JudikaturJustiz8ObA273/95

8ObA273/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. November 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Huber als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Petrag und Dr.Rohrer sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Peter Scheuch und Helmut Stöcklmayer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Hermann K*****, vertreten durch Dr.Stefan Gloß, Dr.Hans Pucher, Rechtsanwälte in St.Pölten, wider die beklagte Partei M***** AG, ***** vertreten durch Dr.Reinhard Tögl, Dr.Nicoletta Wabitsch, Rechtsanwälte in Graz, wegen S 306.250,- brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.März 1995, GZ 31 Ra 185/94-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes St.Pölten als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.September 1994, GZ 27 Cga 161/93d-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 14.490,- (darin S 2.415,- Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien vereinbarten am 2.Mai 1991, daß der Kläger ab 1.Juni 1991 auf unbestimmte Zeit als Landesdirektorstellvertreter bei der Beklagten angestellt werde. Nach der zugleich abgeschlossenen Zusatzvereinbarung sollte der Dienstvertrag aber nur dann "endgültig in Kraft treten", wenn es dem Kläger gelinge, daß mindestens zehn seiner ehemaligen Außendienstmitarbeiter spätestens mit 1.Juli 1991 ein Dienstverhältnis bei der Beklagten begründen. Sollten weniger als zehn Mitarbeiter bei der Beklagten eintreten, werde pro fehlender Person das Gehalt des Klägers um S 5.000,- gekürzt. Falls nur sieben oder weniger Außendienstmitarbeiter zur Beklagten wechselten, endet das Dienstverhältnis des Klägers mit 15.Juli 1991.

Der Kläger machte in der Folge insgesamt vierzehn Personen namhaft, die eine Tätigkeit bei der Beklagten beginnen sollten. Zu einer Besprechung Anfang Mai 1991 kamen fünf Interessenten, denen vorbereitete Dienstvertragsanbote ausgehändigt wurden. Auf Grund vom Kläger nicht zu vertretender Differenzen und wegen der Befürchtung, daß es dem Kläger nicht gelingen werde eine ausreichende Anzahl von Mitarbeitern zum Übertritt zu bewegen, erklärte sich der Landesleiter für Niederösterreich im Mai 1991 nicht mehr bereit, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten. Dem Kläger wurde vom Vorstandsdirektor der Beklagten nahegelegt, von der getroffenen Vereinbarung einvernehmlich abzugehen. Damit war der Kläger nicht einverstanden. Er meldete sich am Montag, dem 3.Juni 1991 zum Dienst in der Zentrale der Beklagten in Graz. Er konnte den Dienst jedoch nicht antreten, da er weggeschickt wurde. In einem Schreiben wurde dem Kläger mitgeteilt, daß das Dienstverhältnis wegen der Nichteinhaltung der Zusatzvereinbarung nicht zustande gekommen sei, vorsichtshalber werde der Rücktritt vom Vertrag erklärt.

In der Folge machte der Kläger vor dem Erstgericht jene Ansprüche geltend, welche ihm bis zum nächstmöglichen Kündigungstermin dem 30. September 1991 zugestanden wären. Aus diesem Titel wurden ihm insgesamt S 254.170,67 brutto rechtskräftig zugesprochen.

Der Kläger war jedoch über diesen Zeitraum hinaus von Oktober 1991 bis 1.März 1992 ohne Beschäftigung, obwohl er sich schon seit Juni 1991 bemüht hatte eine vergleichbare Stellung bei einer Versicherungsanstalt zu finden. Durch den von der Beklagten erklärten Vertragsrücktritt hatte der Kläger sein Mitarbeiterteam verloren. Dadurch sanken sein Marktwert und die Chancen, zu einer anderen Versicherung wechseln zu können, stark herab. Mit 1.3.1992 machte sich der Kläger als Marketingberater selbständig.

Mit seiner am 2.Dezember 1993 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger nunmehr für die Zeit von Oktober 1991 bis Februar 1992 den Klagsbetrag aus dem Titel des Schadenersatzes, wobei er das ihm von der Beklagten zugesicherte Gehalt zuzüglich anteiliger Provisionen seiner Berechnung zugrunde legte.

Die Beklagte, die das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit stellte, bestritt dieses im übrigen und begehrte dessen Abweisung. Gemäß § 34 AngG seien Ersatzansprüche wegen vorzeitiger Entlassung binnen sechs Monaten geltend zu machen. Diese Frist beginne mit Ablauf des Tages, an dem die Entlassung oder der Austritt stattgefunden habe, bei Rücktrittsansprüchen an dem Tag, an dem der Dienstantritt hätte erfolgen sollen. Sämtliche Ansprüche des Klägers seien daher verjährt. Überdies sei der Anspruch auch deshalb nicht berechtigt, da mit dem Begriff des "weitergehenden Schadens" in § 29 AngG nur Schäden in dem Zeitraum gemeint seien, für welchen Kündigungsentschädigung zustehe.

Das Gericht erster Instanz gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte zur rechtlichen Beurteilung aus, daß für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch die sechsmonatige Ausschlußfrist des § 34 Abs 1 AngG keine Anwendung finde, da sie nur für die Ersatzansprüche im Sinne der §§ 28, 29 und 31 AngG Geltung habe. Für weitergehende Schäden sei die Verjährungsfrist des § 1489 ABGB maßgeblich, die im gegenständlichen Fall noch nicht abgelaufen sei.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte das erstgerichtliche Urteil. Es übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und teilte dessen Rechtsansicht, daß der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch keinem jener Ansprüche entspreche wie sie in § 34 Abs 1 AngG aufgezählt seien.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision der Beklagten kommt keine Berechtigung zu.

Entläßt der Dienstgeber den Angestellten ohne wichtigen Grund vorzeitig (§ 29 AngG) oder tritt er ohne wichtigen Grund vom Vertrage zurück (§ 31 AngG), so hat er dem Angestellten das Entgelt zu ersetzen, das ihm bei ordnungsgemäßer Kündigung zugestanden wäre. Allfällige weitere Schadenersatzansprüche werden durch diese beiden Bestimmungen ausdrücklich nicht berührt.

Gemäß § 34 Abs 1 AngG müssen Ersatzansprüche wegen vorzeitigen Austrittes oder vorzeitiger Entlassung im Sinne der §§ 28 und 29 AngG, ferner Ersatzansprüche wegen Rücktrittes vom Vertrag im Sinne des § 31 AngG bei sonstigem Ausschluß binnen sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Letztere Anordnung folgt im wesentlichen inhaltsgleich der Bestimmung des § 1162 d ABGB. Die Verfallsklausel bezieht sich ihrem ausdrücklichen Wortlaut nach nur auf die sogenannte Kündigungsentschädigung (ArbSlg 10.097). Von der Rechtsprechung wurden daher der Fallfrist des § 34 Abs 1 AngG unter anderem nicht unterstellt die Abfertigung (ArbSlg 10.072; 8 ObA 284/94), der allein auf § 10 UrlG gestützte Anspruch auf Urlaubsabfindung (ArbSlg 10.141), jener auf laufendes Gehalt oder Sonderzahlungen (9 ObA 1032/93) und auf Provisionen (ArbSlg 10.581), je für die Zeit vor Beendigung des Dienstverhältnisses (siehe auch SZ 48/79; SZ 59/180).

Dem grundlos entlassenen Angestellten steht es ebenso wie jenem, von dessen Vertrag der Dienstgeber ohne wichtigen Grund zurückgetreten ist, frei, außer den vertragsmäßigen Ansprüchen auf das Entgelt weitergehenden Schadenersatz geltend zu machen. Im Gegensatz zur Kündigungsentschädigung, bei der es sich um einen abstrakten, vom Nachweis des eingetretenen Schadens und der Schadenshöhe unabhängigen Schadenersatzanspruch handelt, müssen die Verursachung des weitergehenden Schadens im Zusammenhang mit der vorzeitigen Lösung und seine Höhe durch konkrete Umstände im Einzelfall bewiesen und nach dem bürgerlichen Recht beurteilt werden (vgl Martinek/M.Schwarz/W.Schwarz AngG7, 658). Abgesehen von dem klaren Gesetzeswortlaut ergibt sich schon aus diesem Umstand, welcher im allgemeinen eine umfangreichere Stoffsammlung und einen längeren Beobachtungszeitraum erforderlich macht, daß eine Verkürzung der allgemeinen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht sachgerecht wäre und daher dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann.

Es war daher der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.