JudikaturJustiz8Ob122/00z

8Ob122/00z – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Januar 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer, Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ramiz A*****, vertreten durch Gruber Partner, Rechtsanwälte KEG in Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Ing. Johann B*****, vertreten durch Dr. Heribert Kirchmayer, Rechtsanwalt in Hainburg an der Donau,

2.) Dr. Heribert K*****, wegen S 81.000,-- sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg als Berufungsgericht vom 26. August 1999, GZ 21 R 252/99b-20, mit dem infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Bruck an der Leitha vom 8. März 1999, GZ 2 C 68/98g-16, in der Hauptsache bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der Kläger war vom 15. 9. 1993 bis 30. 6. 1996 Mieter einer unstrittig dem MRG unterliegenden Wohnung in Niederösterreich. Vermieterin und Eigentümerin des Hauses, in der der Kläger die Wohnung gemietet hatte, war zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses die B***** GmbH. Anlässlich des Mietvertragsabschlusses erlegte der Kläger vereinbarungsgemäß eine Kaution in der Höhe von S 81.000,-- in bar mit der Abrede der Sicherstellung für offene Mietzinsforderungen, Schadenersatz und Prozesskostenersatz. Die Höhe des monatlichen Bruttomietzinses betrug während der gesamten Bestanddauer S 7.543,31, der Gesamtbruttomietzins jährlich somit S 90.519,72. Ein spezielles Mietzinsausfallrisiko, das in der Person des berufstätigen Kläger bestanden hätte, kann nicht festgestellt werden.

Im Zuge eines Zwangsversteigerungsverfahrens erhielten die Beklagten mit Beschluss vom 5. 9. 1995 je zur Hälfte den Zuschlag an der Liegenschaft. Die Beklagten hatten vor dem Zuschlag keine Kenntnis von der hier streitgegenständlichen Kautionsabrede. In den Mietvertrag nahmen sie zumindest bis zur Zuschlagserteilung nicht Einsicht. Vor der Zwangsversteigerung sah der Zweitbeklagte das Schätzungsgutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen ein. Dort war keine Kautionsbelastung erwähnt. Mit der damaligen Hausverwalterin nahm der Zweitbeklagte keinen Kontakt auf und ging davon aus, dass die im Machtbereich des damaligen Rechtsanwaltes Dr. I***** stehende Vermieterin weiterhin wie in den 80er Jahren, wovon der Zweitbeklagte wusste, Kautionen im Betrag von jeweils rund S 30.000,-- vereinnahmt haben werde. Der Erstbeklagte beschränkte sich auf die Kofinanzierung, ansonsten überlies er alles dem Zweitbeklagten. Der Kautionsbetrag wurde den beklagten Parteien nicht übergeben.

Der Kläger stellte nach Ende des Mietverhältnisses die Wohnung ordnungsgemäß und ohne Mietzinsrückstand zurück; die Beklagten verweigerten jedoch die Rückzahlung der Kaution.

Mit der vorliegenden Klage begehrte der Kläger von den Beklagten die Rückzahlung der geleisteten Kaution in Höhe von S 81.000,-- sA zur ungeteilten Hand.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und wandten ein, es handle sich bei der Kautionsabrede um eine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhalts, die den Beklagten nicht bekannt war und auch nicht bekannt gewesen sein musste. Eine Haftung der Beklagten für die durch den Kläger an die Einzelrechtsvorgängerin bezahlte Kaution sei demnach nicht gegeben.

Das Erstgericht verpflichtete den Erst- und Zweitbeklagten zur Zahlung von jeweils S 40.500,-- und wies das Mehrbegehren ab.

Der Kläger ließ den abweisenden Teil des Ersturteils (Verneinung der Solidarhaftung; daher nur Verurteilung zur Rückzahlung je des halben Kautionsbetrages) in Rechtskraft erwachsen; die Beklagten erhoben gegen den klagsstattgebenden Teil des Ersturteils Berufung.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten in der Hauptsache (mit einer vom Erstgericht abweichenden rechtlichen Beurteilung) nicht Folge und meinte zusammengefasst, im Anwendungsbereich des § 2 Abs 1 MRG würden den Einzelrechtsnachfolger der vermieteten Sache "gewöhnliche" Nebenabreden jedenfalls, "ungewöhnliche" dagegen nur dann binden, wenn er sie kannte oder hätte kennen müssen. Das Erstgericht habe sich bei der Beurteilung der Frage der "Gewöhnlichkeit/Ungewöhnlichkeit" der Höhe der Kaution an den vom Obersten Gerichtshof zur Frage, ob eine Kaution gegen das Ablöseverbotes des § 27 Abs 1 Z 1 MRG verstoße, entwickelten Grundsätzen orientiert. Danach sei es generelle Richtlinie, für eine den üblichen Sicherheitsbedürfnissen des Vermieters gerecht werdende Mieterkaution einen sich in der Höhe von bis zu sechs Bruttomonatsmietzinsen bewegenden Betrag anzusetzen. Dies führe im Bereich des § 27 Abs 1 Z 1 MRG dazu, dass bei einem inadäquaten Verhältnis zwischen dem Sicherstellungsinteresses des Vermieters und der Höhe der vom Mieter geleisteten Barkaution ein Verstoß gegen das Ablöseverbot vorliege und hinsichtlich des die Angemessenheit übersteigenden Teiles nach den Regeln der - nur vom Mieter geltend zu machen - Teilnichtigkeit ein Rückforderungsanspruch des Mieters gegenüber dem Leistungsempfänger bestehe. Bei der Frage, ob bei vergleichbaren Mietgegenständen und vergleichbaren Vertragsinhalten eine Kaution von etwa elf Monatsmieten üblicherweise vereinbart werde, sei aber nicht ausschließlich die zu § 27 Abs 1 Z 1 MRG entwickelte Grenze von sechs Monatsmieten maßgeblich. Würde man die Ungewöhnlichkeit der Kautionsvereinbarung nach deren Höhe beurteilen, käme es zu einer Verlagerung des Risikos zu Lasten des Mieters. Auch wenn § 2 MRG eine Beschränkung der Haftung des Erwerbers (Erstehers) einer Liegenschaft bezwecke, so würde die Limitierung der Kaution bei der Beurteilung der Frage der Gewöhnlichkeit/Ungewöhnlichkeit dieser Nebenabrede zu einem Widerspruch mit dem sich aus unterschiedlichen Mieterschutzbestimmungen des MRG ergebenden Schutzzweck führen. Die Kautionsvereinbarung von etwa elf Monatsmieten sei daher noch nicht als "ungewöhnlich" iSd § 2 Abs 1 MRG zu beurteilen. Die Frage, ob die Ersteher die Kautionsvereinbarung kannten oder hätten kennen müssen, stelle sich somit nicht mehr.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, in welcher Höhe eine Kautionsvereinbarung eine Nebenabrede gewöhnlichen oder ungewöhnlichen Inhaltes iSd § 2 Abs 1 MRG darstelle bzw welche Sorgfalt ein Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren anwenden müsse, damit ihm die mangelnde Erkenntnis der Kautionshöhe nicht angelastet werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber wenden sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, dass es sich bei der vereinbarten Kaution nicht um eine ungewöhnliche Nebenabrede iSd § 2 Abs 1 MRG handle. Dies betrifft aber keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO, weshalb die Revision der beklagten Partei gemäß § 508 Abs 1 iVm § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO zurückzuweisen ist.

Auszugehen ist davon, dass im Anwendungsbereich des MRG dessen § 2 sowohl § 1102 ABGB als auch §§ 1120 f ABGB derogiert (Würth in Rummel ABGB I3 Rz 1 zu § 1102 und Rz 1 zu § 1120 ABGB sowie Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht, MSA20 Rz 9 zu § 2 MRG): Während für die Gesamtrechtsnachfolge das allgemeine Zivilrecht gilt, regeln der dritte und der vierte Satz des § 2 Abs 1 MRG idF des 3. WÄG (vorher der zweite und dritte Satz - inhaltlich weitgehend ident) sowie der angefügte fünfte Satz die Einzelrechtsnachfolge hinsichtlich der Vermieterstellung. Auch der Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren fällt darunter (WoBl 1995/57 [Dirnbacher]).

Der Rechtsnachfolger tritt nicht nur in den Mietvertrag ein, sondern ist ohne Rücksicht auf die Verbücherung an alle Bestimmungen des Mietvertrages gebunden, sofern es sich nicht um Nebenabreden "ungewöhnlichen Inhalts" handelt, die er weder kannte noch kennen musste. Gegenüber der Rechtsprechung zu § 1120 ABGB iVm dem Kündigungsschutz des MG ist diese Bindung des Eintretenden um diese Einschränkung verringert, jedoch in allen mit der Beendigung des Verhältnisses zusammenhängenden Fragen erweitert worden; aber auch dem § 1102 ABGB wurde insoweit derogiert (Würth/Zingher aaO).

Die Vereinbarung einer Barkaution betrifft unzweifelhaft eine Nebenabrede iSd § 2 Abs 1 MRG. Zu beurteilen ist lediglich, ob es sich bei der streitgegenständlichen Barkaution wegen deren Höhe um eine Abrede ungewöhnlichen Inhalts handelt. Verneinendenfalls ist der Rechtsnachfolger jedenfalls an sie gebunden; bejahendenfalls nur dann, wenn er sie kannte oder kennen musste. Zwar fehlt konkrete oberstgerichtliche Rechtsprechung zur Ungewöhnlichkeit einer Kautionsvereinbarung iSd § 2 Abs 1 MRG; das macht aber die Revision nicht zulässig. Allgemein sieht die Rechtsprechung eine Nebenabrede als ungewöhnlich an, die bei vergleichbaren Mietgegenständen und vergleichbaren Vertragsinhalten nicht oder jedenfalls nur äußerst selten vereinbart wird, etwa weil ein Bedürfnis nach einer solchen Vereinbarung nicht oder kaum besteht, oder weil sie der typischen Interessensituation der beteiligten Parteien nicht entspricht. Hiefür sind zwar objektive Erwägungen maßgeblich, doch dürfen die Umstände des Einzelfalles nicht außer Acht gelassen werden (WoBl 1995/57). So wurde die Ungewöhnlichkeit der Nebenabrede bei einer unentgeltlichen Ausdehnung des Mietvertrages auf eine Parkfläche im Hof eines Großstadthauses bejaht (JBl 1986, 386 = MietSlg 37.239/37), oder die unbefristete Befreiung vom Ersatz der Heizkosten als Entgelt für die Finanzierung einer Heizanlage (WoBl 1995/57; weitere Nachweise bei Würth/Zingher aaO Rz 11).

Dem Berufungsgericht ist zuzustimmen, dass die Gewöhnlichkeit oder Ungewöhnlichkeit einer Barkaution iSd § 2 Abs 1 MRG nicht ausschließlich an Hand der zu nichtigen Ablösen iSd § 27 Abs 1 Z 1 MRG ergangenen Rechtsprechung beurteilt werden kann, weil es sich bei letzterer um eine im Interesse des Mieters getroffene Beschränkung handelt, bei der Beurteilung einer Barkaution als gewöhnliche oder ungewöhnliche Nebenabrede iSd § 2 Abs 1 MRG sich eine gleichartige Beschränkung aber ins Gegenteil, nämlich zu einer nicht gerechtfertigten Verschiebung des Einbringlichkeitsrisikos bei Beendigung des Mietverhältnisses zu Lasten des Mieters verkehren könnte.

Die Zulässigkeit einer vom Mieter dem Vermieter zu leistenden Barkaution iSd § 27 Abs 1 Z 1 MRG, der jeglichen Ablösewucher durch Zahlungen neben dem Mietzins verhindern und auch alle Umgehungsversuche sanktionieren will, ist daran zu messen, ob dieser eine gleichwertige Gegenleistung des Vermieters gegenübersteht. Um nicht gegen das Ablöseverbot zu verstoßen, muss ein adäquates Verhältnis zwischen dem Sicherstellungsinteresse des Vermieters und der Höhe der vom Mieter geleisteten Barkaution gegeben sein. Wird diese Verhältnismäßigkeit zwischen Kaution und Sicherungsinteresse überschritten, liegt insoweit keine angemessene Gegenleistung vor, was nach den Regeln der Teilnichtigkeit zu einem Rückforderungsanspruch des Mieters führt.

Bei der Beurteilung einer Vereinbarung einer Barkaution als gewöhnlich oder ungewöhnlich iSd § 2 Abs 1 MRG ist hingegen daran anzuknüpfen, ob eine solche als untypisch (und daher auch als unerwartet) im Hinblick auf die tatsächlichen Lebensverhältnisse zu beurteilen ist. Dies kann immer nur an Hand der konkreten Umstände im Einzelfall beurteilt werden.

Im vorliegenden Fall bestand nach den getroffenen Feststellungen objektiv betrachtet kein besonders hohes Sicherstellungsbedürfnis; insbesondere stand der Kläger in einem regelmäßigen Beschäftigungsverhältnis und war die Wohnung (mit Ausnahme der bereits gebrauchten Kücheneinrichtung) unmöbliert, sodass im Sinn der Rechtsprechung zu § 27 Abs 1 Z 1 MRG (SZ 69/243 ua) mit einer Barkaution in Höhe bis zu sechs Bruttomonatsmietzinsen das Auslangen hätte gefunden werden können. Es ist jedoch allgemein bekannt ist, dass gerade von aus gewissen Ländern stammenden ausländischen Arbeitnehmern ("Fremdarbeiter") häufig weit höhere als sechs Monatsentgelten entsprechende Barkautionen verlangt werden und von diesen auch geleistet werden müssen, um überhaupt eine Wohnung mieten zu können. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass auch für kleinere Wohnungen Barkautionen in der streitgegenständlichen Höhe verlangt werden. Eine Barkaution von S 81.000,-- wird daher, auch wenn sie ca. elf Monatsmieten entspricht, noch nicht als ungewöhnlich angesehen werden können.

Hiezu kommt im konkreten Fall, dass der Zweitbeklagte, ein Rechtsanwalt, der auch für den Erstbeklagten, der nur Finanzier war, handelte, auch mit einer Kaution in beträchtlicher Höhe rechnete; deponierte er doch, dass er wusste, dass in den Dr. I***** zuzurechnenden Unternehmen bereits vor etwa 10 Jahren Kautionen in Höhe von S 30.000,-- verlangt wurden, und dass er auch annahm, dass diese Praxis, Barkautionen zu verlangen, weitergepflogen werde. Er musste daher auch ins Kalkül ziehen, dass sich diese Summe zwischenzeitig erhöht hat. Überdies gab er zu, dass es "möglicherweise eine Nachlässigkeit" gewesen sei, bei der ihm bekannten Hausverwalterin nicht nachzufragen.

Unter den konkreten Umständen hält daher der erkennende Senat die Beurteilung des Berufungsgerichtes, dass im vorliegenden Einzelfall auch eine Kaution in der hier strittigen Höhe nicht als ungewöhnlich zu beurteilen ist, als im Rahmen der eben aufgezeigten Beurteilungskriterien gelegen, sodass hierin keine grobe Fehlbeurteilung erblickt werden kann. Infolge dessen ist die Revision als unzulässig zurückzuweisen. Die Frage, welche Sorgfalt ein Ersteher in Zwangsversteigerungsverfahren im Allgmeinen anwenden müsse, damit ihm mangelnde Kenntnis der Kautionshöhe nicht angelastet werden könne, stellt sich daher gar nicht mehr. Ein Kostenzuspruch an die klagende Partei für die Kosten der Revisionsbeantwortung konnte mangels Hinweises auf die Unzulässigkeit der Revision der beklagten Partei nicht erfolgen.

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