JudikaturJustiz8Ob71/20d

8Ob71/20d – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Januar 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Dr. Peter Ouschan, Rechtsanwalt in Völkermarkt, gegen die beklagte Partei Mag. G***** N*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen 11.214 EUR, Unterlassung und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2020, GZ 4 R 11/20i 42, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Eisenkappel vom 4. November 2019, GZ C 104/18p 36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

D er Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.017,90 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 169,65 EUR USt) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist bücherliche Eigentümerin, der Beklagte ist aufgrund eines Schenkungsvertrags nutzungsberechtigter außerbücherlicher Eigentümer nebeneinander liegender, mit Bergwald bestandener Liegenschaften.

[2] Den Grenzverlauf bildet in der Natur zunächst unstrittig ein wasserführender Graben, der sich bergwärts gesehen nach ca 300 m in zwei gleich tiefe Gräben gabelt. Der rechte Graben führt ständig Wasser, der linke Graben nur fallweise. Zwischen den Gräben liegt ein Bergrücken im Ausmaß von ca 0,8 ha.

[3] Beide Streitteile sind sich darin einig, dass die Naturgrenze zwischen ihren Liegenschaften vom Bachgraben gebildet wird, der im Grundbuch als öffentliches Wassergut eingetragen ist. Die Klägerin hält aber den bergauf gesehen linken Graben für den Grenzgraben, der Beklagte den rechten, weshalb der dazwischen liegende Bergrücken von beiden Streitteilen als ihr jeweiliges Eigentum betrachtet wird. Die Grundstücke der Streitteile sind nicht im Grenzkataster aufgenommen. Die Darstellung des öffentlichen Wassergutes in der Grundbuchsmappe weicht in ihrem Verlauf von beiden in der Natur vorhandenen Gräben ab.

[4] Im Jahr 2017 ließ der Beklagte den Waldbestand auf dem strittigen Bergrücken zur Gänze abholzen. In den Jahrzehnten davor hatten die Eltern und Geschwister des Klägers auf dem strittigen Bergrücken fallweise in geringem Umfang Holz gewonnen, nämlich Schadholz und unterständige Stämme. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger haben in diesem Bereich in der Vergangenheit keine Nutzungshandlungen vorgenommen.

[5] Die Klägerin brachte vor, der Beklagte habe auf ihrer Grundfläche widerrechtlich Holz geschlägert. Sie begehrt die Herausgabe des erzielten Erlöses, verbunden mit dem Begehren auf Untersagung zukünftiger forstwirtschaftlicher Nutzungshandlungen und die Feststellung der Haftung des Beklagten für allfällige Wiederaufforstungskosten. Der Beklagte wandte ein, das geschlägerte Waldstück habe seit jeher zu seinem Grundstück gehört, in eventu hätten seine Rechtsvorgänger durch Ersitzung Eigentum daran erworben.

[6] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Maßgeblich für den Grenzverlauf sei die Nutzungsgrenze, die sich aus den Feststellungen über die ausschließlich von der Beklagtenseite erfolgte Bewirtschaftung des strittigen Teils ergebe.

[7] Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Klägerin keine Folge. Für Ausmaß und Umfang einer Waldparzelle seien grundsätzlich die Naturgrenzen heranzuziehen. Könnten diese nicht oder nicht eindeutig bestimmt werden, sei letztlich die Nutzungsgrenze und der festgestellte letzte Besitzstand maßgeblich. Der Klägerin sei danach der ihr obliegende Beweis ihres Eigentums am strittigen Bergrücken nicht gelungen.

[8] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision über Antrag der Klägerin gemäß § 508 ZPO nachträglich für zulässig, weil es sich in seiner rechtlichen Begründung nur mit der Nutzungsgrenze befasst und mit der bereits in erster Instanz erhobenen Behauptung der Klägerin, sie könne die richtige Grenze beweisen, nicht auseinandergesetzt habe.

[9] Die vom Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist zulässig, weil die rechtliche Begründung des Berufungsgerichts zur Wahrung der Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO einer verdeutlichenden Klarstellung bedarf. Die Revision ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[10] 1. Der behauptete Mangel des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Das Berufungsgericht hat die in zweiter Instanz erhobene Verfahrensrüge, die sich gegen die Abweisung des Antrags auf Einholung eines vermessungstechnischen Gutachtens richtete, behandelt und abschlägig erledigt. Ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens kann aber in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963).

[11] 2. Das Unterbleiben der beantragten Beweisaufnahme könnte unter diesen Umständen nur noch dann aufzugreifen sein, wenn die Entscheidungen der Vorinstanzen mit sekundären Feststellungsmängeln behaftet wären, die eine abschließende rechtliche Beurteilung verhindern, und wenn die fehlenden Feststellungen gerade auch aufgrund des beantragten Gutachtens zu treffen gewesen wären.

[12] Davon kann im vorliegenden Fall aber keine Rede sein. Der relevierte Beweisantrag der Klägerin zielte auf die Feststellung ab, dass der linke Graben in seinem natürlichen Verlauf zu jenem Punkt führt, an dem die Liegenschaften der Streitteile laut einer 1921 errichteten privaten „Grenzvermarkungsurkunde“ mit dem östlichen Nachbargrundstück zusammentreffen.

[13] Die Entscheidung der Vorinstanzen, die diesen Beweisantrag für unerheblich erachtet haben, ist schon deswegen zutreffend, weil eine Beteiligung der Rechtsvorgänger des Beklagten an der Entstehung dieser „Grenzvermarkungsurkunde“ weder behauptet wurde, noch aus der vorgelegten Beilage hervorgeht. Zweck der Vermarkung war nicht eine Klärung der Grenzen zwischen den Grundstücken der Rechtsvorgänger der Streitteile zueinander bzw zum dazwischen gelegenen öffentlichen Wassergut, sondern die Markierung der Grenze zum östlichen Nachbarn. Selbst mit dem gewünschten Ergebnis des beantragten Gutachtens könnte die Klägerin daher nur beweisen, dass ihre Rechtsvorgänger bereits 1931 den linken Graben als die richtige natürliche Grenze betrachtet haben, aber nicht, dass diese Auffassung irgendwann im Verhältnis zu den Rechtsvorgängern des Beklagten unstrittig war. Damit war der Antrag aber bereits abstrakt nicht zum Beweis einer für das rechtliche Ergebnis wesentlichen Tatsache geeignet.

[14] 3. Das Berufungsgericht hat sich in seiner rechtlichen Begründung auf § 851 ABGB gestützt. Nach dieser Rechtsnorm werden unkennbar gewordene oder streitige Grenzen nach dem letzten ruhigen Besitzstand, und wenn sich dieser nicht feststellen lässt, nach billigem Ermessen festgesetzt. Diese Bestimmung regelt die im Verfahren außer Streitsachen vorzunehmende, rechtsgestaltende gerichtliche Grenzfestsetzung, die lediglich vorläufigen Charakter aufweist (ua Sailer in KBB 6 § 851 ABGB Rz 7).

[15] Die Kriterien der Grenzfestsetzung nach § 851 Abs 1 ABGB sind im vorliegenden streitigen Verfahren, in dem die richtige Grenze eine Vorfrage bildet, daher nicht unmittelbar einschlägig. Hier trifft vielmehr die Klägerin die Beweislast für ihr behauptetes Eigentumsrecht (RS0109157; RS0013882 [T1]; 8 Ob 108/19v). Der Beweis, dass irgendwann einmal ein bestimmter Grenzverlauf bestand, reicht dazu grundsätzlich ebensowenig aus wie die Feststellung, dass die mappenmäßige Rekonstruktion der Grenze nicht mit der Natur übereinstimmt (7 Ob 579/83).

[16] Bei der Bestimmung der richtigen Grenze ist nicht primär auf die Mappengrenzen abzustellen. Sind die Grundstücksgrenzen nicht im Grenzkataster eingetragen und besteht zwischen den Grundnachbarn keine Einigkeit, so bestimmt sich der eigentumsrechtliche Grenzverlauf primär nach unbedenklichen objektiven Grenzzeichen oder nach der Naturgrenze (RS0130738; 4 Ob 21/19w mwN; vgl letztlich zur Grundbuchsmappe RS0109156).

[17] 4. Wenn sich die Revisionswerberin darauf beruft, dass der linke Graben den Verlauf des von beiden Streitteilen als Grenze anerkannten öffentlichen Wassergutes markiere, weil dieser mit der Mappendarstellung besser im Einklang stehe, geht sie offenbar von einer Verbindlichkeit der Grundbuchsmappe aus, die allerdings hier so nicht besteht. Es kommt auch beim öffentlichen Gut auf den hier zugrunde gelegten natürlichen Verlauf der Grenzen an (RS0038593), von dem die Mappendarstellung im vorliegenden Fall nach dem Sachverhalt erheblich abweicht.

[18] Welche Flächen zum öffentlichen Wassergut gehören, regelt im Übrigen § 4 Abs 1 WRG: „Wasserführende und verlassene Bette öffentlicher Gewässer sowie deren Hochwasserabflussgebiet (...) sind öffentliches Wassergut, wenn der Bund als Eigentümer in den öffentlichen Büchern eingetragen ist. Sie gelten aber bis zum Beweis des Gegenteiles auch dann als öffentliches Wassergut, wenn sie wegen ihrer Eigenschaft als öffentliches Gut in kein öffentliches Buch aufgenommen sind oder in den öffentlichen Büchern ihre Eigenschaft als öffentliches Gut zwar ersichtlich gemacht (...), aber kein Eigentümer eingetragen ist.“

[19] Ausgehend von den Feststellungen führt hier nur der rechte der beiden strittigen Gräben ständig Wasser. Der linke Graben führt lediglich fallweise, offenbar bei größeren Niederschlagsmengen, Oberflächenwasser, das nach der Definition des § 3 Abs 1 lit b WRG zu den Privatgewässern zählt. Mit dem Argument, der Grenzverlauf zwischen den Grundstücken der Streitteile folge dem öffentlichen Wassergut, ist auch unter diesem Aspekt für den Rechtsstandpunkt der Revisionswerberin nichts weiter zu gewinnen.

[20] Kann – wie im vorliegenden Fall – die unstrittig maßgebliche Naturgrenze nicht festgestellt werden, weil mit den beiden Grabenästen zwei gleichermaßen markante topografische Merkmale in Frage kommen, liegt eine zum Nachteil der für ihr behauptetes Eigentum beweispflichtigen Klägerin ausschlagende Grenzverwirrung (RS0013880) vor. Diese kann nicht im Prozess, sondern nur im rechtsgestaltenden Außerstreitverfahren gelöst werden.

[21] Damit erweist sich die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts als jedenfalls im Ergebnis zutreffend, sodass der Revision keine Folge zu geben war.

[22] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Rechtssätze
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