JudikaturOLG Graz

6R36/25y – OLG Graz Entscheidung

Entscheidung
Verbraucherschutzrecht
14. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Graz als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin Mag a . Fabsits als Vorsitzende, die Richterin Dr in . Meier und den Richter Mag. Schweiger in der Rechtssache der klagenden Partei A* , **, vertreten durch die Gottgeisl Leinsmer Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei, B* Limited , **, Malta, vertreten durch die DSC Doralt Seist Csoklich Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 15.260,00 samt Anhang, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 7. April 2025, **-11, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.827,12 (darin enthalten EUR 304,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig .

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Kärnten. Die Beklagte ist Unternehmerin mit Sitz auf Malta, wo sie im Firmenbuch eingetragen ist. Sie betreibt von Malta ausgehend ein Online-Casino, welches sie mitunter über die Internetdomain ** anbietet.

Die Beklagte verfügt über keine österreichische, sondern eine maltesische Glücksspiellizenz. Sie unterliegt der Aufsicht der maltesischen Regulierungsbehörde für Lotterie und Glücksspiel („Malta Gaming Authority“) sowie sowie der britischen Regulierungsbehörde („Gambling Commission“). Dennoch richtet sie ihr Glücksspielangebot mitunter auch auf des Bundesgebiet der Republik Österreich aus und bietet mit einer eigenen E-Mail-Adresse für Österreich ein Kundenservice an. Auf der Webseite ** wird von der Beklagten Glücksspiel in Form von „Casino-Roulette“ – auch in deutscher Sprache – angeboten. Beim angebotenen Spiel handelt es sich um ein Spiel, bei dem die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich bzw überwiegend vom Zufall abhängt. Die Teilnahme an dem von der Beklagten über die genannten Webseiten angebotenen Spielen ist erst nach Registrierung des jeweiligen Teilnehmers möglich, welcher hiefür seine persönlichen Daten angeben muss. Hierdurch wird jedem Spielteilnehmer ein Spielerkonto zugewiesen, auf welches er Geld als Spieleinsatz überweisen muss, bevor er am Glücksspiel teilnehmen kann. Dieses Guthaben kann sich der jeweilige Spielteilnehmer entweder wieder auszahlen lassen oder dieses Guthaben bei den von der Beklagten auf ihrer Webseite angebotenen Glücksspielen einsetzen. Die erzielten Gewinne werden auf das Spielkonto zugeschrieben, die Spielverluste hiervon in Abzug gebracht.

Der Kläger wurde auf das Angebot der Beklagten aufgrund von in deutscher Sprache verfasster Internetwerbungen aufmerksam und nahm dieses ab 9. September 2022 durch Aufruf der Webseite ** bis 10. September 2022 ausschließlich in Form von „Casino-Roulette“ mit der „Account-ID“ ** in Anspruch. Er registrierte sich und meldete sich auf der Webseite der Beklagten mit seinen persönlichen Daten und seiner E Mail-Adresse an. Das hiermit erstellte Spielerkonto nutzte er – über seinen Computer zu Hause – für seinen persönlichen Gebrauch, wobei er sich währenddessen immer innerhalb des Bundesgebiets der Republik Österreich befand. Er nutzte das Online-Glücksspielangebot der Beklagten nur zum privaten Zweck während der Freizeit.

Insgesamt leistete der Kläger zugunsten seines Spielerkontos bei der Webseite der Beklagten unter ** vom 9. bis 10. September 2022 mit seiner Kreditkarte Einzahlungen in Höhe von EUR 15.260,00 und erhielt keine Auszahlungen. Dementsprechend erlitt er im Rahmen seiner Glücksspieltätigkeit bei der Beklagten Spielverluste in Höhe von EUR 15.260,00. Der Kläger erfuhr Anfang 2024, dass er die erlittenen Spielverluste zurückfordern kann. Während des Spielens wusste der Kläger, dass die Beklagte ihren Sitz in Malta hat. Ihm war nicht bewusst, dass die Beklagte eine Glücksspiellizenz in Österreich benötigt, um Glücksspiele online in Österreich anbieten zu dürfen und, dass sie darüber nicht verfügte. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten, die der Kläger zur Kenntnis nahm, ist festgehalten, dass die Gesetze von Malta gelten. Der Transaktionsverlauf betreffend den Kläger (Beilage ./C) wurde dem Kläger von der Beklagten übermittelt.

Mit seiner am 6. Dezember 2024 eingebrachte Klage begehrt der Kläger von der Beklagten die Zahlung von EUR 15.260,00 samt 4 % Zinsen seit 11. September 2022. Die Beklagte biete, ohne über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielrecht zu verfügen, von ihrem Sitz in Malta aus, über das Internet Dienstleistungen im Bereich des Internet-Glücksspiels an. Die deshalb verbotenen Glücksspielverträge seien nach dem anzuwendenden österreichischem Recht nichtig und rückabzuwickeln. Der Kläger habe zwischen 9. und 10. September 2022 EUR 15.260,00 verloren.

Die österreichischen Glücksspielregelungen seien kohärent ausgestaltet und nach der Rechtsprechung der österreichischen Höchstgerichte unionsrechtskonform.

Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und wendet ein, dass auf die Ausspielungen der Beklagten ausschließlich maltesisches Recht Anwendung finde. Danach sei sie berechtigt, ihr Dienstleistungsangebot im Internet anzubieten. Das österreichische Glücksspielgesetz verletze EU-Primärrecht. Die österreichischen Glücksspielregelungen seien inkohärent. Die Werbepraxis der Konzessionäre bewege sich nicht im Rahmen der Rechtsprechung des EuGH zu gerechtfertigten Monopolstellungen. Ihre exzessiven Werbemaßnahmen seien auch erfolgreich. Sie zielten auf die Ausweitung des bestehenden Markts und nicht darauf ab, einer Ausweitung im Interesse des Verbraucherschutzes entgegenzuwirken. Die, die Konzessionsinhaber kontrollierenden, Gesellschafter seien private Glücksspielkonzerne und hätten naturgemäß kein Interesse, das Glücksspielangebot und die daraus erzielten Umsätze strukturell und nachhaltig zu verhindern. Auch werde dem Erfordernis der effektiven Kontrolle über den Monopolisten nicht entsprochen. Der Gesetzgeber habe es unterlassen, sich mit der konkreten Ausgestaltung der unionsrechtskonformen Werbung eines Monopolisten auseinanderzusetzen. Die Kontrolle des Monopolisten sei weder (ausreichend) rechtlich noch faktisch existent. Die Monopolisierung stelle auch nicht das gelindeste mögliche Mittel zur Erreichung der im öffentlichen Interesse gelegenen Ziele dar. Die höchstgerichtliche Rechtsprechung stehe nicht im Einklang mit der ständigen Judikatur des EuGH.

Da das GSpG in Anbetracht seiner konkreten Anwendungsmodalitäten in Österreich sowie seiner Inkohärenz in seiner Gesamtheit mit der unmittelbar anwendbaren primärrechtlichen Dienstleistungsfreiheit gemäß Artikel 56 AEUV nicht vereinbar sei, handle es sich bei den von der Beklagten angebotenen Dienstleistungen auch nicht um verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs 4 GSpG, sodass sämtliche Schadenersatz- und bereicherungsrechtliche Ansprüche des Klägers ins Leere gingen.

Das Zinsenbegehren für die letzten drei Jahre vor Klagseinbringung werde bestritten. Zinsen gebührten allenfalls erst ab dem Folgetag der Klagszustellung.

Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtet das Erstgerichtdie Beklagte zur Zahlung von EUR 15.260,00 samt 4 % Zinsen seit 11. September 2022. Rechtlich folgert es – stark zusammengefasst wiedergegeben – dass der vorliegende Sachverhalt gemäß Artikel Abs 1 lit b ROM-I-VO nach österreichischem Recht zu beurteilen sei. Der Oberste Gerichtshof gehe in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspreche und nicht gegen Unionsrecht verstoße. Die Beklagte hätte konkret aufzeigen müssen, inwieweit es zu einer maßgeblichen Änderung des den (umfangreich zitierten) oberstgerichtlichen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalts gekommen sei. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen, sodass die höchstgerichtliche Rechtsprechung als Orientierung herangezogen werden könne. Die Glücksspielverträge seien daher aufgrund des Verstoßes gegen das Glücksspielmonopol nichtig. Der Kläger könne die erlittenen Verluste im Wege des Bereicherungsrechts zurückfordern. Im Hinblick auf die Zielsetzung des Glücksspielgesetzes werde der Rückforderungsanspruch des Spielers selbst durch die Kenntnis des Leistenden von der Nichtschuld nicht ausgeschlossen. Vielmehr bestehe der Rückforderungsanspruch des Spielteilnehmers auch dann, wenn ihm die Ungültigkeit seiner Verpflichtung bekannt gewesen sei.

