JudikaturJustiz7Ob238/74

7Ob238/74 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 1974

Kopf

SZ 47/144

Spruch

Der Eigentumserwerb kraft Verbücherung des Anmeldungsbogens nach §§ 15 ff. LTG ist vom tatsächlichen Eigentum des bücherlichen Vormannes unabhängig

Der frühere außerbücherliche Eigentümer, der sein Recht nicht in den Gründeinlösungsverhandlungen geltend gemacht hat, kann weder Löschungsklage noch ein Wiederherstellungsbegehren erheben, sondern ist auf die Geldersatzansprüche nach § 20 LTG verwiesen

OGH 5. Dezember 1974, 7 Ob 238/74 (KG Krems R 208/74; BG Ottenschlag C 20/74)

Text

Zwischen Grundstücken der Klägerin einerseits und der Beklagten andererseits lag das im Eigentum der Marktgemeinde M gestandene Grundstück Nr. 247/1 Ortsraum. Nach Errichtung des Güterweges "W" wurden auf Grund des Anmeldungsbogens des Vermessungsamtes Z vom 28. November 1972 vom Erstgericht gemäß den §§ 15 ff. LTG u. a. restliche Trennstücke des Grundstücks Nr. 247/1, die der Liegenschaft der Klägerin gegenüber jenseits des neu gebildeten Grundstücks Nr. 257 Weg liegen, Liegenschaften der Beklagten zugeschrieben. Mit der Behauptung, an dieser Fläche bereits früher durch Ersitzung außerbücherliches Eigentum erworben zu haben, begehrt die Klägerin in diesem Verfahren die Einwilligung der Beklagten zur Herstellung eines Planes und einer Vermessung und sodann zur Einverleibung ihres Eigentumsrechtes an den im einzelnen näher beschriebenen Grundstücksteilen.

Das Erstgericht wies die Klage nach Einsichtnahme in die Vorakten ohne Aufnahme weiterer Beweise ab, das Berufungsgericht bestätigte mit dem Ausspruch gemäß § 500 Abs. 2 ZPO, daß der Wert des Streitgegenstandes 50.000 S übersteige. Nach der Rechtsansicht der Untergerichte ist zwar eine Ersitzung von Grundstücken oder Grundstücksteilen auch am öffentlichen Gut innerhalb der längeren Ersitzungszeit von 40 Jahren möglich. Im vereinfachten Verbücherungsverfahren nach den §§ 15 ff. LTG erfolge aber die Eigentumsübertragung ohne Mitwirkung der Beteiligten einzig und allein auf Grund des Anmeldungsbogens des Vermessungsamtes mit der Wirkung, daß ohne Zustimmung der Eigentümer oder sonstigen Berechtigten neue Eigentumsrechte entstehen und die Buchberechtigten oder sonstigen Beteiligten auf Geldersatzansprüche verwiesen sind.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhebt die Klägerin die Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Aufhebung der untergerichtlichen Urteile und Zurückweisung der Rechtssache an das Erstgericht zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Die Untergerichte haben zutreffend erkannt, daß die Sonderbestimmungen der §§ 15 ff. LTG für die Verbücherung von Straßen-, Weg-, Eisenbahn- und Wasserbauanlagen ein vereinfachtes Verfahren zur Herstellung der Grundbuchsordnung in jenen Fällen vorsehen, in denen sich aus der Errichtung einer der im Gesetz genannten Anlagen Besitzänderungen ergeben haben. § 18 Abs. 1 LTG bestimmt ausdrücklich, daß es unter der im Grundbuchsverfahren zu prüfenden Voraussetzung der Nichtüberschreitung der Wertgrenze des § 17 Abs. 1 der Zustimmung der Eigentümer oder der Buchgläubiger zur Verbücherung der von der Vermessungsbehörde im Anmeldungsbogen mitgeteilten Veränderungen unbeschadet sonstiger Voraussetzungen nicht bedarf, sofern nicht für Grundstücke, die durch eine der im Gesetz genannten Anlagen von den Stammgrundstücken abgeschnitten worden sind, eine neue Grundbuchseinlage eröffnet werden muß. § 20 LTG verweist weiters die Eigentümer, Buchberechtigten oder sonstigen Beteiligten mit ihren allfälligen Ersatzansprüchen gegen die Personen, die nach den Grundsätzen des Privatrechtes zum Schadenersatz verpflichtet sind, auf die Geltendmachung dieser Ansprüche längstens innerhalb dreier Jahre von dem Tage, an dem der Beschluß im Sinn des § 18 erlassen wurde. Die rechtliche Bedeutung dieser Sonderbestimmungen liegt darin, daß die zahlreichen, aber geringfügigen Besitzänderungen, die bereits in der Wirklichkeit - sei es durch Übereinkunft der Parteien, sei es durch Ersitzung oder Enteignung - vollzogen sind und auch schon im Grundkataster durchgeführt wurden, nun auch im Grundbuch ohne Rücksicht auf die bücherlichen Rechte der Eigentümer und Buchberechtigten unverzüglich durchgeführt werden (Goldschmidt, Die Verbücherung von Straßen- und Wasserbauanlagen 1937, 11; Feil, Das Liegenschaftsteilungsgesetz, 28).

Aus den angeführten Bestimmungen des Liegenschaftsteilungsgesetzes haben die Untergerichte zutreffend den Schluß gezogen, daß der Eigentumserwerb kraft Verbücherung des Anmeldungsbogens nach den §§ 15 ff. LTG vom tatsächlichen Eigentum des bücherlichen Vormannes unabhängig und daß es den Beteiligten daher verwehrt ist, dingliche Rechte gegenüber jenen Personen geltend zu machen, die durch die Verbücherung des Anmeldungsbogens Eigentum erworben haben. Allerdings hat das Berufungsgericht die Begriffe des mittelbaren und unmittelbaren Erwerbes im Sinne des § 423 ABGB, mit den nicht gleichbedeutenden der ursprünglichen (originären) und abgeleiteten (derivativen) Erwerbsart nach der gemeinrechtlichen Theorie irrigerweise gleichgestellt. Aber es trifft zu, daß ein originärer Erwerb vorliegt, wenn die Erwerbstatsache für sich allein und ohne Rücksicht darauf, ob der Vormann Eigentümer war, wie etwa im Falle der Enteignung, das Eigentum beim Erwerber entstehen läßt (Klang [2] II, 242). Im Falle der Verbücherung der durch den Anmeldungsbogen der Vermessungsbehörde mitgeteilten Besitzänderungen nach den §§ 15 ff. LTG bildet nun nach der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes allein die genannte öffentliche Urkunde die Grundlage für die Verbücherung. Der Vermessungsbehörde allein obliegt die wichtige und schwierige Aufgabe, die Besitzänderungen, denen die verschiedensten Rechtstitel zugrunde liegen können, der bestehenden Rechtslage gemäß im Anmeldungsbogen mitzuteilen. Dem Vorwurfe des Eingriffes in bestehende Rechte haben dabei die dem Gesetze beigegebenen amtlichen Erläuterungen mit dem Hinweis darauf begegnet, daß in dem von diesem Gesetz geregelten Sonderfall die Herstellung der Grundbuchsordnung im gewöhnlichen Wege für die Parteien mit unverhältnismäßig hohen Kosten und für die Gerichte mit unverhältnismäßig großer Mühewaltung verbunden wäre, und daß infolgedessen umfangreiche Besitzänderungen im Grundbuch und in der Grundbuchsmappe oft durch viele Jahre unverbüchert bleiben müßten und die Grundbuchsordnung empfindlich gestört würde. Eine Schädigung der Gründeigentümer ist im allgemeinen nicht zu besorgen, weil die mit der Einlösung des Straßengrundes befaßten Behörden fast immer zu einer gerechten Einigung mit den Eigentümern gelangen, zumal beiden Teilen wirksame Mittel zu Gebote stehen, sich gegen unbilliges Verhalten des anderen Teiles zu schützen. Im äußersten Falle kann nämlich der Bauherr den Weg der Enteignung, der Eigentümer aber den Weg der Besitzstörungsklage beschreiten (Goldschmidt,12).

