JudikaturJustiz8ObA124/02x

8ObA124/02x – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Kuras und die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Krüger und Manfred Gürtler als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang B*****, vertreten durch Dr. Gabriele Schubert, Rechtsanwältin in Baden, wider die beklagte Partei M***** GesmbH, *****, vertreten durch Brandstätter, Prinz Partner, Rechtsanwälte KEG in Wien, wegen restlicher EUR 9.641,11 brutto sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Februar 2002, GZ 9 Ra 321/01v-16, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. April 2001, GZ 6 Cga 202/00k-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 624,06 (darin enthalten EUR 104,01 an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der bereits langjährig bei der Beklagten als Offset-Drucker mit einem Monatsentgelt von zuletzt S 27.621,-- brutto beschäftigte Kläger lebte im Oktober 2000 mit seiner Ehegattin in Scheidung. Er wurde am 9. 10. 2000 auf Grund von Auseinandersetzungen mit seiner Ehegattin wegen des Verdachtes des Mordes sowie der schweren Nötigung festgenommen und in die Justizanstalt Wiener Neustadt eingeliefert. Am 11. 10. wurde dann über ihn die Untersuchungshaft verhängt. Die Beklagte erfuhr am 10. 10. 2000 vom Landesgericht Wiener Neustadt davon, dass der Kläger in Haft genommen wurde und erfuhr auch aus Zeitungsartikeln, dass der Kläger offensichtlich massiv gegen seine Gattin tätlich geworden war. Die Beklagte schickte dann dem Kläger folgendes Schreiben:

Betreff: Bedingte Entlassung

Sehr geehrter Herr B*****!

Wir sind heute, den 10. 10. 2000, vom Landesgericht Wiener Neustadt telefonisch in Kenntnis gesetzt worden, dass Sie sich in Haft befinden.

Wir sehen uns dadurch veranlasst, mit heutigem Tage ihre fristlose Entlassung unter der Bedingung auszusprechen, dass sie länger als 14 Tagen in Haft bleiben.

Wir müssen Sie dringend ersuchen, dass sie umgehend nach ihrer Haftentlassung bei Mag. G***** vorstellig werden, um die weitere Vorgangsweise zu besprechen".

Durch die Setzung der Frist sollte § 82 GewO entsprochen und dem Kläger die Möglichkeit gegeben werden, allfällige zu Unrecht seitens seiner Gattin gegen ihn erhobene Vorwürfe zu entkräften. Die Untersuchungshaft des Klägers wurde jedoch mit Beschluss vom 23. 10. 2000 bis 23. 11. 2000 verlängert.

Am 16. 11. 2000 sprach die Beklagte für den Fall der mangelnden Rechtfertigung der bereits ausgesprochenen Entlassung erneut die Entlassung aus.

Nachdem die über den Kläger verhängte Untersuchungshaft noch einmal bis 23. 1. 2001 verlängert wurde, wurde er schließlich mit Urteil des Geschworenengerichtes vom 23. 2. 2001 wegen am 8. 10. 2000 begangener absichtlicher schwerer Körperverletzung und schwerer Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und befindet sich auch noch in Haft.

Bei der Beklagten werden in der Offset-Druckerei auch gefährliche Güter, wie Spezialgase verschlossen gelagert. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger einen eigenen Schlüssel dafür hatte.

