JudikaturJustiz9ObA54/98a

9ObA54/98a – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. April 1998

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senats- präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Steinbauer und Dr.Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter SR.Dr.Raimund Kabelka und Mag.Thomas Kallab als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Valentin M*****, Schlosser, ***** vertreten durch DDr.Giampaolo Caneppele, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei L*****Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Dr.Christian Kuhn und Dr.Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 218.032,96 sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27.Februar 1997, GZ 7 Ra 234/96b-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Arbeits- und Sozialgericht vom 6.Mai 1996, GZ 30 Cga 17/96p-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 8.886,60 (darin S 1.481,10 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 23.915,50 (darin S 1.777,50 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der in der Berufung der beklagten Partei enthaltenen Kostenbeschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat ihre dafür aufgewendeten Kosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1.6.1989 als Schlosser beschäftigt. Im Betrieb der Beklagten wurde sowohl im vollkontinuierlichen Schichtbetrieb (Montag 6.00 Uhr bis Montag 6.00 Uhr) als auch im kontinuierlichen Schichtbetrieb (Montag 6.00 Uhr bis Samstag 6.00 Uhr) gearbeitet, wobei täglich drei Schichten a 8 Stunden gefahren wurden. Der Kläger hat nie im vollkontinuierlichen, wohl aber im kontinuierlichen Schichtbetrieb gearbeitet. Er wurde unter Einhaltung einer vierwöchigen Kündigungsfrist zum 3.11.1995 gekündigt.

Nach § 16 des hier anzuwendenden Rahmenkollektivvertrages für die holzverarbeitende Industrie beträgt die Kündigungsfrist nach mehr als fünfjähriger Dauer des Arbeitsverhältnisses 4 Wochen. Nach § 23 dieses Vertrages traten mit seiner Wirksamkeit sämtliche für den Bereich der vertragsschließenden Arbeitgeberorganisationen geltende Kollektivverträge mit Ausnahme der in den lit a bis e genannten Verträge - darunter der hier anzuwendende Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie vom 27.4.1983 in der jeweils geltenden Fassung - außer Kraft. Die Kollektivverträge vom 1.1.1967 und der Kollektivvertrag über die Voraussetzungen des vollkontinuierlichen oder kontinuierlichen Schichtbetriebes in der Faser- und Spanplatten-Industrie und die Ansprüche der davon betroffenen Arbeitnehmer vom 10.4.1980 sind in der Aufzählung der weiter in Geltung stehenden Verträge nicht enthalten. Der Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie regelt in seinem § 2 die Höhe der kollektivvertraglichen Löhne der Lohngruppen I bis V und verweist zur Lohngruppeneinteilung auf den Kollektivvertrag vom 1.1.1967. § 9 des Kollektivvertrages für die Faser- und Spanplatten-Industrie trägt die Überschrift "Schichtarbeit" und enthält Regelungen über einen im Zwei- und im Dreischichtbetrieb gebührenden Schichtzuschlag (Abs 1) und über die Versetzung von Schichtarbeitern aus gesundheitlichen Gründen (Abs 2). Die Überschrift "§ 9 Schichtarbeit" ist mit der Fußnote "Siehe Anhang! Kollektivvertrag vom 10.4.1980 betreffend die kontinuierliche Schichtarbeit" versehen. Sowohl die Lohngruppeneinteilung des Kollektivvertrages vom 1.1.1967 als auch der gesamte Kollektivvertrag vom 10.4.1980 betreffend die kontinuierliche Schichtarbeit sind im Anhang der von den Kollektivvertragsparteien unterzeichneten und beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales hinterlegten und kundgemachten Ausfertigung des Kollektivvertrages für die Faser- und Spanplatten-Industrie als Anhang abgedruckt.

Nach Art III Abs 7 des Kollektivvertrages betreffend die kontinuierliche Schichtarbeit dürfen Arbeitgeber, in deren Betrieben an Sonn- oder Feiertagen gemäß den Bestimmungen dieses Kollektivvertrages gearbeitet wird, Arbeitsverhältnisse ihrer Arbeitnehmer, die bereits drei Monate gedauert haben, nur mit Ende März, Ende Juni und Ende Oktober des jeweils laufenden Kalenderjahres kündigen. Nach Art I Abs 2 des zuletzt genannten Kollektivvertrages gilt diese Regelung für alle Arbeiter und Arbeiterinnen (mit Ausnahme der Lehrlinge), die in den Betrieben der Faser- und Spanplatten-Industrie beschäftigt sind.

