JudikaturJustiz9ObA46/07s

9ObA46/07s – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie durch die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Peter Hübner und Mag. Canan Aytekin-Yildirim als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Eva G*****, Näherin, *****, vertreten durch die Freimüller/Noll/Obereder/Pilz Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei T***** Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Günther Petzelbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 8.431,61 brutto sA, über die Rekurse der klagenden Partei und der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 8.062,72) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. Oktober 2006, GZ 10 Ra 37/06v-74, womit das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 28. November 2005, GZ 14 Cga 177/02d-68, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Den Rekursen wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 971,04 (darin EUR 161,84 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 1.220,54 (darin EUR 203,42 USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid des Bundessozialamts Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 8. 11. 1996 wurde festgestellt, dass die Klägerin (geb 1956) dem Kreis der begünstigten Behinderten nach dem Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) angehört, wobei der Grad der Behinderung 80 vH beträgt. Mit Schreiben vom 16. 7. 1999 wurde die Klägerin vom Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland informiert, dass die Bundessozialämter die Arbeitgeber in Wahrung von deren berechtigten Interessen über eine Begünstigteneigenschaft von Arbeitnehmern in Kenntnis zu setzen haben. Der Klägerin werde daher zur Kenntnis gebracht, dass ihr Arbeitgeber in den nächsten Tagen brieflich benachrichtigt werde, dass die Klägerin dem Personenkreis der begünstigten Behinderten nach dem BEinstG angehöre (Beil ./F). Die Klägerin war ab 20. 11. 2001 bei der Beklagten auf der Grundlage einer 35 Stunden-Woche als Näherin beschäftigt. Am 21. 5. 2002 arbeitete die Klägerin bis 17.15 Uhr, wobei sie eine Mehrstunde verrichtete. Die Frage der Ehegattin des damaligen Geschäftsführers der Beklagten, ob die Klägerin am Samstag Überstunden machen könne, verneinte sie. Da sie sich am 21. 5. 2002 nicht besonders wohl gefühlt hatte, suchte sie nach der Arbeit ihren Arzt auf, der sie bis 23. 5. 2002 wegen Arbeitsunfähigkeit krankschrieb. An diesem Tag erhielt die Klägerin per Post ein am 22. 5. 2002 zur Post gegebenes Schreiben der Beklagten, vom 21. 5. 2002, worin ihre Entlassung wegen „Arbeitsverweigerung" ausgesprochen wurde. Der Beklagten war bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass die Klägerin dem Kreis der begünstigten Behinderten angehört. Eine Verständigung der Beklagten von diesem Umstand war weder durch die Klägerin noch durch das Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland erfolgt. Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage den Betrag von EUR 8.431,61 brutto sA, wovon EUR 5.611,67 auf die Kündigungsentschädigung für sechs Monate und der Rest auf andere beendigungsabhängige Ansprüche entfielen. Die Entlassung sei nicht nur ungerechtfertigt gewesen, weil von einer Arbeitsverweigerung keine Rede sein könne, sie sei auch auf Grund der Begünstigtenstellung der Klägerin iSd BEinstG unwirksam. Da jedoch durch die ungerechtfertigte Entlassung die Vertrauensbasis zerrüttet und der Klägerin eine Weiterarbeit bei der Beklagten nicht mehr zumutbar gewesen sei, akzeptiere sie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und beschränke sich auf eine finanzielle Abgeltung ihrer Ansprüche. Die Gegenforderungen der Beklagten bestünden nicht zu Recht, weil die Klägerin keine Verpflichtung treffe, ihre Behinderteneigenschaft bekanntzugeben. Die Beklagte bestritt das Klagevorbringen, beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zunächst ein, dass die Entlassung der Klägerin wegen Arbeitsverweigerung zurecht erfolgt sei und auch kein Kündigungsschutz nach dem BEinstG bestehe, weil das gegenständliche Arbeitsverhältnis zufolge Unterbrechung nicht mehr als sechs Monate gedauert habe. Der Klägerin stehe im Übrigen keine sechsmonatige Kündigungsentschädigung zu, weil der Beklagten bei der Entlassung die Begünstigteneigenschaft nicht bekannt gewesen sei. Die Klägerin habe sich nach der Entlassung auch nicht arbeitsbereit erklärt. Im Übrigen wendete die Beklagte gegen die Klageforderung zwei Gegenforderungen in der Höhe von EUR 5.103,47 und EUR 461,76 aufrechnungsweise ein. Die erste Gegenforderung beruhe darauf, dass die Beklagte beim Bundessozialamt eine Förderung aus dem Titel „Behindertenmilliarde" hätte beantragen können, wenn die Klägerin nicht ihre Behinderteneigenschaft verschwiegen hätte. Die zweite Gegenforderung gründe sich darauf, dass der Beklagten mangels Kenntnis der Behinderteneigenschaft die Inanspruchnahme einer steuerlichen Begünstigung (Entfall des Dienstgeberbeitrags zum Familienlastenausgleichsfonds; Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag; Kommunalsteuer; U-Bahn-Abgabe) entgangen sei.

