JudikaturOGH

4Ob88/25g – OGH Entscheidung

Entscheidung
Familienrecht
11. September 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und die Hofräte Mag. Istjan, LL.M., Mag. Waldstätten, Mag. Böhm und Dr. Gusenleitner Helm in der Rechtssache der klagenden Partei *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei *, vertreten durch Mag. Maria NavarroFrischenschlager, Rechtsanwältin in Linz, wegen Unterhalt, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse JN: 21.852 EUR; RATG: 7.284 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 3. Dezember 2024, GZ 15 R 340/24m 116, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 7. Jänner 2025, GZ 15 R 340/24m 120, womit das Urteil des Bezirksgerichts Perg vom 17. Juni 2024, GZ 3 C 29/19m 109, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die im Jahr 1984 zwischen der Klägerin (JG 1962) und dem Beklagten (JG 1964) geschlossene Ehe wurde im Juni 2019 rechtskräftig geschieden, wobei im Scheidungsurteil ausgesprochen wurde, dass das Verschulden an der Zerrüttung beide Parteien zu gleichen Teilen treffe.

[2] Mit Klage vom 21. 11. 2019 begehrte die KlägerinUnterhalt nach § 68a EheG zur Deckung ihres Lebensbedarfs.

[3] Das Erstgericht erkannte den Beklagten für schuldig, der Klägerin ab 1. 11. 2023 einen monatlichen Unterhalt von 607 EUR zu leisten, und wies das Mehrbegehren auf Zahlung eines Unterhaltsrückstands von gesamt 10.529 EUR ab. Ab 1. 11. 2023 habe der Beklagte 32 % des Gesamteinkommens abzüglich des festgestellten Eigeneinkommens der Klägerin zu zahlen.

[4] Gegen diese Entscheidung erhob nur der Beklagte eine Berufung, aufgrund derer das Berufungsgericht die Unterhaltsklage zur Gänze abwies.

[5]Für die Ermittlung eines Unterhaltsanspruchs nach § 68a EheG sei nicht auf die tatsächlichen monatlichen Aufwendungen abzustellen, sondern auf den Bed arf der Klä gerin, der hiermit dem Ausgleichszulagenrichtsatz anzusetzen sei. Dieser Betrag dürfe auch im Hinblick auf die der Klägerin anzulastenden schwerwiegenden Gründe iSd § 68a Abs 3 EheG nicht überschritten werden. Von diesem Betrag sei das festgestellte Eigeneinkommen und die Wohnbeihilfe als bedarfsmindernd abzuziehen. Ebenso seien die unstrittigen Zahlungen des Beklagten zu berücksichtigen, die trotz Vorbehalts schuldbefreiende Wirkung gehabt hätten. Daraus folge, dass der Beklagte keine Unterhaltsverletzung zu verantworten habe, sodass der noch berufungsgegenständliche Anspruch abzuweisen sei.

[6]Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zur Frage der schuldbefreienden Wirkung von Unterhaltszahlungen unter Vorbehalt sowie zur Berechnung eines Unterhaltsanspruchs nach § 68a EheG bei einem Eigeneinkommen des Berechtigten zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die – vom Beklagten beantwortete – Revision der Klägerin ist entgegen dem, den OberstenGerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts, mangels Darlegungeiner erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig und daher zurückzuweisen .

[8] 1.1Gemäß § 68a Abs 2 EheG hat ein Ehegatte unabhängig vom Verschulden an der Scheidung Unterhalt nach dem Lebensbedarf des anderen zu gewähren, wenn sich dieser während der Ehe auf Grund der einvernehmlichen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft der Haushaltsführung sowie gegebenenfalls der Pflege und Erziehung eines gemeinsamen Kindes oder der Betreuung eines Angehörigen eines der Ehegatten gewidmet hat und ihm auf Grund des dadurch bedingten Mangels an Erwerbsmöglichkeiten, etwa wegen mangelnder beruflicher Aus- oder Fortbildung, der Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, seines Alters oder seiner Gesundheit, nicht zugemutet werden kann, sich ganz oder zum Teil selbst zu erhalten.

