JudikaturVwGH

Ra 2021/13/0151 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. LukacicMarinkovic, über die Revision des W in L, vertreten durch Mag. Wolfgang Kempf, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Bürgerstraße 41, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 20. August 2021, Zl. RV/5100564/2020, betreffend Haftung gemäß §§ 9 iVm 80 BAO, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1Mit Haftungsbescheid vom 16. Jänner 2020 nahm das Finanzamt den Revisionswerber gemäß §§ 9 iVm 80 ff BAO für näher bezeichnete, aushaftende Abgabenschuldigkeiten der J GmbH (Primärschuldnerin) der Jahre 2008 bis 2012 iHv 569.614,61 € in Anspruch.

2 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Finanzamt mit Beschwerdevorentscheidung vom 2. März 2020 ab, woraufhin der Revisionswerber die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragte.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid teilweise Folge und reduzierte die Haftungssumme um 10 %, somit auf einen Betrag iHv 512.653,11 €. Im Übrigen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Weiters sprach das Bundesfinanzgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

4In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht zusammengefasst aus, bis zum 22. Mai 2007 sei B Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen. In der Folge habe I die Geschäftsführertätigkeit ausgeübt, wobei während dieses Zeitraums der Revisionswerber (Bruder von I) als faktischer Geschäftsführer fungiert habe. Ab 9. April 2013 sei der Revisionswerber als alleiniger Geschäftsführer der Primärschuldnerin im Firmenbuch eingetragen gewesen. Infolge einer Außenprüfung und Nachschau habe das Finanzamt gegenüber der Primärschuldnerin mit Bescheiden vom 29. Oktober 2012 die Umsatzsteuer 2008 bis 2010, die Körperschaftsteuer 2008 bis 2010 und die Umsatzsteuer 07/2012 sowie mit Bescheiden vom 22. Oktober 2012 und 2. November 2012 die Umsatzsteuer 2011 und die Körperschaftsteuer 2011 sowie mit Haftungsbescheid vom 17. Oktober 2012 die Kapitalertragsteuer für 2008 bis 2011 festgesetzt. Die Revision gegen das über diese Bescheide absprechende Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 3. April 2019 habe der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Jänner 2020 (Ra 2019/15/0102) zurückgewiesen. Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien (HG) vom 28. Mai 2015 sei über das Vermögen der Primärschuldnerin das Konkursverfahren eröffnet und die Primärschuldnerin aufgelöst worden. Der Konkurs sei mangels Kostendeckung mit Beschluss des HG vom 24. März 2016 aufgehoben worden. Mit Generalversammlungsbeschluss vom 17. Mai 2016 sei die Fortsetzung der Primärschuldnerin beschlossen worden. Die im Haftungsbescheid geltend gemachte Haftungssumme hafte am Abgabenkonto der Primärschuldnerin zur Gänze unberichtigt aus. Das Finanzamt sei der einzige Gläubiger; alle anderen Gläubiger seien stets Zug um Zug befriedigt worden.

5 Der Revisionswerber habe während der Geschäftsführertätigkeit von I unstrittig als faktischer Geschäftsführer der Primärschuldnerin fungiert. Ab 9. April 2013 bis zur Eröffnung des Konkursverfahrens am 28. Mai 2015 sei der Revisionswerber Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen. Die abgabenrechtliche Verantwortlichkeit des Revisionswerbers als Geschäftsführer reichemangels Anwendbarkeit des § 9a BAO vor dem 1. Jänner 2013daher grundsätzlich über den Zeitraum von 1. Jänner 2013 bis 28. Mai 2015. Die Verantwortung als Geschäftsführer einer Gesellschaft beginne aber nicht erst mit der Begründung der Vertretungsfunktion, weil der Geschäftsführer auch verpflichtet sei, bis dahin angesammelte Abgabenrückstände zu begleichen. Der Revisionswerber bestreite nicht seine Stellung als abgabenrechtlich verantwortlicher Vertreter, sondern den Bestand einer Abgabenschuld der Primärschuldnerin. Über die haftungsgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten sei jedoch bereits gegenüber der Primärschuldnerin rechtskräftig entschieden worden. Sämtliche Unterbrechungshandlungen würden auch gegenüber dem Revisionswerber wirken, sodass die haftungsgegenständlichen Abgaben noch nicht verjährt seien. Die Uneinbringlichkeit stehe unbestritten fest, da mit Beschluss des HG vom 24. März 2016 das Konkursverfahren mangels Kostendeckung aufgehoben worden sei. Der Revisionswerber habe im gesamten Verfahren nicht dargetan, dass der Primärschuldnerin bezogen auf die maßgeblichen Fälligkeitstage der haftungsgegenständlichen Abgaben die Mittel zur ordnungsgemäßen Entrichtung der Abgaben gefehlt hätten. Es sei vielmehr betont worden, die anderen Gläubiger Zug um Zug befriedigt zu haben. Dieser Umstand stelle eine gravierende Verletzung des Gleichbehandlungsgebotes dar.

6 Im Rahmen der Ermessensübung reduzierte das Bundesfinanzgericht die Haftung um 10 %. Das Konkursverfahren sei im März 2016 beendet worden, der Revisionswerber mit Schreiben vom 2. Juli 2019 über die geplante Haftungsinanspruchnahme in Kenntnis gesetzt und mit Haftungsbescheid vom 16. Jänner 2020 zur Haftung herangezogen worden. Aus den Akten sei kein Grund für ein derartig langes Zuwarten ersichtlich. Berücksichtigungswürdig sei auch, dass die abgabenrechtliche Pflichtverletzung Abgabenverbindlichkeiten aus den Jahren 2008 bis 2012 betreffe.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein. Die belangte Behörde hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein derartiger Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen (§ 34 Abs. 3 VwGG).

10Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 In der Revision wird zur Zulässigkeit zunächst vorgebracht, entgegen der Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichts sei durch die Anmeldung der Forderungen im Insolvenzverfahren die Verjährung nicht unterbrochen, sondern lediglich gehemmt worden, weil die Forderungen bestritten worden seien. Im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Primärschuldnerin sei kein rechtskräftiger Haftungsbescheid vorgelegen. Zwischen der Prüfungstagsatzung am 27. Juli 2015 bzw. der Insolvenzaufhebung am 28. März 2016 und dem angefochtenen Erkenntnis liege ein Zeitraum von über fünf bzw. sechs Jahren, so dass die zugrundeliegenden Forderungen jedenfalls verjährt seien.

12Gemäß § 238 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

13 Nach Abs. 2 leg. cit. wird die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

14Dabei wirken Unterbrechungshandlungen anspruchsbezogen, unterbrechen also die Verjährung gegenüber jedem, der als Zahlungspflichtiger in Betracht kommt (vgl. VwGH 12.8.2024, Ra 2024/13/0069, mwN).

15Nach der gegenüber § 238 BAO spezielleren Bestimmung des § 9 Abs. 1 Insolvenzordnung (IO) wird durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegenüber dem Gemeinschuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden ist (vgl. VwGH 22.6.2022, Ra 2020/13/0038, mwN).

16Wird ein Anspruch bei der Prüfungstagsatzung bestritten, so gilt nach § 9 Abs. 2 IO die Verjährung vom Tag der Anmeldung bis zum Ablauf der für die Geltendmachung des Anspruchs bestimmten Frist als gehemmt. Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (insoweit noch zu § 9 Abs. 2 KO), dass bei Bestreitung einer vollstreckbaren Forderung die Verjährung unterbrochen bleibt, weil der Anmeldende zur Klagsführung nach § 110 Abs. 2 KO (IO) nicht verpflichtet ist (vgl. VwGH 12.10.2009, 2009/16/0084; vgl. auch Geroldinger in Konecny , Insolvenzgesetze, 46. Lfg., § 9 Tz 50). Dass die im Insolvenzverfahren der Primärschuldnerin angemeldeten Forderungen (die nunmehr im Haftungsverfahren gegen den Revisionswerber geltend gemacht werden) gegenüber der Primärschuldnerin vollstreckbar waren, wird in der Revision nicht bestritten.

17Soweit im Zulässigkeitsvorbringen der lange Zeitabstand zwischen der Prüfungstagsatzung und der Entscheidung des Bundesfinanzgerichts über das Bestehen der Abgabenansprüche gerügt wird, ist darauf hinzuweisen, dass das Bundesfinanzgericht im Haftungsverfahren im Rahmen seiner Ermessensentscheidung den geltend gemachten Umstand einer langen verstrichenen Zeitdauer berücksichtigt und die Haftungsinanspruchnahme um 10 % reduziert hat (vgl. zum langen Zeitabstand etwa VwGH 7.9.2022, Ra 2019/13/0066).

18Soweit sich die Revision in ihrem weiteren Zulässigkeitsvorbringen gegen die Umsatzzurechnungen an die Primärschuldnerin wendet und fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Steuerschuldnerschaft bei der Umsatzsteuer behauptet, genügt der Hinweis, dass Einwände gegen die Richtigkeit der Abgabenfestsetzung nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in einem nach § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren, nicht jedoch im Haftungsverfahren zu klären sind (vgl. VwGH 3.3.2023, Ra 2020/13/0071).

19 Zur Zulässigkeit der Revision wird abschließend vorgebracht, der Verwaltungsgerichtshof habe sich zum Thema Fälligkeit von Verbindlichkeiten und Geschäftsführerhaftung nach Aufhebung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Primärschuldnerin noch nicht geäußert. Aufgrund der erheblichen zeitlichen Differenz zwischen der Aufhebung des Insolvenzverfahrens und der Fälligkeit der geltend gemachten Forderungen stelle sich auch eine Rechtsfrage zum Thema Verschulden und Geschäftsführerhaftung.

20 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verstreichen einer langen Zeit sei es seit der Entstehung der Abgabenschuld oder seit dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerinein Umstand, der bei der Heranziehung zur Haftung im Rahmen der Ermessensübung nicht außer Betracht gelassen werden darf (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2019/13/0046, mwN). Dementsprechend hat das Bundesfinanzgericht wie bereits ausgeführt dem langen Zeitabstand zwischen der Entstehung der Abgabenschuld bzw. der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung anderseits durch die Kürzung der Haftungssumme um 10 % Rechnung getragen. Dass im gegenständlichen Fall ein Ermessensmissbrauch oder eine Ermessensüberschreitung vorliege, behauptet der Revisionswerber nicht.

21Auch der Grad des Verschuldens des Vertreters ist eines der Kriterien, die bei der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden können. Dass dem Revisionswerber aber ein besonders geringes Verschulden anzulasten wäre (vgl. VwGH 27.5.2020, Ra 2020/13/0027) kam im Verfahren nicht hervor und wird im Zulässigkeitsvorbringen der Revision auch nicht behauptet.

22 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

23Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 4. Dezember 2024