JudikaturJustiz8Ob139/03d

8Ob139/03d – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des am 27. März 1986 geborenen mj. Stefan S*****, vertreten durch das Amt für Jugend und Familie, Magistratsabteilung 11, Sechskrügelgasse 11, 1030 Wien, wegen Herabsetzung des Unterhaltsleistung, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Juli 2003, GZ 42 R 488/03f 40, womit über Rekurs des Minderjährigen der Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 4. Juni 2003, GZ 8 P 32/98k 36, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Beschlüsse, die im Umfang der Herabsetzung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters hinsichtlich des Unterhaltszeitraumes ab 1. Oktober 2002 auf monatlich 636 EUR und im Umfang der Abweisung eines Herabsetzungsmehrbegehrens von 16 EUR monatlich als unbekämpft unberührt bleiben, werden in Ansehung der Unterhaltszeiträume August und September 2002 dahin geändert, dass sie - einschließlich der in Rechtskraft erwachsenen Abweisung des Herabsetzungsmehrbegehrens von 16 EUR zu lauten haben:

"Der Antrag des Vaters des Minderjährigen, Peter S*****, die ihn gegenüber seinem minderjährigen Sohn treffende Unterhaltsverpflichtung für die Monate August und September 2002 von derzeit 730 EUR monatlich auf monatlich 620 EUR herabzusetzen, wird abgewiesen."

Text

Begründung:

Mit rechtskräftigem Beschluss des Rekursgerichtes vom 22. Februar 2002 (ON 25) wurde der Vater beginnend ab 1. April 2001 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von insgesamt 730 EUR an seinen minderjährigen Sohn Stefan verpflichtet.

Am 8. 11. 2002 beantragte der Vater im Hinblick auf das ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes bezüglich der Anrechnung von Transferleistungen die Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsleistung ab 1. 8. 2002, wobei er sich zunächst die betragsmäßige Präzisierung vorbehielt und schließlich (ON 33) mit monatlich 620 EUR vornahm. Das Amt für Jugend und Familie als Vertreter des Minderjährigen sprach sich insbesondere gegen eine Herabsetzung für August und September 2002 aus.

Das Erstgericht gab dem Antrag des Vaters insoweit statt, als es die monatliche Unterhaltsleistung beginnend ab 1. August 2002 auf 636 EUR herabsetzte. Das Herabsetzungsmehrbegehren von monatlich 16 EUR wurde bereits vom Erstgericht rechtskräftig abgewiesen. Die im Revisionsrekursverfahren allein interessierende Frage, ab wann die Unterhaltsleistung des Vaters herabzusetzen ist, beantwortete das Erstgericht dahin, dass eine Herabsetzung innerhalb der dreijährigen Verjährungsfrist möglich sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen nicht Folge und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur rückwirkenden Berücksichtigung der Familienbeihilfe sei uneinheitlich und beziehe sich nicht auf Fälle, die erst nach Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes anhängig gemacht worden seien. Inhaltlich folgte das Rekursgericht der Auffassung, die eine Rückwirkung für die Zeiträume vor Kundmachung für zulässig erachtet. Eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes über einen erst nach Kundmachung gestellten Antrag (hier 8. 11. 2002) sei noch nicht ergangen. Nach Meinung des Rekursgerichtes sei eine sachgerechte Unterscheidung danach, ob der Unterhaltsantrag vor oder nach Kundmachung des Erkenntnisses erfolgt sei, nicht möglich. Es sei der Meinung der überwiegenden Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes zu den Anlassfällen zu folgen und die Rückwirkung auch für den hier vorliegenden, erst am 8. 11. 2002 gestellten Antrag für den Zeitraum vor Kundmachung zu bejahen. Eine Berücksichtigung der Transferleistungen sei bereits ab 1. 8. 2002 gerechtfertigt.

Der dagegen vom Minderjährigen erhobene Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig. Der Revisionsrekurs ist auch berechtigt.