Das Erstgericht stellte im ersten Rechtsgang mit Urteil (ON 55) fest, dass die Klageforderung mit EUR 8.062,72 zu Recht bestehe, wohingegen die eingewendeten Gegenforderungen der Beklagten nicht zu Recht bestehen. Die Beklagte sei daher schuldig, der Klägerin den Betrag von EUR 8.062,72 brutto sA zu zahlen, während das Mehrbegehren der Klägerin von EUR 368,89 brutto sA abgewiesen werde. Die teilweise Abweisung des Klagebegehrens wurde von der Klägerin nicht bekämpft und erwuchs daher in Teilrechtskraft. Infolge Berufung der Beklagten gegen den klagestattgebenden Teil des Ersturteils hob das Berufungsgericht das Ersturteil im angefochtenen Umfang auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück (ON 61).

Im zweiten Rechtsgang stellte das Erstgericht mit Urteil (ON 68) neuerlich fest, dass die Klageforderung mit EUR 8.062,72 zu Recht bestehe, während die eingewendeten Gegenforderungen der Beklagten nicht zu Recht bestehen. Die Beklagte sei daher schuldig, der Klägerin den Betrag von EUR 8.062,72 brutto sA zu zahlen. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht unter Zugrundelegung des vorstehend wiedergegebenen Sachverhalts davon aus, dass die Beklagte die Klägerin zu Unrecht entlassen habe. Als begünstigte Behinderte könne die Klägerin, ungeachtet der mangelnden Kenntnis der Behinderteneigenschaft durch die Beklagte, die sechsmonatige Kündigungsentschädigung in Anspruch nehmen. Bei einer unberechtigten Entlassung träfen den Arbeitgeber in jedem Fall die nachteiligen Folgen. Die Gegenforderungen der Beklagten bestünden nicht zu Recht, weil die Klägerin keine Verpflichtung getroffen habe, die Behinderteneigenschaft bekanntzugeben.

Das Berufungsgericht hob über Berufung der Beklagten das Ersturteil auch im zweiten Rechtsgang auf, verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei (ON 74). Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichts als das Ergebnis einer unbedenklichen Beweiswürdigung. Entgegen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts sei jedoch davon auszugehen, dass die Klägerin die Verpflichtung getroffen habe, ihre Behinderteneigenschaft der Beklagten bekanntzugeben. Im Unterschied zur Kündigung eines begünstigten Behinderten in Unkenntnis dessen Begünstigtenstellung setze der Arbeitgeber bei der unbegründeten Entlassung nicht erst dann ein rechtswidriges Verhalten, wenn er - nach Erlangung der Kenntnis von der Behinderteneigenschaft - die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verweigere, sondern bereits beim Ausspruch der unberechtigten Entlassungserklärung. Ein Anbot des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, setze im Fall der Entlassung nicht nur die Kenntnis der Behinderteneigenschaft des Arbeitnehmers voraus, sondern auch die Bereitschaft des Arbeitgebers, das Nichtvorliegen eines gesetzlichen Entlassungsgrunds anzuerkennen. Letzteres sei hier nicht der Fall gewesen. Ein Arbeitnehmer solle nicht gezwungen werden, ein infolge ungerechtfertigter Auflösungserklärung belastetes Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die Beklagte habe bis zum Berufungsverfahren vehement den Standpunkt vertreten, dass die Entlassung der Klägerin berechtigt erfolgt sei. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass sie der Klägerin, hätte diese nach der Entlassung ihre Leistungsbereitschaft kundgetan, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses angeboten hätte. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren von einem Zurechtbestehen der Klageforderung auszugehen haben. Die erstgerichtlichen Feststellungen reichten jedoch noch nicht aus, um auch die Gegenforderungen der Beklagten zu beurteilen. Vom Erstgericht werde noch zu klären sein, weshalb und unter welchen Umständen die Klägerin ihre Informationspflicht verletzt habe. In weiterer Folge werde auch zu klären sein, ob die Beklagte die entgangenen Förderungen und Begünstigungen nicht auch noch nachträglich in Anspruch hätte nehmen können und daher allenfalls ihre Schadenminderungspflicht verletzt habe. Der Rekurs sei zuzulassen, weil die bisherige Rechtsprechung nicht erkennen lasse, ob auch der zu Unrecht entlassene begünstigte Behinderte vor der Wahl finanzieller Ansprüche zunächst vom Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses verlangen und Leistungsbereitschaft bekunden müsse. Auch zur Schadenersatzpflicht bei Nichtbekanntgabe der Begünstigteneigenschaft fehle bisher eine höchstgerichtliche Rechtsprechung.

Gegen die Berufungsentscheidung richten sich die Rekurse beider Parteien (§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO). Die unrichtige Benennung des Rechtsmittels durch die Beklagte als "Revisionsrekurs" ist unerheblich (§ 84 Abs 2 zweiter Satz ZPO). Die Klägerin stützt sich ausdrücklich auf den Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache und beantragt die Abänderung der Berufungsentscheidung in eine Bestätigung des Ersturteils. Die Beklagte stützt sich erkennbar gleichfalls auf das Vorliegen einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache durch das Berufungsgericht und beantragt die Abänderung der Berufungsentscheidung in eine Abweisung des Klagebegehrens. Beide Parteien beantragen in ihren Rekursbeantwortungen, die Klägerin zumindest erkennbar, dem jeweils gegnerischen Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Rekurse der Parteien sind zulässig und insoweit berechtigt, als es keiner neuerlichen Verhandlung und Entscheidung der Sache durch das Erstgericht bedarf. Über solche Rekurse kann der Oberste Gerichtshof durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn die Streitsache zur Entscheidung reif ist (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO). Im Rekursverfahren ist auf Grund der bindenden Feststellungen der Vorinstanzen davon auszugehen, dass die Klägerin bei der Beklagten vom 20. 11. 2001 bis zur Zustellung der Entlassung am 23. 5. 2002 durchgehend beschäftigt war. Weiters ist zugrundezulegen, dass die Klägerin ohne Vorliegen eines Entlassungsgrunds entlassen wurde. Unstrittig ist, dass die Beklagte bis zur Entlassung keine Kenntnis davon hatte, dass die Klägerin dem Personenkreis der begünstigten Behinderten nach dem BEinstG angehört. Strittig sind hingegen die Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf eine sechsmonatige Kündigungsentschädigung sowie die beiden aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen der Beklagten. Die Klägerin ist seit dem Jahr 1996 begünstigte Behinderte iSd BEinstG. Als solche unterlag sie bei der Beklagten ab 20. 5. 2002 dem besonderen Kündigungsschutz nach § 8 Abs 2 BEinstG, weil sie ab diesem Tag - Beschäftigungsbeginn der Klägerin war der 20. 11. 2001 - länger als sechs Monate bei der Beklagten beschäftigt war (§ 8 Abs 6 lit b BEinstG in der hier maßgeblichen Fassung des BGBl I 2001/60, die gemäß § 27 Abs 5 BEinstG auf jene Arbeitsverhältnisse Anwendung findet, die nach dem In-Kraft-Treten der BEinstG-Novelle per 1. 7. 2001 begründet wurden). Nach § 8 Abs 2 BEinstG darf die Kündigung erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss der Kündigung zugestimmt hat. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt. Der Schutz eines begünstigten Behinderten beginnt grundsätzlich mit jenem Zeitpunkt, für den das Vorliegen einer Behinderung festgestellt wurde (Weiß, Der besondere Bestandschutz von Arbeitsverhältnissen Rz 241 ua). Ob der Arbeitgeber bei der Einstellung von der Begünstigung wusste, ist dabei unerheblich (Ernst/Haller, BEinstG6 § 8 Erl 49; Weiß aaO Rz 242; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz]; RIS-Justiz RS0077684 ua).

