JudikaturOGH

1Ob174/21a – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P* P*, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei b* Ltd, *, vertreten durch Dr. David Christian Bauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 32.527 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 7. Juli 2021, GZ 6 R 69/21s 17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 8. März 2021, GZ 6 Cg 50/20i 12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta. Sie verfügt über keine nationale Glücksspiellizenz in Österreich, bietet aber auf der von ihr betriebenen Homepage Online Glücksspiele an. Die Klägerin beteiligte sich im Zeitraum Juli 2008 bis Dezember 2019 daran. Sie begehrt, gestützt auf Schadenersatz und ungerechtfertigte Bereicherung, ihren sich unter Abzug der erhaltenen Gewinnauszahlungen erlittenen (saldierten Gesamt-)Verlust in Höhe des Klagebetrags.

Rechtliche Beurteilung

[2] 1. Die behaupteten M ängel des Berufungsverfahrens liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Soweit sich die Revisionswerberin auf bereits vom Berufungsgericht verneinte angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz bezieht, können solche nicht mehr erfolgreich an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (RIS Justiz RS0042963).

[3] 2. Erst jüngst stellte der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen zu 3 Ob 72/21s (betreffend den Spielzeitraum 2005 bis 2011), 5 Ob 30/21d (Spielzeitraum 2012 bis 2015), 1 Ob 229/20p (Spielzeitraum 2013 bis 2019), 9 Ob 20/21p (Spielzeitraum 2014 bis 2019), 3 Ob 106/21s (Spielzeitraum 2010 bis 2019), 1 Ob 135/21s (Spielzeitraum 2017 bis 2019) sowie (zu einem im Wesentlichen inhaltsgleichen Rechtsmittel) 7 Ob 163/21b (Spielzeitraum 2013 bis 2019) unter Darstellung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, des Verfassungsgerichtshofs, des Verwaltungsgerichtshofs und des Obersten Gerichtshofs neuerlich klar, dass das im Glücksspielgesetz (GSpG) normierte Monopol bzw Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundene r Auswirkungen auf de n Glücksspielmarkt (insbesondere de r Werbem aßnahmen der Konzessionäre) für den hier gegenständlichen Zeitraum den vom Europäischen Gerichtshof aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht (RS0130636 [bes T7]), wogegen die Beklagte keine stichhaltigen Argumente zu bringen vermag. Mit dem von der Klägerin geltend gemachten Saldo werden aufgrund ihrer Verrechnung mit den Gewinnauszahlungen ohnehin bloß Spielverluste frühestens ab dem Jahr 2011 geltend gemacht, also aus einem Zeitraum, in dem sowohl die Änderung des Glücksspielgesetzes mit BGBl I 2008/126, die Glücksspielgesetz-Novelle 2010 (BGBl I 2010/73) als auch das Budgetbegleitgesetz 2011 (BGBl I 2010/111) bereits in Kraft getreten waren. Dass zur Rückforderung von Verlusten aus Spielzeiträumen vor 1. 10. 2012 noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorläge, trifft nicht zu (s 3 Ob 72/21s; 5 Ob 30/21d; 3 Ob 106/21s).

[4] 3. Dass der bisherigen höchstgerichtlichen Judikatur deshalb keine Aussagekraft mehr zukomme, weil sie die aktuelle Werbepraxis der Konzessionsinhaber und das daraus folgende kontinuierliche Wachstum des österreichischen Glücksspielmarkts nicht berücksichtigt habe, überzeugt schon deshalb nicht, weil die Beklagte nicht konkret aufzeigt, inwieweit sich diese Praxis in jüngster Zeit gegenüber jenen Zeiträumen, die Gegenstand der bisherigen oberstgerichtlichen Entscheidungen waren , grundlegend geändert haben soll. Vielmehr erfolgten die Spiele der Klägerin auf der Internetplattform der Beklagten während eines Zeitraums, für den die konkrete Werbepraxis der Konzessionäre bereits beurteilt wurde.