Der Vater dem die Möglichkeit zur Erstattung einer Stellungnahme zum Revisionsrekurs gegeben wurde -äußerte sich nicht.

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist ausschließlich die Frage, ab wann die der rechnerischen Höhe nach unstrittige Herabsetzung der Unterhaltsleitung des Vaters durch Berücksichtigung der gebotenen steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch Berücksichtigung der Transferleistungen zu erfolgen hat.

Mit Erkenntnis vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua, welches am 13. 9. 2002 (BGBl I 2002/152) kundgemacht wurde, hob der VfGH über Antrag des aus Anlass anhängiger Revisionsrekurse gestellten Antrages des Obersten Gerichtshofes im § 12a FLAG 1967 idgF BGBl 1977/646 die Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" als verfassungswidrig auf. Der Verfassungsgerichtshof sprach aus, die aufgehobene Wortfolge sei nicht mehr anzuwenden und frühere gesetzliche Bestimmungen träten nicht wieder in Wirksamkeit. Der Verfassungsgerichtshof schrieb seine schon im Erkenntnis vom 27. 6. 2001, B 1285/00, erläuterte Ansicht fort, es hätten nicht nur die Absetzbeträge (Unterhalts und Kinderabsetzbetrag), sondern auch die Familienbeihilfe der steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen zu dienen. Nach Aufhebung der erwähnten Wortfolge im § 12a FLAG ist der nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen und den Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten - wie bisher zu bemessende Geldunterhalt im Interesse der gebotenen steuerlichen Entlastung von Unterhaltsschuldnern bei getrennter Haushaltsführung in verfassungskonformer Auslegung des § 140 ABGB, namentlich dessen Abs 2 zweiter Satz zweiter Fall, soweit zu kürzen, als der Kinderabsetzbetrag und die Familienbeihilfe die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen bezwecken (RIS Justiz RS0117023). Vor diesen Erkenntnissen ging die oberstgerichtliche Rechtsprechung entsprechend dem Wortlaut des § 12a FLAG davon aus, dass die Familienbeihilfe (und der Kinderabsetzbetrag) zur Gänze dem Haushalt zukommen solle, in dem das Kind betreut wird, um die Betreuungslast wenigstens teilweise abzudecken. Die Familienbeihilfe sei daher nicht auf die Unterhaltspflicht anzurechnen (SZ 59/19; 4 Ob 505/95; 1 Ob 218/00s uva).

Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits mehrfach damit zu befassen, ob und inwiefern nach Aufhebung der Wortfolge im § 12a FLAG eine rückwirkende Neufestsetzung (Herabsetzung) des Unterhaltes geboten ist. Sämtliche der dazu ergangenen Entscheidungen betrafen "Anlassfälle" bzw im Zeitpunkt der Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtes bereits anhängige Verfahren. In all diesen Fällen wurde - wenngleich mit teilweise unterschiedlicher Begründung eine Berücksichtigung der durch den Kinderabsetzbetrag und die Familienbeihilfe bezweckten steuerlichen Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen auch für vor dem Kundmachungszeitpunkt liegende Zeiträume grundsätzlich bejaht. Der 4. Senat (4 Ob 12/03y;s. Auch 4 Ob 52/02d) begründet das damit, dass die steuerliche Entlastung des Geldunterhaltspflichtigen durch Kürzung des Unterhaltsbetrages wegen der Auszahlung der Familienbeihilfe an den anderen Elternteil zufolge Art 140 Abs 7 B VG nicht erst durch die (teilweise) Aufhebung des § 12a FLAG möglich geworden sei, weil der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19. 6. 2002 ausgesprochen habe, die "Zivilgerichte" seien schon nach seinem Erkenntnis vom 27. 6. 2001 (B 1285/00) berechtigt gewesen, die Familienbeihilfe bei der Kürzung der Unterhaltsverpflichtung des Geldunterhaltspflichtigen im verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaß zu berücksichtigen. Deshalb habe er davon abgesehen, eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolge zu bestimmen. Damit seien die (im konkreten Fall ab 8. 6. 2001) zu zahlenden Unterhaltsbeiträge um den gesamten Entlastungsbetrag zu kürzen, ohne dass es darauf ankomme, zu welchem Zeitpunkt der Geldunterhaltspflichtige seinen Einwand erhoben habe. Ausdrücklich abgelehnt wurde in der Entscheidung 4 Ob 12/03y die vom 7. Senat des Obersten Gerichtshofes vertretene Meinung, wonach die aus dem Bezug der Familienbeihilfe errechnete Entlastung erst ab Kundmachung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes, somit erst ab 1. 10. 2002, erfolgen dürfe. Der 7. Senat hat allerdings in den dazu ergangenen Entscheidungen (7 Ob 174/02t; 7 Ob 167/02p; 7 Ob 193/02m) lediglich als obiter dictum ausgesprochen, dass eine zwecks steuerlicher Entlastung allenfalls erforderliche Reduzierung des Geldunterhaltes grundsätzlich erst ab Kundmachung des Aufhebungserkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes in BGBl I 2002/152 am 13. 9. 2002 möglich sei, weil bei der bis dahin geltenden Rechtslage § 12a FLAG aF eine Anrechnung der Familienbeihilfe auf den Geldunterhalt verhindert habe. Lediglich in den sogenannten Anlassfällen (die auch jeweils der 7. Senat zu beurteilen hatte) sei allerdings Art 140 Abs 7 B VG zu beachten. Für die Anlassfälle bejahte somit auch der 7. Senat eine rückwirkende Berücksichtigung der gebotenen steuerlichen Entlastung.

