JudikaturJustiz7Ob78/99t

7Ob78/99t – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Hradil und Dr. Schaumüller als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Ferdinand W*****, und 2.) Elisabeth W*****, vertreten durch Dr. Wolfram Themmer und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei N***** Versicherungs AG, ***** vertreten durch Dr. Erich Kafka und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert S 200.000, ), infolge Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 19. November 1998, GZ 2 R 90/98i 19, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 5. Juni 1998, GZ 22 Cg 30/97y 14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Gerichtes zweiter Instanz wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit S 40.588,90 (darin enthalten S 4.335,65 USt und S 14.575, - Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungs und des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger haben für ihren Betrieb bei der beklagten Partei eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen und Ergänzenden Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHVB 1978 und EHVB 1978) zugrundeliegen.

Punkt 2. des mit „Ausschlüsse vom Versicherungsschutz“ übertitelten Art 7 AHVB 1978 lautet:

2. Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird gleichgehalten

2.1 eine Handlung oder Unterlassung, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden mußte, jedoch in Kauf genommen wurde (zB im Hinblick auf die Wahl einer kosten oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Waren oder geleisteten Arbeiten.

Punkt 3. des Abschnittes A „Allgemeine Regelungen für alle Betriebsrisken“ der EHVB 1978 lautet:

3. Bewußtes Zuwiderhandeln gegen Vorschriften

Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer, seine gesetzlichen Vertreter oder jene Personen, die er zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat, das die Schadenersatzpflicht auslösende Ereignis durch bewußtes Zuwiderhandeln gegen die für seinen Betrieb oder Beruf geltenden Gesetze, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften herbeigeführt hat.

Die Kläger betreiben einen Tankkessel und Kanalreinigungsbetrieb. Als Subunternehmer der Z***** GmbH hatten sie im Haus *****, ***** W***** die Heizungsanlage, zu der unter anderem 100 bis 120 etwa 80 bis 100 kg schwere gußeiserne Heizkörper gehörten, zu demontieren. Die Heizkörper mußten von den Zuleitungsrohren abgetrennt und dann zerteilt werden, da sie sonst für den Abtransport zu schwer gewesen wären. Von Montag, den 28. 10. 1996 bis Mittwoch den 30. 10. 1996 arbeitete der Erstkläger mit seinen Mitarbeitern Johann F***** und Slobodan I***** auf der Baustelle. F***** und I***** zerlegten die Heizkörper, im Erdgeschoß beginnend und dann Stock für Stock weiter arbeitend, in ca 20 kg schwere Teile und trugen sie zu einem vor dem Haus stehenden Container.

Als am 30. 10. 1996 im dritten und vierten Stock noch etwa 15 bis 25 Heizkörper abzutransportieren waren, verließ der Erstkläger die Baustelle, um zu einer Besprechung zu fahren. Während der Zeit seiner Abwesenheit (ca eine halbe bis 2 Stunden) überließ er die Aufsicht dem Johann F*****, der bereits seit ca 17 Jahren bei den Klägern bzw deren Rechtsvorgänger beschäftigt und nun „quasi Partieführer“ war. Diesem war klar, daß so weitergearbeitet werden sollte, wie bisher, dh daß die Heizkörper zerlegt und von den beiden Arbeitern zum Container getragen werden sollten. Dies machten F***** und I***** jedoch nicht mehr, sondern sie hievten die Heizkörper nun im vierten Stock auf bzw über das Geländer und ließen sie durch das Stiegenhaus hinunterfallen. Auch mit einem 200 bis 300 l fassenden Boiler wurde so verfahren. Den beiden Arbeitern war bewußt, daß sie anweisungswidrig handelten und Schäden verursachten; dies nahmen sie aber in Kauf. Durch ihr Vorgehen entstanden massive Schäden an den Mauern des Stiegenhauses, den Stufen und dem Handlauf etc.