Wenn bei dieser Sachlage der Eigentümer sowie die Buchberechtigten oder sonstigen Beteiligten, zu denen zweifellos auch ein außerbücherlicher Eigentümer gehört, im § 20 LTG auf die Geltendmachung allfälliger Ersatzansprüche verwiesen werden, kann diese gesetzliche Regelung nach der zutreffenden Ansicht der Untergerichte nur dahin verstanden werden, daß solchen Berechtigten nicht mehr ein Anspruch auf Herausgabe der anderen Personen bücherlich zugeschriebenen Grundstücksteile zusteht, sondern nur mehr Ersatzansprüche in Geld. Es bestehen deshalb keine Bedenken, der Rechtsansicht Goldschmidts (45) zu folgen, wonach eine Löschungsklage des früheren Bucheigentümers im Sinne des § 61 GBG ausgeschlossen wäre, weil die Verbücherung kraft Gesetzes ohne Rücksicht auf die Rechtmäßigkeit des Erwerbes durchzuführen ist. Wenn auch dem außerbücherlichen Eigentümer die Löschungsklage schon mangels einer Verletzung bücherlicher Rechte nicht zusteht (Bartsch, GBG[7], 525; Klang[2] II, 384; 8 Ob 160/74 u. a.), so gilt doch das Vorgesagte sinngemäß für ein Wiederherstellungsbegehren des außerbücherlichen Eigentümers. Der bücherliche Erwerber von Trennstücken, der in aller Regel den Bucheigentümer abgefunden hat (vgl. Goldschmidt, 15), ist vor einer Rückforderung des erworbenen Grundstückes durch jeden Dritten geschützt; der frühere außerbücherliche Eigentümer, der sein Recht nicht in den Gründeinlösungsverhandlungen geltend gemacht hat, dagegen auf die Geldersatzansprüche nach § 20 LTG verwiesen. Ob und gegen wen er auch aus dem Gründe der ungerechtfertigten Bereicherung Ersatzansprüche geltend machen könnte, ist im Gesetz nicht geregelt (Goldschmidt 12), diese Frage ist aber hier nicht zu untersuchen. Die verbliebenen Einwände des Revisionswerbers gegen diese rechtliche Beurteilung vermögen nicht zu überzeugen. Es trifft wohl zu, daß die aus Anlaß der Verbücherung von Straßenbauanlagen erfolgte Abschreibung von Restteilen des öffentlichen Gutes und Zuschreibung zu einem im Privatbesitz befindlichen Grundstück keine Maßnahme der Enteignung ist. Daraus folgt aber nicht, daß der Erwerber dieses Grundstückteiles nur nach Maßgabe der bestehenden Rechte des Bucheigentümers Eigentum erwerben kann. Das Gegenteil ergibt sich schon daraus, daß das Gesetz von einer Mitübertragung der Rechte der Buchgläubiger nicht spricht. Die Verbücherung hat vielmehr ohne Rücksicht auf solche Rechte an den betroffenen Trennstücken zu geschehen, die nur insoweit berücksichtigt werden, als das Buchgericht die Buchberechtigten von dem Verbücherungsbeschluß zu verständigen und sie hiebei über ihr Recht zur Geltendmachung der Ersatzansprüche nach § 20 LTG zu belehren hat (Goldschmidt II; Feil 28). Daraus und aus der Verweisung auch des Eigentümers auf allfällige Entschädigungsansprüche ist zu folgern, daß der Eigentumserwerb des auf Grund des Anmeldungsbogens eingetragenen Erwerbers von den Rechten des bücherlichen Vormannes nicht abhängig und im eingangs genannten Sinne originär ist. Die Rechtfertigung dieses nur in einem Ausnahmsfalle wie dem vorliegenden einer Enteignung des außerbücherlichen Eigentümers gleichkommenden Vorgehens des Gesetzgebers kann in dem erwähnten Zweck des Gesetzes gefunden werden, die zur Anwendung der §§ 15 ff. LTG allein geeigneten geringfügigen Besitzänderungen im Zusammenhang mit einer Straßenbauanlage auf einem für alle Beteiligten billigen und raschen Wege bücherlich zu bereinigen.

Daß diese gesetzliche Regelung keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsgemäßheit erweckt, hat der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 5 Ob 113/72 ausgesprochen und damit begrundet, daß es sich um eine Art grundbücherlichen Bagatellverfahrens handle (SZ 39/101), das mit der Einräumung der Geltendmachung von Ersatzforderungen im Rechtsstreit nach § 20 LTG die Rechte der Beteiligten hinlänglich sichere. Auch der erkennende Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal selbst Enteignungen ohne Entschädigung zulässig sind (vgl. MGA ABGB[29], E 9 und 9 a zu § 365) und das im § 365 ABGB vorausgesetzte "allgemeine Beste" in der raschen und billigen Herstellung der Grundbuchsordnung für die ganze Straßenbauanlage erblickt werden kann. Davon, daß die Grundbuchsentscheidung, weil sie auf Grund des Anmeldungsbogens ohne weitere Überprüfung des zugrunde liegenden Titels vorzunehmen war, dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewaltentrennung widersprochen habe, kann gleichfalls nicht die Rede sein, gerade weil das Gericht eine verwaltungsbehördliche Tätigkeit nicht zu überprüfen hatte.

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