25Rs35/25w – OLG Innsbruck Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Engers als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Rofner und Mag. Kitzbichler als weitere Mitglieder des Senats (Senatsbesetzung gemäß § 11a Abs 2 Z 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , ohne Berufsangabe, vertreten durch Ing. Mag. Hamza Ovacin, Rechtsanwalt in 6850 Dornbirn, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse , vertreten durch deren Angestellten B*, ebendort, wegen Kinderbetreuungsgeld – hier: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Zurückweisung der Klage – über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 12.6.2025, **-7, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs, dessen Kosten die klagende Partei selbst zu tragen hat, wird keine Folge gegeben.
Der Revisionsrekurs ist hinsichtlich der Wiedereinsetzung jedenfalls unzulässig , hinsichtlich der Klagszurückweisung nicht zulässig.
Text
Begründung:
Mit Bescheid vom 21.2.2025
- widerrief die Beklagte die Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgelds für das Kind der Klägerin für den Zeitraum 18.8.2021 bis 10.10.2022 in Höhe von EUR 24,01 pro Tag;
- wies die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Zuerkennung des pauschalen Kinderbetreuungsgelds für den Zeitraum 15.5.2021 bis 10.10.2022 ab;
- verpflichtete die Beklagte die Klägerin zur Rückzahlung von EUR 8.760,19 binnen vier Wochen.
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin und ihr Kind hätten ihren Lebensmittelpunkt im Zeitraum vom 14.5.2021 bis 10.10.2022 nicht in Österreich gehabt, weshalb die Anspruchsvoraussetzungen des §§ 2 Abs 1 Z 1 KBGG nicht erfüllt seien.
Dieser Bescheid wurde der Klägerin am 25.2.2025 durch Hinterlegung zugestellt.
Dagegen richtete sich die Klägerin , vertreten durch den Klagsvertreter, mit einer am 27.3.2025 beim Erstgericht eingebrachten Bescheidklage, in der sie zusammengefasst argumentierte, den Lebensmittelpunkt in Österreich nicht dauerhaft aufgegeben zu haben (ON 1).
Das Erstgericht übermittelte diese Klage der Beklagten mit dem Auftrag, Vorbringen auch zu deren Rechtzeitigkeit zu erstatten sowie den Zustellnachweis für den angefochtenen Bescheid vorzulegen (ON 2).
Die Beklagtewendete daraufhin mit Eingabe vom 9.4.2025 – unter Vorlage des Zustellnachweises – ein, der Bescheid sei der Klägerin am 25.2.2025 zugestellt worden, weshalb die Klage gemäß § 73 ASGG zurückzuweisen sei (ON 3).
Mit Schriftsatz vom 23.4.2025 (ON 4) beantragte die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Bescheidklage; unter einem brachte sie die Klage neuerlich ein. Begründend argumentierte sie, einem Rechtsirrtum unterlegen zu sein. Sie sei bis zur genannten Eingabe der Beklagten davon ausgegangen, dass der Bescheid erst mit der Abholung bei der Poststelle als „erhalten“ gelte. Demzufolge sei sie der Meinung gewesen, der Bescheid sei ihr am 27.2.2025 zugestellt worden, als sie ihn abgeholt habe. In diesem Glauben habe sie dem Klagsvertreter auch den 27.2.2025 als Empfangsdatum bekannt gegeben, ohne zu erwähnen, dass die Zustellung durch Hinterlegung erfolgt sei. Da sie kein grobes Verschulden treffe, begründe dieser Rechtsirrtum die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
Die Beklagte vertrat in ihrer Äußerung vom 6.5.2025 (ON 6) den Standpunkt, die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung lägen nicht vor. Erkundige sich ein Rechtsanwalt oder die Partei selbst nicht über die relevanten gesetzlichen Bestimmungen oder über die Art und Weise der Zustellung, sei dies als grob fahrlässig zu werten. Der Rechtsanwalt dürfe sich auch nicht uneingeschränkt auf die Auskunft des Mandanten verlassen, sondern müsse in einem Fall wie dem vorliegenden eine Kopie des Rückscheins beim Versicherungsträger anfordern.