Das Klagebegehren sei angesichts der ziffernmäßigen Angabe des geforderten Geldbetrags bestimmt. Nach ständiger Rechtsprechung habe selbst der redliche Bereicherungsschuldner die mit dem gesetzlichen Zinssatz pauschalierten Nutzungen eines von ihm zu erstattenden Geldbetrags unabhängig vom Eintritt des Vollzugs herauszugeben („Vergütungszinsen“). Da der Kläger ohnehin für sämtliche rückforderbaren Einzahlungen Zinsen erst ab dem ersten Tag nach der letzten Einzahlung fordere, sei sein Zinsenbegehren berechtigt. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 115/23g sei nicht einschlägig, weil hier der Kläger die Klage nicht erst nach Verjährung des Zinsenanspruchs eingebracht habe. Unter Berücksichtigung der ständigen Rechtsprechung bestehe kein Anlass zur Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Beklagten aus den Rechtsmittelgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil – in eventu nach Verfahrensergänzung – in Klagsabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Zur Mängelrüge:

Die Beklagte macht als Stoffsammlungsmangel geltend, dass es das Erstgericht unterlassen habe, die von ihr beantragten gerichtlichen Sachverständigengutachten betreffend die Werbe- und Marketingmaßnahmen des österreichischen Monopolisten einzuholen. Aufgrund der Sachverständigengutachten hätte es feststellen können, dass die Werbemaßnahmen des Monopolisten nicht den strengen Kriterien des EuGH zur Wirksamkeit eines gesetzlichen Monopols entsprochen hätten und es dem österreichischen Glücksspielmonopol daher insgesamt an Kohärenz mangle.

Dem ist zu erwidern:

Ein primärer Verfahrensmangel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO könnte nur vorliegen, wenn das Erstgericht infolge des Unterlassens der beantragten Beweisaufnahmen andere als die vom Beweisführer behaupteten Tatsachen festgestellt hätte (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 3IV/1 § 496 ZPO Rz 57). Das Erstgericht hat zum Werbeverhalten der Konzessionärinnen keine Feststellungen getroffen. Im Unterlassen der Beweisaufnahme zum relevierten Thema könnte daher nur – vorausgesetzt dieses wäre rechtlich relevant – ein sekundärer Feststellungsmangel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO liegen, der mit Rechtsrüge aufzugreifen ist (vgl Pimmer aaO Rz 55, 58).

Die Beklagte zeigt auch nicht konkret auf, in welcher Weise sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine abweichende Sachverhaltsgrundlage (andere als vom Erstgericht getroffene Feststellungen) ergeben hätte.

Insoweit wird daher die Verfahrensrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043039). Die Frage, ob das österreichische Glücksspielmonopol im Spielzeitraum des Klägers (September 2022) kohärent war, ob die Werbemaßnahmen des Monopolisten den Kriterien des EuGH für die Wirksamkeit eines auf Verbraucherschutz gerichteten Monopols entsprachen und ob das österreichische Glücksspielmonopol insgesamt nicht den Kohärenzkriterien entspricht, ist eine dem Sachverständigenbeweis nicht zugängliche Rechtsfrage, die auf Basis konkreter Tatsachen betreffend den Spielzeitraum des Klägers zu beantworten wäre. Ob bestimmte Werbemaßnahmen „maßvoll“ und darauf begrenzt sind, was erforderlich ist, um Verbraucher zu den kontrollierten Spielnetzwerken zu lenken, stellt ebenso eine Rechtsfrage dar. Dasselbe gilt für die Beurteilung der Wirkung einer Werbung auf die breite Masse, welche Rechtsfrage mit der Erfahrung des täglichen Lebens beantwortet werden kann (vgl RS0039926).

