JudikaturOGH

7Ob79/24d – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Erwachsenenschutzsache des Betroffenen N* D*, Rechtsbeistand und einstweiliger Erwachsenenvertreter Mag. C* S*, wegen Beendigung einer Vorsorgevollmacht sowie der gesetzlichen Erwachsenenvertretung und Bestellung eines einstweiligen Erwachsenenvertreters, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen sowie seiner Vorsorgebevollmächtigten 1. S* D*, dieser auch als gesetzlicher Erwachsenenvertreter, und 2. I* S*, beide vertreten durch die Sutterlüty Klagian Brändle Gisinger Lingenhöle Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 23. Jänner 2024, GZ 2 R 11/24v 24, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Der außerordentliche Revisionsrekurs von S* D* und I* S* wird zurückgewiesen.

II. Der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Der nunmehr 93 jährige Betroffene erteilte am 30. 1. 2016 neben seiner Lebensgefährtin seinen Kindern S* D* und I* S* für den Fall des Verlusts seiner Geschäftsfähigkeit Vorsorgevollmacht einerseits zu seiner Einzelvertretung gegenüber Ärzten, Krankenanstalten und Pflegeheimen und zur Einwilligung zur medizinischen Behandlung (darüber hatte er bereits am 9. 12. 2014 eine Vorsorgevollmacht errichtet) und andererseits in der Form der Vertretung durch zwei Bevollmächtigte gemeinsam zur Vertretung in allen vermögensrechtlichen Angelegenheiten. Der Eintritt des Vorsorgefalls wurde am 4. 9. 2023 im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis eingetragen.

[2] Seit 21. 11. 2023 ist sein Sohn S* D* sein gesetzlicher Erwachsenenvertreter zur Vertretung insbesondere in gerichtlichen Verfahren.

[3] Das Erstgericht ordnete gemäß § 246 Abs 3 Z 1 ABGB die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung vom 21. 11. 2023 für den Betroffenen sowie der Vorsorgevollmachten vom 9. 12. 2014 und vom (richtig:) 30. 1. 2016 an, bestellte einen Rechtsanwalt gemäß § 120 AußStrG zum einstweiligen Erwachsenenvertreter für den Betroffenen zur Besorgung bestimmter Angelegenheiten und diesen Rechtsanwalt gemäß § 119 AußStrG zum Rechtsbeistand.

[4] Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Betroffenen teilweise Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Beschluss insoweit, als es die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung (des Sohnes) für den Betroffenen anordnete (Spruchpunkt 1.), für den Betroffenen mit sofortiger Wirkung gemäß § 120 AußStrG einen Rechtsanwalt zum einstweiligen Erwachsenenvertreter zur Besorgung seiner Vertretung im Verfahren über die Erlassung der einstweiligen Verfügung sowie zur Bestimmung des Wohnortes und der Organisation einer angemessenen Betreuung bestellte (Spruchpunkt 2.) und den Rechtsanwalt zum Rechtsbeistand des Betroffenen im Verfahren, in dem die Notwendigkeit der Bestellung eines gerichtlichen Erwachsenenvertreters geprüft wird, bestellte (Spruchpunkt 3.). Im darüber hinausgehenden Umfang – hinsichtlich der Beendigung der beiden Vorsorgevollmachten und der Bestellung des einstweiligen Erwachsenenvertreters zur Besorgung bestimmter weiterer Angelegenheiten – hob es den erstinstanzlichen Beschluss zur (allfälligen) neuerlichen Entscheidung auf. Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs gegen den bestätigenden Teil seiner Entscheidung nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

[5] Dagegen richtet sich der im eigenen und im Namen des Betroffenen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs seiner Kinder, die beide Vorsorgebevollmächtigte sind und der Sohn zugleich als gesetzlicher Erwachsenenvertreter des Betroffenen im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis eingetragen ist.

I. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs der Kinder des Betroffenen im eigenen Namen:

[6] 1. Den Kindern des Betroffenen kommt in ihrer Eigenschaft als Angehörige, auf die sie sich für ihre Parteistellung berufen, keine Rechtsmittellegitimation zu, weil kein Fall des § 127 Abs 3 AußStrG vorliegt. Diese Bestimmung bezieht sich nach ihrem klaren Wortlaut nur auf die Bestellung des endgültigen (gerichtlichen) Erwachsenenvertreters und ist bei der Bestellung eines Rechtsbeistands nach § 119 AußStrG oder eines einstweiligen Erwachsenenvertreters nach § 120 AußStrG nicht anzuwenden, zumal § 120 Abs 3 AußStrG nur die sinngemäße Anordnung der verfahrensrechtlichen Regeln der §§ 123 und 126 AußStrG, nicht aber des § 127 AußStrG anordnet (4 Ob 78/21f [Rz 9] = RS0133667).

[7] 2. Auch sind weder ein gesetzlicher Erwachsenenvertreter (hier der Sohn; vgl 8 Ob 54/24k) noch ein Vorsorgebevollmächtigter (hier Sohn und Tochter; [26. 9. 2017] 4 Ob 161/17f) zur Erhebung eines Rechtsmittels im eigenen Namen berechtigt. Diese sind grundsätzlich nicht Parteien des Verfahrens.

[8] 3. Nach § 64 Abs 1 AußStrG ist ein Beschluss, mit dem das Rekursgericht einen Beschluss des Gerichts erster Instanz aufgehoben hat und diesem eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen hat, nur dann anfechtbar, wenn das Rekursgericht ausgesprochen hat, dass der Revisionsrekurs zulässig ist. Fehlt – wie hier hinsichtlich des aufhebenden Teils der Rekursentscheidung – ein solcher Ausspruch, dann ist jegliches Rechtsmittel jedenfalls unzulässig (RS0030814 [T5, T6]).

[9] Soweit die Kinder ihre Rechtsmittellegitimation aus der möglichen Beendigung ihrer Stellung als Vorsorgebevollmächtigter ableiten, ist ihnen entgegenzuhalten, dass eine allfällige Beendigung der ihnen erteilten Vorsorgevollmachten Gegenstand des fortzusetzenden Verfahrens ist und der gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts erhobene Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist.

[10] 4. Aus den dargelegten Gründen ist d er von den Kindern des Betroffenen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs zurückzuweisen.

II. Zum außerordentlichen Revisionsrekurs des Betroffenen:

[11] 1. Der Sohn des Betroffenen ist als noch nicht rechtskräftig enthobener gesetzlicher Erwachsenenvertreter, dessen Wirkungskreis die Vertretung in gerichtlichen Verfahren umfasst, zur Erhebung des Revisionsrekurses im Namen und Interesse des Betroffenen legitimiert (8 Ob 54/24k [Rz 14] mwN; vgl RS0006229 [T24, T33]).

[12] 2.1. Nach § 240 Abs 2 ABGB ist die Bestellung eines Erwachsenenvertreters bei Vorhandensein eines gewillkürten Vertreters, etwa eines solchen, der durch eine Vorsorgevollmacht zur Vertretung berufen ist, nicht „absolut unzulässig“, sondern (nur) insoweit unzulässig, als durch eine Vorsorgevollmacht für die Besorgung der Angelegenheiten der behinderten Person „im erforderlichen Ausmaß“ vorgesorgt ist ([21. 12. 2017] 4 Ob 161/17f [Punkt 1.1; zu § 268 Abs 2 ABGB aF]). Der Oberste Gerichtshof stellt bei der Beurteilung der Frage, ob eine Vorsorgevollmacht die Bestellung eines Erwachsenenvertreters ausschließt, darauf ab, dass das Handeln des Bevollmächtigten keine Nachteile für die betroffene Person nach sich ziehen und ihr Wohl nicht gefährden darf (RS0123430 [T2]; RS0124579 [T1]). Die Bestellung eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters ist dann unzulässig, wenn sich die betroffene Person der Hilfe anderer in rechtlich einwandfreier Weise bedienen kann (RS0048997 [T1]).

[13] 2.2. Nach § 246 Abs 3 Z 1 ABGB hat das Gericht die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung anzuordnen und erforderlichenfalls einen gerichtlichen Erwachsenenvertreter zu bestellen, „wenn der Vertreter nicht oder pflichtwidrig tätig wird oder es sonst das Wohl der vertretenen Person erfordert“.

