10ObS27/25f – OGH Entscheidung
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei B*, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. inSimone Metz, LL.M., Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Partnerschaftsbonus, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Jänner 2025, GZ 8 Rs 11/25h 18, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
[1] Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rechtzeitigkeit des anlässlich der Geburt des Kindes am 23. August 2022 gestellten Antrags der Klägerin auf Partnerschaftsbonus zum Kinderbetreuungsgeld vom 22. Juni 2024.
[2] Die Klägerin füllte am 18. Oktober 2022 im auf der Webseite der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse bereitgestellten Formular die für den Antrag auf Partnerschaftsbonus erforderlichen Daten aus und sendete den Antrag nach dem Erstellen der Druckübersicht (irrtümlich) nicht ab.
[3] Am 22. Jänner 2024 und am 19. Februar 2024 erkundigte sich die Klägerin per E Mail bei der Beklagten über die Auszahlung des am 18. Oktober 2022 beantragten Partnerschaftsbonus und fügte jeweils die am 18. Oktober 2022 erstellte – alle für den Antrag auf Partnerschaftsbonus erforderlichen Daten und die Wortfolge „Ich beantrage hiermit den Partnerschaftsbonus zum Kinderbetreuungsgeld.“ enthaltende – Zusammenfassung an.
[4] Am 22. Juni 2024 stellte die Klägerin sodann (nach entsprechendem Hinweis der Beklagten) einen (unstrittig formgültigen) Antrag auf Gewährung des Partnerschaftsbonus über die Webseite der Beklagten.
[5] Mit Bescheid vom 5. August 2024 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 22. Juni 2024 auf Zuerkennung des Partnerschaftsbonus wegen Verspätung ab.
[6] Die Vorinstanzen gaben dem auf Zahlung des Partnerschaftsbonus gerichteten Klagebegehren statt. Die E Mails der Klägerin vom 22. Jänner 2024 und 19. Februar 2024 würden zwar auf einen Antrag Bezug nehmen, sie enthielten aber zudem auch eine Zusammenfassung samt der Erklärung, einen Antrag zu stellen. Diese EMails seien somit als Antrag auf Gewährung des Partnerschaftsbonus zu werten, der mangels Verwendung des nach § 26 Abs 1 KBGG erforderlichen bundeseinheitlichen Formulars verbesserungsbedürftig sei. Diese Verbesserung sei mit der Einbringung des Antrags vom 22. Juni 2024 erfolgt. Das von der Beklagten monierte Streitgegenstandsproblem liege nicht vor, weil der bekämpfte Bescheid zwar den Antrag vom 22. Juni 2024 nenne, dies aber unter Missachtung des § 13 Abs 3 letzter Satz AVG. Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu.
Rechtliche Beurteilung
[7] Die dagegen erhobene außerordentliche Revisionder Beklagten ist mangels Aufzeigens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[8] 1.1.Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen (RS0008822 [T2]). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680 [T1]); die Reichweite des Bescheidspruchs ist schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids zu interpretieren (RS0105139). Da der Entscheidungswille des Versicherungsträgers im Zweifel – etwa mangels sich aus dem Bescheid ergebender gegenteiliger Anhaltspunkte – sämtliche Anbringen und Gegenstände erfasst, über die ein Bescheid zu erlassen ist, kann etwa auch den Erklärungen, die der Versicherte im Verwaltungsverfahren gegenüber dem Versicherungsträger abgibt, Bedeutung zukommen (10 ObS 141/22s Rz 16).
[9] 1.2.Gegenstand des bekämpften Bescheids war der am 22. Juni 2024 eingebrachte, unstrittig dem Formerfordernis des § 26 Abs 1 KBGG entsprechende Antrag der Klägerin auf Gewährung des Partnerschaftsbonus. Über etwas anderes wurde auch im vorliegenden Gerichtsverfahren nicht entschieden, wenn der Klägerin der Partnerschaftsbonus aufgrund dieses (als Verbesserung im Sinn des § 13 Abs 3 letzter Satz AVG beurteilten) Antrags zuerkannt wurde.
[10] 2.1.Die Beklagte wendet sich in der Revision – zutreffend (10 ObS 76/15x ErwGr 2.) – nicht gegen die Anwendung des § 13 AVG (iVm Art I Abs 2 Z 1 EGVG; insbesondere schließt § 360b ASVG die Anwendung des § 13 AVG im Verfahren der Versicherungsträger in Leistungssachen, auf das § 25a KBGG verweist, nicht aus). Sie steht vielmehr auf dem Standpunkt, dass in den E Mails der Klägerin vom 22. Jänner 2024 und vom 19. Februar 2024 kein Antrag enthalten gewesen sei.
[11] 2.2.Die Frage der Auslegung einer Parteierklärung wirft regelmäßig keine Rechtsfrage von über den Einzelfall hinausgehender erheblicher Bedeutung auf (vgl RS0042828 [T8]; VwGH Ra 2024/22/0107). Eine solche zeigt die Beklagte in der Revision auch nicht auf.
[12] 2.3.Es trifft zu, dass Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen und bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe grundsätzlich unbeachtlich sind (10 ObS 76/15x ErwGr 2.; VwGH Ra 2022/03/0190 ua). Einen solchen eindeutigen Inhalt weisen die E Mails der Klägerin jedoch nicht auf, war ihnen doch einerseits eine Erkundigung zu einem (nicht gestellten) Antrag zu entnehmen, andererseits allerdings auch ein Dokument mit einem (ausdrücklichen) Antrag auf Entscheidung über einen Anspruch. Mit dem Abstellen auf den bloßen Text der E Mail blendet die Beklagte den vollständigen Inhalt dieser E Mails – insbesondere jenen des angehängten Dokuments, das einen ausdrücklichen Antrag enthielt – aus und gelingt es ihr schon deswegen nicht, eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen aufzuzeigen.
[13] 3.Soweit sich die Beklagte erstmals in der Revision auf eine (nach ihrem Verständnis) auf ihrer Webseite kundgemachte Beschränkung des elektronischen Verkehrs im Sinn des § 13 Abs 2 AVG beruft und daraus ableitet, dass die E Mails vom 22. Jänner 2024 und vom 19. Februar 2024 als nicht bei ihr eingelangt anzusehen seien, handelt es sich um eine unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung.