JudikaturJustiz6Ob320/02f

6Ob320/02f – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Januar 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann T*****, vertreten durch Dr. Walter Vasoll, Rechtsanwalt in Hermagor, gegen die beklagte Partei Johannes St*****, vertreten durch Mag. Petra Herbst-Pacher, Rechtsanwältin in Villach, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 4. Juli 2002, GZ 2 R 176/02p-22, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Villach vom 14. März 2002, GZ 16 C 198/01z-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 399,74 EUR (darin 66,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Eigentümer einer aus zahlreichen Parzellen bestehenden land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaft, die als dienendes Gut mit der Dienstbarkeit der Weide zu Gunsten mehrerer herrschender Liegenschaften belastet ist. Der Beklagte ist Eigentümer einer herrschenden Liegenschaft. Ihm steht das Weideauftriebsrecht für vier Stück Hornvieh zu. Er hat von sechs anderen Eigentümern von herrschenden Grundstücken jeweils Teilflächen, in einem Fall aber die ganze Liegenschaft, gepachtet. Die Eigentümer räumten dem Beklagten ein, die ihnen zustehenden Viehauftriebsrechte auszunützen. Grundlage der bücherlichen Servituten ist ein Dienstbarkeitsübereinkommen, das im Jahr 1925 im Zuge eines von der Agrarbezirksbehörde Villach durchgeführten Verfahrens über die Neuregelung von Weide- und Holzbezugsrechten abgeschlossen und beurkundet wurde. Nach dem Übereinkommen darf nur eigenes Vieh der berechtigten Liegenschaften zum Auftrieb gebracht werden. Der Beklagte trieb in den letzten Jahren bis zu 16 Stück Vieh auf das dienende Grundstück des Klägers auf.

Mit der am 9. 2. 2001 beim Erstgericht eingelangten Klage begehrte der Kläger die Unterlassung des Auftriebs von mehr als zwei Stück Hornvieh. Nach Klageeinschränkung begehrt er nur mehr die Unterlassung des Auftriebs von mehr als vier Stück Hornvieh. Der Beklagte erhob die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs und beantragte im Übrigen die Abweisung des Klagebegehrens. Er stützte sich dabei auf das eigene Servitutsrecht und die Weidebefugnis seiner Verpächter.

Der Kläger replizierte, dass die Pachtverträge den Beklagten nicht berechtigten, mehr Vieh aufzutreiben. Die Weideservitut sei nicht mit einzelnen Grundstücken, sondern "mit der Einlagezahl verbunden". Es dürfe nur eigenes Vieh der berechtigten Liegenschaften aufgetrieben werden.

Die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs wurde bereits rechtskräftig verworfen (ON 7 und 8).

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf nähere Feststellungen über den Grundbuchsstand der dienenden Liegenschaft und der herrschenden Liegenschaften sowie den Willen der Vertragsparteien bei Abschluss der Pachtverträge, dass der Beklagte das zu Gunsten der Verpächter bestehende Recht des Viehtriebs ausnütze. Die Verpächter selbst trieben kein Vieh auf das dienende Grundstück.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht im Wesentlichen aus, dass es bei der Auslegung der Dienstbarkeitsurkunde entscheidungswesentlich sei, ob der Beklagte durch die bloß teilweise Inbestandnahme der servitutsberechtigten Liegenschaften das Recht zur Weide erworben habe und ob die Dienstbarkeitsurkunde das Auftreiben von Vieh durch einen Pächter verbiete. Grundsätzlich sei nach der oberstgerichtlichen Judikatur die Ausübung von Grunddienstbarkeiten durch den Pächter zulässig. In einer Entscheidung (6 Ob 705/88) sei dies auch bei einer bloß teilweisen Verpachtung einer servitutsberechtigten Liegenschaft angenommen worden. Auch bei einer Teilung des herrschenden Gutes bestünden die Grunddienstbarkeiten zu Gunsten aller Teile weiter. Da der Beklagte nicht neben oder zusätzlich zu den Verpächtern Vieh auf das dienende Grundstück treibe, sondern ausschließlich statt der Verpächter, trete für das dienende Grundstück keine zusätzliche Belastung ein. Wenn das Recht zum Viehtrieb ausschließlich an der gesamten Liegenschaft hängen würde, bedeutete dies im Ergebnis, dass der Eigentümer einer herrschenden Liegenschaft kein einziges Grundstück verpachten oder verkaufen dürfte, weil er sonst das Recht zum Viehtrieb verlieren würde. Auch wenn im Dienstbarkeitsübereinkommen nur vom Recht auf Auftrieb eigenen Viehs die Rede sei, müsse der Servitutsvertrag im Lichte der Entstehungszeit (1958) gesehen werden. Damals hätten die Eigentümer jeweils noch selbst Landwirtschaft betrieben und eigenes Vieh gehabt. Der Vertragspunkt sei dahin zu verstehen, dass nicht ausgeschlossen sein soll, dass die landwirtschaftlich nutzbaren Grundstücke nicht vom Eigentümer, sondern von einem Pächter genutzt werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Mit seiner ordentlichen Revision beantragt der Kläger die Abänderung dahin, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob der Pächter eines herrschenden Grundstücks auch dann zur Ausübung der Grunddienstbarkeit berechtigt ist, wenn er nicht das gesamte herrschende Gut gepachtet hat, eine klare oberstgerichtliche Rechtsprechung fehlt. Die Revision ist aber nicht berechtigt. Grundservituten sind dazu bestimmt, dem jeweiligen Eigentümer des herrschenden Grundstücks die vorteilhaftere Benützung des berechtigten Grundstücks zu ermöglichen. An das Utilitätserfordernis wird aber kein strenger Maßstab gelegt. Hier ist die Feldservitut des Weiderechts (§ 477 Z 3 ABGB) zu beurteilen. Die vereinbarte Servitut ist eine gemessene, weil der Auftrieb des Viehs zahlenmäßig festgelegt wurde. Grunddienstbarkeiten sind unteilbar und können nicht eigenmächtig auf andere Liegenschaften oder Personen übertragen werden (§ 485 ABGB). Nur mit Zustimmung des Verpflichteten kann eine reguläre Grunddienstbarkeit in eine unregelmäßige Servitut umgewandelt werden (§ 479 ABGB).

