JudikaturVfGH

G66/2025 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. September 2025
Leitsatz

Keine Bedenken gegen die – für die Zustellung der Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut vorgesehene – Zugangsfiktion gemäß einer Bestimmung des Bundesstraßen-MautG 2002; keine Unsachlichkeit der Anknüpfung an die Ausfertigung der Ersatzmautaufforderung und nicht an das tatsächliche Zugehen oder die nachweisliche Zustellung; Zugangsfiktion betrifft die Möglichkeit der privatrechtlichen Sicherung der Abfuhr des Mautentgelt vor einem Verwaltungsstrafverfahren und liegt im weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei Strafaufhebungsgründen

Spruch

Der Antrag wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge

"1. die Wortfolge '; sie gilt dem Zulassungsbesitzer als zugegangen, wenn sie an die in der zentralen Zulassungsevidenz gemäß §47 Abs4 Kraftfahrgesetz 1967 oder in Fahrzeugzulassungsregistern anderer Staaten als Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges eingetragene Person unter ihrer dort angeführten Anschrift versandt wurde' im zweiten Satz des §19 Abs4 des BStMG, BGBl I Nr 109/2002 idF BGBl I Nr 142/2023,

in eventu

2. die Wortfolge '; sie gilt dem Zulassungsbesitzer als zugegangen, wenn sie an die in der zentralen Zulassungsevidenz gemäß §47 Abs4 Kraftfahrgesetz 1967 oder in Fahrzeugzulassungsregistern anderer Staaten als Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges eingetragene Person unter ihrer dort angeführten Anschrift versandt wurde' im zweiten Satz des §19 Abs4 des BStMG, BGBl I Nr 109/2002 idF BGBl I Nr 142/2023, sowie die Wortfolge 'ab Ausfertigung der Aufforderung' im dritten Satz des §19 Abs4 des BStMG, BGBl I Nr 109/2002 idF BGBl I Nr 142/2023, als verfassungswidrig aufheben.

in eventu

3. für den Fall, dass die im Hauptantrag oder Eventualantrag dargelegten Wortfolgen zwischenzeitig außer Kraft getreten sind, auszusprechen, dass diese im Umfang der obigen Anfechtungen verfassungswidrig waren."

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des BundesstraßenMautgesetzes 2002 (BStMG), BGBl I 109, idF BGBl I 142/2023 lauten auszugsweise wie folgt (die im Hauptantrag angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

" 3. Teil

Zeitabhängige Maut

Mautpflicht

§10. (1) Die Benützung von Mautstrecken mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren technisch zulässige Gesamtmasse nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der zeitabhängigen Maut.

(2) Von der Pflicht zur Entrichtung der zeitabhängigen Maut sind ausgenommen: 1. A9 Pyhrn Autobahn in den Abschnitten zwischen der Anschlussstelle Spital/Pyhrn und der Anschlussstelle Ardning und zwischen der Anschlussstelle St. Michael und Anschlussstelle Übelbach,

2.–5. […]

(3)–(4) […]

[…]

5. Teil

Mautaufsicht und Ersatzmaut

[…]

Ersatzmaut

§19. (1) In der Mautordnung ist für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut eine Ersatzmaut festzusetzen, die den Betrag von 250 € einschließlich Umsatzsteuer nicht übersteigen darf.

(2) Die Mautaufsichtsorgane sind befugt, Lenker, die bei der Begehung einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 Abs1 und 2 sowie gemäß §32 Abs1 zweiter Satz entweder auf frischer Tat oder in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Begehung betreten werden, mündlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern. Der Aufforderung wird entsprochen, wenn der Lenker unverzüglich die entsprechende Ersatzmaut zahlt. Hierüber ist eine Bescheinigung auszustellen.

(3) Die Mautaufsichtsorgane sind im Fall, dass wegen einer von ihnen dienstlich wahrgenommenen Verwaltungsübertretung gemäß §20 Abs1 keine bestimmte Person beanstandet werden kann, befugt, am Fahrzeug eine schriftliche Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut zu hinterlassen. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen zwei Wochen ab Hinterlassung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält.

(4) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 sowie §32 Abs1 zweiter Satz zu keiner Betretung, so ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft befugt, den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans beruht. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten ; sie gilt dem Zulassungsbesitzer als zugegangen, wenn sie an die in der zentralen Zulassungsevidenz gemäß §47 Abs4 Kraftfahrgesetz 1967 oder in Fahrzeugzulassungsregistern anderer Staaten als Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges eingetragene Person unter ihrer dort angeführten Anschrift versandt wurde . Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält.

(5) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 sowie §32 Abs1 zweiter Satz zu keiner Betretung, so sind die Mautaufsichtsorgane befugt, anlässlich einer Kontrolle der ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut jenes Fahrzeuges, mit dem die Tat begangen wurde, den Zulassungsbesitzer mündlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder auf dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans beruht und die Tat nicht bereits verjährt ist. Die Aufforderung ist an den Lenker zu richten, der bei der Leistung der Ersatzmaut als Vertreter des Zulassungsbesitzers fungiert. Ihr wird entsprochen, wenn der Lenker unverzüglich die Ersatzmaut zahlt. Hierüber ist eine Bescheinigung auszustellen.

(6) Subjektive Rechte des Lenkers und des Zulassungsbesitzers auf mündliche oder schriftliche Aufforderungen zur Zahlung einer Ersatzmaut bestehen nicht.

(7) Soweit in der Mautordnung bestimmt ist, dass die Ersatzmaut auch in bestimmten fremden Währungen gezahlt oder unbar beglichen werden kann, sind von den Mautaufsichtsorganen Zahlungen auch in diesen Formen entgegenzunehmen. Gebühren, Spesen und Abschläge sind vom Mautgläubiger zu tragen.

[…]

6. Teil

Strafbestimmungen

Mautprellerei

§20. (1) Kraftfahrzeuglenker, die Mautstrecken benützen, ohne die nach §10 geschuldete zeitabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet zu haben, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind mit Geldstrafe von 300 € bis zu 3000 € zu bestrafen.