Der 1. Senat (1 Ob 82/03w) bezog sich hingegen unter Berufung auf den 3. Senat (3 Ob 81/02m) darauf, dass die erforderliche steuerliche Entlastung ab dem begehrten Termin und nicht erst ab dem auf den der Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002 folgenden Tag erfolgen könne, weil der Gerichtshof ausdrücklich angeordnet habe, dass der aufgehobene Teil des § 12a FLAG auch außerhalb der eigentlichen Anlassfälle nicht mehr anzuwenden sei. Dadurch sei die sonst durch Art 140 Abs 7 zweiter Satz B GV bewirkte "Immunisierung" der vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände jedenfalls für die zu diesem Zeitpunkt schon anhängigen Verfahren verhindert worden. Auch der 6. Senat (6 Ob 159/02d; 6 Ob 94/03x) bejahte eine Berücksichtigung auch für vor der Kundmachung des Erkenntnisses des VfGH liegende Zeiträume in jenen Verfahren, die schon vor der Kundmachung des Erkenntnisses des VfGH anhängig gemacht wurden. Sowohl der 1. Senat als auch der 6. Senat betonten jedoch (1 Ob 135/02p; 6 Ob 159/02d) ,dass ein rückwirkender Eingriff in rechtskräftige Unterhaltsentscheidungen nicht in Frage komme, die neue Rechtslage daher nur nach dem maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Vorverfahrens (Beschlussfassung erster, allenfalls zweiter Instanz) angewendet werden könne.

Im hier zu beurteilenden Fall gilt es allerdings soweit überblickbar zum ersten Mal zu klären, ob auch bei Unterhaltsherabsetzungsanträgen, die erst nach der Kundmachung des Erkenntnisses des VfGH anhängig gemacht wurden (hier: 8. 11. 2002), eine rückwirkende Berücksichtigung der gebotenen steuerlichen Entlastung erfolgen kann.

Seit der Entscheidung des verstärkten Senates vom 9. 6. 1988, 6 Ob 544/87 = SZ 61/143, mit der ausgesprochen wurde, dass Unterhalt auch für die Vergangenheit zuerkannt werden kann, können Unterhaltsverpflichtungen auch rückwirkend aufgehoben oder herabgesetzt werden. Zu beachten ist allerdings - wie bereits erwähnt , dass die Unterhaltsfestsetzung für die Vergangenheit nicht in die materielle Rechtskraft einer vorausgegangenen Unterhaltsentscheidung eingreifen darf.

Für die Beantwortung der sich hier stellenden Rechtsfrage ist zunächst wesentlich, ob die nun gebotene Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Unterhaltspflicht des getrennt lebenden Geldunterhaltspflichtigen als Änderung der Rechtsprechung oder als Änderung der Gesetzeslage zu qualifizieren ist: Sowohl eine Änderung der Gesetzeslage als auch eine tiefgreifende Änderung der bisherigen, den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsprechungsgrundsätze ist einer geänderten Sachlage gleichzuhalten, die eine neue Festsetzung des Unterhaltes rechtfertigt (RIS Justiz RS0047398; insbesondere 8 Ob 663/92; 6 Ob 159/02d; 1 Ob 135/02p). Der wesentliche Unterschied zwischen einer Gesetzesänderung und einer Rechtsprechungsänderung im Hinblick auf die hier zu beantwortende Frage liegt darin, dass für zivilgerichtliche Erkenntnisse kein Rückwirkungsverbot besteht, weshalb Rechtsprechungsänderungen auch davor verwirklichte Sachverhalte erfassen (RIS Justiz RS0109026). Für eine Gesetzesänderung gilt hingegen § 5 ABGB, wonach Gesetze nicht zurückwirken und daher auf vorhergegangene Handlungen und auf vorher erworbene Rechte grundsätzlich keinen Einfluss haben. Zutreffend verweist nun der erste Senat in seiner Entscheidung 1 Ob 135/02p (s. auch 6 Ob 159/02d; 6 Ob 94/03x) darauf, dass die Herabsetzung der Geldunterhaltspflicht wegen Berücksichtigung der Familienbeihilfe aufgrund einer Gesetzesänderung und nicht aufgrund einer Rechtsprechungsänderung zu erfolgen hat: Gerade weil die im ersten Erkenntnis vom 27. Juni 2001 geäußerte Rechtsansicht des Verfassungsgerichtshofes mit der klaren und eindeutigen Formulierung im § 12a FLAG aF im Zusammenhalt mit den Gesetzesmaterialien nicht in Einklang stand und eine teleologische Reduktion des normativen Gehaltes der Gesetzesstelle mit den zivilrechtlichen Auslegungsgrundsätzen nicht in Übereinstimmung gebracht werden konnte, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, Anträge auf Aufhebung der erwähnten gesetzlichen Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Daher stützt sich auch im hier zu beurteilenden Fall der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters nicht etwa auf geänderte oberstgerichtliche Rechtsprechung, sondern auf die (durch die Aufhebung der Wortfolge im § 12a FLAG bewirkte) geänderte Gesetzeslage.

Wie bereits erwähnt, sind nach § 5 ABGB nur die nach dem Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem neuen Gesetz zu beurteilen, vorher geschehene Handlungen und analog sonstige Sachverhalte aber wie vorher entstandene Rechte weiterhin dem alten Gesetz zu unterwerfen ( Bydlinski in Rummel ³ § 5 ABGB Rz 1, 2; RIS Justiz RS0008715). Diese Zweifelsregel kann jedoch durch jede Rückwirkungsanordnung als lex specialis ( Bydlinski aaO Rz 2 mwN) durchbrochen werden. Der zwingende Charakter einer Norm für sich allein lässt jedoch noch nicht den Schluss zu, dass sie der Gesetzgeber rückwirkend in Kraft setzen wollte. Dieser zwingende Charakter kann die Rückwirkung bloß indizieren, doch bedürfte es weiterer Anhaltspunkte im konkreten Inhalt und Zweck einer gesetzlichen Regelung, um die dem § 5 ABGB zu entnehmende gegenteilige Vermutung zu entkräften (RIS Justiz RS0008721).

