JudikaturJustiz7Ob287/00g

7Ob287/00g – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Dezember 2000

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Tittel, Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dr. G*****, vertreten durch Dr. Franz Insam, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei und Gegnerin der gefährdeten Partei B*****, vertreten durch Dr. Christian Kuhn und Dr. Wolfgang Vanis, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung und Unterlassung (Streitwert S 500.000,--) über den Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10. Oktober 2000, GZ 3 R 184/00a-3, mit dem über Antrag der klagenden und gefährdeten Partei eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Rekurses der klagenden und gefährdeten Partei wird der angefochtene Beschluss als nichtig behoben.

Der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung wird gemäß § 44 Abs 1 JN an das Bezirksgericht für ZRS Graz zu 5 C 713/99t überwiesen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriftsätze selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Zwischen den Parteien ist zu 5 C 713/99t beim Bezirksgericht für ZRS Graz ein Verfahren anhängig. Gegen das vom Bezirksgericht für ZRS Graz gefällte Urteil vom 3. 4. 2000, mit dem das Klagebegehren abgewiesen wurde, erhob die klagende und gefährdete Partei (in der Folge: Kläger) Berufung an das Landesgericht für ZRS Graz, das eine mündliche Berufungsverhandlung für den 18. 10. 2000 anberaumte. Am 21. 9. 2000 brachte der Kläger beim Berufungsgericht einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ein. Zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichtes führte er aus, dass der Prozess in der Hauptsache nunmehr beim Berufungsgericht anhängig sei. Die Beklagte erstattete auftragsgemäß eine Äußerung.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Berufungsgericht als Erstgericht im Provisorialverfahren den Antrag des Klägers auf Erlassung der einstweiligen Verfügung mit der Begründung zurück, dass der Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis an der Erlassung einer weiteren einstweiligen Verfügung habe, da bereits im Verfahren 5 C 20/00k des Bezirksgerichtes für ZRS Graz im Hinblick auf einen im Wesentlichen identen Sachverhalt bereits eine idente einstweilige Verfügung erlassen worden sei. Das Berufungsgericht führte zur Begründung seiner funktionellen Zuständigkeit aus, dass es der in der jüngeren Lehre und Rechtsprechung vertretenen Auffassung folge, dass auch ein Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren in der Hauptsache im Zeitpunkt der Beantragung der einstweiligen Verfügung gerade bei ihm anhängig sei, zur Entscheidung hierüber berufen sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Landesgericht für ZRS Graz eine neuerliche Entscheidung über den Sicherungsantrag aufzutragen.

Die Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels ist die Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung von Amts wegen wahrzunehmen (SZ 5/241, 6 Ob 823/83 u.a., Fasching, Lehrbuch2, Rz 2011).

Für die Bewilligung einstweiliger Verfügungen nach Einleitung eines Rechtsstreites ist das Gericht zuständig, vor welchem der Prozess in der Hauptsache, in Ansehung deren eine Verfügung getroffen werden soll, zur Zeit des ersten Antrages anhängig ist (§ 387 Abs 1 EO). Demnach ist dieses Gericht für die Erlassung von einstweiligen Verfügungen nach Einleitung des Prozesses durch Einbringung der Klage bis zur rechtskräftigen Beendigung des Prozesses zuständig (RZ 1982/40, RIS-Justiz RS0005045).

Das Berufungsgericht vertritt nun die Rechtsansicht, dass das Prozessgericht nach § 387 Abs 1 EO auch ein Rechtsmittelgericht sein kann, wenn das Verfahren in der Hauptsache zum Zeitpunkt der Antragstellung gerade bei ihm anhängig ist. Dieser Rechtsansicht kann aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden:

Vorweg ist auf die notwendige Unterscheidung zwischen dem nach § 387 Abs 1 EO funktionell erstinstanzlich zuständigen Gericht für die Entscheidung über den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung und dem Rechtsmittelgericht, dem im Instanzenzug zuständigen, die Vorentscheidung(en) überprüfenden Gericht, das erstmals in Abänderung der Vorentscheidung(en) eine einstweilige Verfügung erlässt, hinzuweisen.