Die Kläger begehren gegenüber der Beklagten die Feststellung der Deckung aus der Betriebshaftpflichtversicherung für den vorliegenden Schadensfall.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, es liege der Haftungsausschluß nach Art 7 Pkt 2. AHVB 1978 vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Schaden sei durch vorsätzliches Verhalten im Sinne des Art 7 Pkt 2. AHVB 1978 von Hilfspersonen der Versicherungsnehmer herbeigeführt worden, doch treffe diese am Schadenseintritt kein persönliches Verschulden. Sofern der Versicherungsnehmer nicht in irgendeiner Form an der Handlungsweise seiner Hilfspersonen mitgewirkt habe und - wie im vorliegenden Fall - nicht damit rechnen mußte, daß eine langjährig zuverlässige Hilfskraft den Schaden herbeiführen werde, könne ihm kein Vorwurf gemacht werden. Die Repräsentantenhaftung werde in Österreich einhellig abgelehnt. Den Versicherungsnehmer könne somit nur dann ein zur Leistungsfreiheit des Versicherers führender Vorwurf treffen, wenn ihn selbst ein Verschulden treffe, so beispielsweise, wenn es an der erforderlichen Sorgfalt in der Betriebsführung mangle oder Organisationsmängel bestünden, die den Eintritt des Versicherungsfalles begünstigten. Im vorliegenden Fall seien keinerlei Anhaltspunkte für das Bestehen derartiger Mängel vorhanden, auch habe die Beklagte einen solchen Vorwurf nicht erhoben. Die Realisierung eines subjektiven Risikoausschlusses, wozu Art 7 Pkt 2. AHVB 1978 zähle, durch einen Mitversicherten (hier Dienstnehmer) wirke zwar zu dessen Lasten, doch müsse der Versicherungsnehmer ihn sich nicht zurechnen lassen.

Das Berufungsgericht gab mit der angefochtenen Entscheidung der Berufung der beklagten Partei Folge und wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 52.000, - aber nicht S 260.000, - übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Das Erstgericht habe richtig zumindest bedingten Vorsatz der beiden Beschäftigten der Kläger angenommen. Seinem Argument, daß die Versicherung bei Nichtdeckung von Schäden durch Fehlverhalten von Hilfspersonen für den Versicherungsnehmer wertlos sei, halte die Beklagte zu Recht entgegen, daß bei jedem größeren Betrieb Art 7 Pkt 2. der AHVB 1978 immer dann wertlos wäre, wenn vorsätzliches Fehlverhalten von Beschäftigten des Betriebes dem Schadenseintritt zugrundeliege, es sei denn, der Versicherer könnte den Beweis führen, daß dieses vorsätzliche rechtswidrige Handeln vom Versicherungsnehmer angeordnet worden sei. Der Oberste Gerichtshof habe in seinen Entscheidungen 7 Ob 20/90, 7 Ob 6/92 und 7 Ob 23/93 zu Art 7 Pkt 2. der AHVB 1978 keinen Zweifel gelassen, daß dieser Ausschlußgrund auch dann gegeben sei, wenn der Versicherte, bzw die Beschäftigten des Versicherungsnehmers, die nach Pkt 3. des Abschnittes A 1. der EHVB 1978 mitversichert und damit als Versicherte anzusehen seien, bei Tätigkeiten, die mit dem Betrieb zumindest in einem inneren ursächlichen Zusammenhang stünden, den schädlichen Erfolg wie hier - zumindest billigend in Kauf genommen hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Zur Frage, ob der Haftpflichtversicherungsschutz nach Art 7 Pkt 2. AHVB 1978 auch dann ausgeschlossen ist, wenn der Schaden nicht vom Versicherungsnehmer selbst, sondern von seinem Gehilfen rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt wurde, hat der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 9/95 bereits eingehend Stellung genommen. Nach neuerlicher Prüfung der Rechtslage wurde - in teilweiser Abänderung der der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung 7 Ob 23/93 (= VR 1994, 27) zugrundeliegenden Ansicht - die Auffassung vertreten, daß Fehlhandlungen im Sinne der Ausschlußtatbestände des Art 7 Pkt 2. AHVB 1978, die von Erfüllungsgehilfen des Versicherungsnehmers gesetzt werden, denen nicht eine der in Pkt 3. des Abschn A der EHVB 1978 genannten Funktionen (wie die Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben) zukommt, auch dann nicht zum Wegfall des Versicherungsschutzes führen, wenn diese Erfüllungsgehilfen einen Auftrag selbständig ausführen. Unter Zitierung von Fenyves , Die AHVB 1978 aus der Sicht der Lehre in VR 1982, 84 [93]) wurde weiter ausgeführt, daß dem Begriff des „bewußten Zuwiderhandelns“ in den AHVB 1978 das sogenannte Selbstverschuldensprinzip zugrundeliege; dem Versicherungsnehmer könne danach nur sein eigenes bewußtes Zuwiderhandeln zum Nachteil gereichen, nicht auch jenes seiner Leute.

