JudikaturVwGH

Ra 2024/02/0091 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed, den Hofrat Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter und Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revisionen 1. des K in W, vertreten durch die Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1230 Wien, Dr. Neumann Gasse 7 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), sowie 2. der Bezirkshauptmannschaft Korneuburg gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 22. Februar 2024, 1. LVwG S 1423/001 2023, 2. LVwG S 1423/002 2023 und 3. LVwG S 1423/003 2023, betreffend Wiedereinsetzung sowie Zurückweisung einer Beschwerde i.A. Übertretungen des KFG (mitbeteiligte Partei zu 2.,:K in W, vertreten durch die Schärmer + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1230 Wien, Dr. Neumann Gasse 7),

Spruch

1. zu Recht erkannt:

Der angefochtene Beschluss wird in seinem Spruchpunkt 2. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2. den Beschluss gefasst:

Die Revisionen werden, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte 1. und 3. des Beschlusses richten, zurückgewiesen.

1 Mit Strafverfügung der nunmehrigen Zweitrevisionswerberin vom 24. März 2022 wurden über den Erstrevisionswerber wegen näher konkretisierter Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1067 (KFG) Geld und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt. Auf der ersten Seite dieser Strafverfügung war am rechten Rand im oberen Drittel schwarz umrandet u.a. aufgedruckt: „E Mail: strafen.bhko@noel.gv.at“.

2 Gegen die ihm laut Zustellnachweis am 28. März 2022 zugestellte Strafverfügung erhob der Erstrevisionswerber Einspruch und übermittelte diesen am 31. März 2022 per E-Mail an die E-Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at.

3 In weiterer Folge erließ die Zweitrevisionswerberin das im Spruch gleichlautende Straferkenntnis vom 24. März 2023 und verpflichtete den Erstrevisionswerber zudem zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens. Auf der ersten Seite des Straferkenntnisses wurde neuerlich in einer Umrahmung u.a. die E-Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at angeführt.

4 Gegen das dem Erstrevisionswerber am 28. März 2023 zugestellte Straferkenntnis erhob dieser mit Schriftsatz vom 20. April 2023 Beschwerde, die am 20. April 2023 per E Mail an die E Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at übermittelt wurde.

5 Mit dem angefochtenen Beschluss vom 22. Februar 2024 wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (Verwaltungsgericht) 1. den Antrag des Erstrevisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen die Strafverfügung vom 24. März 2022 wegen sachlicher Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG iVm § 71 AVG als unzulässig zurück; 2. die Beschwerde des Erstrevisionswerbers gemäß §§ 50 iVm 31 Abs. 1 und 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurück sowie 3. den Antrag des Erstrevisionswerbers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde gegen das Straferkenntnis vom 24. März 2023 gemäß § 31 Abs. 1 iVm § 33 VwGVG ab. Mit Spruchpunkt 4. erklärte das Verwaltungsgericht eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

6 Begründend führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die gegen das dem Erstrevisionswerber am 28. März 2023 zugestellte Straferkenntnis gerichtete Beschwerde sei zwar innerhalb der offenen vierwöchigen Beschwerdefrist an die auf der ersten Seite des Bescheides genannte E Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at übermittelt worden, letztlich sei die Beschwerde aber vom Verwaltungsgericht erst am 23. November 2023 und somit nach Ablauf der gesetzlich vorgesehen vierwöchigen Beschwerdefrist an die von der zweitrevisionswerbenden Behörde gemäß § 13 Abs. 2 AVG im Internet kundgemachte E Mail Adresse post.bhko@noel.gv.at weitergesendet worden. Erst mit Einlangen an einer solchen kundgemachten Adresse gelte das Anbringen als eingebracht, weshalb die Beschwerde als verspätet zurückzuweisen sei.

7 Dem Erstrevisionswerber sei dies mit Schreiben vom 18. Dezember 2023 zur Kenntnis gebracht worden, woraufhin er näher begründete Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einbringung eines Einspruches gegen die Strafverfügung sowie zur Erhebung einer Beschwerde gegen das Straferkenntnis, gestellt habe. Diese Anträge seien zurück- bzw. abzuweisen.