[14] 2.3. Bei der Beurteilung der Eignung (§ 243 ABGB) einer Person als Erwachsenenvertreter ist auf mögliche Interessenkollisionen Bedacht zu nehmen (RS0048982; RS0049104 [T10]); zu deren Annahme reicht bereits ein objektiver Tatbestand und die Wahrscheinlichkeit einer Interessensverletzung des Betroffenen aus (RS0048982 [T1]). Bei bestehenden Hinweisen auf solche Interessengegensätze reicht bereits eine mögliche Interessenkollision, sofern sie auch nur wahrscheinlich ist, aus, um der Eignung eines nahen Angehörigen als Erwachsenenvertreter entgegenzustehen; die gebotene gerichtliche Kontrolle des Erwachsenenvertreters ändert daran nichts (8 Ob 54/24k [Rz 21] mwN).

[15] 2.4. Die Beurteilung der Frage, ob genügend und welche Anhaltspunkte für die Notwendigkeit einer Bestellung eines (einstweiligen) Erwachsenenvertreters vorliegen, ist immer eine solche des Einzelfalls; die Frage ist aus den dem Tatsachenbereich zuzuordnenden Grundlagen zu lösen und nach den konkreten Tatumständen jeweils individuell zu beurteilen (RS0087091 [T2, T3, T5]; RS0106166).

[16] 3.1. Der Betroffene leidet an Parkinson und Demenz und erhält Pflegegeld der Stufe 6. Er ist nicht einsichts und urteilsfähig und kann seiner Verlegung an einen anderen Ort nicht mehr zustimmen. Am 5. 9. 2023 brachten ihn sein Sohn und seine Tochter aus seiner gewohnten Umgebung und von seiner Lebensgefährtin, mit der er seit ca 18 Jahren in einer Wohnung lebte, weg. Sie verbrachten ihn zunächst zur Tochter in die Schweiz und von dort zu deren Familie nach Südfrankreich. Seit diesem Zeitpunkt wird der Lebensgefährtin jeglicher Kontakt zum Betroffenen von den beiden Kindern verwehrt.

[17] Mit Schenkungsvertrag auf den Todesfall vom Oktober 2010 schenkte der Betroffene seiner Lebensgefährtin im Todesfall beträchtliches Vermögen unter der Voraussetzung, dass die Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt seines Ablebens noch aufrecht ist.

[18] Mit Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung begehrte der Betroffene vor dem Erstgericht, vertreten durch seinen Sohn als gesetzlicher Erwachsenenvertreter, gegenüber seiner Lebensgefährtin die Erlassung eines Betretungsverbots der gemeinsamen Wohnung und eines Annäherungsverbots. Dieses Verfahren wurde gemäß § 6a ZPO unterbrochen und die Bestellung eines Kollisionskurators aufgrund bestehender Interessenkollision angeregt, weil der Sohn als gesetzlicher Erwachsenenvertreter (wie auch die Tochter) im Fall der Aufhebung der Lebensgemeinschaft beim Ableben des Betroffenen erhebliche vermögensrechtliche Vorteile erlangen würde.

[19] 3.2. Das Rekursgericht führte dazu aus, dass die Entscheidung über (auch nur vorübergehende) Änderungen des Wohnortes – außerhalb notwendiger medizinischer Behandlungen – von der Vorsorgevollmacht vom 30. 1. 2016 nicht umfasst sei. Auch die gesetzliche Erwachsenenvertretung des Sohnes umfasse die Änderung des Wohnortes nicht. Da dem Betroffenen die Entscheidungsfähigkeit zur Änderung seines Wohnortes fehle, sei seine Verbringung am 5. 9. 2023 aus seiner (österreichischen) Wohnung in die Schweiz und von dort nach Frankreich ohne seine Zustimmung und auch die eines entscheidungsbefugten Vertreters unzulässig. Er bedürfe dringend der Vertretung durch einen einstweiligen Erwachsenenvertreter in Bezug auf die Bestimmung des Wohnortes und zur Organisation einer angemessenen Betreuung, um einen erheblichen und unwiederbringlichen Nachteil für ihn hintanzuhalten.

