JudikaturJustiz8ObA69/05p

8ObA69/05p – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Josef Sinzinger als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Sauerzopf und Partner, Rechtsanwälte in Eisenstadt, gegen die beklagte Partei Cäcilia E*****, Angestellte, *****, vertreten durch Dr. Harald Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, wegen EUR 12.000 sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2005, GZ 8 Ra 61/05g 12, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. September 2005, GZ 17 Cga 68/04x 8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der außerordentlichen Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.041,60 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin EUR 173,60 Umsatzsteuer) und die mit EUR 1.810,70 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin EUR 124,95 Umsatzsteuer und EUR 1.061 Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war seit Juli 1995 bei der Klägerin als provisionsberechtigte Außendienstmitarbeiterin angestellt. Mit Ende November 2003 wurde das Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst, weil sich die Beklagte in Kenia selbständig machen wollte. Die Beklagte ersuchte die Klägerin, den ihr nach Ende des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Betreuungsprovision für den von ihr betreuten Geschäftsstock durch die einmalige Zahlung eines Pauschalbetrages abzugelten. Die Klägerin stimmte dem zu und erklärte sich überdies bereit, die von ihr errechnete Summe Ablösesumme von EUR 11.350,64 auf EUR 12.000 zu erhöhen. In dritter Instanz ist nicht mehr strittig, dass es sich bei diesem Betrag um einen Bruttobetrag handelt. Die Klägerin überwies die vereinbarte Geschäftsstockablöse von EUR 12.000 brutto abzüglich der Sozialversicherungsbeiträge und der Lohnsteuer auf das Konto der Beklagten.

In weiterer Folge entschloss sich die Beklagte, wegen einer schweren Erkrankung ihres Gatten nach Österreich zurückzukehren und hier zu bleiben. Hätte die Klägerin dies gewusst, hätte sie die vereinbarte Ablöse nicht gewährt. Sie erklärte daher gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 23. 4. 2004, die Vereinbarung über die Ablöse wegen Irrtums anzufechten.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung der gewährten Ablöse von EUR 12.000.

Die Beklagte hielt dem entgegen, dass die Vereinbarung nicht an ihre Auswanderung geknüpft gewesen sei. Insofern liege allenfalls ein Motivirrtum der Klägerin vor, der sie aber nicht zur Anfechtung der Vereinbarung berechtige. Im Übrigen habe die Klägerin nur EUR 6.000 erhalten und könne daher keinesfalls zu einer höheren Rückzahlung verpflichtet werden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Im Rahmen seiner Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung ging es davon aus, dass die Streitteile die Auswanderung der Beklagten nach Afrika zur Bedingung der Vereinbarung gemacht hätten. Da die Beklagte diese Bedingung nicht erfüllt habe, sei die Anfechtung der Vereinbarung durch die Klägerin berechtigt. Diese könne daher den von ihr gezahlten Betrag zurückfordern.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein Zwischenurteil ab, mit dem das Klagebegehren dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannt wurde. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht wertete die Ausführungen des Erstgerichtes darüber, dass die Streitteile die Auswanderung der Beklagten zur Bedingung der Vereinbarung über die Ablöse gemacht hätten, als Tatsachenfeststellung, die es mit eingehender Begründung als solche übernahm und seiner Entscheidung zu Grunde legte. Auf dieser Grundlage verneinte es den Einwand der Beklagten, dass es sich beim Irrtum der Klägerin um einen unbeachtlichen Motivirrtum handle. Gehe man im Übrigen davon aus, dass die Auswanderung der Beklagten Bedingung des Vertrages geworden sei, so führe schon das zum Ergebnis, dass - je nach Art der Bedingung - der Vertrag nachträglich wegfalle oder nicht gültig werde.

Sowohl die Irrtumsanfechtung als auch der Nichteintritt einer Resolutivbedingung führten zur bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung. Dabei umfasse der Anspruch der Klägerin aber nicht den gesamten Bruttobetrag. Der Dienstnehmer sei berechtigt, den Bruttolohn einzuklagen. Brutto- und Nettoforderung seien grundsätzlich ident. Der Arbeitnehmer könne aber nach § 82 Abs 1 EStG und § 58 Abs 2 ASVG von der Abgabenbehörde bzw vom Sozialversicherungsträger nicht unmittelbar in Anspruch genommen werden; er habe auch keinen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Zahlung an sich selbst. Damit habe die Klägerin durch die Abführung der Lohnsteuer und der Sozialversicherungsbeiträge keine Forderung der Beklagten erfüllt. Diese Zahlung sei der Beklagten nicht zugeflossen und könne daher nicht im Rahmen einer bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung zurückgefordert werden.

Allerdings sei das Verfahren noch nicht spruchreif, weil das Erstgericht nicht festgestellt habe, welcher Nettobetrag der brutto vereinbarten Ablöse entspreche und der Beklagten überwiesen worden sei.

Die Revision sei nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO nicht vorgelegen seien.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, es im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils abzuändern.

Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - zur hier zu beurteilenden Rechtsfrage Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehlt. Sie ist auch berechtigt.

Die Beklagte hat das ihre grundsätzliche Rückzahlungsverpflichtung feststellende Zwischenurteil nicht mehr bekämpft. Auch in ihrer Revisionsbeantwortung geht sie davon aus, dass nunmehr eine bereicherungsrechtliche Rückabwicklung stattzufinden habe. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Frage, ob die Beklagte nur den ihr tatsächlich als Nettozahlung geleisteten Betrag oder die gesamte Bruttoleistung der Klägerin zurückzuzahlen habe.

Zur Einkommensteuer:

Steuerschuldner der Lohnsteuer ist nach den §§ 78 und 83 EStG der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber ist zum „Einbehalten" (§ 78 EStG) und zur „Abfuhr" (§ 79 EStG) der Lohnsteuer verpflichtet und haftet für Einbehaltung und Abfuhr (§ 82 EStG). Mit der Abfuhr der vom Arbeitnehmer einbehaltenen Lohnsteuer zahlt der Arbeitgeber einen fremde Schuld, nämlich eine Schuld des Arbeitnehmers (SZ 60/136; 9 ObA 176/92; vgl auch 6 Ob 37/01m; 10 Ob 54/03v).

Im Ergebnis beizupflichten ist der Revisionswerberin, dass ihr als Arbeitgeberin die Berücksichtigung des Wegfalls bzw der Unwirksamkeit der Ablösevereinbarung nur im laufenden Kalenderjahr möglich ist, während nach diesem Zeitpunkt die Geltendmachung des auf ihre Rechnung eingehobenen und abgeführten Steuerbetrags nur mehr durch die Beklagte als Arbeitnehmerin möglich ist. Nach § 77 Abs 3 EStG 1988 steht dem Arbeitgeber die Möglichkeit der Aufrollung zu, die allerdings auf das laufende Kalenderjahr beschränkt ist. Hingegen hat die Beklagte auch nach diesem Zeitpunkt die Möglichkeit, die für ihre Rechnung von der Ablöse einbehaltene und abgeführte Steuer im Wege des Jahresausgleichs bzw der Erwirkung eines Veranlagungsbescheides geltend zu machen: Gemäß § 16 Abs 2 EStG zählt die Erstattung (Rückzahlung) von Einnahmen zu den Werbungskosten, sofern weder der Zeitpunkt des Zufließens der Einnahmen noch der Zeitpunkt der Erstattung willkürlich festgesetzt wurde. Für Werbungskosten iSd § 16 Abs 2 EStG erfolgt gemäß § 16 Abs 3 EStG keine Anrechnung auf den Werbungskostenpauschbetrag. § 16 Abs 2 EStG unterscheidet nicht, ob die rückgezahlten Einnahmen seinerzeit als laufender oder als sonstiger Bezug zu erfassen waren. In beiden Fällen führt die Erstattung der Einnahmen, wenn die hier nicht strittige Voraussetzung des Fehlens von Willkürlichkeit in Bezug auf den Zeitpunkt des Zufließens und den Zeitpunkt der Rückzahlung gegeben ist, zu Werbungskosten. § 16 Abs 2 EStG stellt auf den Umstand, ob die Einnahmen im Zeitpunkt, in dem sie dem Steuerpflichtigen zufließen, eine Steuerbelastung auslösen, die nicht der steuerlichen Entlastung durch die Berücksichtigung als Werbungskosten im Zeitpunkt ihres Abfließens entspricht - was regelmäßig dann der Fall sein wird, wenn beide Vorgänge nicht im selben Kalenderjahr erfolgen - nicht ab (in diesem Sinne mit ausführlicher Begründung die Entscheidung des VwGH vom 30. 5. 1994, 92/13/0276, VwSlg 7008 F/1995, die ebenfalls die Rückforderung eines zu Unrecht und damit ohne Rechtsgrund ausgezahlten Bezugsteils betrifft). Demgemäß stellt die seinerzeitig Besteuerung der Ablösezahlung einen abgeschlossenen Vorgang dar, der dazu führt, dass die vom Arbeitgeber einbehaltene und abgeführte Steuer trotz des Umstandes, dass der damals angenommene Rechtsgrund nicht (mehr) besteht, dem Arbeitnehmer als Steuerschuldner zugerechnet wird, der allerdings die Rückzahlung nunmehr steuermindernd geltend machen kann.

Darüber hinaus ist der Beklagten, die in ihrer Revisionsbeantwortung geltend macht, im Hinblick auf die erfolgreiche Anfechtung der Vereinbarung habe nie eine Steuerschuld bestanden, entgegenzuhalten, dass die Streitteile nach den Feststellungen die Auswanderung der Beklagten zur Bedingung der Vereinbarung gemacht haben. Da nach dem Willen der Streitteile die Vereinbarung sofort wirksam sein und erfüllt werden sollte (und auch erfüllt wurde), handelte es sich um eine Resolutivbedingung (so auch die Meinung der Beklagten in ON 15), sodass die zunächst wirksam zustande gekommene Vereinbarung durch den Eintritt der Bedingung wieder weggefallen ist. Zum Zeitpunkt der Abfuhr der einbehaltenen Steuer hat daher sehr wohl eine Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung der vereinbarten Ablöse bestanden.

Ist aber der Beklagten die durch die Abfuhr der Steuer bewirkte Zahlung der Klägerin zurechenbar, dann ist im Sinne der allgemeinen bereicherungsrechtlichen Grundsätze von einer Bereicherung der Klägerin auszugehen und der geltend gemachte Bereicherungsanspruch der Beklagten zu bejahen.

Zu den Sozialversicherungsbeiträgen:

Auch zur Rückforderung von ungebührlich für den Dienstnehmer entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen (Dienstnehmeranteile) ist gemäß § 69 ASVG - ungeachtet des Umstandes, dass nach § 58 Abs 2 ASVG der Dienstgeber Schuldner auch hinsichtlich der Dienstnehmeranteile ist - der Dienstnehmer selbst berechtigt. „Selbst getragen" iSd § 69 Abs 6 ASVG hat der Versicherte die Dienstnehmeranteile nicht nur, wenn er sie selbst gezahlt hat, sondern auch dann, wenn sie durch den Dienstgeber vom Entgelt abgezogen wurden (VwGH 7. 4. 1992, 87/08/0086, VwSlg 13604 A/1992 ua).

Auch in diesem Zusammenhang ist im Übrigen darauf zu verweisen, dass aus den schon angeführten Gründen zum Zeitpunkt des Einbehalts und der Abfuhr der Dienstnehmeranteile die Ablösevereinbarung der Streitteile wirksam war, sodass eine Verpflichtung der Klägerin zur Zahlung dieser Ablöse und demgemäß auch eine Verpflichtung zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen bestand.

Auch diese Zahlung ist daher der Beklagten zuzurechnen, der es überlassen bleibt, den Rückersatz der einbehaltenen Beträge im Verwaltungsweg zu begehren.

Ist aber der Beklagten die Zahlung der Klägerin zuzurechnen, gilt auch hier, dass der nachträgliche Wegfall des Rechtsgrundes ihre bereicherungsrechtliche Verpflichtung zum Rückersatz auslöst.

Richtig ist, dass mit dem Wegfall der Ablösevereinbarung der damit abgegoltene Provisionsanspruch der Beklagten wieder aufgelebt ist. Die darauf gestützte Gegenforderung hat die Beklagte aber erst nach der Erlassung des Urteile der Vorinstanzen eingewendet, sodass darauf im Hinblick auf das Neuerungsverbot nicht Bedacht genommen werden kann.

In Stattgebung der Revision war daher die Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Meinung der Beklagten, die Klägerin habe die Revisionskosten überhöht verzeichnet, stützt sich auf ein nach Erlassung der Urteile des Vorinstanzen erfolgtes (unüberprüft gebliebenes) Prozessvorbringen über die genaue Höhe des von der Klägerin ursprünglich an die Beklagte überwiesenen Nettobetrags. Dieser Betrag lag aber dem Zwischenurteil des Berufungsurteils nicht zu Grunde, dem keinerlei Hinweis für eine ziffernmäßige Einschränkung des Streitwerts entnommen werden kann.

Rechtssätze
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