Der Kläger begehrte ua - insoweit für das Revisionsverfahren noch maßgeblich - vier Monatsentgelte Abfertigung in Höhe von S 128.898,-- und eine Urlaubsentschädigung für zweieinhalb Werktage im Ausmaß von S 3.766,50. Er stützte dies darauf, dass die Entlassung unberechtigt sei, da sich der Kläger zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Entlassung erst einen Tag in Untersuchungshaft befunden habe. Die Entlassung könne auch nicht nachträglich dadurch saniert werden, dass sie unzulässigerweise an die Bedingung der 14 Tage andauernden Untersuchungshaft geknüpft werde. Vielmehr hätte die Beklagte 14 Tage mit dem Ausspruch der Entlassung zuwarten müssen. Die am 10. 10. 2000 ausgesprochene unberechtigte Entlassung sei wirksam, weshalb der am 16. 11. 2000 der weiters ausgesprochenen Entlassung keine Bedeutung mehr zukomme. Der Kläger begehrte dann auch noch ausgehend von der Wirksamkeit der Entlassung mit 10. 10. 2000 eine Kündigungsentschädigung, die jedoch bereits rechtskräftig abgewiesen wurde.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass die Entlassung wegen der Information über die Untersuchungshaft und den Mordversuch berechtigt erfolgt sei. Die Entlassung sei unter der aufschiebenden Bedingung der 14-tägigen Haft ausgesprochen worden und sohin erst mit 22. 10. 2000 wirksam gewesen. Es habe sich um eine zulässige Protestativbedingung gehandelt, die den Kläger in keiner unzumutbaren Unklarheit oder Ungewissheit gelassen habe. Es sei auch am Kläger gelegen, die Untersuchungshaft zu verkürzen. Im Ergebnis sei er auch unentschuldigt vom Dienst ferngeblieben und habe sich im Hinblick auf die massiven Tätlichkeiten gegen seine Gattin als vertrauensunwürdig erwiesen. Schon wegen der bei der Beklagten gelagerten gefährlichen Güter könne die Zusammenarbeit nicht weiter aufrechterhalten werden. Auch stützte sich die Beklagte auf das überwiegende Verschulden des Klägers an der Entlassung.

Das Erstgericht wies zwar die Ansprüche des Klägers auf Kündigungsentschädigung einschließlich der Sonderzahlungen ab, gab jedoch seinem Begehren auf Zahlung der Abfertigung und der Urlaubsentschädigung statt. Es begründete dies im Wesentlichen damit, dass nach § 82 lit i GewO eine Entlassung nur ausgesprochen werden könne, wenn der Arbeiter länger als 14 Tage in Haft angehalten werde. Vergleichbares gelte nach § 27 Z 5 zweiter Fall AngG. Zwar müsse die Entlassung ohne unnötigen Verzug erfolgen, jedoch könne auch darauf Rücksicht genommen werden, ob ein zweifelhafter Sachverhalt vorliege. Bei Dauertatbeständen wie der Haft, könne die Entlassung aber ohnehin weiter ausgesprochen werden. Insofern hätte die Beklagte die Entlassung also auch nach andauernder 14-tägigen Haft aussprechen können. Da Beendigungserklärungen bedingungsfeindlich seien, sei auch die Bedingung der Beendigung der Haft binnen 14 Tagen unzulässig, da sie eine Ungewissheit des Arbeitnehmers herbeiführe. Bis zur Entscheidung über die Haftverlängerung sei der Kläger in Ungewissheit über den Eintritt der Bedingung gewesen. Daher hätte die Entlassung nach § 82 lit i nur nach Ablauf der 14-tägigen Frist ausgesprochen werden dürfen und sei daher unberechtigt. Auch die Auslegung der Entlassungserklärung was den Zeitpunkt des Endes des Dienstverhältnisses anlange, sei nicht eindeutig. Da beide Parteien von einer Beendigung vor dem 25. 10. 2000 ausgingen, dieser ergebe sich, dass die Wirksamkeit der Entlassung mit 11. 10. 2000 anzunehmen, jedoch im Hinblick auf das mangelnde Verstreichen der 14-tägigen Frist nach § 82 lit i GewO unberechtigt sei. Der später ausgesprochenen Entlassung komme keine Relevanz mehr zu. Für den Entlassungsgrund nach § 82 lit i GewO bei "sonstiger strafbaren Handlung" fehle es im Zeitpunkt der Entlassung an einer Verurteilung. Bis dahin gelte für den Kläger die Unschuldsvermutung. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei gegen den klagsstattgebenden Teil Folge und änderte es auch insoweit in klageabweisenden Sinne ab. Rechtlich ging es dabei davon aus, dass der Kläger wegen der massiven Tätlichkeiten gegen seine Ehegattin erst am 8. 10. 2000 in Haft genommen und dann am 23. 2. 2001 deshalb auch rechtskräftig zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden sei. Die Deutung der Bedingung im Entlassungsschreiben vom 10. 10. 2000 könne dahingestellt bleiben, da das Verhalten des Klägers jedenfalls den Tatbestand des § 82 lit d GewO verwirkliche. Dieser erfordere entgegen der Ansicht des Erstgerichtes keine Verurteilung, die hier ohnedies auch noch erfolgt sei. Auch wenn es sich hier um ein außerdienstliches Verhalten des Klägers gehandelt habe, sei dieses wegen der besonderen Schwere des begangenen Verbrechens doch geeignet, den Verlust des dienstlichen Vertrauens des Arbeitgebers zu rechtfertigen. Es sei der Beklagten nicht zumutbar gewesen, den Kläger weiter zu beschäftigen.