Während § 3 Abs 4 MuttSchG werdende Mütter ausdrücklich dazu verpflichtet, dem Arbeitgeber von einer Schwangerschaft Mitteilung zu machen, normiert das BEinstG keine ausdrückliche Pflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber die Begünstigteneigenschaft nach diesem Gesetz bekannt zu geben. Die Rechtsprechung bejaht jedoch im Einklang mit der Lehre die grundsätzliche „Pflicht" des Arbeitnehmers, die ihm bekannte Eigenschaft als begünstigter Behinderter dem Arbeitgeber mitzuteilen, weil es sich dabei um eine Angelegenheit handelt, die infolge gesetzlicher Bestimmungen unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses hat (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 52; 9 ObA 64, 65/87; 8 ObA 41/97f, ZAS 1999/3 [Tinhofer]; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz]; 8 ObA 48/06a; RIS-Justiz RS0107830 ua). Nähere Aussagen über die rechtliche Grundlage der Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Mitteilung der Begünstigteneigenschaft finden sich nur vereinzelt. In 9 ObA 64, 65/87 lehnte der Oberste Gerichtshof die Auffassung der zweiten Instanz, dass sich eine derartige Pflicht nicht aus dem Arbeitsverhältnis ableiten könne, weil es sich um die Offenbarung „privater Angelegenheiten" handle, jedenfalls ausdrücklich ab. Offenbar daran anknüpfend führen Ernst/Haller (aaO § 8 Erl 53) - soweit überblickbar bisher auch unwidersprochen (vgl zuletzt Potz, Entlassung eines begünstigten Behinderten, RdW 2007, 226 [228]) - aus, dass die Mitteilungspflicht des begünstigten Behinderten nicht in den besonderen Schutzpflichten des Arbeitgebers, sondern in der „Treuepflicht" des Arbeitnehmers, die in einem gewissen Rahmen auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen habe, begründet sei. Dieser Ansatz macht deutlich, dass die Mitteilungspflicht (iwS) zwei Ausprägungen hat. Nach Auffassung des Senats besteht einerseits eine Mitteilungspflicht (ieS), die sich Ernst/Haller folgend aus der Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ableitet, andererseits aber auch eine reine „Mitteilungsobliegenheit" des Arbeitnehmers, deren Erfüllung in Wahrung eigener Interessen Voraussetzung für bestimmte Ansprüche des Arbeitnehmers ist. Bei einer Obliegenheit handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um eine bloße Verhaltensregel, deren Verletzung keine Erfüllungsansprüche und keine Schadenersatzpflichten, sondern „nur" sonstige Nachteile bzw die Einbuße von Vorteilen auslöst (vgl dazu allgemein Rummel in Rummel, ABGB³ § 859 Rz 9 ua).

In den bisherigen einschlägigen Fällen, in denen die Nichtbekanntgabe der Begünstigteneigenschaft eine Rolle spielte, ging es überwiegend um die bloße Mitteilungsobliegenheit. Konsequenzen aus deren Verletzung zog die Rechtsprechung vor allem dann, wenn der Arbeitgeber in Unkenntnis der Behinderteneigenschaft eine Kündigung ausgesprochen hatte. In einem derartigen Fall hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber binnen angemessener Zeit zu informieren, weil davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber die Kündigung in Kenntnis der Behinderteneigenschaft und der deshalb erforderlichen Zustimmung des Behindertenausschusses nicht ausgesprochen hätte. Tut dies der behinderte Arbeitnehmer nicht, so verliert er seinen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 1155 ABGB, weil die Arbeitsleistung aus Gründen entfällt, die auf Seiten des Arbeitnehmers liegen. An der Unwirksamkeit der Kündigung ändert sich jedoch nichts (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 51 f; Löschnigg, Arbeitsrecht10 501; Weiß aaO Rz 242; Mayr in ZellKomm § 8 BEinstG Rz 5; 8 ObA 41/97f, ZAS 1999/3 [Tinhofer] ua).

