19Bs176/25h – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A* und weitere Angeklagtewegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG und anderer strafbarer Handlungen über die Berufungen der Angeklagten A*, B*, C* und D* sowie der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 22. Mai 2025, GZ **-140.2, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Körber und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner, LL.M. sowie in Anwesenheit der Angeklagten A*, B*, C* und D* und ihrer Verteidiger Mag. Florian Kreiner (für A* und D*), Mag. Patrycja Gamsjäger, LL.M (für B*) und Mag. David Jodlbauer (für C*) durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 9. September 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Den Berufungen der Angeklagten wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird der Berufung der Staatsanwaltschaft dahin Folge gegeben, dass die über den Angeklagten B* verhängte Freiheitsstrafe auf fünf Jahre und die über den Angeklagten C* verhängte Freiheitsstrafe auf sechs Jahre erhöht wird. Im Übrigen wird der Berufung der Staatsanwaltschaft nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen den Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
[1]Mit dem - auch eine rechtskräftige Verurteilung des Mitangeklagten E* sowie rechtskräftige Verfallsaussprüche enthaltenden - angefochtenen Urteil wurden der russische Staatsangehörige A*, der polnische Staatsangehörige B* und die ungarischen Staatsangehörigen C* und D* jeweils des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (I./), B* auch des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (II./) und C* zudem des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG (III./) schuldig erkannt und wurden hiefür A*, B* und D* jeweils zu vierjährigen Freiheitsstrafen, C* zu einer solchen in der Dauer von fünf Jahren verurteilt.
[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs haben in **
I./ am 11. Dezember 2024 A*, E*, B*, C* und D* mit der abgesondert verfolgten F* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) anderen vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge, und zwar 2.000 Gramm Kokain (beinhaltend eine Reinsubstanz von 1.588 Gramm Cocain) einem verdeckten Ermittler zum Preis von EUR 70.000,- durch gewinnbringenden Verkauf überlassen, indem A* und C* den Deal mit den Hintermännern organisierten, F* und B* das Suchtgift nach ** brachten, wobei F* als Fahrerin fungierte und B* das Paket mit dem Suchtgift in seiner Tasche verwahrte, während D* und E* den
Kontakt zum verdeckten Ermittler herstellten und die Übergabe in Österreich organisierten, überdies E* auch als Fahrer und Dolmetsch fungierte;
II./ B* und die abgesondert verfolgte F* im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) durch die zu I./ angeführte strafbare Handlung Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge übersteigenden Menge von einem nicht mehr feststellbaren Ort im Ausland aus- und nach Österreich eingeführt;
III./ C* zu einem nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkt zwischen Mitte Jänner und Anfang März 2021 den abgesondert verfolgten G* und H* vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen, und zwar 77.685,10 Gramm Cannabisharz (enthaltend zumindest 31,07 Gramm Delta-9-THC und 388,43 Grammm THCA), indem er den Genannten das Suchtgift zur Aufbewahrung gab.
[3] Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht bei A* den bisher ordentlichen Lebenswandel und das teilweise Geständnis mildernd, das vielfache Überschreiten der Grenzmenge und die führende Beteiligung „im Sinne der Beschaffung des Suchtgifts“ erschwerend; bei B* mildernd das teilweise Geständnis, erschwerend hingegen zwei einschlägige Vorstrafen, das vielfache Überschreiten der Grenzmenge und das Zusammentreffen von zwei Verbrechen; bei C* mildernd das reumütige Geständnis und „eine längere Verfahrensdauer in Ungarn zur ersten bereits länger zurückliegenden Vorstrafe“, erschwerend zwei einschlägige Vorstrafen, das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, das vielfache Überschreiten der Grenzmenge und „die führende Tatbeteiligung im Sinne der Beschaffung des Suchtgifts“; bei D* den bisher ordentlichen Lebenswandel und das reumütige Geständnis mildernd, das vielfache Überschreiten der Grenzmenge und seine Rolle als Initiator der Tat erschwerend.