Mit dem bekämpften Beschlusswies das Erstgericht den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Klage ab und die eingebrachte Klage infolge Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Zusammengefasst führte es – nach allgemeiner Darstellung der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – aus, der von der Klägerin ins Treffen geführte Grund stelle weder ein unvorhergesehenes noch ein unabwendbares Ereignis dar. Ihre Behauptung, sie sei davon ausgegangen, der Bescheid gelte erst mit der Abholung als „erhalten“, begründe keinen Rechtsirrtum, weil bei Hinterlegungen der Zeitpunkt des Erhalts der Sendung regelmäßig nicht mit dem Zeitpunkt der Zustellung zusammenfalle. Darüber hinaus hätte der Klagsvertreter bei entsprechender Befragung der Klägerin feststellen können, wann diese den Bescheid abgeholt habe. Jedenfalls wäre es ein Leichtes gewesen, diesen „Lapsus“ zu vermeiden, weshalb nicht mehr von leichter Fahrlässigkeit ausgegangen werden könne. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei daher nicht zu bewilligen und die außerhalb der gemäß § 67 Abs 2 ASGG unerstreckbaren Frist von vier Wochen eingebrachte Klage sohin wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückzuweisen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der rechtzeitige Rekurs der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den bekämpften Beschluss dahin abzuändern, dass die Klage nicht zurückgewiesen und die beantragte Wiedereinsetzung bewilligt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer fristgerechten Rekursbeantwortung , dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs erweist sich aus folgenden Erwägungen als nicht berechtigt :
1. Die Rekurswerberin wendet sich gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, der Klagsvertreter wäre verpflichtet gewesen, ihre Angaben zu hinterfragen. Tatsächlich könne ihm eine Fehlleistung nicht vorgeworfen werden, sondern habe er sich auf die Angaben der Klägerin verlassen dürfen. Aufgrund ihrer perfekten Deutschkenntnisse und klaren Angaben, den Bescheid am 27.2.2025 erhalten zu haben, habe für ihn kein Grund bestanden, diese Information in Zweifel zu ziehen. Auch aus dem Datum des Bescheids könne eine Verpflichtung zur Nachforschung nicht abgeleitet werden, weil es der Lebenserfahrung entspreche, dass Entscheidungen nicht am gleichen Tag ausgefertigt würden. Somit hätte insgesamt ein Rechtsirrtum bejaht und davon ausgehend die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden müssen. Das Fehlen der Feststellung, dass der Klagsvertreter zu keinem Zeitpunkt Bedenken hinsichtlich der Angaben der Klägerin haben musste, wird im Übrigen als sekundärer Feststellungsmangel gerügt.
2.Nach herrschender Ansicht ist grobes Verschulden des Vertreters und dessen Hilfskräfte bei Versäumung befristeter Prozesshandlungen im Wiedereinsetzungsverfahren der Partei zuzurechnen (RIS-Justiz RS0036813; RS0111777; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO 5§ 146 Rz 19 mwN aus Lit und Rsp). An rechtskundige Personen – insbesondere an die Parteienvertreter – ist ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige Personen. Rechtsanwälte sind am Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB zu messen; ob ein Abweichen von diesem als grob oder leicht fahrlässig zu qualifizieren ist, muss nach den jeweiligen Umständen beurteilt werden ( Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3II/3 § 146 ZPO Rz 55; GitschthaleraaO Rz 8/2; RIS-Justiz RS0036784).
Richtig ist, dass allein aus dem Datum des Bescheids kein verlässlicher Rückschluss auf das Zustelldatum gezogen werden kann. Der Klagsvertreter hätte sich aber entgegen den Rechtsmittelausführungen nicht auf die Information der Klägerin verlassen dürfen:
Ein sorgfältiger Parteienvertreter muss dem Risiko einer möglichen unrichtigen Information über den Zeitpunkt der Zustellung durch unverzügliche Ergreifung geeigneter Maßnahmen begegnen. Auch eine noch so plausible Behauptung eines Fristenlaufs durch eines rechtsunkundigen Mandanten enthebt ihn nicht mit der Folge von seiner beruflichen Sorgfaltspflicht, dass eine unterbliebene Prüfung des laienhaft behaupteten Zustellvorgangs eine Wiedereinsetzung begründen könnte. Es obliegt ihm daher, die Mitteilungen seines Mandanten über die für die Fristenberechnung maßgeblichen Umstände auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Weder eine kommentarlos angebrachte Einlaufstampiglie des Mandanten noch die mündliche Auskunft von rechtsunkundigen Personen, die mit den gesetzlichen Bestimmungen des Zustellrechts nicht hinreichend vertraut sind, können für einen Rechtsanwalt ein hinreichendes objektives Kriterium zur Ermittlung des Zustelldatums darstellen. Davon ausgehend muss er jedenfalls mögliche und zumutbare Erhebungen pflegen (RIS-Justiz RW0000144; OLG Linz 4 R 43/25h; OLG Innsbruck 2 R 116/18b; Liebhart , Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Ausgewählte Rechtsprechung der Jahre 2013-2018, in ÖJZ 2018/120 mwN).