Beim Anspruch der Klägerin auf eine Kündigungsentschädigung auf der Grundlage einer Kündigungsfrist von sechs Monaten geht es ebenfalls nur um die Mitteilungsobliegenheit. Anders als im vorgenannten Fall handelt es sich hier jedoch nicht bloß um eine Arbeitgeberkündigung, sondern um die Entlassung einer behinderten Arbeitnehmerin. In einem derartigen Fall ist zu beachten, dass das BEinstG keinen besonderen Entlassungsschutz vorsieht. Es finden daher grundsätzlich die allgemeinen Entlassungsvorschriften Anwendung (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 119 ff, 137; Weiß aaO Rz 265; Mayr aaO § 8 BEinstG Rz 18; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz]; RIS-Justiz RS0108889 ua). Wegen der Gefahr der Umgehung des besonderen Kündigungsschutzes begünstigter Behinderter ist aber eine Entlassung ohne wichtigen Grund rechtsunwirksam (Kuderna, Entlassungsrecht² 43; Ernst, Die rechtmäßige Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines begünstigten Behinderten ohne Zustimmung des Behindertenausschusses, DRdA 1997, 1 [3 f]; Grillberger in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 417, 429; Weiß aaO Rz 266; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz]; RIS-Justiz RS0052630 ua). Wird der begünstigte Behinderte ohne wichtigen Grund entlassen, dann kann er - wie der Gekündigte, der ohne Zustimmung des Behindertenausschusses gekündigt wird (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 2 ua) - die Unwirksamkeit der Entlassung mit Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses geltend machen (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 119; Weiß aaO Rz 471; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz] ua). Der begünstigte Behinderte muss aber nach hA nicht am Bestand des Arbeitsverhältnisses festhalten. Er hat vielmehr die Wahl, anstelle des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses finanzielle Ersatzansprüche bei Inkaufnahme der Auflösung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Ein Arbeitnehmer soll nicht gezwungen werden, ein durch eine ungerechtfertigte Auflösungserklärung belastetes Arbeitsverhältnis fortzusetzen (vgl Ernst/Haller aaO § 8 Erl 120, 138; Weiß aaO Rz 472; 9 ObA 82/03d, DRdA 2005/24 [Karl], ZAS 2005/36 [Spitzl]; 9 ObA 97/05p; RIS-Justiz RS0101989 ua). Im Fall ungerechtfertigter Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber sieht § 1162b ABGB (ebenso § 29 AngG ua) einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Kündigungsentschädigung vor. Danach hat der Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch (iSd herrschenden Schadenersatzprinzips) auf das Entgelt für jenen Zeitraum, der bei ordnungsgemäßer Kündigung durch den Arbeitgeber bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte verstreichen müssen (Krejci in Rummel, ABGB³ §§ 1162a, 1162b Rz 22 ff; Kuderna aaO 37; Ernst/Haller aaO § 8 Rz 138; Weiß aaO Rz 473 f; 9 ObA 30/06m, RdW 2007/256 [Potz] ua). Bei der Berechnung der dem begünstigten Behinderten in diesem Fall zustehenden Kündigungsentschädigung erachtet der Oberste Gerichtshof - einem Teil der Lehre folgend - auf Grund einer stark ausgeprägten Ähnlichkeit zu einem auf Lebenszeit oder für länger als fünf Jahre abgeschlossenen Arbeitsverhältnis eine analoge Anwendung der § 1158 Abs 3 ABGB, § 21 AngG als gerechtfertigt, sodass die Kündigungsentschädigung des begünstigten Behinderten unter Bedachtnahme auf eine Kündigungsfrist von sechs Monaten zu bemessen ist, sofern nicht auf Grund von Gesetz, Kollektivvertrag oder Arbeitsvertrag eine längere Kündigungsfrist besteht (vgl 9 ObA 146/97d, ZAS 1998/17 [Resch]; 9 ObA 82/03d, DRdA 2005/24 [Karl], ZAS 2005/36 [Spitzl] ua; zum Meinungsstand in der Lehre s Ernst/Haller aaO § 8 Erl 138 ff ua).

Wenn nun der Arbeitgeber beim Ausspruch der Kündigung keine Kenntnis von der vorherigen Stellung des (später erfolgreichen) Antrags des Arbeitnehmers auf Einräumung der Begünstigtenstellung nach dem BEinstG hatte, dann obliegt es dem Arbeitnehmer, unter Hinweis auf seine Eigenschaft als begünstigter Behinderter die Unwirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Bereitschaft, die Arbeitstätigkeit fortzusetzen, aufzuzeigen. Dies ist dem Arbeitnehmer zuzumuten, weil bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen ist, dass der Arbeitgeber die Kündigung in Kenntnis des Bestehens der Begünstigung nicht ausgesprochen hätte. Erklärt sich der Arbeitnehmer in einem derartigen Fall nicht leistungsbereit, bleibt für eine Kündigungsentschädigung kein Raum (9 ObA 82/03d, DRdA 2005/24 [Karl], ZAS 2005/36 [Spitzl] ua).

