JudikaturJustiz6Ob15/17z

6Ob15/17z – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. März 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. P***** V*****, 2. Mag. A***** B*****, 3. I***** H*****, 4. B***** R*****, 5. H***** R*****, 6. T***** S*****, Deutschland, 7. Ing. W***** N*****, alle vertreten durch MM Metzler Musel Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei M***** eingetragener Verein (ZVR Zl *****), *****, vertreten durch Mag. Claudia Fahrner, Rechtsanwältin in Zell am See, wegen Feststellung (Streitwert 6.000 EUR), über die Revision der erstklagenden Partei und den Revisionsrekurs der zweit- bis siebtklagenden Parteien gegen die Entscheidung des Landesgerichts Salzburg als Berufungs- und Rekursgericht vom 27. Oktober 2016, GZ 53 R 197/16a 12, mit der das Urteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 13. Mai 2016, GZ 2 C 1087/15w-8, bestätigt und der Rekurs der zweit- bis siebtklagenden Parteien gegen dieses Urteil zurückgewiesen wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt und beschlossen:

Spruch

Der Revision und dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Erstkläger ist schuldig, der Beklagten die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Zweit- bis Siebtkläger sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Beklagten die mit 813,72 EUR (darin 135,62 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof erachtet die Begründung des Zweitinstanzgerichts für zutreffend, sodass auf diese verwiesen werden kann (§ 510 Abs 3 ZPO). Lediglich ergänzend ist festzuhalten:

1.1. Nach § 7 VerG 2002 sind Beschlüsse von Vereinsorganen nichtig, wenn dies Inhalt und Zweck eines verletzten Gesetzes oder die guten Sitten gebieten. Andere gesetz- oder statutenwidrige Beschlüsse bleiben gültig, sofern sie nicht binnen eines Jahres ab Beschlussfassung gerichtlich angefochten werden. § 7 VerG 2002 differenziert demgemäß zwischen anfechtbaren Beschlüssen, die vorerst gültig sind und erst mit Rechtskraft des über die Anfechtungsklage befindenden Gerichtsurteils vernichtet werden, und von Anfang an nicht gültig zustande gekommenen und daher rechtsunwirksamen („nichtigen“) Beschlüssen (RIS-Justiz RS0121262). Er orientiert sich bei der Unterscheidung zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit an den §§ 195 ff AktG, nach denen Fehlerhaftigkeiten der Hauptversammlungsbeschlüsse einer Aktiengesellschaft (und hiezu erforderlicher Sonderbeschlüsse) in Nichtigkeits- und in Anfechtungsgründe einzuteilen sind. Details dieser Regelungen wurden in das Vereinsgesetz 2002 jedoch nicht übernommen; vielmehr hat der Gesetzgeber der Rechtsprechung die – nicht immer einfache – Differenzierung überlassen, wann Nichtigkeit eines Beschlusses eines Vereinsorgans vorliegt oder dessen (bloße) Anfechtbarkeit gegeben ist. Grundsätzlich hat sich die Nichtigkeit aber auf gravierende Fälle fehlerhafter Beschlüsse zu beschränken; es müssen derart klare Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt ist (1 Ob 32/10b; vgl auch 10 Ob 36/07b SpuRt 2008, 197 [ Stadler ]).

1.2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 Ob 36/07b die Wahl des Vorstands eines Vereins durch dessen Mitgliederversammlung als einen Beschluss eines Vereinsorgans nach § 7 VerG 2002 angesehen (in diesem Sinn wohl auch Krejci/Bydlinski/Weber-Schallauer , Vereinsgesetz² [2009] § 3 Rz 108). Dem ist entgegen der vom Erstkläger vertretenen Auffassung zu folgen, ließe sich doch andernfalls nicht begründen, was die Wahl von Vorstandsmitgliedern durch die Mitgliederversammlung anderes als ein Beschluss der Mitgliederversammlung sein sollte.

1.3. Der Oberste Gerichtshof hatte sich bereits mehrfach zur Abgrenzung zwischen nichtigen und (bloß) anfechtbaren Beschlüssen zu äußern (vgl die Übersicht in der Entscheidung 4 Ob 109/15f). In der Entscheidung 10 Ob 36/07b bejahte er zwar einen besonders schweren Verstoß gegen tragende Grundsätze des Vereinsrechts bei Nichteinladung stimmberechtigter Mitglieder zu einer beschließenden Versammlung, weil in concreto beinahe die Hälfte der Mitglieder nicht eingeladen worden war. Nach der Entscheidung 1 Ob 32/10b soll aber bei einem bloßen Verstoß gegen das Erfordernis der rechtzeitigen Bekanntgabe der Tagesordnungspunkte ein Nichtigkeit begründender, schwerwiegender Einberufungsmangel in der Regel nicht vorliegen, setze ein solcher doch voraus, dass nur mehr von einem „Zerrbild einer Beschlussfassung“ gesprochen werden könnte; grundsätzlich sei deshalb eine Sittenwidrigkeit dann zu verneinen, wenn die Mitgliederversammlung das vom zuständigen Vereinsorgan einberufene und für die Fassung der angefochtenen Beschlüsse zuständige Vereinsorgan war und die Mitglieder zur Versammlung geladen waren.