(2)–(4) […]

(5) Taten gemäß Abs1 bis 3 werden straflos, wenn der Mautschuldner nach Maßgabe des §19 Abs2 bis 5 der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspricht.

(6) Die Rückforderung gemäß §19 ordnungsgemäß gezahlter Ersatzmauten ist ausgeschlossen.

[…]

8. Teil

Übergangs- und Schlussbestimmungen

[…]

Straßensonderfinanzierungsgesetze

§32. (1) Die Benützung der in §10 Abs2 genannten Mautabschnitte mit einspurigen Kraftfahrzeugen und mit mehrspurigen Kraftfahrzeugen, deren technisch zulässige Gesamtmasse nicht mehr als 3,5 Tonnen beträgt, unterliegt der Bemautung nach den Bestimmungen des Arlberg Schnellstraßen-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 113/1973, des Bundesgesetzes betreffend die Finanzierung der Autobahn Innsbruck-Brenner, BGBl Nr 135/1964, des Karawanken-Autobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 442/1978, des Pyhrn-Autobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 479/1971, und des Tauernautobahn-Finanzierungsgesetzes, BGBl Nr 115/1969 (Streckenmaut). Kraftfahrzeuglenker, die diese Mautabschnitte benützen, ohne das nach den genannten Gesetzen geschuldete Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, begehen eine Verwaltungsübertretung, die als Mautprellerei im Sinn des §20 Abs1 gilt. Kraftfahrzeuglenker, die durch diese Tat gegen eine auf Grund der Straßenverkehrsordnung 1960, BGBl Nr 159, erlassene Fahrverbotsverordnung verstoßen, indem sie die Fahrspur einer Mautstelle benützen, die Kraftfahrzeugen vorbehalten ist, die der fahrleistungsabhängigen Maut unterliegen, sind nur wegen Mautprellerei zu bestrafen.

(2)–(3) […]"

2. §19 Abs4 BStMG idF BGBl I 142/2023 trat mit 17. November 2023 in Kraft und ist gemäß §33 Abs18 Z4 BStMG auf Verwaltungsübertretungen anwendbar, die ab dem 17. November 2023 begangen werden.

3. Vor Inkrafttreten der Novelle BGBl I 142/2023 lautete §19 Abs4 BStMG wie folgt:

"(4) Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 sowie §32 Abs1 zweiter Satz zu keiner Betretung, so ist die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft befugt, den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorgans beruht. Die Aufforderung hat eine Identifikationsnummer und eine Kontonummer zu enthalten. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung dem angegebenen Konto gutgeschrieben wird und der Überweisungsauftrag die automationsunterstützt lesbare, vollständige und richtige Identifikationsnummer enthält."

4. Zur Novellierung des §19 Abs4 BStMG durch das Bundesgesetz BGBl I 142/2023 führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2204 BlgNR 27. GP, 8 und 10) Folgendes aus:

"Um die Verwaltungsstrafbehörden zu entlasten, sieht das BStMG in seinem §20 Abs5 einen Strafaufhebungsgrund vor: Mautprellerei wird straflos, wenn der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut regelkonform entsprochen wird.

Für schriftliche Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut verlangt die Rechtsprechung eine rechtswirksame Zustellung, im Inland ebenso wie im Ausland (vgl VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167). Wenn eine solche Zustellung – aus welchen Gründen immer – scheitert, wird nach Auffassung des VwGH die Frist zur Zahlung der Ersatzmaut gar nicht in Gang gesetzt mit der Folge, dass die Ersatzmaut auch noch während des Strafverfahrens mit strafbefreiender Wirkung eingezahlt werden kann (VwGH 28.11.2006, 2005/06/0156; 28.4.2022, Ra 2019/06/0174).

Diese Rechtsprechung stellt die Praxis vor Probleme, denn die Zahl der einschlägigen Delikte steigt seit Jahren kontinuierlich an. Allein im Jahr 2022 hatte die ASFINAG ca 380.000 Aufforderungen zur Zahlung von Ersatzmaut zu versenden, davon ca 331.000 im Bereich der zeitabhängigen Maut und der Streckenmaut und ca 49.000 im Bereich der fahrleistungsabhängigen Maut. Rund ein Zehntel dieser Aufforderungen gelangt jedoch als unzustellbar an die Gesellschaft zurück. Die ASFINAG hat keine Möglichkeit, diese große Zahl an Retouren zu bearbeiten. Sie ist lediglich berechtigt, auf das zentrale Zulassungsregister zuzugreifen und Datenabrufe aus dem Europäischen Fahrzeug- und FührerscheinInformationssystem (EUCARIS) gemäß §30a Abs2 BStMG zu veranlassen. Zugriff auf das Zentrale Melderegister oder auf vergleichbare Datenbanken anderer Staaten hat sie hingegen nur wie andere Private auch, und schon gar nicht vermag sie nachzuprüfen, ob die Meldeadresse eine Abgabestelle im Sinne des Zustellgesetzes darstellt.

Vor diesem Hintergrund wird die Einführung einer Zugangsfiktion vorgeschlagen: Schriftliche Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut sollen dem Zulassungsbesitzer als zugegangen gelten, wenn sie von der ASFINAG an die im einschlägigen Register als Zulassungsbesitzer eingetragene Person unter der dort angeführten Adresse versendet werden. Wie bei der Anonymverfügung, der die Ersatzmautaufforderung nachgebildet ist (vgl Erläuterungen zur RV 1139 BlgNR XXI. GP S. 12, 15 und 19), soll die Versendung mit einfachem Brief genügen. Da die ASFINAG nicht in Vollziehung der Gesetze tätig wird, ist bewusst von Zugang und nicht von Zustellung die Rede.

Vergleichbare Zugangsfiktionen sind im allgemeinen Rechtsverkehr üblich (vgl §6 Abs1 Z3 KSchG) und mitunter durch Rechtsvorschriften vorgegeben (vgl §10 VersVG sowie §22 Abs3 der Beilage 1 zur Verordnung der Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie über die Einführung des Klimatickets, BGBl II Nr 363/2021 i.d.F. BGBl II Nr 425/2022).

[…]

Die Regelung einer Zugangsfiktion im Zusammenhang mit schriftlichen Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut soll nicht schon für alle Aufforderungen gelten, die nach Inkrafttreten der Novelle ergehen, sondern erst für solche Aufforderungen, die auf Grund von Verwaltungsübertretungen ergehen, die nach Inkrafttreten der Novelle begangen werden (Z4)."

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Liezen wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe einen Mautabschnitt benützt, ohne das für diesen Streckenabschnitt geschuldete Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten. Hiedurch habe er gegen §20 Abs1 iVm §32 Abs1 BStMG verstoßen, weshalb gemäß §20 Abs1 BStMG eine Geldstrafe von € 300,– und im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von einem Tag und neun Stunden zu verhängen gewesen seien.

1.2. Im Beschwerdeverfahren ersuchte das Landesverwaltungsgericht Steiermark die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG) um Übermittlung der Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut sowie um Mitteilung, wann diese zugegangen bzw zugestellt worden sei. Hierauf teilte die ASFINAG dem Verwaltungsgericht mit, es könne keine Übernahmebestätigung mehr übermittelt werden, weil eine Nachverfolgung des Einschreibens nur bis zu sechs Monaten nach Aufgabe möglich sei. Ferner teilte die ASFINAG mit, dass die Ersatzmautaufforderung an die aus dem entsprechenden Kraftfahrzeugregister ermittelte Adresse des Empfängers (Zulassungsbesitzers) eingeschrieben abgesendet worden sei und daher gemäß §19 Abs4 BStMG als zugegangen gelte.

2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar:

2.1. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die mit seinem Hauptantrag angefochtene Wortfolge in §19 Abs4 BStMG das Bedenken, dass diese gegen Art11 Abs2 BVG sowie gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK), Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG; Art1 1. ZPEMRK) und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art7 B VG) verstoße.

2.2. Seine Bedenken im Hinblick auf Art11 Abs2 BVG begründet das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Wesentlichen damit, dass mit der angefochtenen Bestimmung des §19 Abs4 BStMG eine gegenüber den allgemeinen Zustellregelungen des Zustellgesetzes (ZustG) abweichende Regelung geschaffen worden sei. In diesem Zusammenhang verweist das Landesverwaltungsgericht Steiermark auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der in seiner ständigen Rechtsprechung zu §19 Abs4 BStMG idF vor der Novelle BGBl I 142/2023 implizit vorausgesetzt habe, dass die Vorgaben des ZustG auch von der ASFINAG in Bezug auf Ersatzmautaufforderungen zu beachten seien, widrigenfalls eine Strafaufhebung durch Begleichung der Ersatzmaut auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren "nachgeholt" werden könne (Hinweis auf VwGH 25.5.2021, Ra 2021/06/0039; 15.12.2021, Ra 2020/06/0152; 20.12.2021, Ra 2020/06/0134; 28.4.2022, Ra 2019/06/0174).

2.3. Seine Bedenken im Hinblick auf Art7 BVG begründet das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Wesentlichen damit, dass §19 Abs4 BStMG lediglich an die Ausfertigung der Ersatzmautaufforderung, nicht jedoch an das tatsächliche Zugehen oder eine nachweisliche Zustellung knüpfe. Eine ausnahmslose und unwiderlegbare Fiktionsregelung sei dem für gerichtliche Verfahren und Verwaltungsverfahren im allgemeinen geltenden ZustG fremd (Hinweis auf §17 Abs3 leg cit). Insofern scheine es an ausreichenden Unterschieden im Tatsächlichen zu mangeln, welche eine differenzierende Regelung rechtfertigen würden.

2.3.1. Ferner geht das Landesverwaltungsgericht Steiermark davon aus, dass der Strafaufhebungsgrund der Ersatzmaut iSd §19 iVm §20 Abs5 BStMG nicht mit den vom Gesetzgeber in den Materialien angeführten Regelungen bzw Beispielen vergleichbar sei. Der in den Materialien angeführte §10 des Versicherungsvertragsgesetzes (VersVG) ziele speziell auf langjährige Vertragsbeziehungen ab, bei denen der Vertragspartner des Versicherers nachträglich seine Wohnanschrift ändere, ohne dies dem Versicherer mitzuteilen (Hinweis auf Riedler, §10 VersVG, in: Fenyves/Perner/Riedler [Hrsg.], VersVG, 9. Lfg. 2021, Rz 2). Demgegenüber werde bei Verwaltungsstrafverfahren wegen Mautprellerei gerade keine für §10 VersVG typische "langjährige Vertrauens- bzw Vertragsbeziehung" vorliegen. Selbiges gelte für eine näher bezeichnete Bestimmung über die Einführung des Klimatickets.

2.3.2. Weiters unterscheide sich die Rechtskonstruktion des Strafaufhebungsgrundes der Ersatzmaut iSd §19 iVm §20 Abs5 BStMG maßgeblich vom Rechtscharakter der Anonymverfügung. Zum einen stelle §49a Abs5 VStG ausdrücklich auf die Zustellung ab. Zum anderen führe die nicht fristgerechte Zahlung der Anonymverfügung nicht zwangsläufig zur Strafbarkeit, sondern zur Gegenstandslosigkeit der Anonymverfügung mitsamt der Einleitung des ordentlichen Verwaltungsstrafverfahrens (Hinweis auf §49a Abs6 VStG). Demgegenüber sei im Fall der Mautprellerei das strafbare Verhalten bereits verwirklicht, wobei dieses bei fristgemäßer Zahlung der Ersatzmaut erst nachträglich wieder entfalle (Hinweis auf VwGH 28.4.2022, Ra 2019/06/0174).

2.3.3. Als unverhältnismäßig erscheine die angefochtene Bestimmung auch insofern, als den von der Fiktion Betroffenen bzw den Lenkern unmittelbar eine Geldstrafe von mindestens € 300,– drohe (Hinweis auf §20 Abs1 BStMG). Dies gelte in besonderer Weise für jene Fälle, in denen die Zustelladresse oder Postanschrift iSd §19 Abs4 BStMG im Ausland liege. Hier zeige die Gerichtserfahrung, dass ein tatsächliches Zugehen der Ersatzmautaufforderung und damit die Möglichkeit zur Verwirklichung des Strafaufhebungsgrundes oft gar nicht binnen der Zahlungsfrist von vier Wochen "ab Ausfertigung" möglich sei. Dabei handle es sich um keine (bloßen) "Ausreißerfälle". Gerade (geografisch) weit entfernte Empfänger bzw Empfangsstaaten mit schwach ausgebautem Postsystem seien insofern gegenüber Inländern benachteiligt. Ferner sei zu beachten, dass die Fiktionsregelung des §19 Abs4 BStMG – anders als etwa §17 Abs3 ZustG – ausnahmslos und unwiderlegbar gelte.

2.4. Seine Bedenken im Hinblick auf Art6 EMRK begründet das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Wesentlichen damit, dass Beschränkungen und Bedingungen bei der Einleitung und Durchführung von Zivil- und Strafverfahren verhältnismäßig sein müssten. Eine ausnahmslose und unwiderlegbare Zugangs- bzw Zustellfiktion wie jene des §19 Abs4 BStMG sei auch mit Blick auf Art6 EMRK unverhältnismäßig.

2.5. Aus den im Wesentlichen selben Gründen hegt das Landesverwaltungsgericht Steiermark auch Bedenken im Hinblick auf Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK.

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:

3.1. Den Bedenken im Hinblick auf Art11 Abs2 B VG hält die Bundesregierung entgegen, dass dem genannten Kompetenztatbestand ein Verfahrensbegriff zugrunde liege, der ausschließlich Verfahren erfasse, die auf die Erlassung individuell-konkreter hoheitlicher Akte gerichtet seien (Hinweis auf Lukan , Art11 Abs2 BVG, in: Kneihs/Lienbacher [Hrsg.], Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht, 19. Lfg. 2017, Rz 50 ff.). Bei der Ersatzmaut iSd §19 BStMG gehe es jedoch gerade nicht um die Erlassung eines Bescheides, sondern um ein privatrechtliches Entgelt, das Zulassungsbesitzer bzw Fahrzeuglenker nach Benutzung einer mautpflichtigen Bundesstraße, ohne eine nach dem BStMG geschuldete Maut entrichtet zu haben, an die ASFINAG leisteten (Hinweis auf Erläut zur RV 1139 21. GP, 13 und 15; OGH 24.10.2023, 7 Ob 144/23m). Weder handle es sich um einen Verfahrensschritt im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens noch um eine Strafe. Daher sei in §19 Abs4 BStMG auch nicht von einer "Zustellung", sondern – entsprechend der zivilrechtlichen Terminologie – vom "Zugang" die Rede (Hinweis auf Erläut zur RV 2204 BlgNR 27. GP, 8).

3.1.1. Im allgemeinen Zivilrecht (Hinweis auf §862a ABGB) beurteile sich der Zugang von Willenserklärungen nach der sogenannten Empfangstheorie, wonach eine Willenserklärung zugegangen sei, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelange, dass sich der Adressat unter gewöhnlichen Verhältnissen von ihrem Inhalt Kenntnis verschaffen könne und Störungen nur mehr in seiner Sphäre, nicht aber beim Absender oder der übermittelnden Einrichtung möglich seien. Die Zugangsfiktion erfasse Fälle, in denen Zulassungsbesitzer gegen ihre im Zulassungsstaat ihres Fahrzeuges analog zu §42 des Kraftfahrgesetzes 1967 (KFG 1967), BGBl 267, bestehende Pflicht zur Anzeige der Verlegung des Hauptwohnsitzes oder der Betriebsstätte als Änderung eines für die Zulassung maßgebenden Umstandes verstießen oder ein rechtswirksamer Zugang von Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut am Hauptwohnsitz oder der Betriebsstätte des Zulassungsbesitzers – aus welchen Gründen immer – scheitere.

3.1.2. Die ASFINAG sei nach dem BStMG auch sonst nicht zur Erlassung hoheitlicher Akte ermächtigt. Diesbezüglich sei die Ersetzung des Wortes "ermächtigt" durch das Wort "befugt" in §19 BStMG durch die BGBl I 45/2019 zu erwähnen (der unzutreffende Eindruck hoheitlicher Befugnisse habe bewusst vermieden werden sollen; Hinweis auf Erläut zur RV 562 BlgNR 26. GP, 4).

3.1.3. Das ZustG fuße kompetenzrechtlich zwar, soweit es von den Verwaltungsbehörden zu vollziehen sei, auf Art11 Abs2 BVG (Hinweis auf VfSlg 19.787/2013). Ihm unterlägen aber nur "die Zustellung der von Gerichten und Verwaltungsbehörden in Vollziehung der Gesetze zu übermittelnden Dokumente sowie die durch sie vorzunehmende Zustellung von Dokumenten ausländischer Behörden" (Hinweis auf §1 ZustG). Da jedoch keine "Vollziehung der Gesetze", also kein hoheitliches Handeln vorliege, und der ASFINAG nach dem BStMG nicht die Eigenschaft einer Verwaltungsbehörde zukomme, unterliege die Versendung der Ausfertigung der Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut nicht dem ZustG (Hinweis auf Kinczel , Die schriftliche Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut, ZVR 2021, 374 [376 und 379]). Der Gesetzgeber habe also den in Rede stehenden Kompetenztatbestand – ungeachtet dessen Reichweite – zur Regelung dieses Lebenssachverhaltes gar nicht in Anspruch genommen. In Ermangelung einer "einheitlichen Vorschrift" liege daher auch keine "Abweichung" von derselben vor.

3.2. Was die Bedenken im Hinblick auf Art7 BVG betrifft, verweist die Bundesregierung auf das Fehlen eines subjektiven Rechtes des Lenkers und des Zulassungsbesitzers, mündlich oder schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufgefordert zu werden (Hinweis auf §19 Abs6 BStMG). Demnach handle es sich um eine bloße Befugnis der ASFINAG, eine vierwöchige Ausschlussfrist zur Verwirklichung eines Strafaufhebungsgrundes in Gang zu setzen. Mache die ASFINAG davon nicht Gebrauch, hindere dies eine Bestrafung wegen Mautprellerei nicht (Hinweis auf VwGH 25.1.2018, Ra 2016/06/0025; 27.10.2018, Ra 2016/06/0134). Daher sei auch der rechtspolitische Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers entsprechend größer.

3.2.1. Das Unterbleiben der fristgerechten Zahlung der Ersatzmaut führe nicht zwangsläufig zu einer Bestrafung. Die ASFINAG sei lediglich zur Anzeige bei der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde berechtigt (Hinweis auf §25 Abs1 VStG), die dann entweder mit Anonymverfügung vorgehe oder das ordentliche Verwaltungsstrafverfahren einleite. Im Regelungsregime des BStMG werde dem Verwaltungsstrafverfahren im Interesse des tatverdächtigen Lenkers ein besonderes Verfahren vorgeschaltet und dem Lenker ermöglicht, durch Leistung eines privatrechtlichen Entgeltes ein Verwaltungsstrafverfahren abzuwenden. Hierin liege keine unsachliche Regelung zu Lasten tatverdächtiger Lenker.

3.2.2. Die durch die Novelle BGBl I 142/2023 geschaffene Zugangsfiktion in §19 Abs4 BStMG sei in Reaktion auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfolgt, wonach diese entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht schon mit der "Ausfertigung", sondern erst mit einer "rechtswirksamen Zustellung" zu laufen beginne (Hinweis auf Erläut zur RV 2204 BlgNR 27. GP, 8). Zweck der angefochtenen Wortfolgen sei im Sinne einer verwaltungsökonomischen und leicht handhabbaren Regelung die Verlagerung des Zugangsrisikos von der ASFINAG auf den tatsächlichen Lenker, der im Fall des §19 Abs4 BStMG der ASFINAG gar nicht bekannt sei. Dabei werde auf den Regelfall abgestellt, "dass der Zulassungsbesitzer mit dem Lenker ident ist bzw den Lenker, welchem er sein Fahrzeug zum Gebrauch überlassen hat, kennt und zwischen diesen Personen ein intakter Informationsaustausch besteht" (Hinweis auf VfGH 19.9.2023, G180/2023). Durch die Überwälzung des Zugangsrisikos werde sichergestellt, dass die durch Mautprellerei geschädigte ASFINAG nicht einen unvertretbaren Aufwand dafür zu tragen habe, dass bei den massenhaft anfallenden Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut auch jede einzelne dieser Aufforderungen rechtswirksam zugehe. Ausschlaggebend für die Regelung des §19 Abs4 BStMG sei, dass nur durch die Überwälzung des Zugangsrisikos ein Massengeschäft (wie die Versendung von Ersatzmautaufforderungen) sinnvoll und rationell abgewickelt werden könne.

3.2.3. In diesem Zusammenhang weist die Bundesregierung insbesondere auf die abgekürzten Verwaltungsstrafverfahren sowie auf den Vorbildcharakter der Anonymverfügung hin (Hinweis auf Erläut zur RV 1139 BlgNR 21. GP, 12, 15 und 19; Erläut zur RV 2204 BlgNR 27. GP, 8). Auch der Verfassungsgerichtshof habe das Fristenregime des §49a Abs6 VStG bislang nicht problematisiert (Hinweis auf VfSlg 17.913/2006). Ferner erinnert die Bundesregierung daran, dass der Verfassungsgerichtshof es für gleichheitsrechtlich unbedenklich erachtet habe, dass die Einzahlung des per Organstrafverfügung vorgeschriebenen Strafbetrages nur mittels des am Tatort hinterlassenen Beleges erfolgen habe dürfen, um einer Anzeige an die Verwaltungsstrafbehörde zu entgehen (Hinweis auf VfSlg 7126/1973 zu §50 Abs2 und 6 VStG idF BGBl 275/1971). Auch dass die Einzahlung an einer (nicht vom Beschuldigten verursachten) Verschmutzung des Originalbeleges (etwa durch Regen) scheitern könne, habe der Verfassungskonformität dieser Bestimmung keinen Abbruch getan (Hinweis auf VfSlg 8895/1980). Jene verwaltungsentlastenden (und spiegelbildlich nicht "beschuldigtenfreundlichen") Vorkehrungen, die dem Gesetzgeber im Bereich der abgekürzten Verwaltungsstrafverfahren demnach erlaubt seien, seien ihm auch im Bereich der rein privatrechtlichen Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut erlaubt.

3.2.4. Unter Hinweis auf eine Langzeitstudie der International Post Corporation (IPC) führt die Bundesregierung schließlich aus, dass die Laufzeiten internationaler Briefsendungen aus Österreich im Jahr 2020 sich durchschnittlich in einem Rahmen von 2,4 Tagen nach Deutschland bis durchschnittlich 15,3 Tagen nach Malta befunden hätten (Hinweis auf www.ipc.be/sector-data/reports-library/ipc-reports-brochures/unex2020). Außerdem betrage die durchschnittliche Aufenthaltsdauer ausländischer Touristen in Österreich laut der Bundesanstalt Statistik Österreich lediglich 3,5 Tage. Daher erweise sich eine Zahlungsfrist von vier Wochen ab Ausfertigung in einer Durchschnittsbetrachtung als ausreichend und nicht unangemessen kurz.

3.3. Zu den Bedenken im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren führt die Bundesregierung aus, dass das Stadium nach Entstehung des staatlichen Strafanspruches, aber noch vor Einleitung des Strafverfahrens, noch gar nicht in den sachlichen Schutzbereich des Art6 EMRK falle (Hinweis auf VfSlg 20.287/2018 zum Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige bei Finanzvergehen gemäß §29 des Finanzstrafgesetzes [FinStrG]).

4. Die Bezirkshauptmannschaft Liezen hat als beteiligte Partei vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark eine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Ein von Amts wegen oder auf Antrag eines Gerichtes eingeleitetes Gesetzesprüfungsverfahren dient der Herstellung einer verfassungsrechtlich einwandfreien Rechtsgrundlage für das Anlassverfahren (vgl VfSlg 11.506/1987, 13.701/1994).

Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011, 20.154/2017). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, die für das anfechtende Gericht präjudiziell sind und vor dem Hintergrund der Bedenken für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

1.2. Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung die Zulässigkeit des Hauptantrages in Zweifel, weil sich die strafaufhebende Wirkung der Entrichtung der Ersatzmaut erst aus §20 Abs5 BStMG ergebe, wonach Taten der Mautprellerei straflos würden, wenn der Mautschuldner der Aufforderung zur Zahlung der in der Mautordnung festgesetzten Ersatzmaut entspreche, weshalb diese Bestimmung mitangefochten werden hätte müssen.

1.3. Mit diesem Vorbringen ist die Bundesregierung nicht im Recht. Die Bedenken im Antrag richten sich gegen die Zugangsfiktion in §19 Abs4 zweiter Satz BStMG und nicht gegen §20 Abs5 BStMG, der bestimmt, unter welchen Voraussetzungen eine begangene Mautprellerei straffrei wird. Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb eine Aufhebung (von Teilen) des §20 Abs5 BStMG erforderlich sein könnte, um die behauptete Verfassungswidrigkeit im Fall des Zutreffens der Bedenken zu beseitigen. Vor dem Hintergrund der im Antrag dargelegten Bedenken steht die Zugangsfiktion in §19 Abs4 BStMG somit in keinem untrennbaren Zusammenhang zum Strafaufhebungsgrund des §20 Abs5 BStMG.

1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Hauptantrag daher als zulässig. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die Eventualanträge.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Der Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark richtet sich dagegen, dass für die Zustellung der Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut in §19 Abs4 BStMG idF BGBl I 142/2023 eine Zugangsfiktion eingeführt wurde. Als unsachliche und vom ZustG abweichende Regelung widerspreche diese Zugangsfiktion dem Art11 Abs2 B VG sowie Art7 BVG, Art6 EMRK und Art5 StGG bzw Art1 1. ZPEMRK. Die Verfassungswidrigkeit sieht das Landesverwaltungsgericht Steiermark im Kern darin gelegen, dass §19 Abs4 BStMG lediglich an die Ausfertigung der Ersatzmautaufforderung, nicht jedoch an das tatsächliche Zugehen oder eine nachweisliche Zustellung knüpfe, und damit eine ausnahmslose, unwiderlegbare und damit unsachliche Fiktionsregelung geschaffen habe.

2.3. Der Antrag ist nicht begründet.

2.4. Die maßgebliche Rechtslage und ihre Entwicklung stellen sich wie folgt dar:

2.4.1. In der Stammfassung sah §19 Abs1 BStMG zunächst vor, dass in der Mautordnung für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut eine Ersatzmaut festzusetzen war, die den Betrag von € 300,– (nunmehr: € 250,–) einschließlich Umsatzsteuer nicht übersteigen durfte. Gemäß §19 Abs2 BStMG waren Lenker anlässlich der Betretung bei Verwaltungsübertretungen gemäß §20 BStMG mündlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern. Konnte wegen einer von einem Organ der öffentlichen Aufsicht dienstlich wahrgenommenen Verwaltungsübertretung keine bestimmte Person beanstandet werden, so war nach Möglichkeit am Fahrzeug eine schriftliche Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut zu hinterlassen. Für den Fall, dass es zu keiner Betretung kam, sah §19 Abs4 BStMG in der Stammfassung vor, dass die ASFINAG den Zulassungsbesitzer bei Vorliegen der Voraussetzungen schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern "hat". Der Ersatzmautforderung wurde entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen drei Wochen "ab Ausfertigung der Aufforderung" dem angegebenen Konto ordnungsgemäß gutgeschrieben wurde.

2.4.2. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1139 BlgNR 21. GP, 19) führten zu §19 Abs4 BStMG auszugsweise aus:

"Die fristgerechte Zahlung der Ersatzmaut setzt voraus, dass binnen drei Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung durch die ASFINAG der Ersatzmautbetrag dem in der Aufforderung bekannt gegebenen Konto gutgeschrieben wird und dass auf dem Überweisungsauftrag die korrekte Identifikationsnummer in maschinenlesbarer Form aufscheint. Diese Regelung orientiert sich an §49a Abs6 und §50 Abs6 VStG und bezweckt, dem Strafausschließungsgrund eine Fassung zu geben, die einerseits trennscharf ist und die ihn andererseits für die Verwaltungsstrafbehörden leicht administrierbar macht."

2.4.3. Wie den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (1139 BlgNR 21. GP, 15) zu den finanziellen Auswirkungen zu entnehmen ist, sollten die Bestimmungen über die Ersatzmaut "zu einer spürbaren Entlastung führen, weil davon ausgegangen werden kann, dass der größte Teil der festgestellten Mautvergehen auf diesem Wege abgewickelt werden kann." Konkret wurde damit gerechnet, "dass 90 bis 95 % der Täter einer diesbezüglichen Aufforderung entsprechen werden" (Erläut zur RV 1139 BlgNR 21. GP, 12). Ferner weisen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage darauf hin, dass die Höhe der Ersatzmaut "unter der Mindeststrafdrohung" liege und "dadurch einen Anreiz bieten [soll], es zu einem aufwendigen Verwaltungsstrafverfahren gar nicht erst kommen zu lassen." Der Ausschluss von Organstrafverfügungen (§50 VStG) in §29 Abs2 Z4 (nunmehr: Z3) BStMG wurde damit begründet, "dass die in §19 [BStMG] verpflichtend vorgeschriebene Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut ein funktionales Äquivalent bildet, das Mandate überflüssig macht" (Erläut zur RV 1139 BlgNR 21. GP, 24).