Die Verfahrensrüge bleibt daher erfolglos.

2. Zur Rechtsrüge:

Das Berufungsgericht erachtet die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts, der die Beklagte keine stichhältigen Argumente entgegensetzen kann, für zutreffend, sodass es nur folgender Erwiderung bedarf (§ 500a ZPO):

Die Anwendbarkeit von österreichischem Recht auf den vorliegenden Sachverhalt ist im Berufungsverfahren nicht weiter strittig.

Die Beklagte vertritt weiterhin die Auffassung, das österreichische Glücksspielgesetz sei unionsrechtswidrig. Es gewährleiste insbesondere keinen effektiven Spielerschutz, weshalb es keinen Eingriff in die EU-Grundfreiheiten, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit erlaube.

Weiters vermisst sie Feststellungen zu den Auswirkungen des Glücksspielmonopols und zur Einhaltung der Kohärenzkriterien. Ein bloßer Verweis auf die Rechtsansicht der Höchstgerichte ohne eigene Tatsachenfeststellungen zu den tatsächlichen Auswirkungen des österreichischen Glücksspielmonopols zu treffen, führe im Ergebnis dazu, das die Sachverhaltsfeststellungen jener Verfahren, die den höchstgerichtlichen Entscheidungen zugrunde gelegen seien, zur Entscheidung des vorliegenden Verfahrens herangezogen würden. Eine Bindungswirkung von Tatsachenfeststellungen – noch dazu von Feststellungen anderer Prozesse bei mangelnder Parteienidentität – sei der ZPO fremd.

Allfällige Zinsen würden erst ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Fälligstellung zu laufen beginnen.

In Österreich ist gemäß § 3 GSpG das Recht zur Durchführung von Glücksspielen dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol), der es durch die Vergabe von Konzessionen und Bewilligungen an private Unternehmer (Konzessionswerber) übertragen kann (§ 14 GSpG). Der Oberste Gerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass dieses im GSpG normierte Monopol- bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf den Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht und nicht gegen Unionsrecht verstößt (RS0130636 [T 7]). Diese Rechtsprechung umfasst auch den hier klagsgegenständlichen Zeitpunkt September 2022 (vgl 1 Ob 182/22d: Zeitraum März 2013 bis Jänner 2021; 1 Ob 229/20p: Jänner 2013 bis Mai 2019, 9 Ob 20/21p: 2014 bis 2019, 7 Ob 147/23b: April 2017 bis Juli 2022; 7 Ob 86/24h: Juni 2020 bis Juli 2023; 1 Ob 46/24g: Februar 2020 bis August 2023 uva) und wurde auch jüngst in mehreren Entscheidungen wiederholt und darin ein Verstoß gegen Unionsrecht verneint (6 Ob 33/25h).

Grundsätzlich ist die Vereinbarkeit von nationalem Recht mit Unionsrecht als Rechtsfrage von Amts wegen zu prüfen. Können aber bei Regelungen, bei denen – wie hier – sowohl der Wortlaut als auch die erklärte Zielsetzung des Gesetzgebers gegen die Annahme eines Unionsrechtsverstoßes sprechen, ausnahmsweise tatsächliche Umstände zu einem anderen Ergebnis führen, hat sich diese Prüfung an diesbezüglichen Parteienbehauptungen zu orientieren. Dabei trifft die Beklagte im Zivilverfahren die Verpflichtung zur Behauptung entsprechender Tatsachen, weil es sich beim Einwand der Unionsrechtswidrigkeit um eine anspruchsvernichtende Einwendung handelt (RS0129945) und auf den vom EuGH anerkannten Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedsstaaten Bedacht zu nehmen ist (7 Ob 102/22h, 3 Ob 200/21i). Die Prüfpflicht des Gerichts setzt dann ein, wenn sich aus dem Tatsachenvorbringen der Parteien konkrete Anhaltspunkte für eine bestimmte unionsrechtliche Problematik ergeben (7 Ob 102/22h mwN). Der Oberste Gerichtshof hat in Fällen bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung von Glücksspielverträgen festgehalten (7 Ob 102/22h, 7 Ob 213/21f, 1 Ob 174/21a, 7 Ob 163/21b, 1 Ob 229/20p, RS0129945), es liege am beklagten Glücksspielunternehmer, auszuführen, warum der höchstgerichtlichen Judikatur keine Aussagekraft mehr zukomme. Er hat mit konkreten Tatsachenbehauptungen aufzuzeigen, inwieweit es zu einer maßgeblichen Änderung des den oberstgerichtlichen Entscheidungen zugrundeliegenden Sachverhalts gekommen wäre.

