8Ob2/25i – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Mag. Malesich als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula, Dr. Thunhart und Mag. Dr. Sengstschmid als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin T* M*, vertreten durch Dr. Gernot Nachtnebel, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner W* F*, vertreten durch Dr. Farid Rifaat, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, infolge des Revisionsrekurses der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 19. Juli 2024, GZ 45 R 301/24h 20, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Hernals vom 25. März 2024, GZ 8 Fam 37/23x 6, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aus Anlass des Revisionsrekurses aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
[1] Die am 9. 10. 2002 geborene Antragstellerin beantragte am 25. 2. 2020 die Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners und gleichzeitig Unterhalt ab 1. 3. 2017 in Höhe von 240 EUR, sowie ab 1. 11. 2017 in Höhe von 265 EUR. Das zu 40 Pu 15/20b des Erstgerichts anhängige Unterhaltsverfahren wurde mit Beschluss vom 27. 2. 2020 unterbrochen, wobei sich aus der Begründung dieser Entscheidung ergibt, dass die Unterbrechung wegen des präjudiziellen Abstammungsverfahrens erfolgte.
[2] Mit dem gegenständlichen Antrag vom 4. 10. 2023 begehrte die Antragstellerin Unterhalt in Höhe von 310 EUR monatlich ab 1. 11. 2023 sowie (gesamt) 10.640 EUR sA für den Zeitraum 1. 11. 2020 bis 31. 10. 2023. Auch wenn im Abstammungsverfahren noch kein Beschluss ergangen sei, sei die Vaterschaft des Antragsgegners aufgrund des dortigen Sachverständigengutachtens erwiesen. Die Antragstellerin sei als Schülerin eines Bundesrealgymnasiums ernsthaft bemüht, einen Abschluss durch Ablegung der Matura zu erreichen, und daher nicht selbsterhaltungsfähig. Für die Zeit ihrer Minderjährigkeit habe sie ihre Unterhaltsansprüche bereits im erwähnten Verfahren vor dem Erstgericht geltend gemacht. Für die Zeit ab ihrer Volljährigkeit sei sie aber verhalten, ihre Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, dies unter Aufrechterhaltung ihres Unterhaltsbegehrens für die Zeit ihrer Minderjährigkeit im erwähnten Verfahren vor dem Erstgericht. Der Antragsgegner, den sonst keine gesetzlichen Unterhaltspflichten träfen, habe aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit, seines Ausbildungsstands und seiner sonstigen Leistungsfähigkeit jedenfalls zumindest als Hilfsarbeiter im März 2017 ein monatliches Nettoeinkommen inklusive Sonderzahlungen von 1.200 EUR, 14 mal jährlich, erzielen können. Dies ergebe unter Berücksichtigung von Lohnerhöhungen für den Zeitraum November 2020 bis Dezember 2022 jedenfalls ein monatliches Nettoeinkommen von 1.380 EUR, und ab Jänner 2023 von 1.409,10 EUR. Daraus folge für November 2020 bis Dezember 2022 ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 290 EUR, ab Jänner 2023 ein solcher von 310 EUR.
[3] Der Antragsgegner, dem dieser Antrag gemäß § 17 AußStrG zur Äußerung binnen 14 Tagen zugestellt wurde, gab im erstinstanzlichen Verfahren keine Stellungnahme ab.
[4] Mit Beschluss vom 8. 2. 2024 zu 8 Fam 28/20v 62 des Erstgerichts wurde festgestellt, dass die Antragstellerin vom Antragsgegner abstammt.
[5] Ohne die Rechtskraft dieses Beschlusses abzuwarten, verpflichtete das Erstgericht den Antragsgegner antragsgemäß zur Leistung von 10.640 EUR an Unterhalt für den Zeitraum 1. 11. 2020 bis 31. 10. 2023 und von 310 EUR Unterhalt monatlich ab 1. 11. 2023. Es stellte fest, dass der Antragsgegner seit 2019 keiner versicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehe. Aufgrund der unwidersprochenen Angaben im Antrag sei in Anwendung des Anspannungsgrundsatzes davon auszugehen, dass der Antragsgegner als Hilfsarbeiter im Zeitraum November 2020 bis Dezember 2022 ein Einkommen von rund 1.380 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen sowie ab Jänner 2023 ein solches von rund 1.410 EUR ins Verdienen bringen hätte können. Der altersbedingt mit 22 % des väterlichen Einkommens zu bemessene Unterhalt liege unter dem Durchschnittsbedarf gleichaltriger Kinder in Österreich und sei daher der Leistungsfähigkeit des Vaters angemessen.
[6] Das Rekursgerichtgab dem Rekurs des Antragsgegners Folge, hob den erstgerichtlichen Beschluss auf und wies den Antrag der Antragstellerin auf Festsetzung von Unterhalt zurück; den Rekurs der Antragstellerin wies es zurück. Die weiters ausgesprochene Zurückweisung der Rekursbeantwortung des Antragsgegners wegen Verspätung erwuchs unangefochten in Rechtskraft. Die Unterbrechung des zu 40 Pu 15/20b des Erstgerichts anhängigen Unterhaltsverfahrens dauere bereits aufgrund der Anordnung des Gesetzes in § 101 Abs 3 AußStrG bis zur rechtskräftigen Beendigung des Abstammungsverfahrens an. Aufgrund der Unterbrechung seien jedoch bis zum Wegfall des Unterbrechungsgrundes keine weiteren Verfahrenshandlungen im Hinblick auf das unterbrochene Unterhaltsverfahren zulässig. Damit könne weder der mit Rekurs der Antragstellerin ergänzend beantragte Unterhalt im Zeitraum 1. 3. 2017 bis 31. 10. 2020 geltend gemacht noch ein Verfahren über die im Rekurs des Antragsgegners erhobenen Einwände gegen den festgesetzten Unterhalt geführt werden. Vielmehr habe der Rekurs des Antragsgegners zur Zurückweisung des neuerlich nach der ausgesprochenen bzw eingetretenen Unterbrechung des Unterhaltsverfahrens eingebrachten Antrags der Antragstellerin auf Festsetzung von Unterhalt zu führen. Die Antragstellerin sei mit ihrem Rechtsmittel auf diese Entscheidung zu verweisen.
[7] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich für zulässig. Dieser weise im Rahmen der Rechtsrüge darauf hin, dass sich die Rechtskraftwirkung einer Unterbrechungsentscheidung nur auf das Verfahren beziehen könne, in dem dieser Beschluss ergangen sei, nicht aber auf ein anderes, auf einer unterschiedlichen Sach und Rechtslage aufbauendes Unterhaltsverfahren. Unter diesen Umständen erscheine eine Klarstellung zur Wahrung der Rechtssicherheit angezeigt.
[8] Mit ihrem Revisionsrekurs strebt die Antragstellerin die ersatzlose Behebung der den Antrag und ihren Rekurs zurückweisenden Entscheidung des Rekursgerichts, die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses und – im Sinne ihres Rekurses – die Ergänzung desselben um die Zuerkennung von Unterhalt für den Zeitraum 1. 3. 2017 bis 31. 10. 2020 an. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.
[9] Der Antragsgegner erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
[10] Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig . Er ist im Ergebnis auch berechtigt .
[11]1.1. Hängt der Unterhaltsanspruch vom Ergebnis eines Abstammungsverfahrens ab, so kann gemäß § 101 Abs 3 erster Satz AußStrG ein Antrag auf Unterhalt gestellt werden, wenn spätestens gleichzeitig ein auf Einleitung des Abstammungsverfahrens zielender Antrag bei Gericht eingebracht wird.
1.2. Bereits aus dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ergibt sich daher, dass ein Antrag auf Unterhalt vor der rechtskräftigen Feststellung der Vaterschaft des Antragsgegners gestellt werden kann. Die Einleitung des Abstammungsverfahrens muss nicht im selben Schriftsatz mit dem Unterhaltsantrag und auch nicht beim selben Gericht begehrt werden ( Nademleinsky in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG 2 § 101 Rz 49; Philadelphy in Schneider/Verweijen, AußStrG § 101 Rz 10; Deixler Hübner in Rechberger/Klicka, AußStrG 3§ 101 Rz 8); vielmehr ist die Zulässigkeit eines Unterhaltsantrags auch während eines bereits anhängigen Abstammungsverfahrens zu bejahen (vgl 10 Ob 79/19v).