2.4.4. Der Verwaltungsgerichtshof hat vor dem Hintergrund dieser Rechtslage die Auffassung vertreten, dass eine unterbliebene Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut gemäß §19 BStMG eine Bestrafung zwar nicht hindere, weil das strafbare Verhalten bereits mit der nicht ordnungsgemäßen Entrichtung der Maut verwirklicht werde und §20 Abs3 BStMG einen Strafaufhebungsgrund normiere. Allerdings habe das Unterbleiben einer Aufforderung gemäß §19 BStMG zur Folge, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt werde, womit die Möglichkeit bestehe, die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens "fristgerecht" zu zahlen, um damit die Straflosigkeit iSd §20 Abs3 BStMG zu bewirken (zu alledem s. VwGH 28.11.2006, 2005/06/0156).

2.4.5. Mit der Novelle BGBl I 26/2006 wurde §19 BStMG geändert, damit weder dem Fahrzeuglenker noch dem Zulassungsbesitzer ein Recht auf Übermittlung einer Aufforderung zur Zahlung einer Ersatzmaut zukomme (Erläut zur RV 1262 BlgNR 22. GP, 5). Dazu wurde in §19 Abs6 BStMG idF BGBl I 26/2006 normiert, dass subjektive Rechte des Lenkers und des Zulassungsbesitzers auf mündliche oder schriftliche Aufforderungen zur Zahlung einer Ersatzmaut nicht bestehen. Außerdem sollten die Mautaufsichtsorgane und die ASFINAG gemäß §19 BStMG idF BGBl I 26/2006 bei Vorliegen der Voraussetzungen "ermächtigt" (und nicht verpflichtet) sein, zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern. Zudem wurde mit der Novelle BGBl I 82/2007 die Frist zur Zahlung der Ersatzmaut in §19 Abs4 BStMG von drei auf vier Wochen verlängert und die höchstmögliche Ersatzmaut von € 300,– auf € 250,– gesenkt. In weiterer Folge wurde mit der Novelle BGBl I 45/2019 der Begriff "ermächtigt" durch den Begriff "befugt" ersetzt, um klarzustellen, dass die Mautaufsichtsorgane und die ASFINAG bei Aufforderungen zur Zahlung der Ersatzmaut nicht hoheitlich tätig werden (s Erläut zur RV 562 BlgNR 26. GP, 4).

2.4.6. Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hielt der Verwaltungsgerichtshof an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach das Unterbleiben der Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut zwar nicht zur Straflosigkeit führe, das Unterbleiben einer Aufforderung aber zur Folge habe, dass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt werde, womit die Möglichkeit bestehe, die Ersatzmaut noch im Zuge des Strafverfahrens "fristgerecht" zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit iSd §20 Abs3 BStMG zu bewirken (s VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, Rz 10).

2.4.7. Darüber hinaus sprach der Verwaltungsgerichtshof aus, dass auch eine nicht rechtswirksame Zustellung einen Fall des Unterbleibens der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut darstelle. Dabei verwies er darauf, dass sich die Wortfolge "binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung" in §19 Abs4 BStMG nur auf die Zahlungsfrist beziehe und eine unwirksame Zustellung dem Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut gleichzuhalten sei. Für den Fristenlauf nach §19 Abs4 BStMG sei daher nicht auf die "Ausfertigung" der Aufforderung abzustellen (s zu alledem VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, Rz 11 ff.). Dass somit nicht die Ausfertigung, sondern eine rechtswirksame Zustellung maßgeblich sei, begründete der Verwaltungsgerichtshof wie folgt (VwGH 12.10.2020, Ra 2018/06/0167, Rz 13):

"Es besteht weder ein Grund, hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an Zustellungen im In- und Ausland zu differenzieren, noch rechtfertigen allfällige praktische Schwierigkeiten der Zustellung im Ausland ein generelles Abgehen von allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Es liefe auf eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung der Fälle hinaus, in denen einem Fahrzeuglenker keine Aufforderung zur Entrichtung der Ersatzmaut wirksam zugestellt wird, würde jenen Lenkern, bei denen immerhin der Versuch der Zustellung unternommen wurde, das Recht abgesprochen, in gleicher Weise wie die anderen Lenker bis zum Abschluss des Verfahrens die Ersatzmaut zu entrichten."

2.4.8. Nach dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellte eine nicht rechtswirksame Zustellung eines Aufforderungsschreibens nach §19 Abs4 BStMG somit ein Unterbleiben der Aufforderung zur Bezahlung der Ersatzmaut dar, sodass die Frist für die Bezahlung der Ersatzmaut nicht in Gang gesetzt wurde und die Möglichkeit bestand, diese noch im Zuge des Strafverfahrens "fristgerecht" zu bezahlen, um damit die Straflosigkeit iSd §20 Abs5 BStMG zu bewirken. Diese Auffassung bekräftigte der Verwaltungsgerichtshof mehrfach (vgl zB VwGH 25.5.2021, Ra 2021/06/0039; 15.12.2021, Ra 2020/06/0152; 20.12.2021, Ra 2020/06/0134; 28.4.2022, Ra 2019/06/0174).

2.5. Die mit dem Hauptantrag nunmehr angefochtene Wortfolge des §19 Abs4 BStMG wurde durch die Novelle BGBl I 142/2023 eingeführt. Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (2204 BlgNR 27. GP, 8) zufolge sollte damit – in Reaktion auf die soeben dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes – eine Zugangsfiktion eingeführt werden. Dazu wird in den Erläuterungen festgehalten, dass die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Praxis vor Probleme gestellt habe, weil die Zahl der einschlägigen Delikte seit Jahren kontinuierlich ansteige. Allein im Jahr 2022 habe die ASFINAG etwa 380.000 Aufforderungen zur Zahlung von Ersatzmaut zu versenden gehabt. Rund ein Zehntel dieser Aufforderungen sei jedoch als unzustellbar an die ASFINAG zurück gelangt. Die ASFINAG habe keine Möglichkeit, diese große Zahl an Retoursendungen zu bearbeiten. Wie bei der Anonymverfügung solle daher die Versendung mit einfachem Brief genügen und eine schriftliche Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut dem Zulassungsbesitzer als zugegangen gelten, wenn sie von der ASFINAG an die im einschlägigen Register als Zulassungsbesitzer eingetragene Person unter der dort angeführten Adresse versendet werde.

2.6. Die seit der Novelle BGBl I 142/2023 maßgebliche Rechtslage stellt sich zusammengefasst wie folgt dar:

Kommt es bei einer Verwaltungsübertretung gemäß §20 sowie §32 Abs1 zweiter Satz BStMG zu keiner Betretung, ist die ASFINAG gemäß §19 Abs4 BStMG befugt, den Zulassungsbesitzer schriftlich zur Zahlung einer Ersatzmaut aufzufordern, sofern der Verdacht auf automatischer Überwachung oder dienstlicher Wahrnehmung eines Mautaufsichtsorganes beruht. Die Aufforderung "gilt dem Zulassungsbesitzer als zugegangen", wenn sie an die in der zentralen Zulassungsevidenz oder in Fahrzeugzulassungsregistern anderer Staaten als Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges eingetragene Person unter ihrer dort angeführten Anschrift "versandt" wurde. Ihr wird entsprochen, wenn die Ersatzmaut binnen vier Wochen ab Ausfertigung der Aufforderung ordnungsgemäß gutgeschrieben wird. Weiterhin stellt die Entrichtung der Ersatzmaut gemäß §20 Abs5 BStMG einen Strafaufhebungsgrund dar. Mit der Entrichtung der Ersatzmaut sind auch die zivilrechtlichen Ansprüche der ASFINAG als Mautgläubigerin erfüllt (Erläut zur RV 1139 BlgNR 21. GP, 20).

2.7. Gegen die mit der Novelle BGBl I 142/2023 eingeführte Zugangsfiktion in §19 Abs4 BStMG richtet sich der vorliegende Antrag des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark. Die im Antrag ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Wortfolge in §19 Abs4 BStMG erhobenen Bedenken treffen jedoch nicht zu:

2.8. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt zunächst Bedenken im Hinblick auf Art11 Abs2 BVG, weil mit der angefochtenen Bestimmung des §19 Abs4 BStMG eine gegenüber den allgemeinen Zustellregelungen des ZustG abweichende Regelung geschaffen worden sei. Dieses Bedenken verfängt jedoch bereits im Ansatz nicht:

2.8.1. Die Regelungsbereiche, die von Art11 Abs2 BVG erfasst sind, umfassen das Verwaltungsverfahren, die allgemeinen Bestimmungen des Verwaltungsstrafrechtes, das Verwaltungsstrafverfahren und die Verwaltungsvollstreckung. Das ZustG beruht – soweit es von Verwaltungsbehörden zu vollziehen ist – auf der kompetenzrechtlichen Grundlage des Art11 Abs2 BVG, und die Bestimmungen des ZustG stellen "einheitliche Vorschriften" iSd Art11 Abs2 B VG dar (VfSlg 13.831/1994, 13.878/1994, 19.787/2019).

2.8.2. Die Regelung der Zusendung einer Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut im Rahmen der privatrechtsförmigen Tätigkeit der ASFINAG (s dazu VfGH 24.6.2025, V3/2025 ua) fällt jedoch nicht unter Art11 Abs2 B VG.

2.9. Auch die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark im Hinblick auf Art7 Abs1 B VG teilt der Verfassungsgerichtshof nicht:

2.9.1. Der Gleichheitsgrundsatz gebietet dem Gesetzgeber, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln, und setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er es verbietet, sachlich nicht begründbare Differenzierungen zwischen den Normadressaten zu schaffen (vgl VfSlg 17.315/2004, 17.500/2005, 20.244/2018, 20.270/2018). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).

2.9.2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, kommt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Strafaufhebungsgründen grundsätzlich ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu (s VfSlg 20.249/2018, 20.287/2018, jeweils zum FinStrG).

2.9.3. Nichts anderes ist in Bezug auf die Regelungen des BStMG anzunehmen; insbesondere kommen diese Erwägungen auch für die hier angefochtene Wortfolge des §19 Abs4 BStMG zum Tragen:

Die Zugangsfiktion in §19 Abs4 BStMG betrifft die einem allfälligen Verwaltungsstrafverfahren vorgelagerte Möglichkeit der privatrechtlichen Sicherung der Abfuhr des Mautentgeltes. Angesichts vergleichbarer Zugangsregelungen im allgemeinen Rechtsverkehr (s zB §6 Abs1 Z3 KSchG und §10 Abs1 VersVG) überschreitet der Gesetzgeber mit dieser Regelung seinen weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht.

2.10. Die vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren teilt der Verfassungsgerichtshof gleichfalls nicht.

Die Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut durch die ASFINAG ist keine behördliche Maßnahme im Rahmen eines Verwaltungsstrafverfahrens, sondern eine dem Verwaltungsstrafverfahren vorgelagerte Aufforderung eines privaten Rechtsträgers zur Betreibung eines privatrechtlichen Entgeltanspruches (vgl VfGH 24.6.2025, V3/2025 ua). Die Frage, ob eine Aufforderung zur Zahlung der Ersatzmaut zugesandt wird, hat auch keine Auswirkungen auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren. Vielmehr stehen einem Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren – sofern ein solches überhaupt eingeleitet wird – ohnehin alle Garantien des Art6 EMRK uneingeschränkt zu.

2.11. Damit sind auch die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark im Hinblick auf das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums unbegründet.

V. Ergebnis

1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §19 Abs4 BStMG erhobenen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.