Holzhammer vertritt in Zwangsvollstreckungsrecht4, S 443, die Ansicht, dass für die Anordnung und den Vollzug einstweiliger Verfügungen gemäß § 387 EO während des Erkenntnisverfahrens in der Hauptsache das Prozessgericht der betreffenden Instanz (also auch das Rechtsmittelgericht) zuständig sei. Rechberger/Simotta, Exekutionsverfahren2, Rz 938 f, stützen sich zur Begründung der Zuständigkeit des Prozessgerichtes zunächst auf den Gesetzestext. In der Folge verweisen sie darauf, dass, wenn das Verfügungsgericht die Verfügung nicht selbst vollziehen könne (was vor allem bei Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch die Rechtsmittelinstanz in Frage komme), das nach § 36 JN zuständige Bezirksgericht um Rechtshilfe ersucht werden müsse. Feil in EO4 , Rz 1 zu § 387, zitiert den Meinungsstand unter Hinweis auf Holzhammer und der gegenteiligen Meinung von Heller-Berger-Stix. In Heller-Berger-Stix III4, S 2815 wird unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Meinung von Holzhammer der Standpunkt vertreten, dass immer das Prozessgericht erster Instanz für die Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Verfügung zuständig sei. Diese Ansicht wird auch von Zechner, Sicherungsexekution und einstweilige Verfügung, Rz 3 zu § 387 EO geteilt. Aus König, Einstweilige Verfügung im Zivilverfahren2, Rz 3/14 ff, lässt sich nichts für die der angefochtenen Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsansicht gewinnen, er geht vom Gesetzestext aus. Auch die in RZ 1982/40 zitierte oberstgerichtliche Entscheidung bezieht sich nicht auf einen vergleichbaren Fall. Es wird lediglich ausgesprochen, dass Voraussetzung für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch das Prozessgericht oder ein Rechtsmittelgericht ist, dass der Prozess noch nicht rechtskräftig beendet ist. Wie sich auch aus dem Zitat aus Heller-Berger-Stix S 2815 ergibt, wurde damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass auch das Rechtsmittelgericht als im Instanzenzug funktionell befasst keine einstweilige Verfügung (in Abänderung der Vorentscheidung[en]) nach rechtskräftiger Beendigung des Prozesses erstinstanzlich erlassen darf. Damit wurde aber nicht zu der Frage Stellung genommen, ob nach § 387 Abs 1 EO das Rechtsmittelgericht funktionell erstinstanzlich für die Entscheidung über den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung zuständig sein kann. Die angefochtene Entscheidung folgt also keineswegs der jüngeren Lehre und Rechtsprechung.

Ohne ausdrücklich zur vorliegenden Rechtsfrage Stellung zu nehmen, sprach der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang damit, dass der Rechtsstreit solange im Sinne des § 387 Abs 1 EO anhängig ist, als er nicht rechtskräftig beendet ist, aus, dass zur Entscheidung über den Antrag auf Erlassung einer Einstweiligen Verfügung das Prozeßgericht erster Instanz zuständig sei (SZ 21/78, 3 Ob 357/97i).

Das Gericht, bei welchem der Prozess in der Hauptsache anhängig ist, ist daher grundsätzlich das Gericht erster Instanz. Die Rechtssache bleibt im Sinne des § 387 Abs 1 EO auch weiter dort anhängig, wenn Entscheidungen des Erstgerichtes auf ihre Richtigkeit im Instanzenzug überprüft werden. Die funktionelle Zuständigkeit verteilt nämlich nur die verschiedenen Rechtspflegefunktionen in derselben Rechtssache an verschiedene Rechtspflegeorgane (Mayr in Rechberger2 Rz 1 zu vor § 27a JN, Fasching, LB2, Rz 182). Die in der angefochtenen Entscheidung vertretene Rechtsansicht würde dazu führen, dass der Instanzenzug nach Belieben der Parteien durch die Erhebung von Rechtsmitteln willkürlich verkürzt werden könnte und Rechtsmittelgerichte eine funktionelle Zuständigkeit wahrnehmen würden, die ihnen nach dem Gesetz grundsätzlich nicht zukäme, nur weil ihnen der erstgerichtliche Akt vorgelegt wurde. Mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung über eine Veränderung des Instanzenzuges kann daher § 387 Abs 1 EO nur so ausgelegt werden, dass immer das jeweilige Prozessgericht erster Instanz für die Entscheidung über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zuständig ist. Das Landesgericht f ZRS Graz als Berufungsgericht war daher für die Entscheidung funktionell und damit absolut unzuständig (6 Ob 823/83). Seine Entscheidung ist daher gemäß §§ 402, 78 EO, 477 Abs 1 Z 3 ZPO nichtig, was von amtswegen wahrzunehmen war (RS 0042059, 6 Ob 2/97f). § 44 Abs. 3 JN (vgl. SZ 47/109, JBl 1983, 652 u.a.) steht dem schon deshalb nicht entgegen, weil der Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen wurde.

Gemäß § 44 Abs 1 JN war die einstweilige Verfügung an das zuständige Gericht von Amts wegen zu überweisen.

Der Kostenausspruch gründet sich auf §§ 402, 78 EO iVm 52 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat auf die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses nicht hingewiesen.

Rechtssätze
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