JudikaturOLG Wien

20Bs329/24i – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
13. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen § 153c Abs 1 StGB über dessen Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe gegen das (Abwesenheits )Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 7. Oktober 2024, GZ **-880.4, unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Jilke im Beisein der Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Wallenschewski, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Berufungsverhandlung am 13. Mai 2025 zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird mit der Maßgabe, dass die Geld-strafe als Zusatzstrafe gemäß §§ 31, 40 StGB zu der mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 5. Juni 2024, rechtskräftig seit 13. Mai 2025, GZ **-836.4, verhängte Strafe zu gelten hat, nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde A* des Vergehens des Vorenthaltens von Dienstnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung nach § 153c Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dieser Gesetzesstelle zu einer Geldstrafe in Höhe von 180 Tagessätzen à neun Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 90 Tage) verurteilt.

Der Privatbeteiligtenanschluss der Österreichischen Gebietskrankenkasse wurde gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO zurückgewiesen.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* im Zeitraum von Juli 2022 bis August 2023 in ** als Dienstgeber Beiträge von Dienstnehmern zur Sozialversicherung dem berechtigten Versicherungsnehmer vorenthalten, indem er als Geschäftsführer und sohin vertretungsbefugtes Organ der B* GmbH Dienstnehmeranteile von Mitarbeitern dieses Unternehmens in Höhe von insgesamt 34.828,67 Euro einbehielt und nicht an die Österreichische Gesundheitskasse abführte.

Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht das Geständnis und die Unbescholtenheit als mildernd, erschwerend hingegen keinen Umstand.

Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 881.1) und fristgerecht ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit (Z 3) und des Ausspruchs über die Strafe (ON 887.2).

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht im Recht.

Gemäß § 427 Abs 1 StPO ist ein Abwesenheitsverfahren zulässig, wenn (kumulativ) es sich bei der abgeurteilten Tat um ein Vergehen handelt, der erwachsene Angeklagte bereits gemäß §§ 164 oder 165 StPO zum Anklagevorwurf vernommen wurde, ihm die Ladung zur Hauptverhandlung persönlich zugestellt wurde (Abs 1), der Vorsitzende (Einzelrichter) die Anwesenheit des Angeklagten zur umfassenden Beurteilung des Anklagevorwurfs nicht für erforderlich hält (Abs 2) und auch kein Anlass zur Annahme besteht, der Angeklagte könnte durch ein unabwendbares Hindernis abgehalten worden sein, in der Hauptverhandlung zu erscheinen (Abs 3; vgl auch Bauer ,WK-StPO § 427 Rz 6; RIS-Justiz RS0101569). "Gehörig" ist die Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung, wenn sie den Voraussetzungen der §§ 79, 80 StPO entspricht. Danach ist sie an den Beschuldigten persönlich und zu eigenen Handen zuzustellen. Ob die Ladung gehörig ist, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen (RISJustiz RS0117620). Auch zur fortgesetzten Hauptverhandlung ist die persönliche Ladung geboten; diesfalls erachtet die Rsp allerdings die mündliche Bekanntgabe des Termins an den anwesenden Angeklagten als hinreichend, wenn dieser in Form einer wirksamen Prozesserklärung auf die schriftliche Ladung verzichtet. Notwendiger Inhalt einer gehörigen Vorladung ist neben der Mitteilung des Verhandlungstermins die Information des Angeklagten über den Gegenstand der Verhandlung und dessen Belehrung über die im Fall seines Ausbleibens zu gewärtigenden Konsequenzen, insbesondere die Möglichkeit der Verhandlung in seiner Abwesenheit (Bauer, aaO § 427 Rz 9, 11). Ist für das Gericht ersichtlich, dass dem Angeklagten ein Erscheinen bei Gericht zufolge eines „unabweisbaren Hindernisses“ (dazu näher Rz 19 f) verwehrt ist, kommt ein Verfahren in Abwesenheit von vornherein nicht in Betracht (Bauer, aaO § 427 Rz 14). Ein solches Hindernis stellt zwar nicht jede, wohl aber eine Verhandlungsunfähigkeit bewirkende Erkrankung dar (Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Rz 243). Das Vorliegen eines unabweisbaren Hindernisses muss nicht nur behauptet, sondern auch nachgewiesen werden (RIS-Justiz RS0101596). Die Entscheidung über dessen Berechtigung obliegt dem – gegebenenfalls durch veranlasste Erhebungen gestützten – Ermessen des zuständigen Gerichts. Maßgebliches Kriterium wird sein, ob der Angeklagte die Hauptverhandlung wegen eines Umstandes versäumt hat, der auch gewissenhafte Menschen in seiner Lage vom Erscheinen abgehalten hätte (Bauer, aaO § 427 Rz 21).

Die Urteilsfällung nach Durchführung (auch nur eines Teils) der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten ist bei sonstiger Nichtigkeit an die Vorgaben des § 427 StPO gebunden, wobei dieser Umstand – soweit hier interessierend - mit Nichtigkeitsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl BaueraaO Rz 24). Beurteilungskriterium der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO ist nicht das bloß objektive Vorliegen eines Sachverhalts, sondern ob das erkennende Gericht seine Pflicht zur Beobachtung der genannten Vorschrift (hier des § 427 Abs 1 StPO) hinreichend wahrgenommen hat. War das Fehlen einer in § 427 Abs 1 StPO genannten Voraussetzung für das Gericht daher bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit erkennbar, ist das ungeachtet dessen gefällte Abwesenheitsurteil mit Nichtigkeit behaftet (vgl Bauer aaO Rz 20, Ratz,WK-StPO § 281 Rz 37, RIS-Justiz RS0120127).

Fallkonkret frustrierte der für den 16. September 2024 angesetzte Hauptverhandlungstermin, da sich die Zeugin entschuldigt hatte. Den in Anwesenheit des Angeklagten, seines Verteidigers und eines Dolmetschers von der Erstrichterin festgesetzten nächsten Termin am 7. Oktober 2024 nahmen die Genannten, somit auch der Angeklagte, „unter Ladungsverzicht und Belehrung über die Folgen“ zur Kenntnis (ON 1.633; ON 9.1 im Verfahren zu 20 Bs 329/24i). Zur Hauptverhandlung am 7. Oktober 2024 erschien der Angeklagte nicht. Sein Verteidiger DDr. Dohr entschuldigte ihn „wegen Erkrankung“ und erklärte, mit der Verhandlung in Abwesenheit nicht einverstanden zu sein sowie eine ärztliche Bestätigung nachzureichen (ON 880.3, 2). Die Vertreterin der Anklagebehörde beantragte in Abwesenheit des Angeklagten zu verhandeln, zumal es keinen Beleg für dessen Verhinderung gebe und der Verteidiger nicht einmal vorbringen könne, welche Krankheit der Angeklagte habe. Daraufhin fasste das Erstgericht gemäß § 427 StPO den Beschluss auf Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten, insbesondere weil weder eine Benachrichtigung noch eine ärztliche Bestätigung vorliege. Sein Verteidiger wies darauf hin, dass aus Datenschutzgründen in keiner Krankenbestätigung ein Krankheitsgrund angeführt sei und er eine Krankmeldung nachreichen werde. Er gehe davon aus, dass ein „Hindernisgrund vorliegt und aufgrund der derzeitigen Corona-Epidemie, die wieder mehr Leute mehr oder weniger bekommen“ (ON 880.3, 3).

Fallkonkret lagen die Voraussetzungen für die Fällung eines Abwesenheitsurteils nach § 427 Abs 1 StPO vor. Der Angeklagte war zur Hauptverhandlung gehörig geladen worden, ihm wurde „nur“ ein Vergehen angelastet und sein rechtliches Gehör wurde insofern gewahrt, als er am 2. November 2023 unter Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache zum schuldspruchgegenständlichen Tatvorwurf als Beschuldigter förmlich zur Sache vernommen worden war (ON 731.10). Mangels Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsmeldung oder einer ärztlichen Bestätigung war für das Gericht im Zeitpunkt der Durchführung der Hauptverhandlung auch nicht ersichtlich, dass der Angeklagte tatsächlich durch ein unabwendbares Hindernis vom Erscheinen abgehalten worden war. Indem der Verteidiger in der Hauptverhandlung unter anderem äußerst unkret ausführte, der Angeklagte sei sonst immer sehr zuverlässig gewesen, weswegen er nun davon ausgehe, dass ein Hinderungsgrund vorliege (ON 880.3, 3), wies er keineswegs nach, dass der Angeklagte durch ein unabwendbares Hindernis in Form einer die Verhandlungsunfähigkeit bewirkenden Erkrankung abgehalten wurde, zur Hauptverhandlung zu erscheinen. Somit waren die Durchführung der Hauptverhandlung und die Fällung des Urteils in Abwesenheit zulässig. Anzumerken ist zudem, dass der Angeklagte – entgegen der Ankündigung des Verteidigers in der Hauptverhandlung am 7. Oktober 2024 – weder in den Tagen danach noch mit dem Rechtsmittel ein ärztliches Attest über eine Krankmeldung vorlegte. Nicht einmal nach Zustellung der Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft Wien, wonach die Erwägungen des Angeklagten, nicht zur Hauptverhandlung zu erscheinen, im Dunkeln geblieben seien und es keinerlei objektivierbare Hinweise für das Vorliegen eines unabweisbaren Hindernisses gebe (ON 3.1.; ON 4), noch eine telefonische Anfrage der Berichterstatterin in der Kanzlei des Verteidigers nach einer ärztlichen Bestätigung (ON 6) veranlassten ihn, zeitnah darzulegen, dass er durch ein unabwendbares Ereignis vom Erscheinen abgehalten worden sei. Somit wurde dieser Nachweis gerade nicht erbracht, weshalb der Nichtigkeitsberufung keine Folge zu geben war.