Der Kläger begehrt von der Beklagten zuletzt S 218.032,96 sA an Kündigungsentschädigung für die Zeit vom 3.11.1995 bis 31.3.1996. Nach der auf ihn anzuwendenden Bestimmung des Art III Abs 7 des Kollektivvertrages vom 10.4.1980 über die kontinuierliche Schichtarbeit habe er nur zum 31.3.1996 gekündigt werden dürfen.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der vom Kläger herangezogene Kollektivvertrag sei nicht unter den in § 23 des Rahmenkollektivvertrages als weitergeltend angeführten Kollektivverträgen enthalten und stehe daher nicht mehr in Geltung. Die im Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie enthaltene Fußnote, in der auf den vom Kläger ins Treffen geführten Kollektivvertrag verwiesen werde, führe nicht zu dessen Wiederinkrafttreten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Kollektivvertrag vom 10.4.1980 über den kontinuierlichen Schichtbetrieb sei als Anhang zum Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie als dessen Bestandteil anzusehen und daher in Geltung. Demgemäß hätte der Kläger - da es nicht darauf ankomme, ob er selbst an Sonn- und Feiertagen gearbeitet habe - erst zum 31.3.1996 gekündigt werden dürfen.

Mit dem angefochtenen Urteil änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung iS der Abweisung des Klagebegehrens ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Dadurch, daß ein Kollektivvertrag auf eine Regelung in einem bereits außer Kraft getretenen Kollektivvertrag verweise, trete letzterer nicht in seinem gesamten Umfang wieder in Kraft. Rezipiert werde vielmehr nur die betreffende Regelung, wie dies auch für die Verweisung in § 2 Abs 2 des Kollektivvertrages für die Faser- und Spanplatten-Industrie vom 19.4.1995 auf die Beschreibung der Lohngruppen im Kollektivvertrag vom 1.1.1967 unbestritten sei. Durch die Fußnote zu § 9 des Kollektivvertrages vom 19.4.1995 seien daher nur die Schichtarbeit betreffende Bestimmungen des Kollektivvertrages vom 10.4.1980 übernommen worden, nicht aber der gesamte Vertrag. Die gegenteilige Annahme stehe zu den §§ 2 Abs 1 und 14 ArbVG in Widerspruch. Die vom Kläger ins Treffen geführte Kündigungsbestimmung stehe daher nicht in Geltung. Die Revision sei zulässig, weil der hier zu beurteilenden Frage erhebliche Bedeutung iS § 46 Abs 1 ASGG zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne der Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Kollektivverträge sind in ihrem normativen Teil nach den Regeln, die für die Auslegung von Gesetzen gelten (§§ 6 und 7 ABGB), auszulegen. Die Normadressaten, denen nur der Text des Kollektivvertrages zur Verfügung steht, können die Vorstellungen, welche die Kollektivvertragsparteien beim Abschluß vom Inhalt der Norm besessen haben, weder kennen noch feststellen. Sie müssen sich vielmehr darauf verlassen, daß die Absicht der Parteien in erkennbarer Weise im Vertragstext ihren Niederschlag gefunden hat. Für den Normadressaten kann daher nur der in der Norm objektiv erkennbare Wille des Normengebers maßgebend sein. Der Normadressat muß sich an den klaren Wortlaut der Norm halten können und muß in seinem Vertrauen darauf geschützt werden, daß die Norm so gilt, wie sie von ihm verstanden werden muß. In erster Linie ist daher der Wortsinn - auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen - zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrages ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (SZ 62/135 m.w.N; Ris-Justiz RS0008807; RS0010088).

Im hier zu beurteilenden Fall ist dem Wortlaut des Kollektivvertrages unzweifelhaft zu entnehmen, daß die Kollektivvertragsparteien im Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie in dessen § 2 Abs 2 auf den Kollektivvertrag vom 1.1.1967 - allerdings nur auf dessen Lohngruppeneinteilung - und mit der Fußnote zu § 9 auf den vom Kläger ins Treffen geführten Kollektivvertrag vom 10.4.1980 verweisen wollten. Daß - wie das Berufungsgericht meint - ein solcher Verweis nur die "betreffende Regelung" betreffen kann, trifft zu, weshalb unbestrittenermaßen der Verweis auf die Lohngruppeneinteilung im Kollektivvertrag vom 1.1.1967 nur diese Einteilung, nicht aber den Restvertrag betrifft. Demgemäß ist auch im Anhang zum Kollektivvertrag für die Faser- und Spanplatten-Industrie nur die Lohngruppeneinteilung des Kollektivvertrages vom 1.1.1967 abgedruckt.