Die Beklagte meint nun, dass auch hier eine ähnliche Konstellation vorliege. Da sich die Klägerin gegenüber der Beklagten, die keine Kenntnis von der Begünstigteneigenschaft gehabt habe, nicht leistungsbereit erklärt habe, stehe ihr keine sechsmonatige Kündigungsentschädigung zu. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Es mag durchaus sein, dass eine schlichte Kündigung, die lediglich an einem Informationsdefizit des Arbeitgebers in Bezug auf die Begünstigtenstellung des Arbeitnehmers scheitert, das Arbeitsverhältnis nicht so belastet, dass nicht noch eine gedeihliche Fortsetzung der Arbeitsbeziehung nach Aufklärung des Irrtums zumutbar wäre. Die Lage stellt sich jedoch bei einer Entlassung in der Regel anders dar, beruht sie doch auf dem immanenten Merkmal, dass (schon) dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nicht einmal mehr für die Dauer der Kündigungsfrist zumutbar ist (Kuderna aaO 60 ff mwN). Aus bloß theoretischen Erörterungen der Beklagten in erster Instanz, dass sie „allenfalls" anders disponiert hätte, ist für ihren Standpunkt nichts zu gewinnen. Wie bereits ausgeführt, bedarf die Entlassung eines begünstigten Behinderten keiner Zustimmung des Behindertenausschusses, sondern unterliegt grundsätzlich den allgemeinen Entlassungsbestimmungen. Beim Ausspruch der gegenständlichen Entlassung kam es nicht auf die Kenntnis der Begünstigtenstellung der Klägerin an. Die Unrechtmäßigkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegt hier nicht an der Begünstigtenstellung der Klägerin, sondern in erster Linie daran, dass die Beklagte die Klägerin ohne Rechtfertigung entließ. Anders als bei der bloßen Kündigung ist nicht davon auszugehen, dass die Arbeitgeberin bei Kenntnis des Bestehens der Begünstigung nach dem BEinstG die Entlassung der Arbeitnehmerin nicht ausgesprochen hätte. Dass die Beklagte nach Bekanntwerden der Begünstigung bereit gewesen wäre, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortzusetzen, wurde nicht behauptet. Daher stellt sich die Frage der Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin nach vorhergehender unbegründeter Entlassung gar nicht. Gegen die Ausübung des Wahlrechts der Klägerin bestehen somit keine Bedenken. Die Klägerin hat auf der Grundlage der bereits zitierten Rechtsprechung Anspruch auf eine Kündigungsentschädigung unter Bedachtnahme auf eine Kündigungsfrist von sechs Monaten. Die Klageforderung, der sonst keine weiteren Einwände der Beklagten im Rekursverfahren entgegenstehen, besteht daher mit dem nach rechtskräftiger Teilabweisung im ersten Rechtsgang verbliebenen restlichen Betrag von EUR 8.062,72 brutto sA zurecht.

Hinsichtlich der Gegenforderungen macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, dass ihr durch das Verschweigen der Begünstigtenstellung der Klägerin Förderungen und steuerliche Begünstigungen im Ausmaß von EUR 5.103,47 und EUR 461,76 entgangen und demzufolge Schäden in dieser Höhe entstanden seien. Während das Erstgericht das Bestehen der Gegenforderungen der Beklagten in beiden Rechtsgängen verneinte, sieht das Berufungsgericht noch Aufklärungsbedarf. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts müssen hier jedoch keine weiteren Umstände mehr geklärt werden, um die (mangelnde) Zurechenbarkeit der von der Beklagten geltend gemachten Schäden beurteilen zu können. Die eingewendeten Gegenforderungen sprechen nicht bloß die vorgenannte Mitteilungsobliegenheit, sondern die Mitteilungspflicht (ieS) des behinderten Arbeitnehmers an. In der bisherigen Rechtsprechung kann als einschlägig vor allem jener Fall angesehen werden, in dem eine Gegenforderung des Arbeitgebers mangels erwiesener Verletzung der Aufklärungspflicht des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner Invalidität verneint wurde (9 ObA 64, 65/87). An dieser Stelle ist auch der Fall zu nennen, in dem die Berechtigung der auf Vertrauensunwürdigkeit gestützten Entlassung eines begünstigten Behinderten wegen Nichtbekanntgabe der Begünstigteneigenschaft abgelehnt wurde (9 ObA 240/02p). Wird nun eine Haftung des Arbeitnehmers wegen Verletzung der Mitteilungspflicht (ieS) geltend gemacht, dann muss die Grundlage dieser Verpflichtung in der „Treuepflicht" des Arbeitnehmers beachtet werden. Eine allgemeine Treuepflicht ist zwar nur in Ansätzen im Gesetz verankert (vgl § 76 GewO 1859; § 27 Z 1 AngG ua); ihre Existenz ist jedoch in Lehre und Rechtsprechung unstrittig (vgl Tomandl, Entwicklungstendenzen der Treue- und Fürsorgepflicht in Österreich, in Tomandl, Treue- und Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht 1 ff; Spielbüchler in Floretta/Spielbüchler/Strasser, Arbeitsrecht I4 189 ff; Löschnigg aaO 256 ff; RIS-Justiz RS0021449 ua). Soweit es nun um die Gegenforderungen der Beklagten geht, trifft die Umschreibung von Ernst/Haller (aaO § 8 Erl 53) den entscheidenden Punkt, nämlich dass die Treuepflicht den Arbeitnehmer (nur) „in einem gewissen Rahmen" dazu verhält, auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dies macht deutlich, dass der Treuepflicht bewegliche Schranken immanent sind. Die Treuepflicht stößt vor allem dort an ihre Grenzen, wo ihr elementare Interessen des Arbeitnehmers entgegenstehen. Die Treuepflicht des Arbeitnehmers ist keine umfassende Interessenwahrungspflicht. Der Arbeitnehmer muss keineswegs alles tun oder unterlassen, was dem Arbeitgeber nützlich oder abträglich sein könnte. Damit würde er gleichsam zum Garanten der Interessen des Arbeitgebers, obwohl er doch nur die Leistung bestimmter Arbeiten zugesagt hat (vgl Spielbüchler aaO 191 ua). Im Fall eines behinderten Arbeitnehmers liegen dessen Interessen auf der Hand. Sie manifestieren sich ua im BEinstG, dessen Gegenstand und Zweck es ist, die Eingliederung von schwer behinderten Menschen in Arbeit, Beruf und damit zugleich in die Gesellschaft durch besondere Maßnahmen zu sichern. Die wesentlichen Schutzmaßnahmen, die das BEinstG dem begünstigten Behinderten gewährt, sind die Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers (§ 1 BEinstG) und der Kündigungsschutz des Arbeitnehmers (§ 8 BEinstG). Die Beschäftigungspflicht verschafft dem begünstigten Behinderten einen Arbeitsplatz; der Kündigungsschutz hilft ihm, diesen Arbeitsplatz zu erhalten (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 2). Seit den Neunzehnneunzigerjahren ist zwar ein allgemeines Umdenken hinsichtlich der Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen festzustellen. Die Menschenrechte und das Thema „Gleichstellung" haben in der Behindertenpolitik besondere Bedeutung erlangt und einen Paradigmenwechsel herbeigeführt (vgl Art 7 Abs 1 B-VG idF BGBl I 1997/87; RV 836 BlgNR 22. GP 3). Trotz zahlreicher Förderangebote für Arbeitgeber von Menschen mit Behinderungen liegt aber die Beschäftigungssituation von Menschen mit Behinderungen nach wie vor unter dem Durchschnitt von Menschen ohne Behinderungen. Dies liegt auch an noch immer bestehenden sozialen Barrieren und Vorurteilen betreffend die berufliche Eingliederung von Menschen mit Behinderungen (RV 836 BlgNR 22. GP 2).