[20] Hinsichtlich beider Kinder bestehe eine Interessenkollision, da sie aus der Beendigung der Lebensgemeinschaft des Betroffenen mit seiner Lebensgefährtin vor dessen Ableben als gesetzliche Erben erhebliche finanzielle Vorteile lukrieren würden. Im Fall der Beendigung der Lebensgemeinschaft komme nämlich die in der Schenkung auf den Todesfall getroffene Sicherstellung der Versorgung der Lebensgefährtin nicht zum Tragen, wovon die Kinder profitierten. Infolge dieser Interessenkollision seien sie nicht geeignet, den Betroffenen in Angelegenheiten, die diese Lebensgemeinschaft betreffen, zu vertreten. Sie kämen weder als einstweilige Erwachsenenvertreter zur Bestimmung des Wohnortes des Betroffenen und der damit zusammenhängenden Organisation seiner Betreuung in Frage noch zur Vertretung des Betroffenen im Verfahren auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gegenüber seiner Lebensgefährtin. Gemäß § 246 Abs 3 Z 1 ABGB sei im Hinblick auf diese Interessenkollision auch die Beendigung der gesetzlichen Erwachsenenvertretung des Sohnes zur Verfahrensvertretung anzuordnen.

[21] Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.

[22] 3.3. Nachdem die Kinder des Betroffenen jedenfalls davon profitieren, wenn die Lebensgemeinschaft im Zeitpunkt des Ablebens des 93 jährigen Betroffenen nicht mehr aufrecht ist und sie alles daran setzen, eine Rückkehr in den gemeinsamen Haushalt mit der Lebensgefährtin zu verhindern, ist die Beurteilung des Rekursgerichts, dass eine objektive Interessenkollision, die sie von der (einstweiligen) Erwachsenenvertretung ausschließt, nicht korrekturbedürftig. Dass der Betroffene (nach seinem mutmaßlichen Willen) nicht in den Haushalt der Lebensgefährtin zurückkehren möchte, behaupten sie auch nicht.

[23] Vom Wirkungskreis der Vorsorgevollmacht vom 30. 1. 2016 ist eine Wohnortänderung nicht erfasst. Eine Änderung des Wohnortes liegt, auch wenn der Betroffene nunmehr von den Kindern wieder nach Österreich zurück und in eine andere Wohnung gebracht wurde, schon dadurch vor, dass sie ihn mehr als ein halbes Jahr ins Ausland brachten, ohne dass der nicht entscheidungsfähige Betroffene dieser Maßnahme zustimmen hätte können. Der von ihnen veranlasste Umzug ins Ausland war vom Wirkungskreis der ihnen erteilten Vorsorgevollmacht gerade nicht umfasst.

[24] Dass die gesetzliche Erwachsenenvertretung des Sohnes zur Verfahrensvertretung des Betroffenen im Hinblick auf die bestehende Interessenkollision und das Verfahren über die Erlassung einer einstweiligen Verfügung (angestrebtes Betretungsverbot der Lebensgefährtin der gemeinsamen Wohnung; Annäherungsverbot der Lebensgefährtin), von dem er profitieren könnte und in dem er den Betroffenen vertritt, von den Vorinstanzen gemäß § 246 Abs 3 Z 1 ABGB beendet wurde, ist nicht zu beanstanden. Die Bestellung eines Rechtsanwalts zum einstweiligen Erwachsenenvertreter ist wegen des Gerichtsverfahrens keine aufzugreifende Fehlbeurteilung.

[25] Soweit der Betroffene mit einem nicht feststehenden Sachverhalt argumentiert, ist der Revisionsrekurs nicht gesetzmäßig ausgeführt. Die Vorhaltungen gegenüber der Lebensgefährtin sind für die Bestellung des einstweiligen Erwachsenenvertreters nicht relevant.

[26] 4. Mangels erheblicher Rechtsfrage ist der außerordentliche Revisionsrekurs des Betroffenen zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).