Auch die Berufung wegen Strafe bleibt erfolglos.

Vorweg ist festzuhalten, dass der Angeklagte zwischenzeitig mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 5. Juni 2024, rechtskräftig seit 13. Mai 2025, GZ **-836.4, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt wurde. Auf dieses Urteil ist bei der gegenständlichen Entscheidung über die Straffrage gemäß § 31 StGB Bedacht zu nehmen, weil die nunmehr abgeurteilten Taten vor diesem Urteil erster Instanz des Landesgerichts Wiener Neustadt begangen worden waren, also eine gemeinsame Aburteilung an sich möglich gewesen wäre (vgl Ratz in WK 2, § 31 Rz 2). Im Hinblick auf diese Bedachtnahmeverurteilung sind die Strafzumessungsgründe zunächst dahingehend zu modifizieren, dass dem Angeklagten die mehrfache Überschreitung der Wertgrenze des § 165 Abs 4 StGB sowie in Ansehung der Vergehen nach §§ 88 und 89 StGB jeweils eine zweifache Qualifizierung, die führende Rolle, die Vielzahl an Angriffen und das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) erschwerend zur Last fällt. Des weiteren sind die vom Erstgericht im Übrigen zutreffend zur Darstellung gebrachten Strafzumessungsgründe dahin zu ergänzen, dass als zusätzlich erschwerend der lange Deliktszeitraum zu werten war. Dagegen verliert das vom Erstgericht mildernd angenommene Geständnis mit Blick auf das zu AZ 20 Bs 286/24s beschriebene, nur marginalst gewertete „Muss-Geständnis“ des Angeklagten an Gewicht. Im übrigen kommt der Milderungsgrund des § 34 Abs 1 Z 2 StGB einem Täter nur zugute, wenn er bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die Tat mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht. Die gerichtliche Unbescholtenheit genügt für sich allein zur Erlangung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 2 StGB nicht, vielmehr ist es zudem erforderlich, dass die Tat mit dem sonstigen Verhalten des Täters in auffallendem Widerspruch steht (RISJustiz RS0091459; RS0091464). Fallkonkret hatte der Angeklagte bereits lange vor dem Deliktszeitraum Kontakt zu illegal geführten IPTV-Vertriebsnetzwerken (vgl. Urteil zu AZ 20 Bs 286/24s), was einem ordentlichen Lebenswandel zuwider läuft.

Dem Angeklagten gelingt es nicht, weitere Milderungsgründe aufzuzeigen, geschweige denn überwiegen – wie im Rechtsmittel vorgebracht – die Milderungs- die Erschwerungsgründe deutlich oder wirkt sich die Eröffnung des Konkursverfahrens über sein Unternehmen mildernd aus (vgl. dazu ON 880.3, 7, wonach der Konkurs am 20. März 2024 aufgehoben worden sei).

Bei rechtbesehener Abwägung der nach dem Vorgesagten korrigierten Strafzumessungslage (§ 32 StGB) und unter dem Aspekt der Verhängung als Zusatzstrafe erweist sich die ausgemittelte Unrechtsfolge bei einem zur Verfügung stehenden Strafrahmen von Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 720 Tagessätzen als schuld- und tatangemessen und somit keiner Reduktion zugänglich. Allenfalls auch nur einen Teil der Geldstrafe nach § 43a Abs 1 StGB bedingt nachzusehen, wäre aus spezialpräventiven Erwägungen kontraindiziert.