Daran ist insbesondere im Hinblick auf die erwähnte Ausnahmebestimmung des Punktes 3. des Abschn A der EHVB 1978 festzuhalten. Danach wird der Versicherer durch das bewußte Zuwiderhandeln gegen Vorschriften auch dann von der Verpflichtung zur Leistung befreit, wenn dieses Verhalten vom gesetzlichen Vertreter des Versicherungsnehmers oder von jenen Personen gesetzt wird, die der Versicherungsnehmer zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat. Wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 7 Ob 9/95 darlegte, stellt die Ausnahmeregelung hinsichtlich bestimmter für den Versicherungsnehmer einschreitender Personen, denen gewisse Unternehmereigenschaften zukommen, klar, daß andere Erfüllungsgehilfen des Versicherungsnehmers nicht für die Verwirklichung der Ausschlußtatbestände des Art 7 Pkt 2. AHVB 1978 herangezogen werden dürfen.

Zu prüfen war daher, ob Johann F*****, der während der Abwesenheit des Erstklägers „quasi Partieführer“ war, dem in Pkt 3. des Abschnittes A der EHVB 1978 genannten Personenkreis hinzuzuzählen ist. Ausgehend von dem für die Interpretation maßgeblichen Wortlaut dieser Klausel (RIS Justiz RS0008901) weist die Formulierung „Personen, die er (der Versicherungsnehmer) zur Leitung oder Beaufsichtigung des versicherten Betriebes oder eines Teiles desselben angestellt hat“ unmißverständlich daraufhin, daß damit nur ständig mit Vertretungsaufgaben betraute und daher eine gewisse Unternehmereigenschaft aufweisende Personen, nicht aber nur ad hoc mit der Leitung oder Beaufsichtigung eines Teiles des Betriebes betraute Personen gemeint sind. Johann F***** kann daher dem Personenkreis des Pkt 3. des Abschn A der EHVB 1978 nicht zugerechnet werden, zumal es sich bei ihm weder um einen leitenden Angestellten im Sinne des § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG handelte, weil ihm kein maßgeblicher Einfluß auf die Betriebsführung zukam (vgl MKK ArbVG § 36/9 ff; Czerny ua ArbVG II, 165), noch um einen Erfüllungsgehilfen, der im Einzelfall die Aufsicht über den versicherten Betrieb oder einen Teil desselben führte (vgl 7 Ob 9/95).

Haben demnach die klagenden Versicherungsnehmer im vorliegenden Fall für ihre Dienstnehmer F***** und I***** nicht einzustehen, könnte sie nach dem Selbstverschuldensprinzip ein zur Leistungsfreiheit der beklagten Versicherungsunternehmung führender Vorwurf nur dann treffen, wenn sie es etwa an der erforderlichen Sorgfalt in der Betriebsführung hätten fehlen lassen und ihr Betrieb demzufolge Organisationsmängel aufgewiesen hätte, die den Eintritt des gegenständlichen Versicherungsfalles erheblich begünstigten (vgl RIS Justiz RS0080407). Abgesehen davon, daß die beklagte Partei derartiges gar nicht behauptet hat, kann nach dem festgestellten Sachverhalt ein solches „Organisationsverschulden“ der Kläger nicht angenommen werden. Umstände, wonach der Erstkläger daran zweifeln hätte müssen, daß seine beiden Dienstnehmer seine Weisung, „weiterzuarbeiten wie bisher“, nachkommen würden, wurden nicht festgestellt.

Demnach hat das Erstgericht die Deckungspflicht des beklagten Haftpflichtversicherers zu Recht bejaht. Sein klagsstattgebendes Urteil ist daher in Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

Rechtssätze
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  • RS0008901OGH Rechtssatz

    06. März 2024·3 Entscheidungen

    Allgemeine Vertragsbedingungen sind so auszulegen, wie sie sich einem durchschnittlichen Angehörigen aus dem angesprochenen Adressatenkreis erschließen. Ihre Klauseln sind, wenn sie nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen.