JudikaturJustiz9Ob57/15w

9Ob57/15w – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Oktober 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. H***** F*****, und 2. J***** R*****, beide vertreten durch Pallauf Meissnitzer Staindl Partner, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei H***** GmbH Co KG, *****, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Feststellung, Unterlassung und Herausgabe (5.800 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 16. Juli 2015, GZ 53 R 67/15g 10, mit dem über Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichts Zell am See vom 3. Februar 2015, GZ 17 C 22/15v 6, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichts, das im Umfang einer Teilabweisung (Pkt I.4.) in Rechtskraft erwachsen ist, wird hinsichtlich des klagsstattgebenden Umfangs (Pkt I.1. bis 3.) dahin abgeändert, dass insoweit das klagsabweisende Ersturteil einschließlich der Kostenentscheidung zur Gänze wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 895,49 EUR (darin 149,25 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 1.363,96 EUR (darin 102,48 EUR USt und 749,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerinnen sind Eigentümerinnen einer Liegenschaft samt Hotel. Die Beklagte ist Eigentümerin der Nachbarliegenschaft samt Haus und des zwischen den Gebäuden der Streitteile verlaufenden rund 1,5 Meter breiten Wegs, des sogenannten L*****gässchens. Dieser Weg verbindet die S*****gasse, auf der als Fußgängerzone nur bis 9:30 Uhr zugefahren werden darf, mit der *****gasse, auf der das Zufahren jederzeit möglich ist.

Das verpachtete Hotel der Klägerinnen verfügt über einen Haupteingang von der S*****gasse, einen Eingang in das Restaurant von der K*****gasse und einen Seiteneingang vom L*****gässchen. Beim Seiteneingang befindet sich der Skikeller des Hotels sowie ein Lift. Der Seiteneingang wird sowohl von den Hotelgästen als auch den Mitarbeitern und Lieferanten des Hotels benutzt. Von den Klägerinnen bzw ihren Rechtsvorgängern wird der Seiteneingang zumindest seit 1960 benutzt.

Zumindest seit 1962 sind am jeweiligen Beginn des L*****gässchens von der S*****gasse bzw der K*****gasse kommend Hinweisschilder angebracht, die den Durchgang bis auf Widerruf gestatten („Auf Widerruf freiwillig gestatteter Durchgang“).

1967 bzw 1968 brachte der Rechtsvorgänger der Beklagten am jeweiligen Ende des Wegs Tore an, die tagsüber (zumeist) offen und in der Nacht verschlossen sind. Sowohl der ehemalige Pächter des Hotels der Klägerinnen als auch der nunmehrige Pächter erhielten vom Eigentümer (bzw dessen Rechtsvorgänger) einer anderen, ebenfalls an das L*****gässchen angrenzenden Nachbarliegenschaft einen Schlüssel für die Tore. Ob die Beklagte (bzw deren Rechtsvorgänger) darüber in Kenntnis war, steht nicht fest.

Nach dem etwa im Jahr 2013 erfolgten Austausch der Schlösser beider Tore wurden den Klägerinnen keine Schlüssel ausgefolgt.

Die Klägerinnen begehrten mit ihrer am 11. 7. 2014 eingebrachten Klage 1. die Feststellung, dass ihnen auf dem L*****gässchen von der K*****gasse bis zum Seiteneingang des Hotels das uneingeschränkte Gehrecht im Sinne des bestehenden Hotelbetriebs zustehe, 2. die Beklagte zu verpflichten, alles zu unterlassen, dieses Zugangsrecht der Klägerinnen zu beeinträchtigen, insbesondere dadurch, dass Absperrungen ohne Ausfolgung von Nachschlüsseln errichtet und unterhalten werden, sowie 3. den Klägerinnen einen passenden Nachschlüssel zu dem im Zugangsbereich zwischen K*****gasse und L*****gässchen errichteten Tor und bei Schlosswechseln entsprechend passende Nachschlüssel auszufolgen. Der Zugang zum Seiteneingang des Hotels sei schon seit 40 bis 50 Jahren von den Klägerinnen bzw deren Rechtsvorgängern immer als Eingang für die Hotelgäste benutzt und der Zugang auch nie in Frage gestellt worden. Die Hinweisschilder am jeweiligen Beginn des Wegs hätten weder eine Ersitzung gehemmt noch zu einer Freiheitsersitzung geführt, weil damit nur die Nutzung des Wegs durch die Allgemeinheit eingeschränkt worden sei, sich aber nicht auf die tatsächlich Nutzungsberechtigten bezogen hätten.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Klägerinnen schon durch die Hinweisschilder Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzes haben mussten. Vom nur bis auf Widerruf gestatteten „Durchgang“ sei jedenfalls auch der „Zugang“ umfasst.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Durch das Anbringen von Hinweistafeln sei der gute Glaube der Rechtsvorgänger der Klägerinnen weggefallen, sodass eine Ersitzung nicht stattfinden habe können.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerinnen (mit Ausnahme des Begehrens auf Ausfolgung von entsprechend passenden Nachschlüsseln bei Schlosswechseln an die Klägerinnen) Folge und dem Klagebegehren insoweit statt. Die Eigentümer sowie Pächter und Gäste des Hotels der Klägerinnen hätten die Hinweistafeln nicht so verstehen müssen, dass der bislang von ihnen über das L*****gässchen benutzte Seiteneingang nur bis auf Widerruf zur Verfügung stehe. Es sei nämlich damit auch nicht der „Zu- und Abgang“, sondern nur der „Durchgang“ untersagt worden.

In ihrer gegen den klagsstattgebenden Teil des Berufungsurteils gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerinnen beantragten in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Voraussetzungen für die Ersitzung sind neben dem Zeitablauf während der gesamten Ersitzungszeit (RIS Justiz RS0010175) echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem erwerbenden Recht entsprochen hat, sowie Besitzwille (§§ 1460, 1477 ABGB; 7 Ob 180/10m ua; RIS Justiz RS0034138). Ein Rechtsbesitzer ist redlich, wenn er glauben kann, dass ihm die Ausübung des Rechts zusteht (RIS Justiz RS0010137). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glaube, also die Redlichkeit des Besitzers, fällt nicht nur bei nachträglicher Kenntnis der Unrechtmäßigkeit, sondern auch bei Kenntnis von Umständen, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit seines Besitzes Anlass geben, weg (8 Ob 96/14x mwN; RIS-Justiz RS0010184).

Auch wenn die Redlichkeit des Besitzers gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet wird, so fällt die Redlichkeit grundsätzlich weg, wenn der Ersitzungsgegner im Falle einer behaupteten Wegeservitut die Benutzung des Wegs von bestimmten Bedingungen abhängig gemacht hat. So ergibt sich etwa aus einer Hinweistafel mit der (oder einer inhaltsgleichen) Aufschrift „Durchgang bis auf Widerruf gestattet“, dass die Nutzungsbefugnis ermöglicht wurde, nicht aber die Begründung eines Rechts des dadurch Begünstigten („Scheinservitut“; 6 Ob 323/99i; 1 Ob 41/08y; 1 Ob 89/10m; 7 Ob 180/10m; 4 Ob 123/14p; Koch in KBB 4 § 479 ABGB Rz 2; Spath in Schwimann/Kodek , ABGB 4 § 479 Rz 6; Risak in Schwimann , ABGB Taschenkommentar 2 § 479 Rz 3; Memmer in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.02 § 479 ABGB Rz 15; Hofmann in Rummel , ABGB § 479 Rz 1). Maßgeblich bei dieser Beurteilung ist, ob ein durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer die in seiner Ausübungshandlung liegende Rechtsverletzung erkennen hätte können (6 Ob 235/13x; 7 Ob 27/14t; RIS Justiz RS0010184 [T11]; RS0043103 [T3]).

Die Klägerinnen und ihre Rechtsvorgänger nutzten den hier strittigen Teil des L*****gässchens im Rahmen des Hotelbetriebs zumindest seit 1960. Dass zum Zeitpunkt des Anbringens der Hinweistafeln durch den Rechtsvorgänger der Beklagten im Jahr 1962 die Ersitzungszeit bereits abgelaufen war, haben die Klägerinnen nicht behauptet.

Die Wegbenutzer konnten durch die am Beginn und Ende des L*****gässchens angebrachten Hinweistafeln „Auf Widerruf freiwillig gestatteter Durchgang“ unschwer erkennen, dass sie abgesehen von der durch den Eigentümer des Wegs bis auf Widerruf eingeräumten Befugnis kein Recht hatten, den Weg zu benutzen. Jedenfalls mussten ihnen aus der Sicht eines durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers Zweifel kommen. Das Verfahren hat keine Gründe hervorgebracht, die die Benutzer des L*****gässchens zur Annahme veranlassen hätten dürfen, dass der jeweilige Eigentümer des Wegs mit den Hinweistafeln nur den (vollständigen) Durchgang des L*****gässchens, nicht aber (auch) den bloßen Zugang von der K*****gasse bis zum Seiteneingang des Hotels unter den Vorbehalt des Widerrufs stellen wollte. Damit waren aber die Benutzer des gegenständlichen Wegs, auch wenn sie diesen nicht als „Durchgang“, sondern nur als „Zugang“ benutzt haben, um von der K*****gasse zum Seiteneingang des Hotels zu gelangen, bereits seit 1962 unredlich. Die Ersitzung wurde seit diesem Zeitpunkt unterbrochen (RIS Justiz RS0034103).

In Abänderung der Berufungsentscheidung war daher das die Klage abweisende Urteil des Erstgerichts unter Berücksichtigung der mangels Anfechtung bereits in Rechtskraft erwachsenen teilweisen Klagsabweisung durch das Berufungsgericht wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Verpflichtung der Klägerinnen auch zum Ersatz der Kosten der Rechtsmittelverfahren zweiter und dritter Instanz beruht auf den §§ 50, 41 ZPO.

Rechtssätze
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