Rechtliche Beurteilung

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als nicht zulässig.

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision des Klägers ist gemäß § 46 Abs 3 Z 1 ASGG jedenfalls zulässig, aber nicht berechtigt. Der Ausspruch des Berufungsgerichtes ist als nicht beigesetzt zu betrachten (vgl etwa RIS-Justiz RS0109441).

Der Kläger macht nun geltend, dass die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, wonach der Entlassungsgrund des § 82 lit d GewO verwirklicht sei, unzutreffend sei, da der Entlassungsgrund und das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit im Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung vorhanden sein müssten. Nach dem Inhalt der von der Beklagten beigefügten Bedingung für die Entlassung, wäre der Kläger dann, wenn er kürzer als 14 Tage in Untersuchungshaft geblieben wäre, nicht entlassen gewesen; deshalb hätte die Beklagte soweit sie sich auf § 82 lit d GewO 1959 stützen wolle, die Entlassung unbedingt aussprechen müssen. Auch sei zur Verwirklichung dieses Entlassungstatbestandes eine gerichtliche Verurteilung erforderlich. Nur das Gericht könne feststellen, ob eine strafbare Handlung vorliege, nicht aber der Arbeitgeber.

Vorweg ist nun klarzustellen, dass zwischen der Frage der Wirksamkeit der Entlassung einerseits, also der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, und der Berechtigung der Entlassung, also dem Vorliegen eines Entlassungstatbestandes hier im Sinne des § 82 GewO 1959 zu unterscheiden ist. Der Kläger macht nun nicht geltend, dass die Willenserklärung als solche nicht wirksam und daher das Dienstverhältnis dadurch nicht aufgelöst wäre (vgl dazu allgemein § 898 ABGB ferner aber Kuderna, Entlassungsrecht2, 21), sondern releviert nur, dass die ausgesprochene Entlassung unberechtigt sei.

§ 82 lit i GewO 1859 legt eine länger als 14 Tage dauernde Haft als Entlassungsgrund fest. Dazu hat der Oberste Gerichtshof bereits gehalten, dass eine davor ausgesprochene Entlassung unberechtigt ist und auch nicht dadurch saniert wird, dass die Untersuchungshaft nach Ausspruch der Entlassung andauert (vgl OGH 31. 8. 1994, 8 ObA 268/94 = DRdA 1995/19 mit zust Besprechung von Pfeil). Fraglich ist aber, ob dies auch auf den vorliegenden Fall zu übertragen ist, weil hier die Entlassung nur unter der Bedingung ausgesprochen wurde, dass die Haftdauer diesen Zeitraum übersteigt.

Nach den entsprechend § 897 ABGB anzuwenden Regelungen des § 696 ABGB gelten solche Bedingungen als aufschiebend, wenn das zugedachte "Recht" erst nach ihrer Erfüllung zu seiner Kraft gelangen soll, während sie als auflösend betrachtet werden, wenn das Recht bei Eintritt der Bedingung "verlorengehen" soll. Entscheidend ist also, ob die Erklärung der Beklagten so zu verstehen ist, dass das Arbeitsverhältnis unabhängig von der Dauer der Untersuchungshaft jedenfalls sofort beendet sein sollte und nur für den Fall der geringeren Dauer der Untersuchungshaft diese Beendigung wieder rückwirkend unwirksam werden sollte, oder ob die Wirksamkeit der Beendigung erst nach Ablauf der 14-tägigen Dauer eintreten sollte. Der objektive Erklärungswert der Entlassungserklärung "mit heutigem Tage" die fristlose Entlassung unter der genannten Bedingung auszusprechen, ist zumindest als unklar und mehrdeutig anzusehen, weshalb entsprechend der allgemeinen Regelung des § 915 ABGB die für den Erklärenden ungünstigere Auslegungsmöglichkeit heranzuziehen ist (vgl zuletzt OGH 20. 2. 2002 9 ObA 38/02g mwN). Ausgehend von der nur unter der auflösenden Bedingung der Haftdauer ausgesprochenen Entlassung kann sich die Beklagte aber mangels Zeitablaufes im Sinne der dargestellten Judikatur nicht auf § 82 lit i GewO 1859 stützen. Es kann daher im Ergebnis auch dahingestellt werden, ob in dem besonderen Fall des § 82 lit i GewO entgegen dem allgemeinen Grundsatz, der bedingte Entlassungen nur bei den Arbeitnehmer selbst betreffenden Protestativbedingungen zulässt (vgl RIS-Justiz RS0029143 und RIS-Justiz RS0029152 jeweils mwN insb OGH 25. 9. 1979, 4 Ob 78/79 = SZ 52/139 = ZAS 1981/14 [Schrank] = DRdA 1981/14 [Fenyves]; OGH 17. 6. 1987, 9 ObA 17/87 = Arb 10.649) hier doch eine aufschiebend bedingte Entlassung als zulässig zu erachten wäre, weil dem Arbeitnehmer während der Haft ohnehin keine anderen Dispositionsmöglichkeiten über seine Arbeitskraft offenstehen, er sich aber auf die Folgen einer längeren Untersuchungshaft einstellen kann.

