JudikaturJustiz7Ob522/83

7Ob522/83 – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Februar 1983

Kopf

SZ 56/26

Spruch

Der Anspruch eines Ehegatten auf Erhaltung der Wohnung, die der Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient, steht dem Räumungsbegehren eines schlechtgläubigen Erwerbers entgegen

OGH 17. 2. 1983, 7 Ob 522/83 (LGZ Graz 3 R 310/82; BGZ Graz 24 C 115/82)

Text

Die Beklagte ist mit dem Nebenintervenienten Peter R verheiratet. Der Ehe entstammt ein sechsjähriges Kind. Zwischen den Ehegatten, deren Ehe seit etwa 1975 zerrüttet ist, läuft ein Ehescheidungsverfahren. Vereinbarungen über die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens wurden zwischen den Ehegatten nicht getroffen.

Im Jahre 1969 erwarb Peter R 63/3982 Miteigentumsanteile an der Liegenschaft EZ 2004 KG J, verbunden mit dem Wohnungseigentum an der Wohnung Nr. 39 im 7. Stock des Hauses G, K-Straße 77. Diese Wohnung samt Miteigentumsanteil, deren Wert damals etwa 600 000 S betrug, verkaufte Peter R am 25. 3. 1981 um 300 000 S dem Kläger, dessen Eigentumsrecht am 26. 3. 1981 verbüchert wurde.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Räumung der Wohnung durch die Beklagte sowie die Zahlung eines Benützungsentgeltes von 42 845.70 S sA.

Die Beklagte wendete ein, es handle sich bei der Wohnung um die Ehewohnung, an der sie einen dringenden Bedarf habe. Ihr Ehegatte habe die Wohnung lediglich verkauft, um sie im Scheidungsverfahren gefügig zu machen. Eine Übersiedlung in die neue Wohnung ihres Ehegatten könne der Beklagten im Hinblick auf das Verhalten ihres Gatten nicht zugemutet werden. Es liege ein Scheingeschäft vor. Außerdem verstoße der Kaufvertrag gegen die guten Sitten.

Im zweiten Rechtsgang gaben beide Vorinstanzen dem Räumungsbegehren statt, das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteigt. Außerdem verurteilten sie die Beklagte zur Zahlung von 30 446 S sA. Der abweisende Teil betreffend einen weiteren Betrag von 12 399.70 S sA ist inzwischen in Rechtskraft erwachsen. Die Untergerichte gingen hiebei von folgendem wesentlichen Sachverhalt aus: Da die Wohnung in der K-Straße, die den Ehegatten als Ehewohnung diente, zu klein wurde, unterzeichneten beide Ehegatten R im August 1978 einen Anwartschaftsvertrag für eine zirka 100 m2 große Wohnung in Graz, H-Gasse 11. Diese Wohnung wurde den Ehegatten im November 1980 übergeben. Seither zahlt Peter R für diese Wohnung die Kosten von monatlich 4500 S. Da er weitere Auslagen hatte und sich daher in Geldschwierigkeiten befand, nahm er zum Kläger, einem ehemaligen Schulfreund, Kontakt auf. Nach Rücksprache mit einigen Bekannten bot er dem Kläger die Wohnung in der K-Straße um 300 000 S zum Kauf an. Eine Besichtigung der Wohnung fand nicht statt. Der Kläger kannte die Wohnung lediglich von einem früheren Besuch bei Peter R. Peter R bot dem Kläger auch die in der Wohnung verbliebenen Einrichtungsgegenstände zum Kauf an, doch ist es diesbezüglich noch zu keiner Einigung gekommen. Dem Kläger, der vor Abschluß des Kaufvertrages wußte, daß die Wohnung nach wie vor von der Beklagten und dem Kind der Streitteile bewohnt wird, stehen keine Schlüssel zur Verfügung. Er hat jedoch der Versicherung des Peter R, die Beklagte werde in Kürze aus der Wohnung ausziehen, Glauben geschenkt. Am 6. 3. 1981 zog die Familie R in die Wohnung H-Gasse um, doch zog die Beklagte bereits am 7. 3. 1981 wieder in die Wohnung in der K-Straße 77 zurück, weil die andere Wohnung noch nicht zur Gänze fertiggestellt war. Einige Tage nach der Rückkehr der Beklagten wurden die bestehenden Mängel in der Wohnung H-Gasse behoben. Infolge der Zerrüttung der Ehe ist die Beklagte nicht bereit, zu ihrem Gatten zu ziehen. Im Falle der Vermietung der strittigen Wohnung kann einschließlich der Betriebskosten monatlich ein Mietzins von 3000 S erzielt werden.

Die Vorinstanzen vertraten den Standpunkt, die Ehewohnung der Streitteile sei nunmehr die Wohnung H-Gasse 11. Da diese über genügend Platz verfüge, sei auf die Einwände der Beklagten bezüglich der Streitigkeiten mit ihrem Ehegatten nicht einzugehen. Die Beklagte habe daher keinen Bedarf an der streitgegenständlichen Wohnung. Aus diesem Gründe komme es auf einen allfälligen guten Glauben des Klägers beim Erwerb der Wohnung nicht an. Ein schlechter Glaube wäre im übrigen auch zu verneinen, weil der Kläger nicht gewußt habe, daß zwischen den Ehegatten R Streitigkeiten bestunden. Demnach benütze die Beklagte die Wohnung ohne Rechtstitel, weshalb sie zur Räumung und zur Zahlung eines Benützungsentgeltes zu verurteilen sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge und verwies die Rechtssache in dem dem Klagebegehren stattgebenden Teil an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Im Hinblick auf die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen scheidet die Annahme eines Scheingeschäftes aus. Es besteht keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß der Kläger die Wohnung nur zum Schein erworben hat und in Wahrheit ein Eigentumsübergang an ihn gar nicht geplant war. Desgleichen erübrigt sich eine Untersuchung in Richtung der behaupteten Sittenwidrigkeit, weil der Kaufvertrag an sich nicht gegen die guten Sitten verstoßen kann. Er könnte höchstens einen Eingriff in die Rechte der Beklagten bewirken, was, wie noch auszuführen sein wird, allenfalls zur Undurchsetzbarkeit eines Räumungsanspruches gegenüber der Beklagten führen könnte. Sollten jedoch die Voraussetzungen für eine solche Undurchsetzbarkeit nicht vorliegen, wäre nicht einzusehen, was darüber hinaus eine Sittenwidrigkeit des Kaufvertrages begrunden könnte.

Im vorliegenden Fall steht fest, daß die streitgegenständliche Eigentumswohnung zumindest bis zum 6. 3. 1981 die Ehewohnung der Beklagten war. Im übrigen kommt es aber darauf, ob es sich bei der Wohnung nach wie vor um die Ehewohnung handelt, gar nicht an. Die Beklagte leitet ihren Anspruch nämlich aus § 97 ABGB ab. Dieser Anspruch eines Ehegatten an einer Wohnung besteht aber dann, wenn die Wohnung der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses dieses Ehegatten dient. Demnach spricht also § 97 ABGB, anders als § 81 Abs. 2 EheG, nicht von der Ehewohnung, sondern nur von einer Wohnung, die dem anderen Ehegatten zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses dient. Es ist daher nicht notwendig, daß die strittige Wohnung nach wie vor die Ehewohnung der Streitteile ist (MietSlg. 32 004 ua.).

Die Beklagte behauptet nun ein dringendes Wohnbedürfnis an der gegenständlichen Wohnung mit der Behauptung, es sei ihr ein Zusammenwohnen mit ihrem Ehegatten in der anderen Wohnung nicht zumutbar, wobei sie auf das demütigende grobe und verletzende Verhalten ihres Ehegatten sowie auf körperliche Bedrohungen durch diesen verweist. Nach § 92 Abs. 1 ABGB muß ein Ehegatte dem Verlangen des anderen Ehegatten auf Verlegung der gemeinsamen Wohnung dann nicht entsprechen, wenn er gerechtfertigte Gründe dafür hat, daß er nicht mitzieht. Sohin bildet die Unzumutbarkeit einen gewichtigen Grund, dem Verlangen des anderen Ehegatten auf Verlegung der bisherigen Ehewohnung zu widersprechen (MietSlg. 33 001, 29 002 ua.). Derartige gewichtige Gründe hat die Beklagte behauptet. Daß die Bedrohung der körperlichen Integrität sowie ein demütigendes und grob herabwürdigendes Verhalten eines Ehepartners dem anderen Partner ein Zusammenwohnen mit diesem unzumutbar erscheinen lassen kann, bedarf wohl keiner näheren Begründung. Demnach erübrigten sich, im Gegensatz zur Ansicht des Berufungsgerichtes, Feststellungen über die diesbezüglichen Behauptungen der Beklagten nicht. Daß allein die Größe der anderen Wohnung das Zusammenleben der Beklagten mit ihrem Ehegatten für diese zumutbar erscheinen ließe, kann nicht gesagt werden. Selbst wenn eine Wohnung eine größere Fläche und mehrere Wohnräume aufweist, schließt dies ständige Kontakte der Wohnungsbenützer miteinander nicht aus. Legt daher einer der Benützer gegenüber dem anderen ein Verhalten an den Tag, das für diesen mit schweren Demütigungen oder mit der Gefahr für die körperliche Sicherheit verbunden ist, wird in der Regel auch bei entsprechender Wohnungsgröße für den Betroffenen ein Zusammenleben mit dem anderen Teil in dieser Wohnung nicht zumutbar sein. Da die Vorinstanzen, ausgehend von ihrer unrichtigen Rechtsansicht, im Hinblick auf die Größe der Wohnung könne der Beklagten dort auf jeden Fall das Zusammenleben mit ihrem Ehegatten zugemutet werden, eine Erörterung und Feststellungen über die Behauptungen der Beklagten zu diesem Punkt unterlassen haben, erweist sich ihr Verfahren schon aus diesem Gründe als mangelhaft.