[12]1.3. Dies dient dem Zweck, keine Zeit zu verlieren und den Unterhaltsanspruch vor drohender Verjährung zu schützen (10 Ob 86/10k; 10 Ob 79/19v; Nademleinsky aaO Rz 47; PhiladelphyaaO Rz 10). Es ist auch keine ex lege eintretende oder sonst zwingende Unterbrechung des Unterhaltsverfahrens angeordnet. Vielmehr wird in § 101 Abs 3 zweiter Satz AußStrG bestimmt, dass über den Unterhaltsantrag nicht vor rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens zu entscheiden ist. Ob und für welche Dauer das Unterhaltsverfahren wegen des anhängigen Abstammungsverfahrens formell zu unterbrechen ist, ist im Rahmen des § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG unter Heranziehung der Kriterien Tunlichkeit, Zweckmäßigkeit und Dringlichkeit (vgl RS0132126) zu entscheiden.
[13]1.4. Mit § 101 Abs 3 AußStrG selbst kann daher die Zurückweisung des gegenständlichen Antrags nicht begründet werden.
[14] 2.1. Mit dem Beschluss vom 27. 2. 2020 zu 40 Pu 15/20b2 hat das Erstgericht lediglich dieses Verfahren unterbrochen. Die Wirkungen des Beschlusses erstrecken sich nicht über dieses Verfahren hinaus auf ein anderes, – wie hier – erst später eingeleitetes Verfahren. Der Beschluss des Erstgerichts vom 8. 2. 2024 im Abstammungsverfahren ist zwar aufgrund des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom 24. 10. 2024 zu 1 Ob 168/24y während des gegenständlichen Revisionsrekursverfahrens in Rechtskraft erwachsen. Dies ändert aber nichts an der aufrechten Unterbrechung des zu 40 Pu 15/20b des Erstgerichts anhängigen Unterhaltsverfahrens, weil eine Fortsetzung des Verfahrens eines Beschlusses bedarf (6 Ob 62/12d; Schneider in Schneider/Verweijen, AußStrG § 26 Rz 37; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG 2 § 26 Rz 53), ein solcher Fortsetzungsbeschluss bisher aber noch nicht gefasst wurde.
[15] 2.2. Den Ausführungen des Rekursgerichts ist jedoch zu entnehmen, dass es deshalb eine Bedeutung des Unterbrechungsbeschlusses auch für das gegenständliche Verfahren angenommen hat, weil es von der Identität der geltend gemachten Ansprüche ausgegangen ist.
[16]2.3. Ist derselbe Verfahrensgegenstand bei mehreren Gerichten anhängig, so ist die Sache an jenes der an sich zuständigen Gerichte zu überweisen, bei dem sie zuerst anhängig ist (§ 12 Abs 2 AußStrG).
[17]2.4. § 12 Abs 2 AußStrG normiert eine spezifische Art des Umgangs mit der der Streitanhängigkeit entsprechenden Verfahrenskonstellation und sieht – im Gegensatz zum Zivilprozess – kein Prozesshindernis, sondern die „Vereinigung“ aller Anträge bei einem Gericht vor (RS0116910 [T1]; RS0125903; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG 2 § 12 Rz 2, 10; Schneider aaO § 12 Rz 15; Klicka/Rechberger in Rechberger/Klicka AußStrG 3 § 12 Rz 4).
[18]2.5. Die in § 12 Abs 2 AußStrG vorgesehene Überweisung der Sache an das an sich zuständige Gericht, bei dem sie zuerst anhängig gemacht worden ist, hat (zumindest grundsätzlich) mit – anfechtbarem – Beschluss zu erfolgen ( G. Kodek aaO § 12 Rz 18; Schneider aaO § 12 Rz 29).
[19]2.6. Zweck der Vorschrift ist es, parallele Verfahren und damit widersprechende Entscheidungen zu verhindern (RS0126868). Ob angesichts dessen die Bestimmung auch dann anzuwenden ist, wenn zwei Verfahren mit demselben Verfahrensgegenstand bei einem einzigen Gericht anhängig sind, kann – hier – aber ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob überhaupt Identität der Sache gegeben ist. Vor einer allfälligen – hier nicht erfolgten – Vereinigung (Verbindung der Verfahren) kommt eine Wirkung der Unterbrechung des ersten Verfahrens auf das zweite Verfahren keinesfalls in Betracht.
[20] 2.7. Das Rekursgericht ging daher unzutreffend von einer Unterbrechungswirkung aus.
[21]3.1. Nach § 101 Abs 3 zweiter Satz AußStrG ist über den Unterhaltsantrag nicht vor rechtskräftiger Beendigung des Abstammungsverfahrens zu entscheiden.
[22] 3.2. Da der Unterhalt nur von einem Mann verlangt werden kann, dessen (rechtliche) Vaterschaft feststeht, darf vor rechtskräftiger (positiver) Erledigung des Abstammungsverfahrens über den gegen ihn gerichteten Unterhaltsantrag nicht entschieden werden ( NademleinskyaaO § 101 Rz 47). Durch die verfahrensrechtliche Norm des § 101 Abs 3 AußStrG (6 Ob 62/16k) wird auch klargestellt, dass die Frage, von wem das Kind abstammt, im Unterhaltsverfahren nicht als Vorfrage beurteilt werden darf ( Simotta in Fasching/Konecny 3[2013] § 114 JN Rz 60 mwN; vgl 10 Ob 86/10k; 6 Ob 62/16k; 10 Ob 79/19v). Die Bestimmung ordnet ein absolutes (temporäres) Entscheidungsverbot an.
[23]3.3. Im Rechtsmittelsystem des AußStrG wird der Begriff „Nichtigkeit“ weitgehend (vgl aber § 56 Abs 1 AußStrG: „für nichtig zu erklären“) vermieden. Die Fälle des § 56 AußStrG kommen den Nichtigkeitsgründen der ZPO aber noch am nächsten: Die Mängel des § 56 Abs 1 AußStrG [nicht hingegen die sachliche Unzuständigkeit nach § 56 Abs 2 AußStrG] sind nach § 55 Abs 3 AußStrG von Amts wegen wahrzunehmen und wirken nach § 56 Abs 1 und 2 AußStrG absolut, führen also zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ohne Rücksicht darauf, ob sie sich auf deren Richtigkeit auswirken konnten. Damit sind diese Mängel gemeinsam mit den Besetzungsmängeln iwS (§ 58 Abs 4 AußStrG) die schwersten Mängel, die das AußStrG kennt. In allen Fällen des § 56 Abs 1 AußStrG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben, das vorangegangene Verfahren für nichtig zu erklären und gegebenenfalls der verfahrenseinleitende Antrag zurückzuweisen ( G. Kodek aaO § 56 Rz 1 und 2).
[24]3.4. Diese „schwersten Mängel“ haben gemeinsam, dass das befasste Gericht das Verfahren nicht führen, insbesondere aber keine (inhaltliche) Entscheidung fällen darf. Zwar ist im Hinblick auf die Absicht des historischen Gesetzgebers, die Nichtigkeitsgründe zurückzudrängen, bei einer analogen Anwendung des § 56 Abs 1 AußStrG auf andere Fälle Vorsicht geboten; ein Verstoß gegen die – für das Unterhaltsverfahren besondere verfahrensrechtliche – Bestimmung des § 101 Abs 3 Satz 2 AußStrG hat aber das gleiche Gewicht wie die in § 56 Abs 1 AußStrG angeführten Fälle und ist damit von Amts wegen aufzugreifen.
[25]3.5. Da das Erstgericht gegen das Entscheidungsverbot des § 101 Abs 3 AußStrG verstoßen hat, ist mit Aufhebung und Zurückverweisung der Rechtssache an dieses vorzugehen.
[26]4. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 78 AußStrG.