8 Gegen diesen Beschluss richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen sowohl des Beschuldigten (Erstrevisionswerber) als auch der belangten Behörde (Zweitrevisionswerberin) des Verwaltungsstrafverfahrens jeweils mit dem Begehren, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

9 In den durchgeführten Vorverfahren wurde jeweils keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges verbundenen Revisionen erwogen:

10 Die Revisionen machen zu Spruchpunkt 2. des Beschlusses (Zurückweisung der Beschwerde) zur Begründung ihrer Zulässigkeit jeweils u.a. geltend, die Beschwerde sei an eine (Organisations-)E Mail Adresse übermittelt worden, die zwar nicht in einer Kundmachung gemäß § 13 Abs. 2 AVG angeführt sei, aber von derselben Behörde, die die Kundmachung erlassen habe, im elektronischen Verkehr zwischen Erstrevisionswerber und belangte Behörde angeboten und verwendet worden sei.

11 Die Revisionen erweisen sich in diesem Umfang als zulässig und begründet, weil der Beschluss des Verwaltungsgerichtes von der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht (vgl. zu Konstellationen, in denen die grundsätzliche Rechtsfrage vom Verwaltungsgerichtshof nach Erlassung der angefochtenen Entscheidung nicht im Sinne der vom Verwaltungsgericht getroffenen Beurteilung geklärt wurde, etwa VwGH 30.4.2024, Ra 2024/02/0040, mwN):

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 18. April 2024, Ra 2024/02/0049, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass es einer Behörde, die organisatorische Beschränkungen des elektronischen Verkehrs nach § 13 Abs. 2 AVG verfügt hat, nicht verwehrt ist, die elektronischen Einbringungsmöglichkeiten unter Aufrechterhaltung der allgemeinen Beschränkungen im Einzelfall gegenüber einer bestimmten Person zu erweitern, wobei die Bekanntgabe einer solchen Erweiterung der Einbringungsmöglichkeiten gegenüber einem einzelnen Betroffenen in einer solchen Art und Weise zu erfolgen hat, dass dieser mit Grund annehmen kann, dass Eingaben an die genannte Adresse in diesem Verfahren zulässig und fristwahrend sind. Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn die Behörde einem Beschuldigten eine weitere E Mail Adresse auf ihren behördlichen Schriftstücken im Vordruck bekannt gibt.

13 Diese Überlegungen sind auch auf die Erhebung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung übertragbar (vgl. VwGH 30.4.2024, Ra 2024/02/0031).

14 Ausgehend davon erweisen sich sowohl der am 31. März 2022 an die dem Erstrevisionswerber im amtlichen Vordruck der Strafverfügung vom 24. März 2022 bekannt gegebene E Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at übermittelte Einspruch als auch die am 20. April 2023 an die dem Erstrevisionswerber im amtlichen Vordruck des Straferkenntnisses vom 24. März 2023 bekannt gegebene E Mail Adresse strafen.bhko@noel.gv.at übermittelte Beschwerde als rechtswirksam und rechtzeitig bei der Zweitrevisionswerberin eingebracht.

15 Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte, belastete es den angefochtenen Beschluss im Umfang seines Spruchpunktes 2. mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

16 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

17 Soweit sich die Revision der Zweitrevisionswerberin auch gegen die Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand richtet und dazu nähere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung stellt, ist auszuführen, dass ein Antrag auf Wiedereinsetzung nur zulässig ist, wenn eine Frist versäumt wurde (vgl. etwa Hengstschläger/Leeb , AVG, § 71, Rn. 21, mwN). Da dies, wie zuvor gezeigt, gegenständlich weder in Bezug auf den Einspruch noch die Beschwerde des Erstrevisionswerbers der Fall war, konnte dessen Wiedereinsetzungsanträgen jedenfalls kein Erfolg beschieden sein, weshalb auf die aufgeworfenen Rechtsfragen nicht eingegangen werden muss.

18 Der Erstrevisionswerber hat zwar den gesamten Beschluss des Verwaltungsgerichtes angefochten, hinsichtlich der Spruchpunkte 1. und 3. jedoch kein Zulässigkeitsvorbringen erstattet, sodass sich die Revision in diesem Umfang aus diesem Grund als unzulässig erweist (vgl. VwGH 26.4.2023, Ra 2020/05/0012).

19 In diesem Umfang waren die Revisionen daher zurückzuweisen.

20 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 und 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 10. Juni 2024

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