JudikaturOLG Linz

12Rs77/25t – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
15. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Peter Sighartner (Kreis der Arbeitgeber) und Franz Lumetsberger (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, Pensionist, **, **-Straße **, nunmehr vertreten durch Dr. Claudia Holzmann, Rechtsanwältin in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch deren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Korridorpension , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Juni 2025, Cgs*-8, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die (Eventual-)Anträge der klagenden Partei, dem Erstgericht einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof aufzutragen bzw das Berufungsgericht möge selbst ein Gesetzesprüfungsverfahren einleiten und einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof stellen, werden zurückgewiesen.

Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Korridorpension ab 1. April 2024 inklusive des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG im verfassungskonformen Ausmaß zu leisten, wird abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1. Oktober 2024 monatlich eine Korridorpension von brutto EUR 2.711,46 unter Berücksichtigung seither erfolgter Anpassungen und unter Anrechnung bereits erhaltener Zahlungen zu gewähren.

Die klagende Partei hat die Kosten des Verfahrens selbst zu tragen.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 9. Oktober 2024 anerkannte die Beklagte den Anspruch des Klägers auf eine Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 und 5 APG ab 1. Oktober 2024 in einer Höhe von monatlich EUR 2.711,46 brutto.

Der Klägerbegehrte mit der gegen diesen Bescheid rechtzeitig erhobenen Klage die Gewährung des Erhöhungsbetrags nach § 34 APG. Das Dienstverhältnis des Klägers habe am 30. September 2024 geendet. Der Kläger sei im Jahr 2024 nicht arbeitslos gewesen. Bei verfassungskonformer Interpretation der maßgeblichen Bestimmung stehe dem Kläger der Erhöhungsbetrag zu.

Die Beklagtebestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass die Voraussetzungen des § 34 Abs 1 Z 3 APG nicht erfüllt seien, zumal der Kläger vor Inanspruchnahme der Korridorpension nicht arbeitslos gewesen sei.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht (ohne Bescheidwiederholung) die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es folgenden (zusammengefassten) Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war seit dem 25. Dezember 1983 bei der C* Aktiengesellschaft und seit 1. Juni 2016 zudem bei D* beschäftigt. Beide Dienstverhältnisse löste der Kläger aufgrund seines Pensionsantritts mit 30. September 2024 auf. Zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Korridorpension mit 1. Oktober 2024 weist der Versicherungsverlauf des Klägers keine vorangehende Arbeitslosigkeit auf.

Bis zum Stichtag (1. Oktober 2024) erwarb der Kläger 499 Versicherungsmonate.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass der Kläger nicht die Anspruchsvoraussetzungen für den Erhöhungsbetrag gemäß § 34 Abs 1 Z 3 APG erfülle, da dem Pensionsantritt keine Arbeitslosigkeit vorangegangen sei. Eine Verfassungswidrigkeit der Bestimmung verneinte das Erstgericht unter Bezugnahme auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofs vom 25. Februar 2025 zu G 211/2024-6.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers , mit welcher aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dessen Abänderung in eine Klagsstattgabe angestrebt wird; hilfsweise wird eine Aufhebung und Zurückverweisung beantragt sowie die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens im Wege des Erstgerichts oder durch Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof durch das Berufungsgericht.

Die Beklagte erstattete keine Berufungsbeantwortung.

Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1Pensionen in der gesetzlichen Pensionsversicherung werden für Versicherte mit Geburtsdatum ab dem 1. Jänner 1955 nach dem Allgemeinen Pensionsgesetz (APG) berechnet. Maßgebend dafür ist das individuelle Pensionskonto gemäß den §§ 10 ff APG, welches ua die Gesamtgutschrift (§ 12 APG) erfasst. Grundsätzlich ist dieses Pensionskonto wertgesichert. Um die Neupensionshöhe der volatilen Inflationslage anzupassen, hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, Pensionen mit Stichtag im Jahr 2024 um einen Erhöhungsbetrag zu ergänzen und dadurch die Alterspensionen sowie die Invaliditäts-, Berufsunfähigkeits- und Erwerbsunfähigkeitspensionen dauerhaft zu erhöhen (vgl AB 2241 BlgNR 27. GP 2 f) – sogenannte Schutzklausel.

1.1Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Korridorpensionen, die im Jahr 2024 angetreten werden, von dieser Schutzklausel erfasst. § 34 Abs 1 APG lautet auszugsweise:

Das Ausmaß folgender Pensionsleistungen ist – im Anschluss an ihre Feststellung nach den §§ 5 und 6 – zu erhöhen (Abs 2), wenn ihr Stichtag nach § 223 Abs 2 ASVG (§ 113 Abs 2 GSVG, § 104 Abs 2 BSVG) in das Kalenderjahr 2024 fällt:

1. […]

2.Korridorpensionen nach § 4 Abs 2, für die am 31. Dezember 2023 bereits die Anspruchsvoraussetzungen – mit Ausnahme der Voraussetzung des Fehlens einer die Pflichtversicherung begründenden Erwerbstätigkeit oder eines die Geringfügigkeitsgrenze nach § 5 Abs 2 ASVG übersteigenden Erwerbseinkommens am Stichtag – vorgelegen sind;

3.Korridorpensionen nach § 4 Abs 2, die infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden;

4. [...]

