JudikaturJustiz7Ob168/13a

7Ob168/13a – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Oktober 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen R***** J*****, geboren am *****, Mutter Mag. M***** J*****, vertreten durch Mag. Thomas Kaumberger, Rechtsanwalt in Pressbaum, Vater DI M***** M*****, vertreten durch Mag. Florian Kucera, Rechtsanwalt in Wien, wegen Kontaktrecht, über die außerordentlichen Revisionsrekurse der Mutter und des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 13. Juni 2013, GZ 43 R 304/13v, 43 R 305/13s 137, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 10. April 2013, GZ 4 Ps 174/12w 112, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Revisionsrekurs der Mutter wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

2. Der Revisionsrekurs des Vaters wird soweit er einen Ausspruch zur Kostentragung hinsichtlich der Besuchsbegleitung erwirken will zurückgewiesen.

3. Dem Revisionsrekurs des Vaters wird im Übrigen teilweise, und zwar hinsichtlich Punkt 3 des Beschlusses des Erstgerichts (Kontaktrecht) Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden insoweit aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Hinsichtlich Punkt 5 des Beschlusses des Erstgerichts (Beugestrafe) wird der angefochtene Beschluss bestätigt.

Text

Begründung:

Zu 1.:

Dieser Beschluss bedarf, weil keine erhebliche Rechtsfrage im Rechtsmittel der Mutter geltend gemacht wurde, keiner weiteren Begründung (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Zu 2. und 3.:

Die elfjährige Minderjährige ist österreichische, polnische und italienische Staatsbürgerin. Die Obsorge steht allein der Mutter zu. Als die Minderjährige in Wien lebte, trafen die Eltern eine Vereinbarung vor dem Erstgericht über das Kontaktrecht des Vaters. Mit Beschluss vom 20. 12. 2010 erklärte das Erstgericht, von der Fortsetzung des Pflegschaftsverfahrens nach § 110 Abs 2 JN Abstand zu nehmen, solange sich die Minderjährige in Polen aufhalte.

Der Vater stellte beim Amtsgericht Danzig Süd einen Antrag auf Regelung des Kontaktrechts. Das Amtsgericht regelte mit Beschluss vom 20. 9. 2012 die „Modalitäten der Ausübung des Umgangsrechts“ des Vaters: „Jedes erste und dritte Wochenende des Monats vom Freitag, 17:00 Uhr bis Sonntag, 19:00 Uhr, außerhalb des Wohnsitzes der Minderjährigen jeden Mittwoch des Monats nach dem Schulunterricht der Minderjährigen bis 20:00 Uhr außerhalb des Wohnsitzes der Minderjährigen jedes zweite Weihnachten und Weihnachtsferien, das heißt vom 24. 12., 10:00 Uhr, bis 6. Jänner, 19:00 Uhr, außerhalb des Wohnsitzes der Minderjährigen, angefangen mit Weihnachten 2013 während der Sommerferien vom 1. bis zum 15. 7. und vom 15. 8. bis zum 25. 8. jedes zweite Ostern vom ersten Tag der Osterferien, 10:00 Uhr, bis zum zweiten Tag der Osterferien, 19:00 Uhr, angefangen mit Ostern 2014“. Das Amtsgericht stellte eine Bescheinigung über das Umgangsrecht nach Art 41 Abs 1 Brüssel IIa VO aus.

Am 29. 8. 2012 teilte die Mutter dem Erstgericht mit, dass die Minderjährige ihren ständigen Aufenthalt wieder in Wien habe. Der Vater gab am 2. 10. 2012 zu Protokoll, dass „keiner so genau“ wisse, wo sich die Minderjährige aufhalte und dass er eine Kindeswohlgefährdung befürchte. Er ersuche dringend, alle Maßnahmen zu ergreifen, um den Aufenthaltsort der Tochter herauszufinden und die Gründe zu objektivieren, warum sie Hausunterricht bekomme.

Im Hinblick darauf ersuchte das Erstgericht den Jugendwohlfahrtsträger (nunmehr: Kinder und Jugendhilfeträger) zu erheben, wo sich die Minderjährige tatsächlich aufhalte und ob eine Gefährdung vorliege. In seinem Bericht wurde darauf verwiesen, dass sich die Minderjährige in Wien aufhalte und keine Kindeswohlgefährdung in der Obsorge der Mutter bestehe. Es gebe aber keine nachvollziehbaren Gründe, warum es keinen Kontakt zwischen der Minderjährigen und ihrem Vater geben solle. Es müsse eine Vereinbarung zwischen den Eltern über den Besuchskontakt getroffen werden, widrigenfalls eine Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen sei. Um die Minderjährige dem Vater nicht völlig zu entfremden, seien Besuchskontakte im vorerst begleiteten Rahmen unbedingt zu fördern. Bei der Minderjährigen sei eine Entfremdung dem Vater gegenüber zu vermuten. Es sei aber darauf Bedacht zu nehmen, dass kein Sachverständiger zugezogen werde, weil dies für die Minderjährige auf Grund der vielen bereits vorgenommenen Untersuchungen und Gespräche eine zusätzliche psychische Belastung darstellen würde.

In der Tagsatzung vom 30. 1. 2013 erklärte der Vater, dass er begleiteten Besuchskontakten zustimme. Die Richterin nahm noch während der Verhandlung mit dem Wiener Familienbund Kontakt auf und es wurden Termine für die Elterngespräche festgelegt. Diese sollten in der darauf folgenden Woche stattfinden, sodass in weiteren zwei Wochen bereits ein begleiteter Besuch erfolgen könne. Diese Besuchskontakte fanden aber auf Grund einer Absage durch die Mutter nicht statt. Sie meinte, dass ihr die Anfahrtszeit von 40 Minuten zu lang und der Minderjährigen nicht zumutbar sei.

Das Erstgericht bestellte für die Minderjährige einen Kinderbeistand, wie dies vom Jugendwohlfahrtsträger angeregt wurde.

Der Vater stellte am 6. 2. 2013 einen Antrag auf Verhängung einer Beugestrafe über die Mutter zur Durchsetzung des vom Amtsgericht Danzig Süd geregelten Kontaktrechts. Er habe die Minderjährige seit Juni 2012 nicht mehr gesehen.

Das Erstgericht sprach soweit hier noch von Bedeutung aus, dass die Entscheidung des Amtsgerichts Danzig Süd vom 20. 9. 2012 über das Kontaktrecht des Vaters anerkannt werde, aber (Punkt 3. des Beschlusses) das Kontaktrecht der Minderjährigen zum Vater in Entsprechung des Kindeswohls vorläufig dahingehend geregelt werde, dass es zur Wiederanbahnung durch eine geeignete Institution begleitet erfolge, und zwar im Ausmaß von drei Terminen zu je zwei Stunden und vier Terminen zu je vier Stunden. Die konkreten Termine seien von den Kindeseltern direkt zu vereinbaren. Den Antrag des Vaters auf Verhängung einer Beugestrafe (Punkt 5. der Entscheidung) wies es ab. Die Entscheidungen über die elterliche Verantwortung, die in einem Mitgliedstaat ergangen sei, sei ipso iure anzuerkennen. Dem stehe bei vorhandener Zuständigkeit eine neuerliche Entscheidung aber nicht entgegen, weil die Entscheidung nicht in Rechtskraft erwachse, sondern nur bis zu einer neuen Entscheidung Bestandkraft habe. Auf Grund der Einschätzung des Jugendwohlfahrtsträgers entspreche die in Polen getroffene Entscheidung nicht mehr dem Kindeswohl, zumal die Minderjährige mit ihrem Vater seit Juni 2012 keinen Kontakt mehr gehabt habe. Eine Aussetzung des Kontaktrechts widerspreche dem Kindeswohl. Eine Beugestrafe sei nicht zu verhängen, weil die vom Amtsgericht getroffene Besuchsrechtsregelung nicht mehr den Gegebenheiten und dem Kindeswohl entspreche (Punkt 5. des Beschlusses).

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluss. Soweit hier von Relevanz führte es aus, dem Erstgericht komme auf Grund des ständigen Aufenthalts der Minderjährigen in Wien die Entscheidungsbefugnis für eine abändernde Regelung des Kontaktrechts wegen nachträglich eingetretener Umstandsänderungen zu. Damit sei dem Begehren des Vaters auf Durchsetzung dieser Entscheidung die Grundlage entzogen. Dem Vater sei zuzugestehen, dass in Punkt 3 des angefochtenen Beschlusses eine weitere Konkretisierung der Modalitäten für den Fall fehle, dass die Eltern kein Einvernehmen erzielen könnten. Unter Bedachtnahme auf die nach der Aktenlage bereits eingetretene Belastung des Kindes entspreche es aber dem Kindeswohl am ehesten, an der bereits getroffenen Regelung festzuhalten, welche im erstinstanzlichen Verfahren einer entsprechenden Ergänzung zu unterziehen sei.

Das Erstgericht habe zutreffend keinen Ausspruch über die Tragung der Kosten der Besuchsbegleitung getroffen, weil es sich dabei nicht um Kosten des Verfahrens handle und dem Gericht daher die Entscheidungskompetenz fehle.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Fragen von erheblicher Bedeutung zu beantworten seien.

Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit den Anträgen, Punkt 3 des erstinstanzlichen Beschlusses ersatzlos aufzuheben, über die Mutter eine Beugestrafe zu verhängen und auszusprechen, dass sie die Kosten der Besuchsbegleitung allein zu tragen habe.

Ohne eine Freistellung durch den Obersten Gerichtshof abzuwarten, erstattete die Mutter eine Revisionsrekursbeantwortung, in der sie beantragt, dem Revisionsrekurs des Vaters nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist soweit er einen Ausspruch zur Kostentragung erwirken will unzulässig, im Übrigen zulässig und auch teilweise berechtigt.

Zu 2.:

Soweit der Revisionsrekurs des Vaters darauf abzielt, es solle der Mutter die Tragung der Kosten für die Besuchsbegleitung auferlegt werden, ist er darauf zu verweisen, dass die Vorinstanzen dazu gar keinen anfechtbaren Beschluss gefasst haben. Das Rekursgericht hat lediglich in der Begründung darauf verwiesen, dass ein Beschluss über die Kostentragung nicht zu fassen sei. Der Revisionsrekurs wendet sich also nicht gegen einen Beschluss des Rekursgerichts, wenn er darauf beharrt, dass eine Kostentragungspflicht der Mutter bestehe. Schon aus diesem Grund ist er unzulässig. Lediglich der Vollständigkeit halber ist noch darauf zu verweisen, dass die Bekämpfung eines entsprechenden Beschlusses beim Obersten Gerichtshof auch nicht zulässig wäre, weil es sich bei dem Ausspruch über die Tragung der Kosten der Besuchsbegleitung um eine Entscheidung „über den Kostenpunkt“ gemäß § 62 Abs 2 Z 1 AußStrG handelt (RIS Justiz RS0007695 [T24]; vgl etwa RS0044110, RS0044233, RS0007695).

Zu 3.:

Für das Vollstreckungsverfahren ist das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats maßgebend (Art 47 Brüssel IIa VO). Eine Entscheidung, für die eine Bescheinigung nach Art 41 Abs 1 Brüssel IIa VO ausgestellt wurde, darf nicht vollstreckt werden, wenn sie mit einer später ergangenen vollstreckbaren Entscheidung unvereinbar ist (Art 47 Abs 2 Brüssel IIa VO).

Auch wenn die Entscheidung des Amtsgerichts Danzig-Süd ohne weitere Erhebungen anzuerkennen ist (Art 41 Abs 1 Brüssel IIa VO), ist von der Vollstreckung seines Beschlusses dennoch Abstand zu nehmen:

Bei den Zwangsmitteln im außerstreitigen Verfahren zur Durchsetzung einer Anordnung handelt es sich nicht um Strafen für die Missachtung einer gerichtlichen Verfügung, sondern sie dienen lediglich dazu, der Anordnung in Zukunft zum Durchbruch zu verhelfen (RIS Justiz RS0007330). Von der Anordnung jeder Vollzugsmaßnahme ist abzusehen, wenn sie dem Kindeswohl zuwiderläuft (RIS Justiz RS0008614). Dem Wohl des Kindes kommt im Pflegschaftsverfahren immer oberste Priorität zu.

In dem Zeitpunkt, in dem der Vater den Antrag auf Verhängung einer Ordnungsstrafe zur Durchsetzung der vom Amtsgericht Danzig Süd festgesetzten umfangreichen Kontaktregelung gestellt hat, hatte er die Minderjährige bereits rund acht Monate nicht mehr gesehen, sodass jetzt eine Entfremdung eingetreten ist, was bei den Erhebungen des Erstgerichts auf Grund der Bekanntgabe des Vaters vom 2. 10. 2012 zu Tage trat. Das Erstgericht, in dessen Sprengel die Minderjährige nunmehr wieder ihren ständigen Aufenthalt hat, musste als nun zuständiges Pflegschaftsgericht (Art 8 Abs 1 Brüssel IIa VO) auf die geänderten Verhältnisse reagieren. Die Durchsetzung des Kontaktrechts, wie es vom Amtsgericht Danzig Süd festgelegt wurde, entspricht zur Zeit nicht dem Kindeswohl. Die Vorinstanzen sahen daher zutreffend von der Verhängung einer Ordnungsstrafe ab.

Da aber feststeht, dass eine Unterbindung des Kontakts zwischen der Minderjährigen und dem Vater ebenfalls eine Kindeswohlgefährdung bewirkt, musste das Erstgericht eine neue, den geänderten Verhältnissen angepasste Kontaktregelung treffen. Feststeht, dass dem Wohl der Minderjährigen, bei der bereits ein Entgremdungssyndrom („PAS“) vorliegt, zur Zeit (nur) ein begleitetes Kontaktrecht entspricht, womit ja auch der Vater grundsätzlich einverstanden ist.

Erklärt sich ein Verfahrensbeteiligter mit dem begleiteten Besuchsrecht einverstanden, so ist dies einem ausdrücklichen Antrag gleichzuhalten (RIS Justiz RS0118259). Nach ständiger Judikatur hat das Gericht die Aufgaben und Befugnisse des Besuchsbegleiters in Grundzügen zu bestimmen. Dies ermöglicht es, Details über die zeitliche Festsetzung des mit Besuchsbegleitung auszuübenden Besuchsrechts dem Besuchsbegleiter nach dessen Ressourcen zu überlassen (RIS Justiz RS0118260). Die erforderliche Festsetzung der Aufgaben und Befugnisse der besuchsbegleitenden Stelle durch das Gericht „zumindest in den Grundzügen“ (Ort, Verständigung der Beteiligten, Teilnehmer, Zeitraum, Verpflichtungen der Eltern) ist im vorliegenden Fall allerdings nicht erfolgt. Das Erstgericht hat zwar seinen Beschluss mit einem weiteren Beschluss vom 31. 5. 2013 dahin ergänzt, dass es die Mutter aufforderte, binnen 5 Tagen einen Termin bei einem konkreten Besuchscafe zu vereinbaren, sodass der Kontakt gemäß Punkt 3 unverzüglich durchgeführt werden könne, doch entspricht auch dies nicht den oben dargelegten Erfordernissen. Der Beschluss nimmt nur auf eine von der Mutter zu treffende Vereinbarung Bezug, regelt aber nicht die nähere Umsetzung des Kontakts. Die Festlegung in Grundzügen ist aber erforderlich, damit die gerichtliche Anordnung über das Kontaktrecht, falls nötig, auch gegen den Willen eines Elternteils durchgesetzt werden kann. Auch wenn eine ehest mögliche Umsetzung des Kontaktrechts des Vaters im Interesse des Kindeswohls geboten ist, muss Punkt 3 der angefochtenen Beschlüsse aufgehoben werden, weil das Verfahren im aufgezeigten Sinn ergänzungsbedürftig ist (10 Ob 61/03y; RIS Justiz RS0118260).

Rechtssätze
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