JudikaturOLG Innsbruck

11Bs74/25g – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Immaterieller Schaden
17. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat durch den Senatspräsidenten Mag. Dampf als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Hagen und Mag. a Obwieser als weitere Mitglieder des Senats in der Strafsache gegen A* wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB über die Berufung des Angeklagten wegen der Aussprüche über die Strafe und die privatrechtlichen Ansprüche gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 10.4.2024, GZ **-57, nach der am 17.6.2025 in Anwesenheit der Schriftführerin Rp Mag. a Egger, des Sitzungsvertreters der Oberstaatsanwaltschaft OStA Mag. Willam und des Verteidigers RA Dr. Henrik Gunz, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten öffentlich durchgeführten Berufungsverhandlung am selben Tag zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe wird t e i l w e i s e Folge gegeben und über den Angeklagten in Anwendung des § 43a Abs 2 StGB eine Geldstrafe von 360 Tagessätzen, im Uneinbringlichkeitsfall 180 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, und eine unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 10 Monaten verhängt.

Gemäß § 19 Abs 2 StGB wird der Tagessatz mit EUR 35,00 bemessen.

Im Übrigen wird der Berufung n i c h t Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Entscheidungsgründe:

Text

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am ** geborene A* - im zweiten Rechtsgang (zum ersten vgl 14 Os 71/23g) - des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 03.12.2021 in B* eine wehrlose Person unter Ausnutzung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung vornahm, indem er der (ersichtlich gemeint) schlaftrunkenen sowie durch Alkohol, Übelkeit und mangelnde Nahrungsaufnahme geschwächten C* die Hose bis zu den Knien herunterzog, ihre Unterhose zur Seite schob und sodann ihre nackte Vulva streichelte und leckte.

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde wies der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 25.2.2025, GZ 14 Os 2/25p-4, zurück.

Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 205 Abs 2 StGB eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wovon ein Teil im Ausmaß von 12 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Unter einem wurde er gemäß § 366 Abs 2 erster Satz StPO iVm § 369 Abs 1 StPO zur Zahlung von EUR 2.000,-- binnen 14 Tagen an C* sowie gemäß § 389 Abs 1 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt. Mit ihren weiteren Ansprüchen wurde die Privatbeteiligte gemäß § 366 Abs 2 zweiter Satz StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Bei der Strafbemessung wertete das Schöffengericht den bisher ordentlichen Lebenswandel des Angeklagten und den auffallenden Widerspruch der Tat mit seinem sonstigen Verhalten (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) mildernd, besondere Erschwerungsgründe im Sinn des § 33 StGB wurden nicht herangezogen.

Mit seiner Berufung strebt der Angeklagte die Herabsetzung der Freiheitsstrafe an und begehrt darüber hinaus eine bedingte Nachsicht gemäß § 43 Abs 1 StGB in eventu eine Strafenkombination nach § 43a Abs 2 StGB sowie die Verweisung der Privatbeteiligten mit ihren Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg (ON 59).

Während die Staatsanwaltschaft auf die Erstattung von Gegenäußerungen verzichtete (siehe Vermerk bei ON 59), beantragt die Privatbeteiligte, dem Rechtsmittel des Angeklagten keine Folge zu geben (ON 60).

Die Oberstaatsanwaltschaft vertritt in ihrer Stellungnahme den Standpunkt, dass der Berufung nicht Folge zu geben sein werde.

Rechtliche Beurteilung

Dem Rechtsmittel kommt teilweise Berechtigung zu.

Das Schöffengericht hat die Strafzumessungsgründe zutreffend und vollständig erfasst.

Eingangs ist zur Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft anzumerken, dass das Berufungsvorbringen des Angeklagten als Teil seiner Verantwortung bei der Strafzumessung weder im engeren noch weiteren Sinn zu dessen Nachteil heranzuziehen ist.

Soweit der Berufungswerber mit seiner Behauptung, dass sich C* vor der Tat freiwillig habe fotografieren lassen, sich dabei der Kleidung entledigt und dadurch erotische Signale und Botschaften gesendet habe, von einem „gegen die guten Sitten verstoßenden Verhalten“ des Opfers spricht oder dieses als „provokant“ bezeichnet, wird kein Milderungsgrund dargestellt. Nach den getroffenen Feststellungen (schlaftrunkenes und durch Alkohol, Übelkeit und mangelnde Nahrungsaufnahme geschwächtes, wehrloses Opfer, US 5, Punkt 1.2.10) ist gerade nicht von einer schuldmindernden Tatprovokation durch das Opfer auszugehen.

