JudikaturOGH

14Os27/25i – OGH Entscheidung

Entscheidung
Strafrecht
12. Juni 2025

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Juni 2025 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als Vorsitzende, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Eißler in der Strafsache gegen * A* wegen des Vergehens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 19. November 2024, GZ 38 Hv 90/24k 55.9, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Die Entscheidung über die Berufungen kommt dem Oberlandesgericht Wien zu.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1]Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Bedeutung – * A* der Vergehen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB (D) und der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (E) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er

D/ von 2021 bis zum 30. Juli 2023 in S* eine längere Zeit hindurch fortgesetzt Gewalt gegen * B* ausgeübt, indem er diese am Körper misshandelte oder vorsätzlich mit Strafe bedrohte Handlungen gegen Leib und Leben oder die Freiheit beging, nämlich

1/ ihr Ende 2021/Anfang 2022 einen kräftigen Stoß versetzte, wodurch sie rücklings gegen den Wohnzimmertisch fiel und Hämatome und Kratzer im Bereich der Hüfte und Hämatome am Ellenbogen erlitt;

2/ ihr im Winter 2022 das Mobiltelefon aus der Hand riss, sie am Oberarm und am Genick packte, ihr Gesicht gegen ein Fenster schlug, wodurch sie zu Sturz kam, und er sie sodann mit beiden Händen am Hals kräftig würgte, sodass ihr die Luft wegblieb und sie Schürfwunden an der rechten Wange und Würgemale am Hals erlitt;

3/ sie im Sommer 2022 aus der Wohnung stieß und sodann durch Zuschlagen der Terrassentüre ihren linken Fuß einklemmte, wodurch sie Hämatome an den Oberarmen und eine Schwellung am linken Fuß erlitt;

4/ sie im Winter 2022 zunächst gegen eine Liege stieß, wodurch sie zu Sturz kam und dann an den Oberarmen packte und gegen die Wohnzimmerwand schleuderte, wodurch sie Hämatome an den Ober- und Unterarmen erlitt;

5/ ihr in Abständen von etwa drei Monaten Schläge oder Stöße versetzte, wodurch sie Schürfwunden oder Hämatome erlitt;

6/ ihr laufend telefonisch drohte, „ihre Sachen zu zerstören“, wobei er (einmal) ein Foto eines brennenden Kugelgrills mit der Bemerkung übersandte, er sei gerade dabei, „ihre Sachen zu verbrennen“;

7/ „ihr wiederholt ihr Mobiltelefon aus der Hand riss und dieses durch Aufschlagen beschädigte oder die SIM Karte entfernte“;

9/ ihr am 30. Juli 2023 einen Stoß versetzte, sodass sie samt Barhocker gegen eine Glasvitrine stürzte, sie in weiterer Folge an den Oberarmen packte und ihr Gesicht gegen einen Mauervorsprung schlug, sodass sie Prellungen und eine Fraktur des Nasenbeins ohne Verschiebung der Bruchstücke erlitt;

E/ Ende 2019/Anfang 2020 B*, indem er sie auf dem Pannenstreifen der Autobahn in der Nähe der Abfahrt K* an der Hand erfasste und aus dem Auto zerrte, zum Aussteigen aus diesem genötigt, wobei er sie in weiterer Folge dort zurückließ.

Rechtliche Beurteilung

[3]Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5a sowie 9 lit a und b StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

[4] Der Antwort auf das Vorbringen zu den einzelnen Nichtigkeitsgründen ist voranzustellen, dass – auf Basis der Urteilsfeststellungen – dem Beschwerdeführer zu Punkt D/ des Schuldspruchs ein im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit gesetztes Verhalten zur Last liegt (vgl RISJustiz RS0129716 [T4]). Soweit die Nichtigkeitsbeschwerde den Wegfall einzelner Teilakte anstrebt oder Feststellungen zu deren konkreter Ausprägung (einschließlich der Tatfolgen) in Frage stellt, spricht sie keine (für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage) entscheidenden Tatsachen an (RISJustiz RS0127374).

[5] Entgegen der Verfahrensrüge (Z 4) erfolgte die Abweisung zweier Beweisanträge (ON 42.3, 129 f iVm ON 55.8, 20 ff) zu Recht. Jener auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens aus dem Bereich der Unfallchirurgie „zum Beweis dafür, dass das Verletzungsbild vom 30. 7. 2021“ (gemeint offenbar: 2023) „nicht mit dem“ vom Opfer „geschilderten Vorgang in Einklang zu bringen sei“, nannte nach dem oben (zur tatbestandlichen Handlungseinheit) Ausgeführten kein (unmittelbar schuld- oder subsumtions-) erhebliches Beweisthema (RISJustiz RS0118319). Unter dem Aspekt – grundsätzlich zulässiger (vgl RISJustiz RS0120634) – Infragestellung der Glaubwürdigkeit der Zeugin B* ließ der Antrag nicht erkennen, weshalb die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis hätte erbringen sollen und war daher auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet (RISJustiz RS0118444 [T6]).

[6]Gleiches gilt für den (schon dem Wortlaut nach bloß die Glaubwürdigkeit dieser Zeugin thematisierenden) Antrag auf (zusammengefasst) „Einholung medizinischer Befunde und Unterlagen“ betreffend B* einerseits des A* Instituts „aus dem Jahr 2019 bis 2020“, andererseits des S* „aus den Jahren 2017 bis 2018“, weiters „auf Einholung der [verschiedene Personen betreffenden] Pflegschaftsakten des BG G*“ sowie auf „Einholung eines medizinischen SV Gutachtens auf Grundlage obiger Unterlagen“ zum Beweis dafür, dass B* „unter Wahnvorstellungen leide und zu Sachverhaltsreaktionen neige, die mit der Realität nicht übereinstimmen“. Denn besondere Umstände, die konkrete Bedenken gegen die Wahrnehmungs- oder die Wiedergabefähigkeit dieser Zeugin geweckt hätten, nannte das Antragsvorbringen nicht (RISJustiz RS0097576).

[7] Das in der Verfahrensrüge zur Fundierung der Beweisanträge nachgetragene Vorbringen unterliegt dem Neuerungsverbot und ist daher prozessual unbeachtlich (RISJustiz RS0099618).

[8] Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) aus im Urteil angeführten Prämissen (den Aussagen der Zeuginnen B* [US 9 ff] und * Ba* [US 14], Fotos von Verletzungen des Opfers [US 10] und von diesem verfasste Chatnachrichten [ON 18]) für den Beschwerdeführer günstigere Schlussfolgerungen zieht als die Tatrichter, weckt sie keine erheblichen Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (RISJustiz RS0099674).

[9] Dies trifft auch auf den Einwand zu, es fehlten aktenkundige Beweisergebnisse für die Zufügung von Verletzungen der Zeugin B* durch den Beschwerdeführer (RISJustiz RS0128874). Davon abgesehen spricht das Vorbringen, welches die Zufügung von Verletzungen anlässlich einzelner der zu Punkt D/ angelasteten Ausführungshandlungen in Frage stellt, nach dem oben Gesagten keine entscheidenden Tatsachen an, die allein den gesetzlichen Bezugspunkt der Tatsachenrüge bilden (RISJustiz RS0117499).

[10] Die Rechtsrüge (nominell Z 9 lit a, der Sache nach lit b) kritisiert zu Punkt E/ das Fehlen von „Feststellungen zur Rechtfertigung des tatbestandsmäßigen Vorgehens des Angeklagten im Sinne einer rechtmäßigen Selbsthilfe bzw irrtümlichen Annahme eines rechtfertigenden Sachverhalts“, unterlässt dabei jedoch den gebotenen (vgl RISJustiz RS0118580) Hinweis auf Verfahrensergebnisse, welche die Annahme eines Rechtfertigungsgrundes tragende Konstatierungen indiziert hätten.

[11] Sofern das Vorbringen auch in dem Sinn gemeint ist, ein Rechtfertigungsgrund sei bereits auf Basis des Urteilssachverhalts anzunehmen, übergeht der Beschwerde-führer zunächst, dass eine von ihm an seine damalige Lebensgefährtin B* gerichtete (erfolglose mündliche) Aufforderung, seinen Pkw nach dessen Anhalten zu verlassen, nicht festgestellt wurde. Andererseits vernachlässigt er, dass Rechtfertigung einerseits in Ausübung des Selbsthilferechts nur bei Verhältnismäßigkeit der angewendeten Gewalt in Betracht kommt (vgl § 344 ABGB [„mit angemessener Gewalt“]; RISJustiz RS0009019; Lewisch in WK 2StGB Nach § 3 Rz 156; Kodek in Kletečka/Schauer, ABGB ON 1.04 § 344 Rz 2; ders in Fenyves/Kerschner/Vonklich , Klang 3 § 344 Rz 31 ff; Holzner in Rummel/Lukas, ABGB 4§ 344 Rz 5) und andererseits nach § 105 Abs 2 StGB nicht greift, wenn die Anwendung der Gewalt oder Drohung als Mittel zu dem angestrebten Zweck den guten Sitten widerstreitet (vgl RISJustiz RS0095293, RS0093180; Schwaighofer in WK 2StGB § 105 Rz 75 ff [insbesondere Rz 77 zum restriktiven Maßstab beim Einsatz von Gewalt als Nötigungsmittel]). Indem die Rüge diese Voraussetzungen ignoriert, leitet sie die Behauptung vorliegender Rechtfertigung nicht methodengerecht aus dem Gesetz ab (vgl aber RISJustiz RS0116565).

[12] Die weitere Rechtsrüge (Z 9 lit a) bekämpft einzelne der zu Punkt D/ angelasteten Ausführungshandlungen, erklärt dabei aber nicht, weshalb deren Wegfall den Schuldspruch mit Blick auf die (im Sinn der einleitenden Ausführungen vorliegende) tatbestandliche Handlungseinheit in Frage stelle und solcherart entscheidend sei.

[13]Demnach kann dahinstehen, ob das zu Punkt D/7 festgestellte, wiederholte und gewaltsame Aus-der-Hand-Reißen des Mobiltelefons (US 6) eine ausreichende Einwirkung auf den Körper des Opfers im Sinn der vom Erstgericht ersichtlich angenommenen (US 7) Tatbestandsvariante einer Misshandlung am Körper zum Ausdruck bringt (vgl 14 Os 101/17k; 13 Os 129/21a [„Mindestmaß an Eingriffsintensität“]; Burgstaller/Schütz in WK 2StGB § 83 Rz 24).

[14] Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit b) schließlich Verjährung der zu Punkt E/ inkriminierten (Ende 2019/Anfang 2020 gesetzten) Tat behauptet, argumentiert sie nicht auf Basis des Urteilssachverhalts (vgl aber RISJustiz RS0099810), nach welchem der Beschwerdeführer von Ende 2021 bis zum 30. Juli 2023 auf der gleichen schädlichen Neigung beruhendes, mit Strafe bedrohtes Verhalten setzte, weshalb Verjährungshemmung nach § 58 Abs 2 StGB eingreift.

[15]Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

[16]Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

[17]Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.