränkungen an. Sofern eine Behörde eine solche organisatorische Beschränkung des elektronischen Verkehrs verfügen möchte, ist diese im Internet kund- und damit publik zu machen (vgl. zu allem VwGH 18.4.2024, Ra 2024/02/0049, mwN und Hinweis auf VfSlg. 19.849/2014).
13Soweit die belangte Behörde in ihren Revisionsbeantwortungen vorbringt, der Verwaltungsgerichtshof habe in früheren Entscheidungen Beschränkungen gemäß § 13 Abs. 2 AVG im Impressum einer Behörde nicht beanstandet, ist vorweg klarzustellen, dass die Frage der Publizitätsanforderungen an eine solche Beschränkung in den von der belangten Behörde genannten Entscheidungen nicht konkret zu prüfen war. Im Erkenntnis vom 25. Mai 2016, 2013/06/0096, war zum einen ein nicht an die im Internet kundgemachte E MailAdresse gerichtetes Schreiben zu beurteilen; zum anderen war der Sachverhalt anders gelagert: Die Beschränkungen gemäß § 13 Abs. 2 AVG waren in dem dieser Entscheidung zu Grunde liegenden Fall sowohl im „Impressum“ als auch in Hinweisen auf der Seite „Bauanzeigen“ im Internet kundgemacht worden. Bei dem von der belangten Behörde ebenfalls angeführten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. Oktober 2022, Ra 2022/05/0153, handelt es sich um eine Zurückweisung, nachdem die dort gegenständliche Revision ihre Zulässigkeit nicht darlegen konnte. Eine inhaltliche Aussage zur Frage, wo „im Internet“ die Kundmachung einer Beschränkung zu erfolgen habe, ist diesem Beschluss nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof wies lediglich auf seine ständige Rechtsprechung hin, dass die Verwendung einer anderen als der von einer Behörde in Entsprechung und unter ausdrücklicher Anführung des § 13 AVG im Internet kundgemachten E MailAdresse zu Lasten des Einschreiters geht. Ebensowenig kann die belangte Behörde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. September 2017, Ra 2017/04/0086, zur Untermauerung ihres Standpunktes ins Treffen führen. Im dort zu beurteilenden Sachverhalt war auf der vom Bund betriebenen Homepage „HELP.gv.at: Behörden“ unter der betreffenden Bezirkshauptmannschaft keine Beschränkung des elektronischen Verkehrs zwischen Behörde und Beteiligten angeführt. Der Verwaltungsgerichtshof hielt fest, dass § 13 Abs. 2 AVG eine Kundmachung an mehreren Stellen im Internet nicht verlangt und aus dem bloßen Nichtaufscheinen der Beschränkung des elektronischen Verkehrs auf der genannten Homepage des Bundes nicht das Vorliegen „widersprechender Internetkundmachungen“ abgeleitet werden kann. Dieses Erkenntnis ist jedoch für den hier zu beurteilenden Sachverhalt, bei dem nur die Homepage der belangten Behörde zu untersuchen ist, nicht von Relevanz. Soweit das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung noch auf den zurückweisenden Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 2. August 2017, Ra 2017/03/0071, verweist, dem derselbe Kundmachungstext zu Grunde gelegen sei, übersieht es, dass die Rechtmäßigkeit der Kundmachung der Beschränkung an sich dort nicht bestritten wurde (s. Rn. 11).
14Der Verfassungsgerichtshof hat im bereits zitierten Erkenntnis zu § 13 Abs. 2 letzter Satz AVG festgehalten:
„Durch das in § 13 Abs 2 letzter Satz AVG normierte Gebot der Publizität wird gewährleistet, dass jedermann erkennen kann, ob entsprechende ‚organisatorische Beschränkungen‘ (durch das Organisationsrecht) für schriftliche Anbringen in Form von E Mail festgelegt worden sind“ (VfSlg. 19.849/2014, Punkt III.2.1.3.).
Auch der Verwaltungsgerichtshof hat das Gebot der Publizität in seinem bereits zitierten, rezenten Erkenntnis Ra 2024/02/0049 unter Hinweis auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes betont.
15Den Gesetzesmaterialien zur Neufassung des § 13 AVG durch BGBl. I Nr. 5/2008 ist zur näheren Ausgestaltung der vom Verfassungsgerichtshof angesprochenen Publizität einer organisatorischen Beschränkung keine explizite Aussage zu entnehmen. Sie ziehen allerdings in ihren Ausführungen zu § 13 Abs. 5 AVG (Bekanntgabe der Amtsstunden im Internet und an der Amtstafel) grundsätzliche Parallelen zur analogen Einbringung von Anträgen mittels eines Einlaufkastens, der entsprechende Beschränkungen (z.B. Angabe eines Entleerungszeitpunktes) „durch Hinweise beim Briefschlitz“ aufweisen könne (s. ErlRV 294 BlgNR 23. GP, 11). Auch hier wird die Maßgeblichkeit des Empfängerhorizonts ersichtlich, die ebenso für Kundmachungen im Internet zu gelten hat. Aus den Materialien ergibt sich darüber hinaus die Intention des Gesetzgebers, Verfristungen hintanzuhalten. So wird zur Adressierung eines Anbringens an eine andere als die bekanntgemachte E Mail Adresse ausgeführt, dass in den innerorganisatorischen Vorschriften regelmäßig Vorsorge dafür getroffen sei, dass Fälle wie eine verspätete Weiterleitung an die bekanntgemachte Adresse möglichst nicht eintreten würden.
16Aus all dem folgt, dass organisatorische Beschränkungen gemäß § 13 Abs. 2 AVG im Internet hinreichend publik gemacht werden müssen. Sie dürfen sich demnach nicht ausschließlich an einer Stelle befinden, an der ein durchschnittlich sorgfältiger Adressat solcher Beschränkungen nach den Umständen nicht mit ihnen rechnen muss.
17 Die Frage der hinreichenden Publizität wurde vom Verwaltungsgericht im hier zu beurteilenden Fall alleine aufgrund des Hinweises im Impressum bejaht. Trotz des Vorbringens zur mangelnden Erkennbarkeit der nur im Impressum der Homepage abgebildeten Beschränkungen unterließ es jegliche Ermittlungen und Feststellungen zur Publizität dieser Beschränkungen. Es liegt zu dieser Frage somit ein sekundärer Feststellungsmangel vor, der den angefochtenen Beschluss mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet.
18Der angefochtene Beschluss war daher im Umfang seines Spruchpunktes 1. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
20Die revisionswerbenden Parteien haben im Ergebnis zwar den gesamten Beschluss des Verwaltungsgerichtes angefochten, hinsichtlich des Spruchpunktes 2. (Wiedereinsetzung) jedoch kein Zulässigkeitsvorbringen erstattet, sodass sich die Revisionen in diesem Umfang als unzulässig erweisen (vgl. VwGH 10.6.2024, Ra 2024/02/0091, mwN).
21 In diesem Umfang waren die Revisionen daher zurückzuweisen.
Wien, am 11. Dezember 2024