[4] Gegen dieses Urteil richten sich die rechtzeitig angemeldeten, fristgerecht ausgeführten Berufungen der Angeklagten A* (ON 176), B* (ON 173), C* (ON 175) und D* (ON 172) sowie der Staatsanwaltschaft (ON 163).
Rechtliche Beurteilung
[5] Zu sämtlichen Berufungen generell:
Zu allen Angeklagten sind die erstrichterlichen Strafzumessungsgründe dahingehend zu konkretisieren, dass ihnen jeweils das mehr als 4,2-fache Überschreiten der Übermenge als erschwerend, hingegen die Sicherstellung des tatverfangenen Suchtgifts im Sinne des § 34 Z 13 StGB als mildernd anzurechnen ist (RIS-Justiz RS0088797). Für alle Angeklagten erweist sich die Tatbegehung teilweise in Gesellschaft (Faktum I./; vgl RIS-Justiz RS0090930; RS0105898) und – zumal die Angeklagten nach den Urteilskonstatierungen für ihre Tatbeiträge anteilig entlohnt worden wären (ON 140.2,6) und das Gewinnstreben nicht Tatbestandsmerkmal des § 28a Abs 1 und Abs 4 Z 3 SMG ist, demnach die Strafdrohung auch nicht bestimmt – der Umstand, dass die Tat aus Gewinnsucht begangen wurde, erschwerend (RIS-Justiz RS0130193).
[6] Zu den Berufungen betreffend A*:
Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind zunächst dahingehend zu korrigieren, dass der Erschwerungsgrund, dass A* „eine führende Beteiligung im Sinne der Beschaffung des Suchtgifts hatte“, zu entfallen hat. Der Erschwerungsgrund der führenden Beteiligung nach § 33 Abs 1 Z 4 StGB setzt eine dominante Beteiligung an der Tat (13 Os 29/92) bzw eine akzentuierte Einwirkung auf den anderen iS der Schaffung eines besonderen Anreizes zur Tat (EvBl 2003/180) voraus ( Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15§ 33 Rz 4). Dass A* bei der arbeitsteiligen Vorgangsweise der als Mittäter handelnden Angeklagten das Suchtgift über Aufforderung des C* besorgte und abholen ließ, stellt den Erschwerungsgrund nicht her. Von einem geringen Tatbeitrag oder einer untergeordneten Rolle, wie in seiner Berufung behauptet, kann allerdings auch keine Rede sein, wäre doch ohne seinen Tatbeitrag das Suchtgift nicht beschafft worden. Das teilweise Geständnis wurde vom erkennenden Schöffensenat ausreichend mildernd gewichtet. Von einer finanziellen Notlage kann bei A* nicht gesprochen werden. Gab er doch nach eigenen Angaben seine zehn Jahre ausgeübte Tätigkeit als LKW-Fahrer auf und ging anschließend nur mehr Gelegenheitsarbeiten nach, obwohl er die Möglichkeit einer vollen Erwerbstätigkeit hatte, sodass er sich seine behauptete Mittellosigkeit selbst zuzuschreiben hat. Dass generalpräventive Erwägungen bei der Strafbemessung zu berücksichtigen sind, braucht angesichts der einschlägigen Judikatur nicht näher erläutert zu werden (RIS-Justiz RS0090600; RS0091848); RS0087505 [T1]). Auch ausgehend von der korrigierten Strafzumessungslage erweist sich die verhängte Sanktion sowohl spezial- als auch generalpräventiven Erwägungen sowie dem sozialen Unwert ausreichend Rechnung tragend, sodass weder einer Herabsetzung noch eine Erhöhung der Sanktion in Betracht kommt.