1.2Demnach sind von der Schutzklausel zum einen alle Korridorpensionen erfasst, für die bereits am 31. Dezember 2023 die Anspruchsvoraussetzungen vorlagen. Dies trifft auf den Kläger nicht zu, da er das 62. Lebensjahr (§ 4 Abs 2 APG) erst im September 2024 vollendete.

1.3Zum anderen ist der Erhöhungsbetrag für jene Korridorpensionen vorgesehen, die infolge der Beendigung des Arbeitslosengeld- oder des Notstandshilfeanspruchs nach §§ 22 und 38 AlVG im Kalenderjahr 2024 angetreten werden. Sogenannte „Direktübertritte“ sind damit vom Schutzbereich des Erhöhungsbetrags ausgeschlossen. Dies entspricht dem klaren Wortlaut des § 34 Abs 1 Z 3 APG.

2Die Berufung erachtet eine rein am Wortlaut haftende Interpretation des § 34 Abs 1 Z 3 APG durch das Erstgericht als verfehlt, da sie den klaren Zweck der Norm missachte und zu einer sachlich nicht begründbaren Ungleichbehandlung führe.

2.1Gesetze sind nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB auszulegen. Die Wortauslegung steht dabei am Beginn aller Interpretationsbemühungen ( P. Bydlinski in KBB 7§ 6 ABGB Rz 3 mwN). Eine darüber hinausgehende Auslegung ist erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist (OGH 10 ObS 142/16d [Pkt 3.1] mwN), wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenzen jeglicher Auslegung absteckt (RIS-Justiz RS0016495).

2.2Nach diesen Kriterien ist der Wortlaut der Bestimmung des § 34 Abs 1 Z 3 APG eindeutig, spricht er doch von der Beendigung des Arbeitslosengeldanspruchs , worunter keinesfalls die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses verstanden werden kann.

2.3Dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales ist auch der Wille des Gesetzgebers, der sich mit dem Wortlaut des § 34 Abs 1 Z 3 APG deckt, zu entnehmen: „[…] Nicht umfasst sind somit Korridorpensionen des Zugangsjahres 2024 ohne vorangehende Arbeitslosigkeit (und ohne Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen schon 2023), da in diesen Fällen der Zeitpunkt des Pensionsantritts durchaus in der Disposition der Versicherten liegt. […]“ (AB 2241 BlgNR 27. GP 2)

3 Die Berufung sieht eine „Fehlinterpretation des Gleichheitssatzes und der Sachlichkeit“ gegeben und behauptet eine Ungleichbehandlung von Korridorpensionen des Jahres 2024 „aus der Arbeitslosigkeit“ und jenen „aus der Beschäftigung“.

3.1Eine Regelung ist nicht schon dann gleichheitswidrig, wenn ihr Ergebnis nicht in allen Fällen als befriedigend angesehen wird (RIS-Justiz RS0053882). Dem Gesetzgeber steht verfassungsrechtlich insoweit ein Gestaltungsspielraum zu, als er in seinen rechts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen frei ist. Gerade im Sozialversicherungsrecht ist eine durchschnittliche Betrachtungsweise erforderlich, die auf den Regelfall abstellt und damit Härten in Einzelfällen nicht ausschließen kann (RIS-Justiz RS0053889). Das aus dem Gleichheitsgrundsatz abgeleitete Sachlichkeitsgebot wäre nur dann verletzt, wenn der Gesetzgeber zur Zielerreichung völlig ungeeignete Mittel vorsieht oder wenn die vorgesehenen, an sich geeigneten Mittel zu einer sachlich nicht begründbaren Differenzierung führen (RIS-Justiz RS0058455).