[9]Gemäß § 68a Abs 3 EheG vermindert sich der Unterhaltsanspruch oder besteht nicht, soweit die Gewährung unbillig wäre, (ua) weil der Unterhaltsbedürftige einseitig besonders schwerwiegende Eheverfehlungen begangen oder seine Bedürftigkeit grob schuldhaft herbeigeführt hat oder ein gleich schwerwiegender Grund vorliegt. Je gewichtiger diese Gründe sind, desto eher ist vom Bedürftigen zu verlangen, seinen Unterhalt durch die Erträgnisse einer anderen als einer zumutbaren Erwerbstätigkeit oder aus dem Stamm seines Vermögens zu decken.

[10] 1.2Bei der Ausmessung des Unterhalts nach § 68a EheG ist nach der Rechtsprechung in einem ersten Schritt zu fragen, welchen monatlichen Betrag d er bedürftige Ehegatte zur Deckung seinesLebensbedarfs benötigt. Danach ist eine Kontrollrechnung anzustellen, ob dieser Betrag zwischen dem Unterhaltsanspruch nach § 68 EheG und dem nach § 66 EheG, somit in der Größenordnung zwischen 15 % und 33 % des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen liegt und welche finanziellen Mittel diesem zur angemessenen Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse verbleiben. Bei Vorliegen von schwerwiegenden Gründen iSd§ 68a Abs 3 EheG ist der auf diese Art ermittelte Unterhalt entsprechend zu mindern (vgl RS0118836, RS0117322).

[11]Der „Lebensbedarf“ iSd § 68a EheG kann nicht mit der Summe der individuellen monatlichen Aufwendungen gleichgesetzt werden. Bezieht der Unterhaltsberechtigte eigenes Einkommen oder Sozialhilfeleistungen, wie etwa Wohn und Mietzinsbeihilfen oder Heizungspauschalen, muss er sich diese zudem anrechnen lassen (es sei denn, dem Sozialhilfeträger wären vom Gesetzgeber Ersatzansprüche eingeräumt oder es wäre eine Legalzession normiert worden).Reicht das Eigeneinkommen des potenziell Unterhaltsberechtigten zur Abdeckung des Bedarfs aus, besteht nach § 68a EheG sohin kein Unterhaltsanspruch.Sowohl die Ermittlung des Lebensbedarfs iSd § 68a Abs 2 EheG, als auch die Bemessung nach Billigkeit iSd Abs 3 kann schließlichnur anhand der Umstände des Einzelfalls erfolgen und wirft daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf(vgl 6 Ob 108/08p, 1 Ob 165/08h, 9 Ob 87/09y, 1 Ob 129/13x; RS0007204, RS0114829) .

[12] 1.3Eine derartige erhebliche Rechtsfrage zeigt die Revision nicht auf. Die Vorgehensweise des Berufungsgerichts, das den Bedarf der Klägerin nicht mit ihren Ausgaben gleichsetzte, sondern mit dem Ausgleichszulagenrichtsatz, davon das festgestellte Eigeneinkommen und die erhaltene Wohnbeihilfe abzog und zudem eine „Kontrollrechnung“ sowie Billigkeitserwägungen anstellte, bewegt sich im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zu § 68a EheG und des ihm im Einzelfall notwendiger Weise zukommenden Beurteilungsspielraums (s auch 4 Ob 109/21i ; zum Ausgleichszulagenrichtsatz zudem 6 Ob 108/08 p).

[13] Im Übrigen ist nur mehr der Unterhalt ab 1. 11. 2023 revisionsgegenständlich. Das Berufungsgericht zog für diesen Zeitraum als Lebensbedarf einen Ausgleichszulagenrichtsatz von 1.110 EUR heran, was ohnehin etwa 33 % des vom Erstgericht festgestellten monatlichen Einkommens des Beklagten entspricht. Auch die Höhe des Eigeneinkommens ist in dritter Instanz nicht mehr strittig, und hinsichtlich der Wohnbeihilfe wurde weder eine Ersatzpflicht noch eine Legalzession behauptet. Ebensowenig wurde die Revisionsbehauptung näher begründet, wonach eine Gleichstellung mit der neueren Rechtsprechung zur (Nicht-)Berücksichtigung der Familienbeihilfe zu erfolgen hätte (zum Familienbonus Plus und der nunmehrigen steuerlichen Ausgangslage s RS0132928 ).

[14] 2.1 Das Berufungsgericht verneinte einen Geldunterhaltsanspruch der Klägerin auch nicht generell, sondern im Hinblick auf die laufenden Zahlungen des Beklagten bloß eine Verletzung der Unterhaltspflicht, und wies deswegen die Klage ab.

[15]Bei einer Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit sind nach der Rechtsprechung alle Geld- und Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter in Anschlag zu bringen und vom (errechneten) tatsächlichen Unterhaltsbetrag in Abzug zu bringen. Nur dieser Rest ist in einem Gesamtbetrag als rückständiger Unterhalt zuzusprechen (vgl 10 Ob 58/13x). Die Verurteilung des Unterhaltspflichtigen zu künftigen Unterhaltsleistungen hat eine bereits eingetretene oder zumindest drohende Verletzung des Unterhaltsanspruchs des Unterhaltsberechtigten zur Voraussetzung (RS0047184, RS0041109). Wenn der Unterhaltspflichtige seinen Unterhaltspflichten freiwillig nachkommt, ist kein Exekutionstitel zu schaffen (RS0102134 [T3]).

[16] 2.2 Die Revision stellt sich auf den Standpunkt, dass die Unterhaltszahlungen des Beklagten nicht schuldbefreiend gewesen seien, weil er sie unter dem Vorbehalt der späteren Rückforderung (für den Fall der Verneinung eines Rechtsanspruchs durch das Gericht) geleistet habe. Dies sei im Unterhaltsrecht unzulässig, könne der Berechtigte diesfalls doch die erhaltenen Beträge nicht verbrauchen.

[17]Eine Schuld erlischt im Allgemeinen selbst dann durch die Zahlung, wenn die Rückforderung vorbehalten wird (vgl RS0112195). Die Revisionsbehauptung, nicht oder nicht zur Gänze zustehender Geldunterhalt sei anders zu beurteilen, weil er nicht zurückgezahlt werden müsse, baut auf einer unzutreffenden Prämisse auf. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ohne Rechtsgrundlage gezahlter Unterhalt (nur) dann mangels echter Bereicherung nicht zurückgefordert werden, wenn er gutgläubig verbraucht wurde; gerade dem soll der – auch im Unterhaltsrecht zulässige – Vorbehalt vorbeugen (vgl 1 Ob 48/14m, 10 Ob 58/13x; RS0033609 [T4], RS0033874, RS0033885, RS0033612). Ebenso kann einstweiliger, jedoch ohne Bestehen eines gesetzlichen Anspruchs gezahlter Unterhalt zurückgefordert werden (nach der Rechtsprechung ebenfalls bei Schlechtgläubigkeit und nicht gemäß § 394 EO, vgl RS0114707, RS0116947). Das Streitbereinigungsbedürfnis kann schließlich der Gläubiger durch eine Klage auf Feststellung befriedigen, dass er dem Schuldner keine Rückgabe schulde (vgl 8 Ob 123/08h).

[18] Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, sämtliche (der Höhe nach unstrittige) Zahlungen des Beklagten seien ungeachtet des Vorbehalts auf seine Unterhaltsschuld anzurechnen, ist sohin nicht korrekturbedürftig.

[19]Soweit es den laufenden Unterhalt betrifft, lässt die Revision jegliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung zum rechtlichen Interesse an dessen gerichtlicher Festsetzung im streitigen Ehegatten-Unterhaltsverfahren vermissen. Ein solches kann im Einzelfall zwar selbst dann bestehen, wenn der Beklagte mit Unterhaltsleistungen nicht säumig war (vgl RS0037998, RS0038005). Hier geht die Revision jedoch nicht auf die Überlegung des Berufungsgerichts ein, dass die Klage mangels Unterhaltsverletzung abzuweisen sei, sondern will lediglich die Anrechnung unter Vorbehalt geleisteter Zahlungen verhindern. Eine Unvertretbarkeit der Berufungsentscheidung oder sonst eine erhebliche Rechtsfrage wird damit nicht dargetan.

[20] 3.Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.