Richtig ist zwar, daß jener Ehegatte, der ein Recht auf Benützung einer bestimmten Wohnung aus § 97 ABGB ableitet, dieses einem gutgläubigen Erwerber der Wohnung nicht entgegenhalten kann. Die Unkenntnis eines nicht im Grundbuch aufscheinenden Rechtes bietet aber demjenigen keinen Schutz, der diese Unkenntnis verschuldet hat (MietSlg. 32 004/38; Klang in Klang[2] II 348; Koziol - Welser[6] II 88 ua.). Demnach kann jener Ehegatte, der sein Benützungsrecht aus § 97 ABGB ableitet, dieses Recht dem Räumungsbegehren des schlechtgläubigen Erwerbers der Wohnung mit Erfolg entgegenhalten (MietSlg. 32 004/38). Guter Glaube kann aber nur dann angenommen werden, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit Zweifel an der Richtigkeit des Grundbuchstandes erwecken (Koziol - Welser aaO).

Im vorliegenden Fall bietet der Grundbuchstand schon deshalb keinen ausreichenden Anhaltspunkt für das Fehlen allfälliger Rechte an der Wohnung, weil § 97 ABGB ausdrücklich ein Recht desjenigen Ehegatten festsetzt, der nicht über die Wohnung verfügungsberechtigt ist, also in der Regel jenes Ehegatten, dem das Eigentum nicht zusteht. Sohin kann dieses Recht des Ehegatten aus dem Grundbuch nicht entnommen werden. Das Schweigen des Grundbuches darüber bietet daher keinen hinreichenden Anhaltspunkt für einen Erwerber betreffend das Fehlen eines Benützungsrechtes eines der Ehegatten.

Im vorliegenden Fall kommt aber noch dazu, daß dem Kläger bei Erwerb des Eigentums an der Wohnung bekannt war, daß diese nach wie vor von der Ehegattin des Veräußerers benützt wird. Zwar wurde ihm vom Ehegatten der Beklagten versichert, daß diese in Kürze ausziehen werde. Außerdem wußte er nichts von den ehelichen Differenzen. Die weiteren Umstände des Verkaufes mußten beim Kläger aber sehr wohl Zweifel an dem Fehlen eines Benützungsrechtes der Beklagten hervorrufen. Eine Besichtigung der Wohnung wurde dem Kläger nicht ermöglicht, was ein völlig unüblicher Vorgang ist. Auch die Schlüssel für die Wohnung konnten nicht ausgefolgt werden, weil nur die Beklagte über solche verfügte. Hiezu kommt die ungewöhnliche Eile, mit der der Ehegatte der Beklagten auf den Abschluß des Kaufvertrages drängte, und der Umstand, daß die Wohnung um nur etwa die Hälfte des wahren Wertes angeboten wurde. Schließlich blieb die Frage einer Veräußerung der Einrichtungsgegenstände offen, offen deshalb, weil deren Besichtigung infolge Fehlens eines Schlüssels nicht möglich war. Auch dieses Aufschieben einer allenfalls in der Zukunft entstehenden Streitfrage ist außergewöhnlich.

In der Gesamtheit ergibt sich sohin, daß die aufgezeigten Umstände beim Kläger Zweifel am Fehlen einer Berechtigung der Beklagten zur Benützung der Wohnung hervorrufen hätten müssen. Hätte daher die Beklagte ein Recht nach § 97 ABGB, würde die Unkenntnis dieses Rechtes durch den Kläger auf einer Fahrlässigkeit beruhen. Infolge dieser Fahrlässigkeit wäre die Beklagte berechtigt, dem Kläger ihr Benützungsrecht entgegenzuhalten. Es erweist sich sohin die oben aufgezeigte Prüfung der Frage eines Benützungsrechtes der Beklagten als für die Entscheidung wesentlich. Es bedarf einer Verhandlung in erster Instanz, um die Sache spruchreif zu machen.

Rechtssätze
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