Hebt der Verfassungsgerichtshof ein Gesetz auf, so stehen ihm mehrere Möglichkeiten zu, die zeitlichen Wirkungen der Gesetzesaufhebung zu bestimmen: Im Normalfall der Aufhebung ohne Fristsetzung tritt die Aufhebung am Tage ihrer Kundmachung in Kraft, die aufgehobene Vorschrift somit außer Kraft. Die aufhebende Entscheidung entkleidet die geprüfte Norm ihres Anwendungsbefehls nur für die Zukunft. Die ohne Rückwirkung aufgehobene Norm gilt für die Vergangenheit weiter und ist in diesem zeitlichen Anwendungsbereich für seinerzeit konkretisierte Sachverhalte von allen Rechtsanwendungsorganen anzuwenden ( Schäffer in Rill/Schäffer Bundesverfassungsrecht Kommentar 101f).

Der Verfassungsgerichtshof kann jedoch in seinem aufhebenden Erkenntnis eine Frist mit der Wirkung setzen, dass das aufgehobene Gesetz auf alle bis zum Ablauf dieser Frist verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles (für den eine zwingende, nicht auszuschließende Rückwirkung gilt s. Schäffer aaO 104) anzuwenden ist (Art 140 Abs 7 Satz 3 B VG) In diesem Fall ist das "aufgehobene" Gesetz auf alle Sachverhalte, die sich vor oder nach der Kundmachung bis zum Fristablauf ereignet haben, anzuwenden. Die Wirkung der Frist ist also eine Art "negative Legisvakanz", die der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit dient ( Schäffer aaO 109).

Schließlich kann der Verfassungsgerichtshof auch aussprechen, dass ein von ihm aufgehobenes Gesetz über den Anlassfall hinaus auch für frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Im Ergebnis kommt ein solcher Ausspruch einer rückwirkenden Aufhebung gleich. Dabei erlaubt die dem Verfassungsgerichtshof eingeräumte Ermächtigung, die Rückwirkung auf näher umschriebene Fälle oder Fallgruppen einzugrenzen; auch andere, etwa stichtagsbezogene Differenzierungen werden als zulässig erachtet. So hat der Verfassungsgerichtshof etwa die Wirkung der Aufhebung auf Fälle ausgedehnt, die zum Zeitpunkt der Aufhebung bereits bei einem anfechtungsberechtigten Gericht (oder dem UVS) anhängig waren ( Schäffer aaO 107 mwN).

Hier hat der Verfassungsgerichtshof im Spruch seines Erkenntnisses vom 19. Juni 2002 keine rückwirkende Aufhebung des Teilsatzes im § 12a FLAG angeordnet, sondern nur ausgesprochen, dass mit Wirkung ab Kundmachung die aufgehobene Wortfolge nicht mehr anzuwenden sei und frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Wirksamkeit träten. Im Punkt III. seines Erkenntnisses hat der Verfassungsgerichtshof ausgeführt, er sehe keine Veranlassung, dem Antrag der Bundesregierung zu folgen, eine Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Wortfolge zu bestimmen, weil er davon ausgehe, dass mit der Aufhebung des zweiten Halbsatzes im § 12a FLAG für die Zivilgerichte kein Hindernis mehr bestehe, im Fall entsprechend begründeter Herabsetzungsanträge die Familienbeihilfe im verfassungsrechtlich gebotenen Ausmaß auf die Unterhaltsverpflichtung des Geldunterhaltsverpflichteten anzurechnen. Zu diesem Vorgehen seien die Zivilgerichte schon nach dem Erkenntnis B1285/00 berechtigt gewesen, soferne sie bereit gewesen seien, der (verfassungskonformen) Interpretation des Verfassungsgerichtshofes in diesem Erkenntnis zu folgen. Eine Aufhebung unter Fristsetzung hätte somit das unbefriedigende Ergebnis zur Folge, dass jene Gerichte, die sich der Auffassung des Verfassungsgerichtshofes angeschlossen haben bzw anzuschließen bereit seien, bereits auf der Basis dieser Entscheidung eine teilweise Anrechnung der Familienbeihilfe auf die Unterhaltsverpflichtung vornehmen könnten, während jene, die eine verfassungskonforme Interpretation des § 12a FLAG im Sinne dieses Erkenntnisses ablehnten, bis zum Ablauf der gesetzten Frist bzw bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine solche Anrechnung unterlassen müssten. Da die Fristsetzung somit voraussichtlich die Judikaturdivergenz innerhalb der Zivilgerichte verlängern würde und die Grundsätze der gebotenen Anrechnung im Erkenntnis B 1285/00 vorgezeichnet seien, bestehe für eine Fristsetzung kein Anlass.

Aus dieser Begründung lässt sich eine generelle Rückwirkungsanordnung für sämtliche Sachverhalte, die sich abschließend vor Kundmachung des Aufhebungserkenntnisses verwirklichten, nicht ableiten. Dass hingegen in jenen Verfahren, die zum Zeitpunkt der Kundmachung des Erkenntnisses bereits anhängig waren, eine rückwirkende Berücksichtigung der durch die Aufhebung geänderten Gesetzeslage angeordnet wurde, ergibt sich aus der Begründung des Erkenntnisses in Verbindung mit dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2002, GZ G 7/02 6. In diesem Beschluss sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass im Fall einer Aufhebung des § 12a FLAG in Aussicht genommen wird, die Anlassfallwirkung auf die rechtlich gleichgelagerten, bei den Zivilgerichten anhängigen Verfahren zu erstrecken. Zieht man diesen Beschluss zur Auslegung des Aufhebungserkenntnisses heran, gelangt man zum Ergebnis, dass zum Unterschied von den zum Aufhebungszeitpunkt bereits anhängigen Verfahren in jenen Verfahren, die erst nach Kundmachung des Erkenntnisses anhängig gemacht wurden, die neue Rechtslage erst ab ihrem Inkrafttreten (= Kundmachung) anzuwenden ist.

Nun ist aber noch zu berücksichtigen, dass der zeitliche Geltungsbereich des § 5 ABGB nur für einmalige oder jene mehrgliedrigen oder dauernden Sachverhalte abgrenzbar ist, die zur Gänze in die Geltungszeit des neuen Gesetzes fallen. Andernfalls gelten, wenn im Übergangsrecht (wie hier) nichts anderes vorgesehen ist, die Rechtsfolgen des neuen Gesetzes für den Dauersachverhalt ab seinem Inkrafttreten ( Bydlinski aaO Rz 1; SZ 69/186; SZ 62/34; s. auch RIS Justiz RS0008715). Auch dieser Grundsatz bedarf allerdings einer Einschränkung: Bei Dauerrechtsverhältnissen ist neues materielles Recht, soferne der Gesetzgeber nicht ausdrücklich anderes verfügte oder der besondere Charakter einer zwingenden Norm deren rückwirkende Anordnung verlangt, nicht anzuwenden, wenn der zu beurteilende Sachverhalt vor Inkrafttreten der neuen Bestimmungen endgültig abgeschlossen worden ist (RIS Justiz RS0101471; RIS Justiz RS0008695; für die Unterhaltspflicht ausdrücklich JBl 1976, 481; 6 Ob 16/01y; 1 Ob 135/02p; 6 Ob 94/03x uva).

Endgültig und abschließend verwirklichte sich der hier zu beurteilende Sachverhalt (Unterhaltsanspruch des Minderjährigen für die Monate August und September 2002) vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung. Der Herabsetzungsantrag des Vaters ist daher erst ab 1. Oktober 2002 berechtigt, weil ein während eines Monats eintretender Herabsetzungsgrund erst zum folgenden Monatsersten zu berücksichtigen ist ( Reischauer in Rummel ³ § 1418 ABGB Rz 2, 3 mwN). Der Ausnahmefall, dass der bereits fällige Unterhaltsbeitrag wegen der geänderten Umstände die Bedürfnisse des Berechtigten erheblich übersteigt (vgl Reischauer aaO Rz 3 mH auf die Rsp des OGH), liegt hier nicht vor.

Rechtssätze
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