2Ob64/25p – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart und Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richterin und weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die Vavrovsky Heine Marth Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A*, vertreten durch Dr. Alexander Hofmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 2.478.176,84 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Jänner 2025, GZ 14 R 141/24v 83, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Die Klägerin und der Beklagte sind Geschwister. Beide sind österreichische Staatsbürger und leben in Österreich. Ihr Vater war türkischer Staatsbürger und verstarb am 3. 4. 2002 in der Türkei, wo er seinen Hauptwohnsitz hatte. Der Nachlass wurde mit rechtskräftiger Entscheidung des türkischen Amtsgerichts Bakirkoy vom 20. 5. 2002 nach türkischem Erbrecht so aufgeteilt, dass die Witwe des Verstorbenen zwei Achtel und die Klägerin und der Beklagte jeweils drei Achtel des gesamten Vermögens erhielten. Eine weitere Befassung des Verlassenschaftsgerichts ist nach türkischem Recht nicht vorgesehen. Im Jahr 2018 erfuhr die Klägerin, dass ihr Vater in Deutschland Kontoguthaben von 6.608.471,57 EUR hatte, die der Beklagte nach dem Tod des Vaters in den Jahren 2003 und 2004 behoben und für sich vereinnahmt hatte.
[2] Die Vorinstanzenverpflichteten den Beklagten gegenüber der Klägerin zur Zahlung des ihrer Erbquote entsprechenden Anteils von 2.478.176,84 EUR sA. Dabei qualifizierten sie den Anspruch der Klägerin als außervertraglichen Schadenersatzanspruch, der nach § 48 Abs 2 Satz 2 IPRG nach österreichischem Recht zu beurteilen sei.
Rechtliche Beurteilung
[3] Die außerordentliche Revision des Beklagten ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig .
[4] 1. Der Beklagte macht geltend, dass der Herausgabeanspruch der Klägerin – auch wenn sie sich auf Schadenersatz und Bereicherungsrecht gestützt habe – dem Erbstatut unterliege, sodass nach § 28 IPRG türkisches Recht anzuwenden und die Klage wegen Verjährung nach § 146 des türkischen Obligationenrechts abzuweisen sei. Darüber hinaus wären als Vorfrage eines Schadenersatz oder Bereicherungsanspruchs auch anrechnungspflichtige Vorausempfänge der Klägerin zu berücksichtigen gewesen, die jedenfalls nach türkischem Erbrecht zu beurteilen seien. Ein Teil der Guthaben sei zur Tilgung von Schulden einer Gesellschaft verwendet worden, was mittelbar auch der Klägerin zugutegekommen und daher als Vorteil anzurechnen sei.
[5] 2. Unstrittig ist, dass die Frage des anwendbaren Rechts wegen des Todes des Erblassers im Jahr 2002 und der Verfügungshandlungen des Beklagten in den Jahren 2003 und 2004 (also jedenfalls vor Inkrafttreten der Rom IIVO und der EuErbVO) noch nach dem früheren nationalen IPRG zu beurteilen ist. Insofern ist die Einordnung der sich aus dem Sachverhalt ergebenden Rechtsfrage in die Systembegriffe des Kollisionsrechts (die „Qualifikation“) nach ständiger Rechtsprechung ausgehend vom eigenen materiellen Recht vorzunehmen (RS0045264; Neumayr in KBB 7§ 1 IPRG Rz 9: Qualifikation nach der lex fori). Von diesem Grundsatz abzugehen besteht jedenfalls dann kein Anlass, wenn – wie hier – eine Institution des eigenen Sachrechts (hier der geltend gemachte Schadenersatzanspruch) unter den gleichnamigen Systembegriff des eigenen IPR (hier Schadenersatz nach § 48 IPRG) fällt (vgl Verschraegen in Rummel/Lukas/Geroldinger 4vor § 1 IPRG Rz 39 mwN, Rz 42: „akzeptabler Kern“ der Qualifikation nach der lex fori ).
[6] 3. Auf dieser Grundlage ist die kollisionsrechtliche Beurteilung der Vorinstanzen nicht zu beanstanden:
[7]Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch ist nach österreichischem Recht kein Erbteilungsanspruch, weil Kontoguthaben als teilbare Nachlassforderungen jedem Miterben anteilig zukommen und daher nicht Gegenstand einer nachträglichen Erbteilung sein können (RS0012311 [T1, T2], anders noch 1 Ob 152/98d). Nach § 823 ABGB ist das Eigentum an einzelnen Erbschaftsstücken nach Abschluss des Verlassenschaftsverfahrens nicht mit Erbschaftsklage, sondern mit der Eigentumsklage geltend zu machen (RS0013134). Dies betrifft auch den Fall, dass der Erbe die Ausfolgung des Guthabens von angeblich „verbrachten“ und realisierten Sparbüchern durchsetzen möchte (RS0013131).
