JudikaturOLG Innsbruck

11Bs193/25g – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
16. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Berufung des Angeklagten wegen der Aussprüche über die Schuld und Strafe sowie der Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Ausspruchs über die Strafe gegen das einzelrichterliche Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 12.3.2025, GZ **-14, nach der am 16.9.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. a Ölmez und des Sitzungsvertreters der Oberstaatsanwaltschaft OStA Mag. Willam, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag zu Recht erkannt:

Spruch

Der gegen den Schuldspruch 1.b gerichteten Berufung des Angeklagten wird n i c h t Folge gegeben.

In S t a t t g e b u n g der gegen den Schuldspruch 2. gerichteten Berufung des Angeklagten sowie aus A n l a s s der Berufungen wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen 2. (in diesem ersatzlos) und 1.a, demzufolge auch im Strafausspruch a u f g e h o b e n , die Sache im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs 1.a zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen und im Umfang der übrigen Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

Für das ihm weiterhin zur Last liegende Vergehen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB (1.b) wird der Angeklagte unter Anwendung des § 39 Abs 1a StGB nach § 84 Abs 1 StGB zu einer

Freiheitsstrafe von 15 Monaten

verurteilt.

Mit seiner gegen den Schuldspruch 1.a gerichteten Berufung wird der Angeklagten auf die Kassation dieses Schuldspruchs und werden darüber hinaus die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen auf die Strafneubemessung verwiesen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch ein nicht angefochtenes Adhäsionserkenntnis zum Schuldspruch 1.b enthält, wurde A* jeweils eines Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (zu 1.a), der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 1 StGB (zu 1.b) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (zu 2.) schuldig erkannt.

Danach hat er am 24.08.2024 in **

Hiefür verhängte der Einzelrichter unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 84 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und verurteilte den Angeklagten gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens.

Gegen das Urteil richtet sich die unmittelbar nach Urteilsverkündung vom unvertretenen Angeklagten angemeldete „volle Berufung“ (ON 13, 13), die er schriftlich nicht ausführte und die als Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld und die Strafe, jedoch mit Blick auf das Anerkenntnis des Privatbeteiligtenanspruchs in der Hauptverhandlung (ON 13, 8) nicht auch als Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche zu werten ist (RIS-Justiz RS0101767).

Auch die Staatsanwaltschaft meldete sogleich Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe an (ON 13, 13), die sie in der Folge fristgerecht ausführte (ON 15) und die unter Bemängelung einer unrichtigen Gewichtung der Strafzumessungsgründe darauf anträgt, die Strafe schuld- und tatangemessen zu erhöhen.

Der Angeklagte machte von der Möglichkeit zur Erstattung von Gegenausführungen keinen Gebrauch.

Die Oberstaatsanwaltschaft vertrat in ihrer schriftlichen Stellungnahme, zur der sich der Angeklagte nicht äußerte, den Standpunkt, dass den Schuldsprüchen 1.a und 2. materielle Nichtigkeit anhafte, darüber hinaus der Schuldberufung keine Berechtigung zukomme und bei einer allfälligen Strafneubemessung durch das Oberlandesgericht § 39 Abs 1a StGB zur Anwendung gelange. In der Berufungsverhandlung wurde der Einwand materieller Nichtigkeit in Ansehung des Schuldspruchs 2. zurückgenommen.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass der Berufungen überzeugte sich das Oberlandesgericht zunächst davon (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO), dass dem Schuldspruch 1.a eine sich zum Nachteil des Angeklagten auswirkende, von diesem jedoch nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a iVm § 489 Abs 1 StPO) anhaftet, auf welche auch die Oberstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme hinweist. Dem Urteil sind keine Feststellungen zur Ernstlichkeit der inkriminierten Äußerung und einem darauf bezogenen Vorsatz des Angeklagten zu entnehmen (RIS-Justiz RS0092437, RS0089063; Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 74 Rz 23, 34). Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des angefochtenen Urteils im Schuldspruch 1.a, demzufolge auch im Strafausspruch sowie Rückverweisung der Sache im Umfang des aufgehobenen Schuldspruchs an das Erstgericht.

Mit seiner gegen den Schuldspruch 1.a gerichteten Berufung war der Angeklagten auf die Kassation dieses Schuldspruchs zu verweisen.

Hinsichtlich der verbleibenden Schuldsprüche 1.b und 2. unterzog das Oberlandesgericht Innsbruck aufgrund der angemeldeten, schriftlich unausgeführt gebliebenen Schuldberufung die diesen Schuldsprüchen zugrundeliegenden (entscheidenden) Sachverhaltsannahmen einer Überprüfung anhand des Akteninhalts. Diese ergab hinsichtlich des Schuldspruchs 1.b keine Bedenken an deren Richtigkeit. Der Erstrichter konnte sich sowohl vom Angeklagten als auch von den vernommenen Zeugen B* und D* (alle in ON 13) ein Bild verschaffen und begründete unter Verwertung dieses persönlichen Eindrucks in einer auf alle erheblichen, in der Hauptverhandlung vorgekommenen Verfahrensergebnisse eingehenden Beweiswürdigung schlüssig, widerspruchsfrei und überzeugend, weshalb er den leugnenden Depositionen des Angeklagten nicht zu folgen vermochte und insbesondere mit Blick auf das vorliegende Video die Tat in objektiver Hinsicht als erwiesen annahm. Diese ausführliche Beweiswürdigung wird vom Oberlandesgericht ausdrücklich geteilt. Ausgehend von diesen Feststellungen hat der Einzelrichter auch unbedenklich auf die innere Tatseite des Angeklagten bei einer lebensnahen Betrachtung des äußeren Geschehens unter Berücksichtigung der konkreten Tatmodalitäten und der Begleitumstände der Tat geschlossen. Damit hat es hinsichtlich Schuldspruch 1.b bei den erstgerichtlichen Urteilsannahmen zu bleiben. Diese tragen im Übrigen auch den Schuldspruch, weshalb amtswegiges Einschreiten hier nicht erforderlich war.

Betreffend den Schuldspruch 2. kamen allerdings Bedenken an der inhaltlichen Richtigkeit der zu diesem Schuldspruch führenden entscheidenden Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite auf, weil das Erstgericht diese ohne weitere Begründung ausschließlich aus der objektiven Tatseite ableitete und damit nicht nachvollziehbar überprüfbar ist, weshalb das Erstgericht davon ausging, dass es der Angeklagte bei der Tat (1.b), bei der er mit Misshandlungsvorsatz handelte, zudem auch eine Beschädigung einer fremden Sache in seinen zumindest bedingten Vorsatz aufnahm.

Unter Zugrundelegung des in erster Instanz aufgenommenen Protokolls über die Hauptverhandlung (§ 473 Abs 2 zweiter Satz iVm § 489 Abs 1 StPO; eine Beweiswiederholung nach dem ersten Satz leg cit war nicht erforderlich, weil die bedenklichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite nicht auf Aussagen von Zeugen oder Sachverständigen gründeten und auch der Sitzungsvertreter der Oberstaatsanwaltschaft nach Erörterung keine Beweisanträge stellte) trifft das Oberlandesgericht nachangeführte, vom Ersturteil abweichende Urteilsannahmen zur subjektiven Tatseite:

Ob es der Angeklagte zu 1.b, sohin beim Werfen der drei gefüllten 0,5 l Bierdosen und einer gefüllten 0,5 l Getränkeflasche auf B* neben dem konstatierten Misshandlungsvorsatz zudem zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, eine fremde Sache, nämlich einen Monitor der C*-Tankstelle, zu beschädigen, ist nicht feststellbar.

Zu diesen abweichenden Urteilsannahmen gelangte das Oberlandesgericht aufgrund nachstehender Beweiswürdigung:

Der Angeklagte gab an, dass er aufgrund der Auseinandersetzung mit B*, deren Ablauf er im Übrigen abweichend von diesem schilderte, sicher in Rage gewesen sei, dies nicht zuletzt aufgrund der ihm durch B* zugefügten Verletzung am Auge, und er diesen deshalb mit Gegenständen beworfen habe. Es sei eine „Impulshandlung“ gewesen, er habe sicher überreagiert. In Zusammenschau mit dem vorliegenden Video, wonach der Angeklagte unmittelbar hintereinander im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit (zum Begriff vgl RIS-Justiz RS0122006) zunächst zwei Bierdosen, sodann eine Getränkeflasche und schließlich erneut eine Bierdose gezielt aus kurzer Entfernung nach B* warf, diesen auch wiederholt traf und dabei nach den erstrichterlichen Feststellungen mit Misshandlungsvorsatz handelte und demnach den B* treffen wollte, ist für das Oberlandesgericht nicht mit einer in einem Strafverfahren erforderlichen Sicherheit feststellbar, dass er es zusätzlich zum Misshandlungsvorsatz auch zumindest ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, eine fremde Sache zu beschädigen. Vielmehr geht das Oberlandesgericht bezüglich der Beschädigung der fremden Sache von Fahrlässigkeit aus (zur Rechtsfigur des aberratio ictus vgl Huber in Leukauf/Steininger, StGB 5 § 7 Rz 17a f mwN)

Weil aber Fahrlässigkeit Strafbarkeit nach § 125 StGB nicht begründet, war in teilweiser Stattgebung der Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld das angefochtene Urteil im Schuldspruch 2. ersatzlos (zur Unzulässigkeit eines Subsumtionsfreispruchs vgl RIS-Justiz RS0120128, RS011553) aufzuheben.

Bei der infolge Teilaufhebung des Urteils notwendig gewordenen Strafneubemessung hinsichtlich des verbleibenden Schuldspruchs 1.b war die Strafe mit Blick auf die Eintragungen 2 und 4 der Strafregisterauskunft in Anwendung des § 39 Abs 1a StGB innerhalb eines Strafrahmens von bis zu viereinhalb Jahren auszumessen. Dabei war kein Umstand mildernd zu berücksichtigen. Demgegenüber waren drei einschlägige Vorstrafen erschwerend zu werten, ebenso die zweifache Qualifikation der schweren Körperverletzung und die Tatbegehung während offener Probezeit zu ** des Bezirksgerichts Innsbruck.

Das Vorliegen der Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1a StGB bildet zwar keinen zusätzlichen eigenständigen Erschwerungsgrund, verstärkt aber das Gewicht des besonderen Erschwerungsgrunds nach § 33 Abs 1 Z 2 StGB.

Unter Berücksichtigung der genannten Milderungs- und Erschwerungsgründe, der allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung im Sinn des § 32 StGB und des erweiterten Strafrahmens ist eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten tat- und schuldangemessen.

Die gesetzlich geforderte günstige Prognose nach § 43 Abs 1 StGB kann fallkonkret schon mit Blick auf die Vorstrafenbelastung, die bereits die Strafschärfung nach Rückfall nach § 39 Abs 1a StGB begründet und den Rückfall innert gewährter Probezeit in einschlägige Delinquenz nicht getroffen werden. Deshalb scheitern daran auch eine Strafenkombination (§ 43a Abs 2 StGB) sowie eine teilbedingte Strafnachsicht (§ 43a Abs 3 StGB).

Mit ihren gegen den Strafausspruch gerichteten Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Der Kostenspruch ist Folge des Ausgangs des Rechtsmittelverfahrens und stützt sich auf die angeführte Gesetzesstelle.