3.2Die Korridorpension gemäß § 4 Abs 2 APG ermöglicht bei einer langen Versicherungsdauer einen vorzeitigen Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter jedoch mit entsprechenden Abschlägen (§ 5 Abs 2 APG). Erfüllt der Versicherte die Voraussetzungen für den Bezug einer Korridorpension (Antrittsalter und Mindestanzahl an Versicherungsmonaten), so beendet dieser Umstand nicht „automatisch“ (ex lege) ein aufrechtes Beschäftigungsverhältnis und einen damit zusammenhängenden Entgeltanspruch. In der Regel liegt es daher im Ermessen der Erwerbstätigen, ob sie die Korridorpension in Anspruch und die damit verbundenen Abschläge in Kauf nehmen oder ob sie letztere durch ein Weiterarbeiten bis zum Erreichen des Regelpensionsalters vermeiden wollen. Demgegenüber besteht für Arbeitslose gemäß § 22 AlVG grundsätzlich keine Wahlmöglichkeit zwischen der Inanspruchnahme einer bereits zustehenden Korridorpension und einem (die Pensionshöhe noch steigernden) Weiterbezug von Arbeitslosengeld (vgl Schrattbauer in Pfeil/Auer-Mayer/Schrattbauer, AlV-Komm § 22 AlVG Rz 11 [Stand 1.12.2023, rdb.at]). Lediglich jene Arbeitslose, die die Voraussetzungen für die Korridorpension bereits erfüllen und deren letztes Beschäftigungsverhältnis in einer der im Gesetz genannten – dem Dienstnehmer nicht vorwerfbaren Form – beendet wurde, können dennoch maximal für ein Jahr lang Arbeitslosengeld beziehen (§ 22 Abs 1 zweiter Satz AlVG).

3.3 Erachtet es daher der Gesetzgeber mit Blick auf die Wahlmöglichkeit der Versicherten für notwendig, Korridorpensionen „aus der Arbeitslosigkeit“ und „aus der Beschäftigung“ unterschiedlich zu behandeln, so kann darin keine unsachliche Differenzierung erblickt werden.

3.4 Die Berufung argumentiert, dass im Fall des Weiterarbeitens ein finanzieller Nachteil durch die verzögerte Aufwertung des Pensionskontos dennoch eingetreten wäre und der Kläger lediglich die Wahl zwischen zwei finanziell nachteiligen Optionen gehabt hätte, ohne dies jedoch näher darzulegen. Im Fall der Korridorpension beträgt jedoch der jährliche Abschlag immerhin 5,1 %. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis zu G 197/2023 ua auch klargestellt, dass kein aus dem verfassungsrechtlich garantierten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums abgeleitetes Recht besteht, Sozialleistungen oder Pensionszahlungen irgendeiner Art oder Höhe zu erhalten, solange dies nicht im innerstaatlichen Recht vorgesehen ist (OGH 10 ObS 1/25g [Rz 12]).

3.5 Mit der Behauptung, arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen zu sein, zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Pension zu gehen, verstößt der Kläger gegen das Neuerungsverbot. Er verkennt auch, dass er mit Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung – wenn auch schon im Jahr 2011 – über seinen Pensionsantritt selbst disponierte. Dass er zum Abschluss einer solchen Vereinbarung (gesetzlich) verpflichtet gewesen wäre, behauptet nicht einmal der Kläger selbst. Die unterlassene Parteienvernehmung des Klägers stellt damit keinen Verfahrensmangel dar.

Der Kläger wird auch nicht gegenüber jenen Versicherten schlechter gestellt, die sich in die Arbeitslosigkeit begeben haben, um einen Erhöhungsbetrag nach § 34 APG zu erlangen, hatte doch auch diese Personengruppe eine entsprechende Wahlmöglichkeit (vgl OLG Linz 12 Rs 30/25f, 12 Rs 38/25g).

4Demnach sind verfassungsrechtliche Erwägungen kein Grund für die von der Berufung angestrebte, schon mit dem Wortlaut des § 34 Abs 1 Z 3 APG nicht in Einklang zu bringende Interpretation. Eine Analogie ist hier jedenfalls unzulässig, weil der Gesetzeswortlaut und die klare gesetzgeberische Absicht in die Gegenrichtung weisen (RIS-Justiz RS0106092 [T2]).

5Aus den dargelegten Gründen besteht auch kein Anlass, einen Antrag auf Gesetzesprüfung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Nach ständiger Rechtsprechung kommt den Parteien ein diesbezügliches Antragsrecht nicht zu; ein solcher Antrag ist daher zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0058452). Eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz ist nicht gegeben.

Dem Kläger wäre es überdies frei gestanden, selbst einen Parteiantrag auf Normenkontrolle aus Anlass seiner Berufung beim Verfassungsgerichtshof einzubringen.

6Der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen. Die im bekämpften Bescheid zuerkannte Leistung ist mit Urteil neuerlich zuzusprechen (RIS-Justiz RS0085721), was von Amts wegen im Berufungsverfahren in Form einer Maßgabebestätigung nachzuholen war (vgl Sonntag in Sonntag/Köck, ASGG § 71 Rz 25 mwN).

7Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenersatz nach Billigkeit trotz vollständigen Unterliegens wurden vom Kläger weder dargelegt noch ergeben sich diese aus der Aktenlage. Zudem war das Verfahren weder mit rechtlichen noch tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden.

8Die ordentliche Revision ist gemäß § 502 Abs 1 ZPO aufgrund des eindeutigen Gesetzeswortlauts nicht zulässig.