1R58/25t – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Rekursgericht durch Senatspräsident Dr. Wolfgang Seyer als Vorsitzenden und die Richter Dr. Christoph Freudenthaler und Mag. Hermann Holzweber in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. A*, LL.B., P LL.M. als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der B* GmbH , FN **, **gasse **, **, gegen die beklagte Partei C* GmbH , FN **, **, **, vertreten durch Grassner Lenz Thewanger Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen EUR 139.930,80, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes Steyr vom 17. April 2025, Cg**-18, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise dahin Folge gegeben, dass der angefochtene Beschluss in seinen Punkten 1. und 3. bestätigt und in seinem Punkt 2. so abgeändert wird, dass dieser lautet:
„2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil vom 25. September 2024 wird zurückgewiesen“.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.431,86 (darin EUR 405,31 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Revisionsrekurs gegen die Entscheidung über den angefochtenen Punkt 1. ist jedenfalls unzulässig.
Der Revisionsrekurs gegen die Entscheidung über den angefochtenen Punkt 2. ist gemäß § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Text
Begründung:
Die klagende Partei begehrte mit ihrer am 8. August 2024 eingebrachten Klage, die beklagte Partei zur Zahlung ihrer offenen Forderungen aus ihren Rechnungen RE1* von EUR 49.249,40 und RE2* von EUR 90.671,40, somit insgesamt von EUR 139.930,80 samt Zinsen von 9,2 % über den Basiszinssatz aus EUR 49.249,40 seit 15. Juni 2024 und aus EUR 90.671,40 seit 17. Juli 2024 zu verpflichten. Die Klage samt dem Auftrag zur Klagebeantwortung wurde der beklagten Partei am 14. August 2024 durch Hinterlegung zugestellt und von dieser am 27. August 2024 behoben. Nach Ablauf der Klagebeantwortungsfrist erließ das Erstgericht entsprechend dem Antrag der klagenden Partei (ON 3) am 25. September 2024 ein klagsstattgebendes Versäumungsurteil (ON 4). Dieses wurde der beklagten Partei am 1. Oktober 2024 durch Hinterlegung zugestellt und von dieser am 2. Oktober 2024 behoben.
Nachdem die beklagte Partei zunächst am 22. Jänner 2025 die Freischaltung der elektronischen Akteneinsicht beantragt hatte, stellte die beklagte Partei mit der Eingabe vom 31. Jänner 2025 den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung, in eventu gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil vom 25. September 2024. Gleichzeitig holte die beklagte Partei die versäumten Prozesshandlungen (Klagebeantwortung und Widerspruch gegen das Versäumungsurteil) nach. Die beklagte Partei brachte zusammengefasst vor, ihr Mitarbeiter Ing. D* E* habe das Zustellstück (Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung) am 27. August 2024 übernommen und dem Geschäftsführer der beklagten Partei zur Kenntnis gebracht. Über die klagsgegenständlichen Forderungen hätten die Streitparteien bereits vor Zugang dieser Zustellstücke gesprochen. Nach Kenntnisnahme dieser Poststücke habe der Geschäftsführer der beklagten Partei mit der klagenden Partei Vergleichsgespräche geführt, bei denen eine Einigung erzielt habe werden können. Bei diesen Gesprächen habe die klagende Partei der beklagten Partei die Klagebeantwortungsfrist um zwei Wochen erstreckt, weil beabsichtigt gewesen sei, einen Vergleich zu schließen. Die angestrebte Einigung habe dann auch erzielt werden können. Der rechtsunkundige Geschäftsführer der beklagten Partei sei daraufhin davon ausgegangen, dass die der Klage zugrunde liegenden Forderungen damit materiell und prozessual erledigt seien. Durch die Zusage der Verlängerung der Klagebeantwortungsfrist habe die klagende Partei die beklagte Partei in Irrtum geführt. Von der Existenz des Versäumungsurteils habe die beklagte Partei erst am 21. Jänner 2025 durch die Exekution erfahren. Wenngleich das Versäumungsurteil der beklagten Partei bereits am 1. Oktober 2024 durch Hinterlegung zugestellt und von dieser am 2. Oktober 2024 übernommen worden sei, so sei die Widerspruchsfrist nur wegen einer entschuldbaren Fehlleistung des bislang äußerst verlässlich gewesenen Mitarbeiters der beklagten Partei Ing. D* E* versäumt wurden. Denn Ing. D* E* habe in Abstimmung mit dem Geschäftsführer dieses Zustellstück auf den Schreibtisch des Geschäftsführer gelegt und diesen Schreibtisch später einmal zusammengeräumt. Bei diesem Zusammenräumen sei das Versäumungsurteil irrtümlich unter andere, weniger wichtige Unterlagen gelangt und sei mit diesen ungesehen abgelegt worden. Wäre das Versäumungsurteil nicht in Verstoß geraten, hätte die beklagte Partei dagegen Widerspruch erhoben.