[8] Der Anspruch gegen einen Miterben, der sich Teile des Nachlassvermögens unrechtmäßig angeeignet hat, ist deshalb nach österreichischem Verständnis kein Anspruch aus der Rechtsnachfolge von Todes wegen, sondern ein Schadenersatz oder Bereicherungsanspruch, der sich aus dem Eingriff in das fremde Vermögen ergibt. § 28 IPRG, der (vorbehaltlich einer Rückoder Weiterverweisung) auf türkisches Recht verweist, ist daher (zunächst) nicht anwendbar. Der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch fällt vielmehr unter § 48 Abs 1 IPRG idF BGBl 1978/604 (vgl zum zeitlichen Anwendungsbereich Verschraegen in Rummel/Lukas/Geroldinger 4§§ 50 IPRG Rz 6). Diese Bestimmung entspricht inhaltlich dem von den Vorinstanzen angewendeten § 48 Abs 2 IPRG in der geltenden Fassung. Dass die Vorinstanzen nach Satz 2 dieser Bestimmung österreichisches Recht angewendet haben, ist aufgrund der österreichischen Staatsangehörigkeit und des Wohnsitzes beider Parteien in Österreich nicht zu beanstanden (3 Ob 221/02z).
[9]4. Dem Beklagten ist zwar dahin zuzustimmen, dass die für schadenersatz- oder bereicherungsrechtliche Ansprüche relevante Vorfrage, welche Rechte die Klägerin an den Kontoguthaben erworben hat, nach dem anwendbaren Erbrecht zu beurteilen ist. Einer selbständigen Beurteilung dieser Frage steht aber die Entscheidung des türkischen Amtsgerichts entgegen, die nach Art 9 des Abkommens vom 23. 5. 1989 zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen in Zivil- und Handelssachen (BGBl 1992/571) aufgrund der türkischen Staatsangehörigkeit des Verstorbenen anzuerkennen ist. Eine inhaltliche Überprüfung der Entscheidung des türkischen Amtsgerichts, wonach die Klägerin drei Achtel der Verlassenschaft erhalten hat, ist nach Art 10 dieses Abkommens ausgeschlossen. Auch Urteile und Beschlüsse ausländischer Gerichte entfalten im Inland materielle Rechtskraft, wenn sie kraft staatsvertraglicher Regelung im Inland anerkannt werden können (RS0110172). Die Rechtskraft der Entscheidung bewirkt eine inhaltliche Bindung, wenn der rechtskräftig entschiedene Anspruch eine Vorfrage des im zweiten Verfahren erhobenen Anspruchs ist (RS0041251).
[10]5. Der Beklagte hat die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach das türkische Recht für den Erwerb der Erbschaft keine weitere Befassung des Verlassenschaftsgerichts vorsehe, nicht bekämpft, sodass dieser Umstand einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen ist (RS0043338 [T17, T18, T20]). Soweit der Beklagte kritisiert, dass das Berufungsgericht angebliche Vorempfänge der Klägerin nicht berücksichtigt habe, die „mit Ansprüchen aus der Aufteilung des Nachlasses und/oder Herausgabe von Nachlassvermögen untrennbar verbunden“ seien, hat er nicht dargelegt, inwiefern dieser Umstand der Berechtigung der Klägerin aufgrund der Entscheidung des türkischen Amtsgerichts entgegenstehen würde. Dass er in der Türkei gegen die Klägerin – nun seiner Ansicht nach ohnehin verjährte – (Erbteilungs )Ansprüche wegen solcher Vorempfänge geltend gemacht hätte, behauptet er nicht.
[11] 6. Es ist damit schon aufgrund der auch die österreichischen Gerichte bindenden Entscheidung des türkischen Amtsgerichts davon auszugehen, dass die Klägerin einen Anteil von drei Achteln an den Kontoguthaben des Verstorbenen zusteht. Der Anspruch auf Herausgabe der vom Beklagten zu Unrecht vereinnahmten Beträge gründet sich deshalb nicht mehr auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen, sondern auf den Eingriff in die der Klägerin zustehenden Kontoguthaben. Da der insofern erhobene Schadenersatzanspruch nicht dem (allenfalls türkischen) Erbstatut unterliegt, ist die von der Revision angestrebte Anwendung türkischen Verjährungsrechts ausgeschlossen.
[12]7. Der Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er mit einem Teil der vereinnahmten Gelder auch Schulden von Gesellschaften bezahlt habe, an denen die Klägerin zumindest mittelbar beteiligt gewesen sei. Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Vorteilsausgleichung, wie sie vom Beklagten angestrebt wird, voraussetzen würde, dass der Schaden und der Vorteil aus demselben Ereignis entsprungen sind oder zumindest im selben Tatsachenkomplex wurzeln (RS0022824). Das ist dann der Fall, wenn das schädigende Ereignis nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge auch einen Vorteil im Vermögen des Geschädigten verursacht hat (RS0022824 [T2, T3, T4]). Dass der Beklagte die Kontoguthaben der Klägerin unrechtmäßig für sich vereinnahmt hat, war aber vorerst und auch nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit keinem Vorteil für die Klägerin verbunden, sodass eine Vorteilsanrechnung, welche ihren Schadenersatzanspruch mindern würde, nicht in Betracht kommt. Ob die unrechtmäßig erlangten Gelder nachträglich zu Gunsten der Klägerin verwendet wurden und sich daraus ein Ersatzanspruch des Beklagten ergeben könnte, muss nicht beurteilt werden, weil eine solche Gegenforderung nicht eingewendet wurde.
[13]8. Die außerordentliche Revision zeigt auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO auf (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Sie war daher zurückzuweisen.