Mit den weiteren Berufungsausführungen, wonach das Opfer ziemlich obszön mit ihren Brüsten und ihrem schwarzen String-Tanga gespielt und während des Fotoshootings sichtlich Spass gehabt habe und dem Angeklagten darüber hinaus aufgrund der schöffengerichtlichen Besetzung (drei Frauen und ein Mann) nicht geglaubt worden sei, dass er beim Fotoshooting in keinster Weise sexuell erregt gewesen sei, werden ebenfalls keine schuldmindernden Umstände geltend gemacht.

Dass die Vorsitzende des Schöffensenats in ihrer mündlichen Begründung einleitend ausgeführt habe, dass der Angeklagte „kein böser Mensch“ sei, begründet ebenso wenig einen mildernden Umstand.

Das unsubstantiierte Vorbringen, „die Staatsanwaltschaft hat wohl aus all diesen Gründen folgerichtig keine Strafberufung erhoben“, ist einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.

Der in der Berufung herangezogene Vergleich mit einem Straffall aus dem Jahr 2024 ist grundsätzlich unzulässig, da ausschließliches Kriterium für die Bemessung der Strafe nur die individuelle Täterschuld in Bezug auf eine konkrete Tat sein kann (RIS-Justiz RS0090736).

Ausgehend von dem einzig vorliegenden und vom Schöffengericht ausreichend in Anschlag gebrachten Milderungsgrund und unter Berücksichtigung allgemeiner Grundsätze der Strafbemessung nach § 32 StGB wäre die verhängte Freiheitsstrafe mit Blick auf die Strafbefugnis von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe keine zu strenge Sanktion, sondern trägt dem sozialen Störwert der Tat und der personalen Täterschuld des Angeklagten Rechnung.

Allerdings liegt der besondere Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB vor, der in die Grundrechtssphäre des Angeklagten reicht.

Nach Art 6 Abs 1 erster Satz MRK hat das Gericht „innerhalb angemessener Frist“ zu entscheiden. Der für die Beurteilung einer konventionskonformen Verfahrensdauer maßgebliche Zeitraum beginnt mit dem Inkenntnissetzen des Verdächtigen von der Tatsache, dass gegen ihn wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird und endet mit der Entscheidung letzter Instanz (RIS-Justiz RS0124901; Riffel in Höpfel/Ratz , WK 2 StGB § 34 Rz 43; Grabenwarter/Pabel , EMRK 7 § 24 Rn 81 ff; HK-EMRK 5 / Herrendorf/König/Voigt Art 6 Rn 172, 179 f). Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer stellt die Judikatur auf eine Einzelfallbetrachtung ab, in der vier Kriterien (Bedeutung der Sache für den Angeklagten, Komplexität des Falls sowie Verhalten des Angeklagten und der Behörden) maßgeblich sind ( Grabenwarter/Pabel aaO Rn 82 ff, 179 ff, Herrendorf/König/Voigt aaO Rn 179 ff). Dass sich durch Aufhebung und Zurückverweisung in der Rechtsmittelinstanz Verzögerungen ergeben, ist an sich nicht problematisch ( Herrendorf/König/Voigt aaO Rz 187). Das Grundrecht auf Entscheidung in angemessener Frist (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK) ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich die Verfahrensdauer insgesamt als unangemessen erweist (dazu grundlegend und mwN Grabenwarter/Pabel aaO Rz 83); Kier , WK-StPO § 9 Rz 16; 14 Os 61/23m [Rz 424 ff], 13 Os 8/25 [Rz 4]). Der Angeklagte wurde am 10.1.2022 im Rahmen seiner Beschuldigtenvernehmung bei der PI B* (ON 2.6, 1ff) über die Vorwürfe in Kenntnis gesetzt. Die Verfahrensdauer bis zum rechtskräftigen Abschluss im Juni 2025 ist mit Blick auf zwei Rechtsgänge sowie die Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens und der Durchführung einer kontradiktorischen Einvernahme insgesamt noch als angemessen zu betrachten. Der angesprochene Milderungsgrund kann sich jedoch auch aus längeren Phasen behördlicher Inaktivität ergeben (RIS-Justiz RS0124901 [T3]), die fallaktuell vorliegen. Nach Aufhebung des Urteils durch den Obersten Gerichtshof im ersten Rechtsgang wurde der Akt infolge Ausgeschlossenheit des vorsitzenden Richters mit Beschluss vom 29.8.2023 der nunmehr zuständigen Vorsitzenden des Schöffengerichts übertragen, die allerdings erst rund fünf Monate später eine Hauptverhandlung für den 10.4.2024 anberaumt hat. Dies stellt ebenso wie die über 6 Monate dauernde Urteilsausfertigungsfrist eine längere Phase behördlicher Inaktivität dar. Diese Grundrechtsverletzung war vom Oberlandesgericht anzuerkennen und durch eine spür- und messbare Reduktion der Strafe um zwei Monate auszugleichen (RIS-Justiz RS0114926), so dass die Freiheitsstrafe auf 16 Monate herabzusetzen war.

Eine vom Berufungswerber begehrte Gewährung gänzlicher bedingter Strafnachsicht nach § 43 Abs 1 StGB scheitert mit Blick auf die dem Schuldspruch zugrundeliegende strafbare Handlung und die konstatierte Tatausführung, der ein nicht unbeträchtlicher Unrechts- und Schuldgehalt innewohnt, an generalpräventiven Erwägungen. Trotz des Umstands, dass der Angeklagte eine strafbare Handlung gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung beging, ist jedoch nach Ansicht des Berufungsgerichts der Vollzug eines Teils der Freiheitsstrafe nicht erforderlich (vgl RIS-Justiz RS0091479). Sowohl spezial- als auch generalpräventiven Erwägungen ist gegenständlich mit einer Strafenkombination nach § 43a Abs 2 StGB ausreichend Genüge getan. Ausgehend davon war in teilweiser Stattgebung der Berufung die im Spruch ersichtliche Sanktion zu verhängen, die betreffend das Verhältnis zwischen bedingter Freiheitsstrafe und unbedingter Geldstrafe auch das Verschlechterungsverbot berücksichtigt. Um dem Angeklagten einen möglichst langen Anreiz für künftiges Wohlverhalten zu geben, war die Probezeit mit drei Jahren zu bestimmen.

Die Höhe des Tagessatzes war aufgrund der unbedenklichen Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Angeklagten (US 2) zum Urteilszeitpunkt erster Instanz (§ 19 Abs 2 erster Satz StGB, Lässig in WK² StGB § 19 Rz 27) mit EUR 35,00 zu bemessen.

Gänzlich erfolglos bleibt aber die Berufung wegen des Ausspruchs über die privatrechtlichen Ansprüche. Das an dieser Stelle wiederholte Vorbringen eines provokanten Verhaltens des Opfers sowie die Behauptung, dass C* sowohl wenige Tage nach der Tat eine ausgelassene Party feierte und Männer angemacht habe als auch drei Wochen später wieder auf Tinder aktiv gewesen sei, steht dem Zuspruch an die Privatbeteiligte aus nachstehenden Gründen nicht entgegen: § 1328 ABGB normiert eine Schadenersatzverpflichtung bei Beeinträchtigung der geschlechtlichen Selbstbestimmung. Nach dieser Bestimmung ist dem Opfer nicht nur der Vermögensschaden auszugleichen, sondern auch eine Entschädigung für die erlittene Beeinträchtigung zu leisten, also ideeller Schaden zu ersetzen. Es sind auch Beeinträchtigungen des Opfers zu entschädigen, die noch nicht als Beeinträchtigung der - psychischen - Gesundheit verstanden werden können, wie etwa bloßes Ungemach oder Unlustgefühle ( Reischauer in Rummel , ABGB 3 , § 1328 Rz 1, 14). Die vom Opfer erlittenen Folgen durch den sexuellen Übergriff beruhen auf den diesbezüglich bedenkenlosen Feststellungen (US 6, Punkt 1.2.13). Da diese im kausalen Zusammenhang mit der Tat stehen, sind sie - unabhängig von dem in der Berufung behaupteten Verhalten des Opfers nach der Tat (vgl dem entgegen ZV C*, ON 18, 32 ff) - durch den Privatbeteiligtenzuspruch abzugelten. Darüber hinaus ist der nach § 273 ZPO ausgemessene Privatbeteiligtenzuspruch gemessen an der im Bundes-Gleichbehandlungsgesetz normierten Mindestabgeltung (vgl zur Orientierung § 19 Abs 3 B-GlBG) auch nicht überhöht.

Der Ausgang des Berufungsverfahrens hat die im Spruch angeführte Kostenfolge.