Die klagende Parteisprach sich gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus und äußerte, der Wiedereinsetzungsantrag sei verfristet, weil die beklagte Partei ohnehin zugestanden habe, von der Klagsschrift und der damit verbunden gewesenen Frist Kenntnis gehabt zu haben. Es sei ihr spätestens am 2. Oktober 2024 ein weiterer „Verfahrensschritt“ bekannt gewesen. Ab diesem Zeitpunkt habe die Frist des § 148 Abs 2 ZPO zu laufen begonnen. Zwischen den Parteien sei niemals eine – rechtlich ohnehin unzulässige – Verlängerung einer prozessualen Frist besprochen worden. Es sei auch die behauptete Einigung über die Klagsforderung nicht zu Stande gekommen. Sollte tatsächlich das Versäumungsurteil bei der beklagten Partei „in Verstoß geraten“ sein, so treffe diesbezüglich die beklagte Partei ein massives Organisationsverschulden, weil bei dieser keine Aufzeichnungen, kein Geschäftskalender, keine Kontrolle der Betriebsabläufe und tagelang keine Postdurchsicht stattfinde. Der beklagten Partei bzw ihren Geschäftsführer sei daher eine grobe Fahrlässigkeit an der Versäumnis anzulasten.
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (1.) sowohl gegen die Versäumung der Frist zur Beantwortung der Klage als auch (in Punkt 2.) gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil ab.
Es stellte nach unmittelbarer Aufnahme der als Bescheinigungsmittel geführten Personalbeweise folgenden Sachverhalt als bescheinigt fest:
Die Bearbeitung der Post ist bei der beklagten Partei grundsätzlich so organisiert, dass die Mitarbeiterin Frau F* die Post vom Zusteller entgegennimmt. Rechnungen werden von ihr digitalisiert und Schreiben an die zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet. Alle Behörden- und Gerichtsschreiben werden auf den Schreibtisch des Geschäftsführers der beklagten Partei gelegt. Nimmt Frau F* Home-Office in Anspruch, nimmt ein anderer Mitarbeiter die Post entgegen. Hinterlegte Rsb-Briefe werden vom Mitarbeiter Ing. E* von der Post abgeholt und dem Geschäftsführer der beklagten Partei auf den Schreibtisch gelegt. Hält sich der Geschäftsführer der beklagten Partei mehrere Tage nicht im Büro auf, wird er per Email von der Zustellung wichtiger Schriftstücke informiert. Ob das Schriftstück selbst eingescannt und mitübermittelt wird, entscheidet Ing. E*.
Für Behörden- und Gerichtsschreiben ist im Büro des Geschäftsführers der beklagten Partei weder ein gesondertes Fach noch eine farblich hervorstechende oder beschriftete Mappe, auch kein bestimmter Ablageort abseits des Schreibtisches vorgesehen.
Der beklagten Partei wurde die Klage samt dem Auftrag zur Erstattung einer Klagebeantwortung vom 8.8.2024 durch Hinterlegung ab 14.8.2024 zugestellt und am 27.8.2024 Ing. E* ausgefolgt. Im „Auftrag zur Klagebeantwortung“ wurde darauf hingewiesen, dass diese binnen vier Wochen ab Zustellung bei dem Gericht, das die Klage zugestellt hat, eingebracht werden muss.