[5] 4. Zu den bereits wiederholt gebrachten Argument en zur Frage, ob die Beschränkungen des Angebots von Glücksspielen durch das Glücksspielgesetz die damit angestrebten Ziele des Spielerschutzes und der Kriminalitätsbekämpfung in kohärenter und systematischer Weise verfolgen, wurde in den genannten oberstgerichtlichen Entscheidungen ebenso schon Stellung genommen wie zur unterschiedlichen Behandlung von Online Sportwetten und Online Glücksspielen, zur restriktiven Behandlung von Online Glücksspielen im Vergleich zu Offline Glücksspielen und zum Spielerschutz bei Ausspielungen von Video Lotterie Terminals.

[6] 5. Der Verwaltungsgerichtshof sah auch in der Beschränkung des § 14 Abs 3 GSpG keinen Widerspruch zum Unionsrecht ( s zuletzt nur VwGH 15. 9. 2021, Ra 2019/17/0118). Er ging bei der Prüfung der österreichischen Rechtslage davon aus, dass die Erfüllung der Voraussetzungen des § 14 Abs 3 GSpG für eine Nachsicht von der Sitzverpflichtung – nämlich eine vergleichbare Lotteriekonzession und eine vergleichbare staatliche Glücksspielaufsicht – zwar eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellt, diese jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist, den Anforderungen an ihre sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebenden Verhältnismäßigkeit genügt und erkennbar das Ziel verfolgt, eine effiziente Kontrolle der im Glücksspielsektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer zu ermöglichen, um der Ausnutzung der Glücksspieltätigkeit en zu kriminellen oder betrügerischen Zwecken vorzubeugen (VwGH 11. 7. 2018, Ra 2018/17/0048).

[7] 6. Da sich das Berufungsgericht an der übereinstimmenden Judikatur sämtlicher Höchstgerichte orientierte, ist diesem keine „gravierende“, vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende Fehlbeurteilung vorzuwerfen.

[8] 7. Die Anregung der Beklagten auf neuerliche Befassung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht aufzugreifen, weil unter Bedachtnahme auf die vom Europäischen Gerichtshof bereits geklärten Fragen (vgl dazu zuletzt auch 3 Ob 106/21s und 1 Ob 135/21s) in der außerordentlichen Revision keine stichhaltigen Zweifel an der bisherigen Auslegung des Unionsrechts aufgezeigt werden.

[9] 8. Das erstmals in der Revision erstattete Vor b ringen zur Anspruchsverwirkung der Klägerin wegen Rechtsmissbrauchs und zum Abzug der Aufwendungen der Beklagten, insbesondere der 40%igen Glücksspielabgabe, verst ößt gegen das Neuerungsverbot.

[10] 9. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können, wenn in der Berufung nur in bestimmten Punkten eine Rechtsrüge ausgeführt wurde, andere Punkte in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0043338 [T4, T10, T13, T27]).

[11] Das Erstgericht ging davon aus, dass die Klägerin die Spieleinsätze aus einem verbotenen Glücksspiel zurückfordern könne (vgl dazu RS0025607 [T1]; zuletzt 1 Ob 135/21s). Die Beklagte wandte sich in der Berufung ausschließlich gegen die Beurteilung, dass das im GSpG normierte Monopol – bzw Konzessionssystem – den Vorgaben des Unionsrechts widerspreche. Die Rechtsrüge in der Berufung machte aber weder eine Unzulässigkeit der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung noch eine (analoge) Heranziehung der Haftungsbeschränkung nach § 25 Abs 3 GSpG geltend. Da die insoweit in der Berufung versäumte Rechtsrüge in der Revision nicht nachgetragen werden kann (vgl RS0043338 [T13]) sind diese Rechtsfragen vom Obersten Gerichtshof nicht mehr zu prüfen (RS0043352 [T17, T27, T28, T33]).

[12] 10. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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