[7] Zu den Berufungen betreffend B*:
Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind hinsichtlich dieses Angeklagten zunächst dahingehend zu seinem Nachteil zu korrigieren, dass er nicht zwei, sondern fünf einschlägige Vorstrafen aufweist (Verurteilungen 1 [Einbruchsdiebstahl], 2 [Betrugsdelikt], 4 [Einbruchsdiebstahl], 7 [Kreditbetrug] und 8 [Betrug] der vom Berufungsgericht eingeholten ECRIS- Auskunft ON 10,1 = ident mit ON 111 im erstgerichtlichen Akt). Richtig ist, dass die Vorstrafen schon länger zurückliegen (die letzte einschlägige Vorstrafe stammt aus 2011), was deren Gewicht herabsetzt (RIS-Justiz RS0091522), von einem behaupteten tadellosen Lebenswandel ist der Angeklagte aber weit entfernt. Dass der Angeklagte B* in Österreich unbescholten ist, ist angesichts der Vorgaben des § 73 StGB bedeutungslos. Die Dauer der Untersuchungshaft stellt angesichts des Umstandes, dass diese gemäß § 38 Abs 1 StGB angerechnet wurde, keinen Milderungsgrund dar. Wieso bei B* keine spezialpräventiven Gründe vorliegen sollten, bleibt angesichts der Vorstrafenbelastung und der nunmehrigen Tatbegehung unerfindlich. Er hat schon mehrfach nicht bloß kurzfristig das Haftübel (ECRIS) verspürt, nichts desto trotz verstand er sich zur urteilsgegenständlichen Tatbegehung, was manifestiert, dass er daraus nichts gelernt hat. Dass der Berufungswerber B* Sorgepflichten für ein Kind und eine krebskranke Frau hat, war ihm im Zeitpunkt der Tatbegehung bewusst, konnte ihn aber trotzdem nicht davon abhalten, weshalb nicht erkennbar ist, warum sich seine familiäre Situation mildernd auswirken sollte. Angesichts der überwiegend zum Nachteil des B* korrigierten Strafzumessungsgründe, insbesondere auch der, wenn auch schon längere Zeit zurückliegenden einschlägigen Vorstrafen, kommt eine Herabsetzung der Sanktion nicht in Betracht, sondern ist im Gegenteil der Berufung der Anklagebehörde zu folgen und die Sanktion auf fünf Jahre zu erhöhen.
[8] Zu den Berufungen betreffend C*:
Wie beim Angeklagten A* hat „eine führende Beteiligung im Sinne der Beschaffung des Suchtgifts“ zu entfallen.
C* weist zwei spezifisch einschlägige Vorstrafen auf. Weshalb es sich dabei um Bedachtnahmeurteile handeln sollte, wie dies das Erstgericht festhielt, ist nicht nachvollziehbar. Warum sich „eine längere Verfahrensdauer in Ungarn zur ersten bereits länger zurückliegenden Vorstrafe“ im konkreten Inlandsverfahren auswirken soll, erschließt sich dem Berufungsgericht nicht und hat dieser Milderungsgrund daher zu entfallen. Das reumütige Geständnis wurde vom Erstgericht ausreichend positiv gewichtet. Von einem Wohlverhalten über längere Zeit hindurch kann nur gesprochen werden, wenn der Zeitraum etwa jenem der Rückfallsverjährungsfrist (§ 39 Abs 2 StGB) entspricht. Diese Frist ist angesichts der Verurteilung des C* wegen eines Suchtmitteldelikts am 7. Juni 2019 durch das Amtsgericht Kleve in Deutschland zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Jahr und drei Monaten, welche unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (ON 12, ECRIS Ungarn, Verurteilung 2; eingeholte ECRIS-Auskunft Deutschland) und seiner neuerlichen Tatbegehung zu Faktum III./ im Jahr 2021 bei weitem nicht verstrichen. Im Gegenteil war im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) die Tatbegehung während offener Probezeit zu Faktum III./ schuldaggravierend zu werten. Die als mildernd geltend gemachte lange Verfahrensdauer liegt weder zu Faktum I./ noch zum einbezogenen Verfahren (ON 121) zu Faktum III./ vor. C* erlangte zu Faktum I./ erstmals durch seine am 11. Dezember 2024 erfolgte Festnahme vom Strafverfahren gegen ihn Kenntnis und wurde dieses doch umfangreiche, gegen mehrere Personen unterschiedlicher Nationalitäten geführte Verfahren nach Anklageerhebung am 17. März 2025, Durchführung der Hauptverhandlung und Urteilsfällung in erster Instanz am 2. Mai 2025 am 9. September 2025 rechtskräftig beendet. Zu Faktum III./ erfuhr C* erstmals bei seiner Festnahme am 29. Mai 2021 vom gegen ihn geführten Strafverfahren (ON 121.9) und wurde er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 11. August 2021, GZ **-39 wegen § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG schuldig erkannt (ON 121.39). Aufgrund Berufung der Staatsanwaltschaft wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Strafe (ON 121.43, 121.45) wurde das Urteil nicht rechtskräftig. Da der Angeklagte C* nach seiner am 27. August 2021 erfolgten Enthaftung aus der Untersuchungshaft (ON 121.41) unbekannten Aufenthaltes war, musste er zur Aufenthaltsermittlung (ON 121.49) ausgeschrieben werden und konnte das Rechtsmittelverfahren dadurch erst nach seiner im nunmehrigen Verfahren erfolgten Festnahme und Verhängung der Untersuchungshaft am 14. Dezember 2024 (ON 32) mit Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 17. März 2025, AZ 31 Bs 307/24k (ON 121.68), durch Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und Zurückverweisung an das Erstgericht erledigt werden. Das im zweiten Rechtsgang durchzuführende Verfahren wurde, wie schon oben angeführt, in das gegenständliche Verfahren einbezogen. Da die lange Verfahrensdauer zu Faktum III./ durch das Verhalten des Angeklagten bedingt war, liegt der Milderungsgrund nach § 34 Abs 2 StGB auch dazu nicht vor. Angesichts der zwei spezifisch einschlägigen Vorstrafen und der Tatbegehung während offener Probezeit und während offenen Rechtsmittelverfahrens (jeweils § 32 Abs 3 StGB) war jedoch der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und die verhängte Sanktion auf sechs Jahre zu erhöhen.
[9] Zu den Berufungen betreffend D*:
Das auf Matzka/Zeder/Rüdissersowie auf RIS-Justiz RS0088265 abstellende Berufungsvorbringen, wonach gener-ell keine lineare Proportionalität zwischen Suchtgiftmenge und Strafhöhe herzustellen ist, zitiert unvollständig, weil es auslässt, dass die mengenmäßige deliktsspezifische Gefährdung nach § 32 Abs 3 StGB zu berücksichtigen ist (siehe die obigen Fundstellen). Zudem widerspricht sich das Berufungsvorbringen selbst, indem es einerseits auf das oben Zitierte verweist, andererseits aber ausführt, dass bei der Verhängung einer vierjährigen Freiheitsstrafe keine Variationsbreite mehr für Täter bleibe, die eine weitaus höhere Suchtgiftmenge als die vom Berufungswerber zu vertretende zu verantworten haben. Da das verfahrensgegenständliche Kokain nach den Urteilskonstatierungen bereits an den VE übergeben worden war, liegt Tatvollendung und nicht Versuch, wie vom Rechtsmittelwerber D* behauptet, vor. Zu den Berufungsausführungen zu den Aspekten der Generalprävention ist auf das zu A* Gesagte zu verweisen. Im Gegensatz zum Berufungsvorbringen ist schon angesichts der Initiatorenrolle des D* und der großen Suchtgiftmenge der Handlungs-, Erfolgs- und Gesinnungsunwert, nicht gering, wobei festzuhalten ist, dass die Berufungsausführungen dazu teilweise nichts mit dem vorliegenden Fall zu tun zu haben scheinen (Deutschkenntnisse des D*; 10Angeklagter; Veränderungen an der Außenwelt; Höhe des Schadens). Trotz der korrigierten Strafzumessungslage erweist sich die vom Erstgericht gefundene Sanktion im Ergebnis dem Schuld und Unrechtsgehalt sowie dem hohen sozialen Störwert der Tat entsprechend und sowohl spezial – als auch generalpräventiven Erwägungen ausreichend Rechnung tragend, sodass den Berufungen des Angeklagten D* und der Anklagebehörde der Erfolg zu versagen war.