Nach Zustellung der Klage samt Auftrag zur Erstattung der Klagebeantwortung nahm der Geschäftsführer der beklagten Partei am 4.9.2024 Kontakt mit dem Geschäftsführer der Schuldnerin (klagenden Partei) auf. In diesem Zusammenhang hat die beklagte Partei angeboten, einen Teilbetrag von EUR 30.000 zu begleichen. Zusätzlich wurde seitens der beklagten Partei ein sehr großer Auftrag für die Schuldnerin in Aussicht gestellt, sofern Letztere von der Klage absehen würde. Beim Telefonat wurde im Detail nicht über den Verfahrensablauf hinsichtlich Klage und Fristenlauf gesprochen. Daraufhin teilte der Geschäftsführer der Schuldnerin mit, dass sie über die Klage weitersprechen können, sofern innerhalb von zwei Wochen der besagte Auftrag erteilt wird. Nachdem die Schuldnerin einen Zahlungseingang in Höhe von EUR 30.000 verbuchen konnte, teilte deren Geschäftsführer am 12.9.2024 per Email mit, nun die zweiwöchige Nachfrist der Klage abzuwarten. Zu diesem Zeitpunkt ging der Geschäftsführer der Schuldnerin irrtümlich davon aus, dass die verbleibende Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung noch zwei Wochen betragen würde. Am 16.9.2024 fand ein persönliches Gespräch zwischen den Parteien statt, in dem das Projekt im Detail besprochen wurde. Im Zuge dessen wurde unter anderem thematisiert, dass die Schuldnerin ein Angebot für die Planung des Großauftrages errichten sollte. Dieses Angebot wurde per Mail am 17.9.2024 von der Schuldnerin übermittelt. Eine Rückmeldung seitens der beklagten Partei ist jedoch erst am 14.10.2024 erfolgt, da das Angebot im Spam-Ordner gelandet ist. Sodann hat sich die beklagte Partei nicht mehr gemeldet. Zu einer Auftragserteilung ist es nicht gekommen. Der Geschäftsführer der beklagten Partei hat – ohne dies mit der Schuldnerin zu besprechen - angenommen, dass die Schuldnerin das Gericht über diese Vergleichsgespräche informieren werde. Der Geschäftsführer der beklagten Partei hat weder bei einem Rechtsanwalt nachgefragt noch mit dem Gericht Kontakt aufgenommen.
In weiterer Folge wurde am 25.9.2024 ein Versäumungsurteil erlassen (ON 4), welches durch Hinterlegung zur Abholung ab dem 1.10.2024 an die beklagte Partei zugestellt und am 2.10.2024 Ing. E* ausgefolgt wurde.
Ing. E* legte – in Abwesenheit des Geschäftsführers der beklagten Partei - das behobene Schriftstück auf dessen Schreibtisch in der Nähe des Bildschirms auf anderen Schriftstücken ab. Eine Verständigung per Email erfolgte nicht. 1 oder 2 Tage später rief der Geschäftsführer der beklagten Partei im Büro an und ersuchte, sein Büro aufzuräumen, da in einer halben Stunde eine Besprechung stattfinden würde. Ing. E* räumte aus diesem Grund auch den Schreibtisch auf. Er schlichtete die mittig liegenden Schriftstücke zusammen und legte sie auf der rechten Seite des Schreibtisches ab, wo bereits andere einzelne Zetteln gelegen sind.
Der Geschäftsführer der beklagten Partei hat das Kuvert mit dem Versäumungsurteil erst entdeckt, nachdem die Exekutionsbewilligung des BG Steyr am 17.1.2025 zugestellt wurde.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, die beklagte Partei könne sich auf keinen Rechtsirrtum als Wiedereinsetzungsgrund stützen, denn im Auftrag zur Erstattung einer Klagebeantwortung werde eindeutig angeführt, dass die Klagebeantwortung binnen vier Wochen ab Zustellung der Klage bei dem Gericht, das die Klage zugestellt hat, eingebracht werden müsse. Es sei daher nicht nachvollziehbar, wie die beklagte Partei aus dieser Rechtsbelehrung schließen habe können, dass die klagende Partei dazu ermächtigt sein könnte, diese Frist zu verlängern. Die Versäumung der Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil sei auf eine mangelhafte Organisation der beklagten Partei zurückzuführen. Es sei nicht ausreichend, ein Poststück – so wie es hier der Fall gewesen sei – lediglich ungeöffnet auf den Schreibtisch des Geschäftsführers zu legen. Über ein eigenes Fach, eine markierte Mappe oder einen bestimmten Ablageort abseits des Schreibtisches für Schriftstücke verfüge der Geschäftsführer nicht und die Schriftstücke würden auch nicht regelmäßig eingescannt. Die Versäumung der Frist sei bei dieser mangelhaften Organisation vorhersehbar gewesen und hätte durch zumutbare Maßnahmen verhindert werden können, wie etwa einen bestimmten Ablageort zB am Besprechungstisch anstelle des Schreibtisches, einer eigenen farblich hervorstechenden Mappe oder entsprechender Dokumentation. Das sei insbesondere bei behördlichen Schriftstücken notwendig. Dieses Organisationsverschulden gehe wesentlich über einen minderen Grad des Versehens hinaus.
Gegen diesen Beschluss erhebt die beklagte Partei Rekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung, mit dem sie beantragt, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass ihr die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Beantwortung der Klage, in eventu zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil bewilligt werde.
Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den erstinstanzlichen Beschluss zu bestätigen.
Rechtliche Beurteilung
1. Die beklagte Partei argumentiert, die Frist zur Klagebeantwortung sei verlängerbar und es sei dem Geschäftsführer der beklagten Partei daher keinesfalls vorzuwerfen, von einer derartigen Verlängerung ausgegangen zu sein, wenn ihm dies die klagende Partei zugesichert habe. Mangels eines Schriftformgebots für außergerichtliche Vergleiche sei dem Geschäftsführer der beklagten Partei auch nicht vorzuwerfen, von der Wirksamkeit des geschlossenen mündlichen Vergleichs ausgegangen zu sein. Es begründe lediglich einen minderen Grad des Versehens der beklagten Partei, auf die mündliche Vereinbarung vertraut und nicht mehr an das Bestehen der Frist zur Klagebeantwortung geglaubt zu haben.
Ein Rechtsirrtum einer Partei – nicht aber eines berufsmäßigen Parteienvertreters – kann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen (Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKom 2§ 146 ZPO Rz 18), wenn dem Wiedereinsetzungswerber an der Unkenntnis des Gesetzes keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist (RS0101980). Leichte Fahrlässigkeit liegt dann vor, wenn der Fehler auch einem sorgfältigen Menschen gelegendlich unterläuft, als grob fahrlässig ist hingegen ein Verhalten dann zu bewerten, wenn dieses auf auffallende Sorglosigkeit des Wiedereinsetzungswerbers zurückzuführen ist, der Fehler also einem ordentlichen Menschen in dieser Form regelmäßig nicht passiert. Stets ist aber im Einzelfall unter Bedachtnahme auf die persönlichen Verhältnisse zu entscheiden, ob das sorgfaltswidrige Verhalten erheblich von dem eines maßgerechten Durchschnittsmenschen abweicht (3 Ob 60/13i mwN). Dabei ist an rechtskundige Personen, insbesondere an berufsmäßige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen, als an rechtsunkundige Parteien (RS0036784).
Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde die beklagte Partei im Auftrag zur Klagebeantwortung (ON 2 = Beilage ./D) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klagebeantwortung binnen vier Wochen ab Zustellung der Klage bei dem Gericht, das der beklagten Partei die Klage zugestellt hat, eingebracht werden muss. Demnach musste der beklagten Partei klar sein, dass sie binnen vier Wochen ab Zustellung (§ 17 Abs 3 dritter Satz ZustG, also ab 14. August 2024) eine Klagebeantwortung beim Erstgericht einzubringen hat. Die Fristenhemmung des § 222 ZPO gilt für die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung nicht (vgl Annerl in Fasching/Konecny 3Band II/3 § 222 ZPO Rz 4). Innerhalb dieser Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung gab es auch – ausgehend vom festgestellten Sachverhalt – keine Erklärung seitens des Geschäftsführers der Klägerin (bzw nunmehrigen Schuldnerin), die der Geschäftsführer der beklagten Partei als „Erstreckung der Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung“ hätte verstehen können. Vielmehr steht fest, dass bei dem Telefonat vom 4. September 2024 im Detail nicht über den Verfahrensablauf hinsichtlich der Klage und den Fristenlauf gesprochen wurde. Eine Irreführung des Geschäftsführers der beklagten Partei über den Fristenlauf durch den damaligen Geschäftsführer der klagenden Partei lässt sich daraus nicht ableiten. Zu dem Zeitpunkt, als der Geschäftsführer der klagenden Partei am 12. September 2024 der beklagten Partei mitgeteilt hat, nun „die 2-wöchige Nachfrist der Klage“ abzuwarten, war die Frist zur Erstattung der Klagebeantwortung bereits abgelaufen (und zwar mit 24.00 Uhr des 11. September 2024). Folgedessen ist diese Erklärung des Geschäftsführers der klagenden Partei für die Säumnis der beklagten Partei mit ihrer Klagebeantwortung nicht kausal. Indem der Geschäftsführer der beklagten GmbH in Kenntnis der Dringlichkeit und trotz der Rechtsbelehrung im Auftrag zur Klagebeantwortung es unterlassen hat, die nötigen Schritte dafür zu setzen, dass fristgerecht eine Klagebeantwortung erstattet wird, liegt ihm und damit der beklagten Partei ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden iSd § 146 Abs 2 letzter Satz ZPO zur Last, das die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erstattung einer Klagebeantwortung ausschließt (vgl 8 ObA 95/99z).
Auf die thematisierte Frage, ob ein Teil in der Lehre vertritt, dass die Klagebeantwortungsfrist verlängert werden könne (vgl dazu Mayr in Fasching/Konecny 3Band III/1 § 230 ZPO Rz 49) ist daher nicht weiter einzugehen.
2. Auch bezüglich der Versäumung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil meint die beklagte Partei, es sei ihr kein grobes Organisationsverschulden anzulasten. Ihr eingerichtetes System der Postbearbeitung genüge den Anforderungen vollkommen, weil die für den Geschäftsführer bestimmten Dokumente auf einer regelmäßig freien und gut einsehbaren Stelle auf seinem Schreibtisch bereit gelegt würden. Das Verhalten des Mitarbeiters Ing. E* sei als Versehen zu werten, welches auch dem sorgfältigsten Mitarbeiter passieren könne. Sollte das Rekursgericht der Ansicht sein, dass die Feststellungen zum System der Postbearbeitung der beklagten Partei nicht hinreichen, so würden dazu als sekundäre Feststellungsmängel Feststellungen zur Größe und Ordnung auf dem Schreibtisch des Geschäftsführers und dazu begehrt, wie der Mitarbeiter Ing. E* das Versäumungsurteil dort deponiert habe und wie Frau F*, die Sekretärin, ihre eigene Organisation für Post und ihre Ablage angelegt habe.
Dazu ist auszuführen:
Wurde die Prozesshandlung durch einen Irrtum versäumt, dann beginnt nach ständiger Rechtsprechung die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung an vorigen Stand mit dessen möglicher Aufklärung, sofern diese durch eine auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RS0036742; RS0036608). Dabei darf zwar kein strengerer Maßstab angelegt werden, als bei der Versäumung der Frist selbst (RS0036827). Ein grobes Verschulden liegt in der Regel vor, wenn der unterlaufene Fehler auf einer mangelhaften Organisation beruht (vgl RS0127149 [insbesondere T1]). Der Lauf der Frist zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrags beginnt - wie ausgeführt - nicht zwingend erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits mit seiner möglichen Aufklärung. Es kommt darauf an, wann das die Versäumung verursachende Ereignis hätte wegfallen können (RS0036608). Ist die Prozesshandlung durch einen Irrtum versäumt worden, beginnt die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dessen möglicher Aufklärung, sofern diese durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben ist (RS0036742). Es kommt also darauf an, wann die Partei die versäumte Prozesshandlung hätte nachholen können (RS0036621).
Im vorliegenden Fall wusste der Geschäftsführer der beklagten Partei – ausgehend von den Feststellungen – jedenfalls seit 4. September 2024 von der vorliegenden Klage samt Auftrag zur Klagebeantwortung. Er verhandelte im Anschluss daran auch mit dem Geschäftsführer der Klägerin über eine Teilzahlung sowie über die Erteilung eines sehr großen Auftrags an die Klägerin, sofern diese „von der Klage absehen würde“. Über den Verfahrensablauf hinsichtlich der Klage und den Fristenlauf wurde dabei aber nicht gesprochen. Obwohl die Klägerin bereits am 17. September 2024 der beklagten Partei ein Anbot gestellt hatte, hat die beklagte Partei (unstrittig Beilage ./B; RS0121557) lediglich am 14. Oktober 2024 geantwortet, die E-Mail gerade im Spam entdeckt zu haben und sich am nächsten Tag dazu am Telefon zu melden. Die angekündigte Rückmeldung der beklagten Partei ist jedoch nicht mehr erfolgt. Ebenso wenig ist es zu einer Auftragserteilung an die Klägerin gekommen.
Wenn sich der Geschäftsführer der beklagten Partei bei dieser Sachlage ohne konkrete Anhaltspunkte für eine Klagsrücknahme über den weiteren prozessualen Verlauf des Verfahrens überhaupt nicht erkundigte und auch nichts unternahm, um seine befristeten Prozesshandlungen vorzunehmen und weder bei Gericht, noch bei einem Rechtsanwalt nachfragte, so ist diese Untätigkeit jedenfalls als grobe Fahrlässigkeit anzusehen. Nach dem festgestellten Sachverhalt bestanden für die Beklagte überhaupt keine objektiven Anhaltspunkte für ihre Annahme, die Klägerin werde das Gericht über Vergleichsgespräche informieren und fristenhemmende oder prozessbeendende Schritte setzen.
Hinzu kommt, dass der Geschäftsführer der Beklagten, wenngleich bei ihr die Bearbeitung der Post so organisiert war, dass hinterlegte RSb-Briefe vom Mitarbeiter Ing. E* behoben und dem Geschäftsführer der beklagten Partei auf den Schreibtisch gelegt werden, was Ing. E* auch mit dem von ihm am 2. Oktober 2024 behobenen Versäumungsurteil so machte, die auf einem Stapel abgelegten Schriftstücke länger als drei Monate liegen ließ, ohne diese durchzusehen. Es gehört zu der üblichen Sorgfalt eines Geschäftsführers einer GmbH, sich regelmäßig einen Überblick zu verschaffen, welche Schriftstücke auf seinem Schreibtisch liegen und die entsprechenden Papierstapel durchzusehen. Indem der Geschäftsführer der beklagten Partei dies unterlassen hat, ist der Beklagten die mögliche Aufklärung ihres Irrtums über die Zustellung des Versäumungsurteils und den Fristenlauf durch auffallende Sorglosigkeit unterblieben. Von einem ordnungsgemäßen Geschäftsführer wäre zu verlangen, sich regelmäßig in kurzen zeitlichen Abständen einen Überblick über alle auf seinem Schreibtisch liegenden Schriftstücke zu verschaffen. Der Wiedereinsetzungsantrag gegen die Frist zur Erhebung eines Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil ist daher als verspätet zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf § 154 ZPO.
Der Revisionsrekurs gegen die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Klagebeantwortung ist gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Der ordentliche Revisionsrekurs gegen den vom Rekursgericht als verspätet zurückgewiesenen Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung des Widerspruchs gegen das Versäumungsurteil als verspätet - insoweit liegt ein abändernder Beschluss vor (vgl RS0044202; RS0044263 [T 1]) -, ist gemäß § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig (vgl dazu 7 Ob 55/07z; 7 Ob 62/07d; 9 Ob 43/11f ua), weil das Rekursgericht seine Entscheidung auf eine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung stützen konnte.