Grundservituten können allerdings durch Pächter ausgeübt werden (RIS-Justiz RS0011713; Hofmann in Rummel3 § 485 Rz 1). Wenn hier im Dienstbarkeitsübereinkommen vom "eigenen Vieh" des Berechtigten die Rede ist, sind davon auch die Tiere des Pächters erfasst, der als Besitzmittler (SZ 66/53; 6 Ob 705/88) die Rechte des Eigentümers des herrschenden Grundstücks ausübt. Die Auslegung des Dienstbarkeitsübereinkommens in diesem Sinn durch die Vorinstanzen ist zu billigen.

Der Revisionswerber steht auf dem Standpunkt, dass der Beklagte nur dann zur Ausübung der Weiderechte legitimiert wäre, wenn er die herrschenden Grundstücke zur Gänze gepachtet hätte. Diese Ansicht ist anhand der Regelungen der Grunddienstbarkeiten im ABGB zu überprüfen:

Die Servitutsberechtigung ist untrennbar mit dem Grundeigentum verbunden. Dieses kann allerdings auch Miteigentümern zustehen, die die Servitut dann als Gemeinschaft ausüben. Sie sind Gesamtgläubiger im Sinne des § 892 ABGB, weil eine Zerlegung der Berechtigung wegen der rechtlichen Unteilbarkeit der Grundservitut nicht möglich ist. Wenn ein Miteigentümer das Weiderecht zur Gänze ausgenützt hat, kann sich der belastete Eigentümer des dienenden Grundstücks gegen einen weiteren Auftrieb von Vieh durch den anderen Miteigentümer mit der Eigentumsfreiheitsklage (§ 523 ABGB) zur Wehr setzen. Im Falle der Teilung der herrschenden Liegenschaft erlöschen Grunddienstbarkeiten nur dann, wenn sie von vorneherein nur für die Nutzung bestimmter Grundstücke bestimmt waren oder genutzt wurden (RIS-Justiz RS0013870). Ansonsten stehen die Grunddienstbarkeiten den Eigentümern der Teile der geteilten herrschenden Liegenschaft zu (RS0013871). Durch die Teilung entsteht eine Mehrheit selbständiger Dienstbarkeiten (RS0011665), weil Servituten einer Teilung nicht fähig sind. Die Grunddienstbarkeit besteht nach der Teilung zu Gunsten aller Teile fort, sie darf dadurch allerdings nicht erweitert oder für das dienende Gut beschwerlicher werden (§ 844 ABGB: Gamerith in Rummel3 § 844 Rz 9, 10). Eine Grunddienstbarkeit kann auch ohne Zustimmung des Verpflichteten vom herrschenden Gut auf die aus Trennstücken gebildeten neuen Grundbuchskörper übertragen werden (RS0011726).

