V3/2025 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Zurückweisung von Anträgen auf Aufhebung der Mautordnung der ASFINAG für Bundesstraßen mangels Vorliegens einer Verordnung; Qualifikation der Mautordnung als privatrechtsförmigen Akt und nicht als genereller Akt der Hoheitsverwaltung
Unzulässigkeit der Anträge des OGH auf Aufhebung (Feststellung der Gesetzwidrigkeit) näher bezeichneter (unterschiedliche Zeiträume betreffender) Teile der Mautordnung der ASFINAG.
Für den VfGH ist vor dem Hintergrund der gesetzlichen Bestimmungen (ASFINAG‑Ermächtigungsgesetz 1997, BStMG sowie BStG 1971) nicht ersichtlich, dass die ASFINAG ermächtigt wäre, die Mautordnung in Form einer Verordnung iSd Art18 Abs2 und Art139 Abs1 B‑VG zu erlassen:
Die ASFINAG ist eine in den Formen des Privatrechts errichtete Gesellschaft des Bundes im Bereich der Bundesstraßenverwaltung. Wie der VfGH bereits in VfSlg 4329/1962 ausgesprochen hat, ist die unter dem Begriff der Bundesstraßenverwaltung zusammengefasste Summe der auf den Bau und die Instandhaltung von Bundesstraßen abzielende Verwaltungstätigkeit dem privatwirtschaftlichen Aufgabenbereich des Bundes zu unterstellen. Gemäß §4 letzter Satz ASFINAG‑Ermächtigungsgesetz 1997 bleiben die gesetzlich geregelten hoheitlichen Aufgaben des Bundes von der Aufgabenübertragung an die ASFINAG unberührt.
Die Einhebung von Mautentgelten durch die ASFINAG ist nach der Rsp des VfGH (VfSlg 16.107/2001) ebenfalls als Akt der privatrechtsförmigen Tätigkeit eines ausgegliederten Rechtsträgers zu qualifizieren. Bei dieser Maut handelt es sich daher nicht um eine Abgabe iSd F‑VG 1948, sondern um ein privatrechtliches Entgelt für die Benützung bestimmter Straßen. Auch der OGH vertritt in stRsp die Auffassung, dass die zeitabhängige Maut (Vignettenmaut) gemäß den (nunmehrigen) §§10 ff BStMG keine Abgabe, sondern ein privatrechtliches Entgelt sei. Diese Auffassung wird vom VwGH geteilt.
Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers handelt es sich bei der Mautordnung somit um einen privatrechtsförmigen Akt. Damit im Einklang wird die Mautordnung im BStMG nicht als Verordnung bezeichnet (im Gegensatz etwa zur Mauttarifverordnung gemäß §9 BStMG). Das BStMG enthält auch sonst keine Regelungen, welche die Deutung der Mautordnung als genereller Akt der Hoheitsverwaltung und damit als Verordnung zur Folge hätten. Vielmehr teilen generelle Regelungen im Zweifel die Rechtsnatur des Rechtsverhältnisses, das sie regeln.
Dass die Mautordnung der Genehmigung des zuständigen Bundesministers im Einvernehmen mit dem BMF bedarf, lässt ebenfalls keine Rückschlüsse auf die Qualität der Mautordnung zu; eine solche Genehmigung verändert nämlich nicht die Rechtsnatur der zugrunde liegenden Maßnahme.
Das Mautverhältnis entsteht als privatrechtliches Schuldverhältnis durch die bloße Benützung der Bundesstraßen mit Kraftfahrzeugen. Auch die mit der Erlassung der Mautordnung verbundene einseitige Gestaltungsmacht der ASFINAG führt nicht zwangsläufig zur rechtlichen Qualifikation des Mautverhältnisses als hoheitlich und damit der Mautordnung als Verordnung. Eine einseitige Rechtsgestaltung durch Private bzw in den Formen des Privatrechts ist nicht als solches verfassungsrechtlich ausgeschlossen (vgl privatrechtliche Akte des Jugendwohlfahrtsträgers; frühere Festsetzung der Höhe des Programmentgeltes durch das vormalige ORF‑Kuratorium; kollektive Rechtsgestaltung im Arbeitsrecht; einseitige Gestaltungsmacht der mit der privatwirtschaftlichen Verwaltung des Tabakmonopols betrauten Monopolverwaltung GmbH).
Rechtsstaatliche Gründe lassen es auch nicht geboten erscheinen, die von der ASFINAG verlautbarte Mautordnung als Verordnung zu qualifizieren, um die Möglichkeit ihrer Prüfung durch den VfGH gemäß Art139 B‑VG zu eröffnen: Der Inhalt der Mautordnung ist gesetzlich genau vorherbestimmt und die nachträgliche Kontrolle durch die Gerichtsbarkeit umfasst auch die Prüfung, ob die angefochtenen Bestimmungen in der Sache dem BStMG widersprechen und gegebenenfalls mit Nichtigkeit bedroht sind (gerichtliche Kontrolle aufsichtsbehördlich genehmigter Allgemeiner Geschäftsbedingungen).
Deshalb schließt auch §20 Abs1 bis 3 BStMG, der mit Verwaltungsstrafe bedroht, wer die jeweils geschuldete Maut nicht "ordnungsgemäß" (iSd näheren Regelungen der Mautordnung) entrichtet, die Deutung der Mautordnung als nicht‑hoheitliche Anordnung der ASFINAG nicht aus, zumal vor dem Hintergrund der stRsp des VfGH zum Bestimmtheitsgebot des Art7 EMRK und des Art18 B‑VG keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Anknüpfung einer gesetzlichen Regelung bzw einer Strafbestimmung an bestimmte (auch privatrechtsförmige) Sachverhalte, wie etwa Allgemeine Geschäftsbedingungen oder Kollektivverträge, bestehen.
Daraus folgt, dass das BStMG die Mautordnung nicht als Verordnung, sondern als Rechtsakt des Privatrechts konzipiert hat.
Aus Anlass der vorliegenden Anträge sieht sich der VfGH auch nicht veranlasst, die Ermächtigung der ASFINAG im BStMG, eine Mautordnung zu erlassen, im Hinblick auf die in VfSlg 20.641/2023 und 20.660/2023 näher dargelegten verfassungsrechtlichen Maßstäbe amtswegig in Prüfung zu ziehen.