Die Beklagte, die eine Neubeurteilung und eine Abkehr von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung fordert, genügt diesem Erfordernis aber mit ihren weitgehend pauschalen und daher nicht prüfbaren Behauptungen nicht. Sie gibt trotz ihrer Behauptungslast im Zivilverfahren nicht konkret an, inwieweit sich der hier zu beurteilende Sachverhalt im Spielzeitraum des Klägers grundlegend anders darstellte (7 Ob 213/21s, 5 Ob 30/21d, vgl auch VwGH Ro 2021/17/0010), sodass es bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen auf den Glücksspielmarkt zu einer anderen rechtlichen Beurteilung kommen müsste.

Auch wenn das Erstgericht an die oben dargestellte Rechtsprechung zur Frage der Unionsrechtswidrig nicht gebunden, sondern – im Sinne des Einwandes der Beklagten – gefordert war, diese selbst zu prüfen, konnte es sich an der Judikatur der österreichischen Höchstgerichte orientieren. Das hat es auch getan. Eine Bindung der Beklagten an Tatsachenfeststellungen der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen wird weder vom Erstgericht noch vom Berufungsgericht angenommen.

Um das Ziel, die Spielertätigkeiten in kontrollierte Bahnen zu lenken, zu erreichen, müssen die zugelassenen Anbieter eine verlässliche und zugleich attraktive Alternative zu den nicht geregelten Tätigkeiten bereitstellen, was an und für sich das Anbieten einer breiten Palette von Spielen, Werbung in einem gewissen Umfang und den Einsatz neuer Vertriebstechniken beinhalten kann (EuGH Rs C-347/09, Dickinger und Ömer, C-920/19, Fluctus und Fluentum, VwGH Ro 2015/17/0022). Es ist demnach nicht grundsätzlich bedenklich, wenn Monopolinhaber und Konzessionäre neue Spiele anbieten und ihre Dienstleistungen bewerben, um am Glücksspielmarkt – im Verhältnis zu privaten – nicht konzessionierten Glücksspielanbietern – attraktiv zu bleiben und nicht als legale Alternative verdrängt zu werden. Für die Beurteilung der Kohärenz der Organisation des Glücksspielmarkts wären auch die Werbepraktiken etwaiger privater Wirtschaftsteilnehmer (wie aggressive Werbemaßnahmen privater Anbieter zugunsten rechtswidriger Aktivitäten oder die Heranziehung neuer Medien mittels Internets durch private Anbieter) zu berücksichtigen (EuGH C-920/19, Fluctus und Fluentum, VwGH Ro 2015/17/0022), weil Werbeaktivitäten der Konzessionäre im maßgeblichen Zeitraum als Reaktion auf Werbeaktivitäten der illegalen Anbieter erfolgt sein können, um die Verbraucher zu ihrem Angebot zu lenken (10 Ob 52/16v).

Die von der Beklagten ins Treffen geführten Zwecke der Werbemaßnahmen der Konzessionäre führen auch nach Ansicht des EuGH nicht schon dazu, dass eine der Dienstleistungsfreiheit nach Artikel 56 AEUV entgegenstehende Inkohärenz von das Glücksspielangebot beschränkenden Maßnahmen anzunehmen wäre (EuGH C-920/19, Fluctus und Fluentum, 3 Ob 200/21i, 1 Ob 229/20p). Der Oberste Gerichtshof ging in seinem Beschluss vom 30. März 2016 zu 4 Ob 31/16m – den Behauptungen der Beklagten entsprechend – ebenso davon aus, dass die Werbung der Konzessionäre auch den Zweck verfolgt, Personen zur aktiven Teilnahme am Spiel anzuregen, die bisher nicht ohne weiteres zu spielen bereit waren, dass durch zugkräftige Werbebotschaften die Anziehungskraft angebotener Spiele erhöht und neue Zielgruppen zum Spielen angeregt werden sollten und dass die Werbung laufend ausgedehnt wurde. Dennoch erachtete er das im GSpG vorgesehene Monopol-/Konzessionssystem als unionsrechtskonform (RS0130636, 9 Ob 20/21p). Warum davon abgegangen werden soll, vermag die Beklagte nicht darzulegen. Die Behauptung, dass die Werbemaßnahmen der Konzessionäre auf eine Erweiterung des Glücksspielmarkts abzielen, blieb weitgehend inhaltsleer und damit nicht überprüfbar. Im Übrigen kann nicht jedem Werbeinhalt per se eine zu übermäßigen Spielausgaben verleitende Wirkung unterstellt werden. Eine isolierte Prüfung einer individuellen Werbung ist nicht impliziert (EuGH C-920/19, Fluctus und Fluentum). Eine isolierte Betrachtung konkreter Werbetätigkeiten einzelner Konzessionäre – wie sie die Beklagte vornimmt – greift demnach zu kurz (VfGH E 945/2016).

Die vom Inhaber des Monopols verfolgte Geschäftspolitik und dessen Werbepraktiken sind bei der Prüfung, ob das Monopol tatsächlich in der Lage ist, die mit ihm beabsichtigten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu verfolgen, nicht die einzigen relevanten Gesichtspunkte (EuGH C-920/19, Fluctus und Fluentum). Die Beklagte, die nur einzelne Aspekte der Kohärenzprüfung beleuchtet, vermag ohne eine gesamthafte Darstellung und Würdigung aller Auswirkungen auf den (gesamten) Glücksspielmarkt und ohne Berücksichtigung seiner Entwicklung im klagsgegenständlichen Zeitraum im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die nicht wirksame Verfolgung der mit der Glücksspielregelung verfolgten Ziele und damit ihre Unionsrechtswidrigkeit nicht aufzuzeigen. Schon deshalb liegen die von ihr behaupteten Feststellungsmängel im Sinne des § 496 Abs 1 Z 3 ZPO in Bezug auf die Werbemaßnahmen der Konzessionäre nicht vor (vgl 5 Ob 69/23t, 6 Ob 152/22d, 2 Ob 221/22x). Auch eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspieltätigkeiten kann mit dem Ziel in Einklang stehen, diese in kontrollierbare Bahnen zu lenken. Dadurch können Spieler, die verbotenen geheimen Spieltätigkeiten nachgehen, veranlasst werden, zu erlaubten und geregelten Tätigkeiten überzugehen. Eine solche Politik kann sowohl mit dem Ziel, die Ausnutzung von Glücksspieltätigkeiten zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken zu verhindern, als auch mit dem Ziel der Vermeidung von Anreizen für übermäßige Spielausgaben und der Bekämpfung der Spielsucht in Einklang stehen, indem die Verbraucher zum Angebot des Inhabers des staatlichen Monopols gelenkt werden. Bei diesem kann nämlich – so ausdrücklich der EuGH (C-920/19, Fluctus und Fluentum) – davon ausgegangen werden, dass es frei von kriminellen Elementen und darauf ausgelegt ist, die Verbraucher besser vor übermäßigen Ausgaben und Spielsucht zu schützen (VwGH Ro 2015/17/0022).

Eine Ausweitung der Geschäfts- und Werbetätigkeit des Inhabers des Glücksspielmonopols sowie eine wesentliche Steigerung der Einnahmen (in Form der von der Beklagten ins Treffen geführten Umsatzsteigerung in einzelnen Jahren oder des Ausmaßes von Werbeausgaben), die er damit erzielt, erfordert zwar besondere Aufmerksamkeit bei der Prüfung des kohärenten und systematischen Charakters der fraglichen Regelung. Sie könnte sich aber ebenso gut aus einer Lenkung der illegalen Tätigkeiten hin zu den kontrollierten Spielnetzen ergeben.

Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach darlegte, ändert auch der Hinweis der Beklagten auf die Aufhebung von Teilen des § 25 Abs 3 GSpG (BGBl I Nr. 3/2023) durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 14. Dezember 2022 zu G 259/2022 wegen Verfassungswidrigkeit an der Beurteilung, dass das österreichische Glücksspielkonzessionssystem nicht gegen Unionsrecht verstoße, nichts. Mag der Gesetzgeber durch das (primäre) Abstellen (nur) auf die Einholung einer Bonitätsauskunft den unionsrechtlich gebundenen Spielerschutz von Spielbankbesuchern auch nicht in einer dem Sachlichkeitsgebot entsprechenden Weise verwirklicht haben, bedeutet dies noch nicht, dass dieses Anliegen im Bereich des Online-Glücksspiels und dem System der Konzessionen nicht in kohärenter Weise verfolgt würde. Aus der teilweise Verfassungswidrigkeit bloß einer Einzelregelung zum Spielerschutz im Bereich der Spielbanken kann nicht abgeleitet werden, das österreichische System der Glücksspielkonzessionen wäre – entgegen der bisher ständigen Rechtsprechung – unionsrechtswidrig (5 Ob 35/24v, 5 Ob 33/23y, 6 Ob 216/23t, 3 Ob 69/23b, 1 Ob 25/23t, 2 Ob 23/23f).

Zusammenfassend ist weiterhin davon auszugehen, dass das österreichische Glücksspielmonopol und Konzessionssystem im Spielzeitraum des Klägers nicht gegen Unionsrecht verstößt. Einer Ergänzung der Tatsachengrundlage bedarf es nicht, weil die Tatsachenbehauptungen der Beklagten zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung führen würden.

Die Beklagte kritisiert noch den Beginn des Zinsenlaufs. Sie meint, Zinsen stünden dem Kläger erst ab dem Tag (31. Dezember 2024) nach der Zustellung der Klage an sie (30. Dezember 2024) zu. Auch damit ist sie nicht im Recht, weil Vergütungszinsen aus einer ohne Rechtsgrund geleisteten und daher zurückzuerstattenden Geldsumme (RS0032078, RS0031939) dem Bereicherungsgläubiger nach der Rechtsprechung – unabhängig vom Eintritt des Verzugs – ab dem Eintritt der Bereicherung des Bereicherungsschuldners zustehen, und zwar so lange, als die Bereicherung durch die Möglichkeit der Nutzung fremden Gelds, sohin bis zur Rückzahlung, andauert (8 Ob 113/24m, 10 Ob 10/23a). Die hier in Höhe der Spielverluste des Klägers bereicherte Beklagte hat daher bereits ab dem Zeitpunkt des Eintritts ihrer Bereicherung die gesetzlichen Zinsen vom zu erstattenden Geldbetrag gemäß §§ 1333, 1000 ABGB zu entrichten. Der Kläger begehrt mit seiner Klage (nicht gemäß § 1480 ABGB verjährte) Zinsen ohnehin erst ab dem auf seine letzte Transaktion (Einzahlung) folgenden Tag, sohin ab 11. September 2022. Zu diesem Zeitpunkt war die Bereicherung der Beklagten um den gesamten zugesprochenen Klagsbetrag jedenfalls eingetreten.

Ausgehend von den oben dargestellten Überlegungen sieht sich das Berufungsgericht nicht dazu veranlasst, die Anregung der Beklagten auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens aufzugreifen. Der Oberste Gerichtshof kam insbesondere auch noch nach der Entscheidung des EuGH vom 18. Mai 2021 zu C-920/19, Fluctus und Fluentum, zum Ergebnis, dass die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols abschließend geklärt ist. Dem EuGH kommt zwar ein Monopol zur Auslegung der Vorschriften des Primär- und Sekundärrechts zu, die Subsumtion obliegt aber den nationalen Gerichten. Die relevanten Prüfkriterien wurden vom EuGH bereits ausreichend festgelegt (vgl 5 Ob 177/24a, 1 Ob 195/23t).

Der Berufung ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens stützt sich auf §§ 41, 50 ZPO. Die ordentliche Revision ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliegt, von der das Berufungsgericht nicht abweicht.