Ausgehend von der unmittelbaren Wirksamkeit der Entlassung hat jedoch das Berufungsgericht zutreffend die Berechtigung der Entlassung nach § 82 lit d GewO 1859 bejaht. Danach ist eine Entlassung berechtigt, wenn sich der Arbeitnehmer eines Diebstahles, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen lässt. Die Frage der "Strafbarkeit" ist jedoch nicht davon abhängig, dass bereits im Zeitpunkt der Entlassung die Verurteilung erfolgt ist, sondern nur, dass die Straftat vorliegt. Im Übrigen wird allgemein nur darauf abgestellt, dass der jeweilige konkrete Entlassungsgrund bereits im Zeitpunkt des Ausspruches der Entlassung verwirklicht wurde (vgl Kuderna aaO 134; auch RIS-Justiz RS0060397 mwN).

Da hier nun kein Diebstahl oder eine Veruntreuung vorliegt, ist bei der Beurteilung des Vorliegens des Entlassungsgrundes des § 82 lit d GewO 1859 auch entscheidend, ob Vertrauensunwürdigkeit des Arbeitnehmers eingetreten ist, eine strafbare Handlung also objektiv geeignet erscheint, den Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers herbeizuführen, dieser sich also objektiv betrachtet nicht mehr darauf verlassen kann, dass der Arbeitnehmer seine Pflichten getreulich erfüllen werde (vgl RIS-Justiz RS0060363 mwN; etwa ZAS 1993/19; RIS-Justiz RS0060407 mwN vgl ferner Eichinger, Entlassung wegen Straftaten RdW 1997, 211, 212). Dabei ist auf die konkreten Auswirkungen der Tat auf das Arbeitsverhältnis ebenso wie die Tatumstände und die Art der vom Arbeitnehmer zu verrichtenden Arbeit abzustellen (vgl RIS-Justiz RS0114536 = OGH 20. 12. 2000, 9 ObA 245/00w). Nun wurde hier eine besondere Vertrauensstellung des Klägers nicht nachgewiesen, wohl aber, dass im Betrieb - wenngleich auch nicht allgemein zugänglich - gefährliche Stoffe lagern. Weiters kommt aus den Tatumständen, wie sie sich hier auch in der Schwere der Verurteilung niedergeschlagen haben, hervor, dass der Arbeitgeber damit rechnen muss, dass der Kläger in massiver Weise (Drahtschlinge um Hals des Opfers) selbst die körperliche Integrität von Bezugspersonen missachtet. Die Schwere der Tat ergibt sich schon aus der Verurteilung zu zwei Jahren unbedingter Freiheitsstrafe, die etwa im öffentlichen Bereich als solches schon den "Amtsverlust" nach sich zieht (vgl § 27 StGB ebenso § 34 Abs 3 VBG 1948).

Unter Beachtung all dieser Aspekte ist auch hier von der objektiv gerechtfertigten Annahme eines Vertrauensverlustes auszugehen und daher der Entlassungsgrund des § 82 lit d GewO 1859 verwirklicht. Dementsprechend war der Revision des Klägers nicht Folge zu geben.

Rechtssätze
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