Im Gegensatz dazu verweist die Fußnote zu § 9 aber ohne jede Einschränkung auf den "Kollektivvertrag vom 10.4.1980", der auch in seinem gesamten Wortlaut im Anhang des hier zu beurteilenden Kollektivvertrages abgedruckt ist. Den Kollektivvertragsparteien, von denen angenommen werden darf, daß sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten (Ris-Justiz RS0008828), kann daher nicht unterstellt werden, daß sie durch den ohne jede Einschränkung erfolgten Verweis auf den Kollektivvertrag vom 10.4.1980 und die ungekürzte Aufnahme des Textes dieses Vertrages in den Anhang nur einen Teil (welchen ?) des den Gegenstand der Verweisung bildenden Vertrages zum Bestandteil des nunmehr abgeschlossenen Kollektivvertrages machen wollten. Dies muß umso mehr gelten, als die Kollektivvertragsparteien im Falle des eingeschränkten Verweises auf den Kollektivvertrag vom 1.1.1967 die beabsichtigte Einschränkung unmißverständlich zum Ausdruck gebracht und auch bei der Gestaltung des Anhanges berücksichtigt haben. Die Meinung des Berufungsgerichtes, der (uneingeschränkte) Verweis in der Fußnote zu § 9 des Kollektivvertrages umfasse nur die "die Schichtarbeit als solche" betreffenden Bestimmungen des Kollektivvertrages vom 10. 4. 1980, findet daher im Wortlaut des auszulegenden Vertrages keine Deckung. Zudem wäre eine derartige Abgrenzung gar nicht möglich, weil ja der gesamte Kollektivvertrag vom 10.4.1980 die Schichtarbeit und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Arbeitnehmer des Betriebes betrifft (vgl dazu im übrigen die seit 1.5.1997 geltende Fassung des hier auszulegenden Kollektivvertrages, in der die in Rede stehende Fußnote nunmehr auf den "Kollektivvertrag betreffend die kontinuierliche Schichtarbeit" verweist; dieser wurde am 28.1.1998 neu abgeschlossen und entspricht - von hier nicht interessierenden Änderungen abgesehen - dem Wortlaut des Kollektivvertrages vom 10.4.1980).

Die Meinung des Berufungsgerichtes, das hier erzielte Auslegungsergebnis stehe zu den §§ 2 Abs 1 und 14 ArbVG in Widerspruch, ist unzutreffend, weil es den Kollektivvertragsparteien freisteht, bei Abschluß eines Kollektivvertrages Teile des Vertragstextes durch Übernahme anderer (auch außer Kraft getretener) Vereinbarungen festzuhalten. Dem Erfordernis der Schriftlichkeit und den Hinterlegungs- und Kundmachungsvorschriften wurde entsprochen, zumal der gesamte vom Verweis betroffene Text als Anlage dem abgeschlossenen, unterfertigten und kundgemachten Vertragstext angeschlossen wurde.

Der Kläger hat sich daher zu Recht auf die in der von der Verweisung betroffenen Regelung enthaltene Kündigungsfrist berufen, sodaß in Stattgebung der Revision das Ersturteil in der Hauptsache wiederherzustellen war.

Der Oberste Gerichtshof hat daher über die in der Berufung der Beklagten enthaltene Kostenbeschwerde gegen die erstinstanzliche Kostenentscheidung zu entscheiden, auf die das Berufungsgericht infolge der von ihm vorgenommenen Abänderung in der Hauptsache nicht einzugehen hatte (Kodek in Rechberger, ZPO, Rz 5 zu § 528 mwN).

Diese Kostenbeschwerde ist nicht berechtigt.

Daß der Kläger bis zur Tagsatzung vom 9.4.1996, in der er sein Begehren geringfügig eingeschränkt hat, mit 3,2 % des ursprünglichen Klagebegehrens als unterlegen anzusehen ist, rechtfertigt keine Abänderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung, zumal der Kläger nur mit einem geringen Teil seines Begehrens unterlegen ist, dessen Geltendmachung besondere Kosten nicht veranlaßt hat (§ 43 Abs 2 ZPO).

Im übrigen bekämpft die Beklagte die iS § 23 Abs 5 RAT erfolgte Anwendung des doppelten Einheitssatzes bei der Berechnung der Kosten für die im Verfahren durchgeführten Streitverhandlungen, indem er geltend macht, daß die Zuziehung eines auswärtigen Anwalts durch den Kläger nicht erforderlich gewesen sei. Sie knüpft damit an die herrschende Rechtsprechung zur Frage der Ersatzfähigkeit der durch die Beiziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts entstehenden Mehrkosten an, wobei sie aber die dazu ergangenen Entscheidungen offenkundig mißversteht. Die Mehrkosten, die sich aus der Bestellung eines auswärtigen Rechtsanwaltes ergeben, sind nach der Rechtsprechung dann nicht zu ersetzen, wenn die Partei ihren Wohnsitz oder Sitz am Gerichtsort hat und keine besonderen Gründe für die Bestellung des auswärtigen Rechtsanwaltes vorliegen (JBl 1978, 594; Ris-Justiz RS0036203). Hier hat der Kläger seinen Wohnsitz aber nicht am Sitz des Gerichtes. Der doppelte Einheitssatz wäre daher auch dann anzuwenden gewesen, wenn er sich eines an seinem Wohnsitz ansässigen Rechtsanwaltes bedient hätte. Durch die Beiziehung eines Villacher Rechtsanwaltes sind daher keine Mehrkosten entstanden. Der Kostenbeschwerde der Beklagten war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die hiefür aufgewendeten Kosten der Beklagten gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO.

Rechtssätze
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