Die angeführten Beispiele zeigen, dass nach dem Gesetz eine Mehrheit von Ausübungsberechtigten zulässig ist und bei einer Verpachtung an mehrere Pächter diesen die Servitutsausübung zusteht, weil sie in ihrer Gesamtheit als Besitzmittler des servitutsberechtigten Grundeigentümers die Dienstbarkeit ausüben können. Bei einer nur teilweisen Verpachtung besteht die für die Servitutsausübung maßgebliche Rechtsgemeinschaft aus dem Verpächter, der sein eigenes dingliches Recht ausüben kann und aus dem Teilpächter, der ein abgeleitetes Recht ausübt. Entscheidend ist nur, dass für den Servitutsverpflichteten keine Verschlechterung eintritt. Unter diesen Voraussetzungen wurde die gleichzeitige Ausübung einer Grunddienstbarkeit (eines Geh- und Fahrrechtes) durch den Pächter und den Eigentümer des herrschenden Grundstücks nicht beanstandet (6 Ob 705/88).

Zur Auslegung des Dienstbarkeitsvertrages im Lichte der landesgesetzlichen Rechtslage zum Zeitpunkt seines Abschlusses:

Die Weidenutzungsrechte auf fremdem Grund und Boden (bäuerliche Einforstungsrechte) gehen auf mittelalterliche Gemeinnutzung zurück. Mit dem Servitutenpatent vom 5. 7. 1853, RGBl 130, wurde eine erste gesetzliche Servitutenregulierung geschaffen. Weitere landesgesetzliche Regulierungen folgten (vgl den historischen Überblick in 1 Ob 703/81 = EvBl 1982/82 [295]). In Kärnten erfolgte die Regulierung zuletzt mit dem LGBl 1920/41 betreffend die Ablösung, Regelung und Neuregelung der Wald-, Weide- und Felddienstbarkeiten. Anders als das Steiermärkische Einforstungs-Landesgesetz 1983 (StELG 1983), das eine Sonderrechtsfähigkeit der Weidedienstbarkeiten normiert und den Eigentümer von Trennstücken einer berechtigten Liegenschaft zur Übertragung eines verhältnismäßigen Teils der Nutzungsrechte auf die Trennstücke berechtigt (dazu 1 Ob 290/97x), enthält das Kärntner Landesrecht keine Bestimmungen über eine Übertragbarkeit der Nutzungsrechte, weshalb die bloße Zustimmung der Eigentümer der herrschenden Grundstücke, dass der Beklagte als ihr Pächter die Weiderechte ausüben kann, die Ausübungsberechtigung noch nicht auslöst. Die auch nach dem Landesrecht unteilbare Grundservitut ist mit dem herrschenden Grundstück verbunden. Sie erlischt nicht schon dadurch, dass der Eigentümer des herrschenden Gutes sie nicht mehr benötigt (etwa weil er die Landwirtschaft nicht mehr selbst betreibt). In einem solchen Fall ist sie vielmehr nach dem Landesgesetz in Geld abzulösen. Über die Ablöse entscheidet im Falle der Nichteinigung die Agrarbehörde (§ 37 des Kärntner Landesgesetzes). Vor einer Ablöse können daher die Eigentümer von herrschenden Gütern ihre Liegenschaften verpachten und damit bewirken, dass die dinglichen Weiderechte von den Pächtern ausgeübt werden können. Das Kärntner Landesrecht normiert schließlich, dass die Ablösebestimmungen auch für Felddienstbarkeiten gelten, welche einer Mehrheit von Personen zustehen können (§ 40 leg cit). Das auf dem Boden des zitierten Landesgesetzes geschlossene Dienstbarkeitsübereinkommen ist im Einklang mit den Bestimmungen des ABGB dahin auszulegen, dass zur Ausübung des dinglichen Weiderechts im Falle einer nur teilweisen Verpachtung der Verpächter und der (oder die) Teilpächter mit der Beschränkung ausübungsberechtigt sind, dass sich durch die Ausübung in Rechtsgemeinschaft die Belastung des dienenden Gutes nicht erhöhen darf. Die schon dargelegten Gründe für das gefundene Auslegungsergebnis sind zusammengefasst, dass das Gesetz eine Mehrheit von Berechtigten und Ausübungsberechtigten zulässt, eine Rechtsausübung durch den Pächter als Besitzmittlung aufzufassen ist und dass durch die Rechtsausübung in Rechtsgemeinschaft noch kein Nachteil für das dienende Gut entsteht. Für die Qualifikation eines ausübungsberechtigten Pächters reicht die Pachtung nur eines Teils des herrschenden Gutes aus, weil auch diese die Rechtsposition eines Besitzmittlers verschafft. Der Ausschluss eines Pächters von der Ausübung einer Grunddienstbarkeit müsste seine Grundlage in einer entsprechenden Regelung des Dienstbarkeitsvertrages haben. In der Verneinung eines solchen Ausschlusses durch die Vorinstanzen liegt keine rechtliche Fehlbeurteilung.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Im Revisionsverfahren steht nur der einfache Einheitssatz zu (§ 23 RATG).

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