JudikaturJustiz9ObA103/16m

9ObA103/16m – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshof Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Matthias Schachner als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei W***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch B S Böhmdorfer Schender Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei H***** W*****, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen 209.105,57 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2016, GZ 7 Ra 57/15a 41, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der bei der Klägerin beschäftigte Beklagte wurde am 7. 4. 2011 entlassen. Nach Punkt XX. A. des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kollektivvertrags für Angestellte und Lehrlinge in Handelsbetrieben sind – soweit in diesem Kollektivvertrag nicht anders geregelt – Ansprüche des Arbeitgebers sowie des Arbeitnehmers bei sonstigem Verfall innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt.

1. Die klagende Arbeitgeberin bestreitet nicht, dass die gegenständliche Verfallsklausel aufgrund ihres weit gefassten Wortlauts auch Schadenersatzansprüche der Arbeitgeberin erfasst, die mit dem Arbeitsverhältnis in einem typischen Zusammenhang stehen (vgl RIS Justiz RS0064226). Richtig ist, dass die Verfallsklausel nicht jeden nur denkbaren Anspruch erfasst, sondern nur typische, wesentliche bzw regelmäßig wiederkehrende Ansprüche aus dem synallagmatischen Arbeitsverhältnis (9 ObA 352/98z; vgl RIS Justiz RS0033579). Bei der Frage, ob ein Anspruch von dieser Verfallsklausel erfasst ist, kommt es aber – mangels Einschränkung in der Verfallsklausel – nicht auf die Verschuldensform (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) an ( Gerhartl , Verjährung, Verfall und Verzicht im Arbeitsrecht, DRdA 2010, 428 [429]; 9 ObA 86/08z zur vergleichbaren Verfallsklausel des Kollektivvertrags für die Angestellten der Raiffeisenkassen).

Damit ist aber die in der außerordentlichen Revision der Klägerin als erheblich iSd § 502 Abs 1 ZPO bezeichnete Rechtsfrage, ob strafgesetzwidrige Handlungen mit Bereicherungs- bzw Schädigungsvorsatz in einem typischen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen, gelöst. Der Zweck der kollektivvertraglichen Verfallsbestimmungen, für eine möglichst rasche Bereinigung der noch offenen Ansprüche zu sorgen (RIS Justiz RS0034417 [T8, T9, T11]), trifft auch auf Ersatzansprüche der Arbeitgeberin für Schäden zu, die ihr der beklagte Arbeitnehmer (nach deren Behauptungen) durch verschiedene Malversationen zugefügt hat und die zudem, auch wenn das Strafverfahren gegen den Beklagten eingestellt wurde, gerichtlich strafbare Handlungen darstellen. Soweit das Berufungsgericht im Einzelfall (vgl 9 ObA 352/98z) Schadenersatzforderungen der Klägerin aus veruntreuten Bareinnahmen des Beklagten und aus vom Beklagten zur Verschleierung von unerlaubt entnommenen Waren ausgestellten „Scheinrechnungen“ als solche im typischen Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis ansah, liegt darin keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung. Das Arbeitsverhältnis war hier gerade nicht nur ein rein zufälliger Anlass für den von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzanspruch, sondern der Beklagte konnte die ihm vorgeworfenen Malversationen nur aufgrund seiner konkreten Tätigkeit bei der Klägerin begehen.

2. Die Frage, ob eine Präklusion der Ansprüche durch Verfall eingetreten ist, richtet sich letztlich nach den Umständen des Einzelfalls und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (8 ObA 8/15g mwN). Das ist auch hier nicht der Fall.

Die Klägerin geht auch in der Revision davon aus, dass sie bereits durch den Anschluss als Privatbeteiligte im Strafverfahren, der der Erhebung einer Klage nach § 1497 ABGB gleichzuhalten sei, die Verfallsfrist gewahrt habe. Dazu ist Folgendes festzuhalten:

Der oben dargestellte, den Verjährungsvorschriften des ABGB ähnliche Normzweck (vgl RIS Justiz RS0034417; RS0029716) einer kollektivvertraglichen Verfallsbestimmung rechtfertigt grundsätzlich die analoge Anwendung der Bestimmungen des ABGB über die Verjährung auch auf kollektivvertragliche Verfallsfristen (RIS-Justiz RS0029716). Dies ändert aber nichts daran, dass die kollektivvertraglichen Voraussetzungen für die Einhaltung der Verfallsfrist gewahrt werden müssen. Diese verlangen von einem Anspruch stellenden Arbeitgeber weder einen Privatbeteiligtenanschluss noch andere spektakuläre Handlungen, sondern – nicht mehr, aber auch nicht weniger als – die schriftliche Geltendmachung der Forderung dem Grunde nach.

Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren hat nach ständiger Judikatur zwar die gleichen rechtlichen Wirkungen iSd § 1497 ABGB wie eine Klage (RIS-Justiz RS0034631). Dies bedeutet aber konsequenterweise nur, dass durch den Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren die Verfallsfrist vorerst unterbrochen wird, nicht aber auch, dass damit die Verfallsfrist letztlich eingehalten wurde. Die offenbare Annahme der Klägerin, mit dem Privatbeteiligtenanschluss habe sie zur Einhaltung der Verfallsfrist ohnehin bereits mehr getan als notwendig, geht daher fehl.

Der hier anwendbare Kollektivvertrag verlangt die „Geltendmachung eines Anspruchs“. Dass dafür das bloße Niederschreiben des Gedankens ebenso wenig ausreicht wie die Erklärung des Arbeitgebers gegenüber Dritten, dass ihm gegen den Arbeitnehmer Ansprüche zustehen, folgt schon aus dem natürlichen Verständnis des Ausdrucks Geltendmachung eines Anspruchs, aber auch aus dem der Verfallsregelung innewohnenden Zweck, dass innerhalb einer eher kurzen Frist vom Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer klargemacht werden soll, dass der Arbeitgeber davon ausgeht, er habe eine Forderung gegen den Arbeitnehmer. Damit soll der Arbeitnehmer möglichst zeitnahe in die Lage versetzt werden, die Annahme des Arbeitgebers auf ihre Berechtigung hin zu überprüfen (8 ObA 13/07f). Soll dieser Zweck aber nicht verfehlt werden, dann erfordert die Geltendmachung eines Anspruchs untrennbar auch das Zugehen der diesbezüglichen Erklärung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer ( Löschnigg/Heinrich-Rainer/Urleb , Handelsangestellten-KV 2013, Art XX Erl 6).

Im Privatbeteiligtenanschluss (allein) liegt im Anlassfall noch keine Geltendmachung von Ansprüchen im Sinn des Kollektivvertrags. Unter Geltendmachung von Ansprüchen im Rahmen kollektivvertraglicher Verfallsfristen ist nach ständiger Rechtsprechung zwar kein förmliches Einmahnen, wohl aber ein dem Erklärungsempfänger zumindest erkennbares ernstliches Fordern einer Leistung zu verstehen (RIS Justiz RS0051576). Der Anschluss als Privatbeteiligter im Strafverfahren erfolgt durch Erklärung (§ 67 Abs 2 StPO) gegenüber Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht (§ 67 Abs 3 Satz 1 StPO). Die Revisionswerberin behauptet nicht, dass sie diese Erklärung gegenüber dem Beklagten schriftlich abgab bzw sie ihm zuging.

Mit der durch die Anschlusserklärung im Strafverfahren bewirkten Unterbrechung der kollektivvertraglichen Verfallsfrist ist sohin für die Klägerin nichts gewonnen. Sie hat nämlich auch nach Wegfall der Unterbrechungswirkung – egal ob dieser Zeitpunkt mit der Einstellung des Strafverfahrens oder spätestens mit der rechtskräftigen Abweisung des Fortführungsantrags der Klägerin vom 7. 2. 2013 angenommen wird –, nach den bindenden Feststellungen vor Einbringung der gegenständlichen Klage vom 4. 4. 2014 nicht gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, dass sie durch dessen Handlungen einen Schaden erlitten habe. Davon ausgehend sind die Schadenersatzansprüche der Klägerin aber nach der eingangs genannten kollektivvertraglichen Bestimmung verfallen.

Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass nicht nur die Leistungsansprüche, sondern auch die vom Feststellungsbegehren der Klägerin erfassten „vorhersehbaren“ Schadenersatzansprüche innerhalb der sechsmonatigen Verfallsfrist geltend gemacht hätten werden müssen, wird im Rechtsmittel der Klägerin nicht weiter in Frage gestellt.

Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Rechtssätze
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