Bisher waren in der Rechtsprechung überwiegend Fälle zu beurteilen, in denen die Begünstigteneigenschaft dem behinderten Arbeitnehmer erst während aufrechten Arbeitsverhältnisses zuerkannt wurde. In diesen Fällen müssen sich die betroffenen Arbeitnehmer nicht mehr um die Begründung des Arbeitsverhältnisses sorgen, weil sie sich ohnehin bereits in einem aufrechten Arbeitsverhältnis befinden. Davon unterschied sich die Situation der Klägerin, der die Begünstigteneigenschaft auf der Basis eines Behinderungsgrads von 80 vH bereits rund fünf Jahre vor der Begründung des Arbeitsverhältnisses zur Beklagten zuerkannt worden war. Zweifellos hat (und hatte auch im Jahr 2001) ein Arbeitgeber ein Interesse daran, von der Behinderteneigenschaft des Arbeitnehmers zu erfahren (vgl Binder, Das Zusammenspiel arbeits- und sozialrechtlicher Leistungsansprüche 298). Diesem Informationsinteresse des Arbeitgebers steht (und stand) jedoch das Interesse des Arbeitnehmers auf Erlangung des von ihm angestrebten Arbeitsplatzes gegenüber. Hätte nun die Klägerin bei der Anbahnung des Arbeitsverhältnisses ihre Behinderteneigenschaft offengelegt, wäre ihre Eingliederung in das Arbeitsleben wesentlich erschwert gewesen, zumal es damals - abgesehen von der sich an die Gebietskörperschaften richtenden Staatszielbestimmung des Art 7 Abs 1 Satz 3 B-VG (Ernst/Haller aaO 125 ua) - noch keinen speziellen Schutz vor Diskriminierung wegen Behinderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses gab. Im Jahr 2001 gab es zwar bereits die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. 11. 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, die es sich ua zum Ziel gesetzt hatte, die Diskriminierung wegen Behinderung auch beim Zugang zur Erwerbstätigkeit zu bekämpfen. Ihre Umsetzungsfrist war jedoch gemäß Art 18 der RL 2000/78/EG noch im Laufen (bis zum 2. 12. 2003). Mit der Offenlegung der Begünstigteneigenschaft bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wäre der Zweck des BEinstG, Behinderten die Anknüpfung von arbeitsrechtlichen Beziehungen zu erleichtern, ins Gegenteil verkehrt worden. Abgesehen davon, dass die Treuepflicht im arbeitsvertraglichen Vorstadium noch nicht so stark ausgeprägt ist (vgl Binder aaO 299), verhält sie den Arbeitnehmer nur „in einem gewissen Rahmen" dazu, auch die finanziellen Interessen des Arbeitgebers zu berücksichtigen (Ernst/Haller aaO § 8 Erl 53). Da sich die Behinderung der Klägerin nach der Aktenlage bei ihrer Tätigkeit als Näherin für die Beklagte nicht leistungsmindernd auswirkte, drängte sich auch im Verlauf des Arbeitsverhältnisses die Annahme eines diesbezüglichen besonderen Informationsbedürfnisses der Beklagten für die Klägerin nicht auf. Für sie war nach der Lage des Falls auch nicht absehbar, dass der Beklagten wegen der Nichtbekanntgabe der Begünstigteneigenschaft Förderungen oder Steuerbegünstigungen entgehen könnten. Die Klägerin konnte auf Grund der Benachrichtigung durch das Bundessozialamt Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 16. 7. 1999 davon ausgehen, dass die Bundessozialämter die Arbeitgeber ohnehin in Wahrung von deren berechtigten Interessen über die Begünstigteneigenschaft von Arbeitnehmern informieren müssen und werden. Sie trifft daher kein Verschuldensvorwurf bezüglich der Nichtbekanntgabe der Begünstigung nach dem BEinstG, weshalb hier weder auf andere Schadenersatzvoraussetzungen noch auf Fragen der Schadensminderungspflicht eingegangen werden muss. Da der Klägerin die von der Beklagten geltend gemachten Schäden nicht zurechenbar sind, bestehen die aufrechnungsweise eingewendeten Gegenforderungen nicht zu Recht.

Der Oberste Gerichtshof kann gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO über einen Rekurs gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen, wenn diese zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall. Den Rekursen der Parteien ist daher Folge zu geben, der angefochtene Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und in der Sache selbst im Sinne der Wiederherstellung des klagestattgebenden Urteils des Erstgerichts (im zweiten Rechtsgang) zu erkennen. Im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 2 ZPO gilt das Verbot der reformatio in peius nicht (RIS-Justiz RS0043853 ua).

Die Kostenentscheidung ist in den § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO begründet. Trotz nominell erfolgreichen Rekurses auch der Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts besteht kein Kostenersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin, weil der Oberste Gerichtshof in der Sache selbst zum Nachteil der Beklagten entscheidet (9 ObA 89/06p ua).

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