JudikaturJustiz6Ob210/06k

6Ob210/06k – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. November 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Elisabeth S*****, vertreten durch Dr. Elisabeth C. Schaller, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Dr. Martin S*****, vertreten durch Dr. Manfred Roland und Dr. Matthias Göschke, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterhalts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 31. Mai 2006, GZ 16 R 175/06h-49, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 27. März 2006, GZ 7 C 107/98f-36, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Im vorliegenden, seit 25. 11. 1998 gerichtsanhängigen Verfahren machte die Frau zunächst Ehegattenunterhalt geltend; diesen Anspruch stützte sie auf § 94 ABGB. Am 13. 1. 1999 schlossen die Parteien einen Teilvergleich, mit dem sich der Mann zur Leistung eines monatlichen Unterhalts von 400 S an die Frau verpflichtete. Die Parteien hielten fest, dass mit diesem Vergleich „die Unterhaltsforderungen ab 1. 1. 1999 bereinigt und verglichen" seien. Am 3. 5. 1999 bezifferte die Frau den von ihr geltend gemachten Unterhaltsrückstand mit 10.000 S. Anschließend erstreckte das Erstgericht die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung „auf unbestimmte Zeit" und hielt im Protokoll fest, dass „das Verfahren ... nur über Antrag einer Partei fortgesetzt" wird. Am 6. 6. 2000 wurde die Ehe der Parteien aus dem überwiegenden Verschulden des Mannes geschieden.

Am 1. 3. 2006 beantragte die Frau die Fortsetzung des „ruhenden Verfahrens", dehnte ihr Unterhaltsbegehren - unter gleichzeitiger Einschränkung ihres Begehrens um den ursprünglich geltend gemachten Unterhaltsrückstand in Höhe von 10.000 S - auf insgesamt 19.425,86 EUR für den Zeitraum 1. 3. 2003 bis 28. 2. 2006 sowie auf monatlich 973,59 EUR ab 1. 3. 2006 aus und beantragte die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO hinsichtlich des laufenden Unterhalts; diese Ansprüche stützt sie nunmehr auf § 66 EheG. Zur Begründung ihres Provisorialantrags brachte die Frau vor, der Mann habe bereits im Jahr 2003 monatlich 3.486,33 EUR netto verdient; seither sei sein Einkommen noch gestiegen. Sie selbst verdiene aufgrund einer geringfügigen Beschäftigung monatlich 320,85 EUR brutto. Sie sei 55 Jahre alt, körperlich und psychisch zart und neige zu reaktiver Depression; eine über das Ausmaß einer geringfügigen Beschäftigung hinausgehende Erwerbstätigkeit sei ihr nicht zumutbar, sie wäre auch nicht in ein ganztägiges Beschäftigungsverhältnis vermittelbar. Über Vermögen verfüge sie nicht. Der Mann habe zwei Sorgepflichten, der Frau stünden daher 34 % seines Nettoeinkommens abzüglich ihres Eigeneinkommens zu. Der Mann beantragte, den Fortsetzungsantrag zurückzuweisen und das Verfahren einzustellen sowie sowohl das Sicherungsbegehren als auch das ausgedehnte Klagebegehren abzuweisen. Da zwischenzeitig die Ehe der Parteien geschieden sei, könne das Unterhaltsverfahren nicht fortgesetzt werden; damit sei auch kein „relevantes Unterhaltsverfahren" anhängig. Mit dem Teilvergleich vom 13. 1. 1999 sollten auch die nachehelichen Unterhaltsansprüche verglichen sein. Der Frau sei die Erzielung eines höheren Eigeneinkommens zumutbar und bei Berechnung ihrer Unterhaltsansprüche sei von lediglich 19 % seines Nettoeinkommens auszugehen; unter Berücksichtigung des erzielbaren Eigeneinkommens stünden der Frau somit keine höheren Unterhaltsansprüche zu.

Das Erstgericht wies das Sicherungsbegehren ab. Die Frau habe „keinerlei Unterhaltsverletzung" des Mannes behauptet. Da die Parteien einen Unterhaltsvergleich geschlossen hätten, sei es nicht Sache des unterhaltspflichtigen Mannes gewesen, Nachforschungen anzustellen, ob der Frau nicht aufgrund geänderter Verhältnisse ein höherer Anspruch zusteht. Nach § 72 EheG bedürfe es einer Mahnung, um Verzug des Unterhaltspflichtigen annehmen zu können; eine solche habe die Frau nicht einmal behauptet.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig ist. Das Vorbringen der Frau beschränke sich auf die „lapidare Behauptung, es wäre offenkundig, dass [sie] nicht imstande wäre, sich ihren angemessenen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit zu verschaffen. Dass damit der Behauptungs- und Bescheinigungspflicht nicht genüge getan wird, bedarf keiner weitwändigen Erläuterung". Außerdem fehle es an einem Zusammenhang mit einem bestimmten Hauptverfahren. Das vorliegende Unterhaltsverfahren habe Ehegattenunterhalt nach § 94 ABGB betroffen, die Ehe sei jedoch geschieden; der am 13. 1. 1999 geschlossene Unterhaltsvergleich sei mit Rechtskraft der Scheidung außer Kraft getreten. Somit sei das Verfahren „betreffend Unterhalt während aufrechter Ehe ... nicht fortsetzbar".

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Frau ist zulässig; er ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Das von der Klägerin am 25. 11. 1998 gerichtsanhängig gemachte Unterhaltsverfahren kam am 3. 5. 1999 dadurch „zum Stillstand", dass das Erstgericht im Einvernehmen mit den Parteien die Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung auf unbestimmte Zeit erstreckte; es sollte lediglich über Antrag einer der Parteien fortgesetzt werden (AS 64). Diese Vorgangsweise kam in ihren Auswirkungen - jedenfalls nach Ablauf von 3 Monaten - einer Ruhensvereinbarung im Sinn der §§ 168 bis 170 ZPO nahe. Dies bedeutet aber zunächst einmal, dass sowohl die Gerichts- als auch die Streitanhängigkeit aufrecht blieben (Gitschthaler in Rechberger, ZPO² [2000] §§ 168-170 Rz 1 mwN; Fink in Fasching/Konecny, ZPO² [2003] § 168 Rz 21).

Zum Zeitpunkt dieser Ruhensvereinbarung hatten die Parteien zwar die „Unterhaltsforderungen ab 1. 1. 1999 bereinigt und verglichen" und die Frau ihr ursprüngliches Sicherungsbegehren zurückgezogen (AS 47), unerledigt war aber noch der begehrte Unterhaltsrückstand in Höhe von 10.000 S (AS 63). Weshalb das Verfahren nicht „fortsetzbar" sein sollte, wie das Rekursgericht meint, ist daher nicht nachvollziehbar. Dass die Frau nach Fortsetzung des Verfahrens und Ausdehnung ihres Klagebegehrens ihr ursprüngliches Unterhaltsrückstandsbegehren in Höhe von 10.000 S fallen gelassen hat, vermag daran nichts zu ändern. Mit Schriftsatz vom 11. 10. 2006 hat die Frau - offensichtlich in Reaktion auf die Ausführungen des Rekursgerichts - die „Rückziehung des Fortsetzungsantrags" erklärt. Eine derartige Erklärung ist aber formellrechtlich unbeachtlich und bedeutet jedenfalls nicht, dass neuerlich Ruhen des Verfahrens eingetreten wäre (Gitschthaler, aaO Rz 12 mwN; Fink, aaO § 169 Rz 5). Damit gehen aber auch die Überlegungen des Mannes in der Revisionsrekursbeantwortung, der Frau mangle es nunmehr an einem Rechtsschutzbedürfnis, ins Leere.

2. Die Frau hat zunächst Ehegattenunterhalt nach § 94 ABGB für die Zeit während aufrechter Ehe begehrt, nunmehr begehrt sie nachehelichen Unterhalt nach § 66 EheG. Sie stützt sich daher auf einen anderen Klagsgrund. Da § 94 ABGB und §§ 66 ff EheG unterschiedliche rechtserzeugende Tatsachen bedingen, hat die Frau damit eine Klagsänderung gemäß § 235 ZPO vorgenommen (vgl in diesem Sinn etwa LGZ Wien EFSlg 67.006; allgemein dazu Klicka in Fasching/Konecny, ZPO² [2004] § 235 Rz 26; 6 Ob 234/04m = EFSlg 108.976; RIS-Justiz RS0039417).

Der Mann hat gegen die Klagsänderung keine Einwendungen erhoben, sondern in der Sache selbst das Vorbringen der Frau bestritten und eigenes Vorbringen erstattet. Damit hat er aber in die Klagsänderung eingewilligt (vgl Klicka, aaO Rz 36 mwN). Streitgegenstand des Verfahrens ist somit nunmehr das Begehren der Frau auf Leistung rückständigen nachehelichen Unterhalts in Höhe von 19.425,86 EUR für den Zeitraum 1. 3. 2003 bis 28. 2. 2006 sowie auf Leistung laufenden Unterhalts in Höhe von monatlich 973,59 EUR ab 1. 3. 2006.

3. Die Bestimmung einstweiligen nachehelichen Unterhalts setzt nach § 382 Abs 1 Z 8 lit a EO den Zusammenhang mit einem Unterhalts(haupt)verfahren voraus. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist dieses im vorliegenden Verfahren zu sehen (s 2.); die Frau begehrt (inhaltsgleich) sowohl im Haupt- als auch im Provisorialverfahren monatlich 973,59 EUR ab 1. 3. 2006. Lediglich der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang bemerkt, dass bei Fehlen eines Unterhalts(haupt)verfahren das Gericht nicht das Sicherungsbegehren abzuweisen, sondern die Rechtfertigung der einstweiligen Verfügung gemäß § 391 Abs 2 EO binnen angemessener Frist aufzutragen hat (1 Ob 571/77 = EFSlg 30.332 mwN).

4. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat die gefährdete Partei im Unterhaltsprovisorialverfahren zwar nicht die Gefährdung ihres Anspruchs (2 Ob 56/01a = EFSlg 98.562 mwN) zu bescheinigen, wohl aber Unterhaltsanspruch und Unterhaltsverletzung (3 Ob 300/99k = EFSlg 94.693 mwN; 4 Ob 9/01d = EFSlg 98.563 ua), das heißt, sie hat auch die materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen darzutun. Dazu gehören bei Ehegatten Grund und Höhe des Anspruchs, die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen, dessen Lebensumstände sowie die Unterhaltsgrundlagen des § 94 Abs 2 ABGB bei aufrechter Ehe bzw die Unzumutbarkeit eigener Erwerbstätigkeit und das Fehlen von Vermögenserträgnissen nach Scheidung der Ehe (RIS-Justiz RS0005947). Erst jüngst hat der erkennende Senat in diesem Zusammenhang festgehalten, eine gefährdete Partei mache ausreichend deutlich einen Ergänzungsanspruch gegen den besserverdienenden Antragsgegner, der keinen Unterhalt leistet, geltend, wenn sie nach Gegenüberstellung der wechselseitigen monatlichen durchschnittlichen Nettoeinkünfte eine Einkommensdifferenz darlegt (6 Ob 299/05x = EF-Z 2006/10 [Gitschthaler]).

Das bereits wiedergegebene Vorbringen der Frau anlässlich der Fortsetzung des Verfahrens genügt - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - diesen Anforderungen bei Weitem. Dass sie den Begriff „Unterhaltsverletzung" nicht ausdrücklich verwendet hat, schadet nicht; sie hat die Einkommensdifferenz dargelegt und die Unzumutbarkeit weitergehender Beschäftigung sowie das Fehlen von Vermögen behauptet.

Die Abweisung des Provisorialantrags wegen Unschlüssigkeit des Antragsvorbringens durch die Vorinstanzen war somit verfehlt.

5. Der Hinweis des Rekursgerichts auf § 72 EheG im Provisorialverfahren geht insofern fehl, als die Frau einstweiligen Unterhalt lediglich ab dem Tag der Antragstellung - und nicht für die Vergangenheit - begehrt.

6. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wirken Unterhaltsvergleiche während aufrechter Ehe grundsätzlich nicht über den Zeitpunkt der Ehescheidung hinaus, es sei denn, die Ehegatten hätten etwas Anderes vereinbart (2 Ob 318/99z = EFSlg 91.893 mwN; RIS-Justiz RS0047144). Der Mann hat zwar Behauptungen in diese Richtung aufgestellt. Feststellungen dazu haben die Vorinstanzen aber nicht getroffen; auch der Unterhaltsvergleich selbst enthält keine diesbezügliche Regelung.

Im Übrigen beruft sich die Frau ausdrücklich auf eine Änderung der Umstände seit Abschluss des Unterhaltsvergleichs sowohl auf ihrer Seite (Verminderung ihres Eigeneinkommens) als auch auf Seite des Mannes (Einkommenssteigerung, Verringerung seiner Sorgepflichten). Da die Parteien in ihrem Unterhaltsvergleich vom 13. 1. 1999 die Umstandsklausel nicht ausgeschlossen haben, können derartige Änderungen durchaus eine Neubemessung des Unterhalts der Frau rechtfertigen.

7. Es ist damit kein Grund ersichtlich, weshalb die Frau nicht Provisorialunterhalt in der beantragten Höhe ab 1. 3. 2006 im vorliegenden Verfahren geltend machen könnte. Ob ihre Antragsbehauptungen ausreichend bescheinigt sind, kann vom Obersten Gerichtshof jedoch nicht geprüft werden. Diese Prüfung wird das Erstgericht vorzunehmen haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 52 Abs 1 ZPO.

Rechtssätze
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