Die bloße Mitteilung der Klägerin, wann sie den Bescheid „erhalten“ habe, ist sohin nicht geeignet, den Klagsvertreter von seiner beruflichen Sorgfaltspflicht in Zusammenhang mit der Überprüfung der Rechtzeitigkeit der beabsichtigten Klagsführung zu entbinden. Auf eine solche allgemeine Information einer rechtsunkundigen Person hätte er sich nicht verlassen, sondern diese vielmehr auf ihre Richtigkeit hin überprüfen müssen, primär durch entsprechende Nachfrage zur Art und Weise des „Erhalts“ bei der Klägerin selbst (persönliche Übernahme an der Abgabestelle; Abholung nach Hinterlegung) und – soweit dadurch kein eindeutiges Ergebnis zu erzielen gewesen wäre – durch eine ebenfalls leicht mögliche und jedenfalls zumutbare Kontaktaufnahme mit der Beklagten zwecks Rückfrage zum Inhalt des Rückscheins.
Das Argument der Rekurswerberin, der Klagsvertreter wäre nicht verpflichtet gewesen, ihre Angaben zu hinterfragen, verfängt daher nicht. Auch der behauptete sekundäre Feststellungsmangel ist zu verneinen, weil die vermisste „Feststellung“, dass der Klagsvertreter zu keinem Zeitpunkt Bedenken hinsichtlich der Angaben der Klägerin haben musste, in Wahrheit eine rechtliche Beurteilung ist.
3. Losgelöst von den unter 2. dargestellten Erwägungen kann der Rekurs aber bereits deshalb nicht durchdringen, weil sich die Klägerin nicht erfolgreich auf den behaupteten, der Kommunikation mit dem Klagsvertreter vorausgehenden (eigenen) Rechtsirrtum berufen kann, sondern auch ihr leichte Fahrlässigkeit übersteigendes Verschulden vorzuwerfen ist:
Nach ihrer Argumentation sei sie der – unrichtigen – Annahme gewesen, das (rechtlich relevante) Zustelldatum des Bescheids sei jener Tag, an dem sie diesen, nachdem er bei der Poststelle hinterlegt worden war, tatsächlich abgeholt habe.
Zwar kann auch ein Rechtsirrtum einer Partei einen Wiedereinsetzungsgrund bilden, wenn dem Wiedereinsetzungswerber an der Unkenntnis des Gesetzes keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen ist (RIS-Justiz RS0101980; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack ZPO-TaKom 2§ 146 ZPO Rz 18). Hier ist grobe Fahrlässigkeit der Klägerin aber angesichts des Inhalts des Bescheids jedenfalls zu bejahen, zumal in dessen Rechtsmittelbelehrung mit der Formulierung „Sie haben das Recht, diesen Bescheid innerhalb von vier Wochen ab Zustellung durch Klage anzufechten. Wenn der Bescheid beim Postamt hinterlegt wurde, beginnt die Frist mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird“ eine unmissverständliche Klarstellung erfolgte, wann im Fall einer – wie hier – Hinterlegung die Frist zur Erhebung der Klage beginnt.
Bereits aus diesem Blickwinkel ist dem Rekurs sohin ein Erfolg zu versagen.
4.Das Erstgericht hat das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Bescheidklage sohin zutreffend verneint und demzufolge auch die Klage völlig richtig gemäß § 73 ASGG zurückgewiesen (RIS-Justiz RS0085778).
5.Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen der Klägerin noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb die Rekurswerberin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat. Die Beklagte verzeichnete (zutreffend: § 77 Abs 1 Z 1 ASGG) keine Kosten.
6.Da die Verweigerung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keiner Verneinung des Rechtsschutzanspruchs im Sinn einer Klagszurückweisung gleichkommt, ist der Revisionsrekurs diesbezüglich nach §§ 2 Abs 1 ASGG, 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig (RIS-Justiz RS0044487 [T10]; RS0044536 [T1]; RS0105605 [T1]). Dies gilt insbesondere auch bei einem – wie hier – Wiedereinsetzungsantrag gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Klage (10 ObS 150/13a).
Der bestätigende Beschluss über die Zurückweisung der Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen kann nur unter den Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO (hier iVm § 2 Abs 1 ASGG) angefochten werden ( Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO 5 , § 528 Rz 19). Eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung liegt hier aber nicht vor.