Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 26. Mai 2021, LVwG 413943/6/Gf/RoK, betreffend Einziehung nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Oberösterreich; mitbeteiligte Partei: A GmbH, vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 [4. OG]), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit an die mitbeteiligte Partei gerichtetem Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 1. März 2021 wurde gemäß § 54 Abs. 1 Glücksspielgesetz (GSpG) die Einziehung von näher bezeichneten zuvor beschlagnahmten Glücksspielgeräten angeordnet.
2 Auf Grund einer Beschwerde der mitbeteiligten Partei hob das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis diesen Einziehungsbescheid nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 50 VwGVG auf und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig sei.
3 Begründend traf das LVwG zur Beurteilung der Vereinbarkeit von Regelungen des Glücksspielgesetzes mit Art. 49 und 56 AEUV ausführliche Feststellungen und gelangte nach umfangreicher Auseinandersetzung mit der vorgebrachten Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes in rechtlicher Beurteilung zum Ergebnis, dass das im GSpG normierte System des Glücksspielmonopols deshalb in Art. 56 AEUV keine Deckung finde und somit dem Unionsrecht widerspreche, weil es nicht auf einem durch die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) anerkannten zwingenden Grund des Allgemeininteresses wie etwa dem Spielerschutz und der Suchtvorbeugung oder der Kriminalitätsbekämpfung basiere, sondern primär dem Konkurrenzschutz und der Sicherung der Abgabeneinhebung diene. Darüber hinaus seien die konkrete Ausgestaltung des Monopolsystems und die den staatlichen Behörden zur Abwehr von Beeinträchtigungen dieses Monopols gesetzlich übertragenen Eingriffsermächtigungen insbesondere mangels der gänzlich fehlenden Notwendigkeit einer vorhergehenden richterlichen Ermächtigung jeweils unverhältnismäßig.
4 Die Zulässigkeit der Revision begründete das LVwG mit der „im Lichte geänderter faktischer Umstände neu beurteilten Rechtsfrage der Unionrechtskompatibilität des § 53 GSpG“ sowie mit dem Fehlen von Rechtsprechung dazu, wie, falls der Verwaltungsgerichtshof die durch das LVwG eingenommene Rechtsansicht nicht teilen sollte, im nach einer Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses fortzusetzenden - verwaltungsgerichtlichen Verfahren angesichts der nach Ansicht des LVwG aus unionsrechtlichen Gründen fehlenden Bindungswirkung nach § 63 Abs. 1 VwGG vorzugehen sein werde.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen, in der als Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung eine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Kompatibilität des im GSpG normierten Systems des Glücksspielmonopols mit dem Unionsrecht, vorgebracht wird. Ferner werden näher ausgeführte Begründungsmängel des LVwG für die Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführt.
6 Die mitbeteiligte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
7 Die vorliegende Revision erweist sich bereits mit Blick auf das Vorbringen des Revisionswerbers als zulässig, dass das angefochtene Erkenntnis zur Frage der Übereinstimmung des im GSpG vorgesehenen Glücksspielmonopols mit dem Unionsrecht von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Sie ist auch berechtigt.
8 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH den Mitgliedstaaten in Ermangelung einer Harmonisierung auf Unionsebene grundsätzlich frei steht, die Ziele ihrer Politik auf dem Gebiet der Glücksspiele festzulegen und das angestrebte Schutzniveau zu bestimmen. Die sittlichen, religiösen oder kulturellen Besonderheiten und die mit Glücksspielen (und Wetten) einhergehenden sittlich und finanziell schädlichen Folgen für den Einzelnen wie für die Gesellschaft rechtfertigen es, den staatlichen Stellen ein ausreichendes Ermessen zuzuerkennen, um im Einklang mit ihrer eigenen Wertordnung festzulegen, welche Erfordernisse sich aus dem Schutz der Verbraucher und der Sozialordnung ergeben (vgl. VwGH 1.6.2023, Ra 2020/17/0009).
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung unter Durchführung der vom EuGH geforderten Gesamtwürdigung erkannt, dass die im GSpG vorgesehenen Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, etwa durch Statuierung eines Monopols zugunsten des Bundes in Verbindung mit der Vergabe von Konzessionen, durch die Verfolgung legitimer Ziele in kohärenter und systematischer Weise gerechtfertigt sind (vgl. ausführlich VwGH 16.3.2016, Ro 2015/17/0022). Dieser Rechtsansicht hat sich der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Oktober 2016, E 945/2016 24, E 947/2016 23, E 1054/2016 19, angeschlossen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Rechtsprechung mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018, Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten (vgl. VwGH 21.1.2019, Ra 2018/17/0150; 1.6.2023, Ra 2020/17/0009, jeweils mwN; vgl. auch VfGH 14.12.2022, G 259/2022, und OGH 18.11.2022, 6 Ob 200/22p, jeweils mwN).
10 Das LVwG gibt im Revisionsfall zwar an, seine davon abweichende Beurteilung des GSpG in Bezug auf dessen Unionsrechtskonformität im angefochtenen Erkenntnis „im Lichte geänderter faktischer Umstände“ getroffen zu haben, es unterlässt es aber, solche faktischen Umstände, die zu einer Neubewertung der im GSpG enthaltenen Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit führen könnten, anzuführen.
11 Zu den vom LVwG zur Begründung seiner Rechtsauffassung herangezogenen Werbepraktiken der Konzessionärin ist anzumerken, dass sich das GSpG selbst bei Hinweisen auf das Vorliegen einer expansionistischen Geschäftspolitik der Konzessionäre etwa durch das Glücksspiel verharmlosende Werbung nach der Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes im Rahmen der Gesamtwürdigung als mit dem Unionsrecht in Einklang stehend erweisen kann, wenn etwa mit dieser Geschäftspolitik eine Umlenkung von Spielern vom illegalen zum legalen Glücksspiel sichergestellt werden soll (vgl. VwGH 16.11.2018, Ra 2017/17/0947; 16.1.2020, Ra 2018/17/0202, jeweils mwN; vgl. auch EuGH 18.5.2021, Rs C 920/19, Fluctus und Fluentum ). Dass im Revisionsfall nunmehr anders als bei der vom Verwaltungsgerichtshof bislang vorgenommenen Gesamtwürdigung kein derartiger Lenkungseffekt angestrebt und erreicht würde, ist dem angefochtenen Erkenntnis nicht zu entnehmen.
12 Ausgehend von den Verfahrensergebnissen im Revisionsfall ist somit eine Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des GSpG nicht zu erkennen. Das LVwG hat somit die Rechtslage verkannt und das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich auch, auf das sonstige Revisionsvorbringen einzugehen.
13 Das angefochtene Erkenntnis war aus den genannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 23. Februar 2024