1.4. Im vorliegenden Fall werden derartige Einberufungsmängel nicht behauptet. Der Erstkläger vertritt vielmehr die Auffassung, die Neuwahl des Vereinsvorstands sei nach einem falschen Modus abgewickelt worden. Anstelle des Mehrheitswahlrechts hätte es zur Anwendung des Verhältniswahlrechts kommen müssen, wobei der Kläger im Revisionsverfahren ausdrücklich festhält, dass weder das Vereinsgesetz 2002 noch die Statuten des konkreten Vereins diesbezügliche Regelungen enthalten. Da aber – wie bereits ausgeführt – die Nichtigkeit auf gravierende Fälle fehlerhafter (auch Wahl )Beschlüsse zu beschränken ist und derart klare Gesetzesverstöße oder Verstöße gegen die guten Sitten vorliegen müssen, dass nicht einmal der Anschein rechtmäßigen Handelns gewahrt ist, liegt hier ein Fall bloßer Anfechtbarkeit der Wahl des Vereinsvorstands bzw der vom Erstkläger behaupteten Feststellung des Vereinsvorstands, es seien nur die vier Bewerber mit den meisten Stimmen zum Vorstand gewählt worden, vor.

1.5. Zum Unterschied von Nichtigkeitsgründen, die eine gültige Verbandswillensbildung von vornherein verhindern, hindert ein Anfechtungsgrund die Gültigkeit eines Beschlusses nicht. Er kann mit einer innerhalb eines Jahres ab Beschlussfassung eingebrachten Klage mit der Wirkung angefochten werden, dass die bisherige Geltung des Beschlusses ex tunc beseitigt wird. Der Erstkläger hat aber keine Anfechtungsklage – auch nicht eventualiter – erhoben. Aus der Fassung des Klagebegehrens und dem diesem zugrunde liegenden Sachvorbringen ist vielmehr eindeutig zu entnehmen, dass er die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlussfassung begehrt, weshalb eine Umformulierung des Urteilsspruchs im Sinn einer Verbesserung nicht zulässig ist. Da nichts anderes zugesprochen werden darf, als beantragt (§ 405 ZPO), ist auch die Umdeutung der Nichtigkeitsklage in eine Anfechtungsklage nicht möglich, stellt doch das Begehren auf Feststellung der Nichtigkeit gegenüber dem Begehren auf rückwirkende Rechtsgestaltung ein aliud dar (RIS-Justiz RS0121262; Keinert , Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Vereinsbeschlüssen, JBl 2011, 617). Liegt keine innerhalb der in § 7 VerG 2002 genannten Jahresfrist erhobene Anfechtungsklage vor, können aber die in der Mitgliederversammlung vom 28. 6. 2014 gefassten Beschlüsse nicht mehr umgestoßen werden, sondern bleiben wirksam (1 Ob 32/10b). Daran ändert auch nichts, dass der Kläger neben der Feststellung der Nichtigkeit des wahlfeststellenden Beschlusses zusätzlich – offenbar nach dem Muster der „positiven Beschlussfeststellungsklage“ im Recht der Kapitalgesellschaften (vgl RIS-Justiz RS0109584) – die Feststellung des nach seiner Auffassung gewählten Vereinsvorstands begehrt.

1.6. Der Revision des Erstklägers war somit nicht Folge zu geben.

2.1. Das Erstgericht wies mit „Urteil“ das Begehren des Erstklägers ab und jenes der Zweit- bis Siebtkläger wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurück. Dagegen erhoben alle Kläger eine gemeinsame „Berufung“. Das Zweitinstanzgericht bestätigte das abweisliche Ersturteil hinsichtlich des Erstklägers und wies den „Rekurs“ der Zweit- bis Siebtkläger wegen Verspätung zurück. Letztere berufen sich im Revisionsrekursverfahren zum einen darauf, dass auch für sie die längere Berufungsfrist zur Anwendung kommen hätte müssen, habe das Erstgericht doch Sachentscheidung und Zurückweisungsbeschluss in eine Entscheidungsausfertigung aufgenommen; zum anderen bildeten sämtliche Kläger eine einheitliche Streitgenossenschaft.

2.2. Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass dann, wenn eine Entscheidung mehrere Beschlüsse enthält, für die an sich verschiedene Rechtsmittelfristen gelten, für die Anfechtung einer solchen Entscheidung, gleichviel welcher ihrer Teile angegriffen wird, immer die längere Rechtsmittelfrist in Betracht kommt (RIS-Justiz RS0002105); deshalb können beispielsweise ein (stattgebendes) Urteil und ein in der selben Ausfertigung enthaltener Beschluss über die Zulassung einer Klagsänderung (vom Beklagten) binnen vier Wochen angefochten werden (6 Ob 706/88). In der Entscheidung 1 Ob 36/14x wurde allerdings klargestellt, dass die längere Frist nur dann insgesamt gilt, wenn der Partei auch ein Rechtsmittel gegen die länger anfechtbare Entscheidung zusteht. Dies sei etwa dann nicht der Fall, wenn ein klagsabweisendes Urteil und ein positiver Beschluss über die Zulässigkeit einer Klagsänderung zu beurteilen sind; der Beklagte könne in diesem Fall den Beschluss nur binnen 14 Tagen anfechten, weil er durch die Klagsabweisung nicht beschwert ist und ihm gegen diese somit ein Rechtsmittel nicht zusteht. Auch den – insofern gleichlautenden – Entscheidungen 5 Ob 171/14d und 8 ObA 10/15a lag die Erwägung zugrunde, dass eine Partei nicht eine bloß ihrem Gegner zustehende längere Rechtsmittelfrist für sich selbst in Anspruch nehmen kann.

Die Entscheidung 5 Ob 54/15z betraf schließlich eine mit dem hier vorliegenden Fall vergleichbare Konstellation: Dort wurde ein Antrag in einem wohnrechtlichen Außerstreitverfahren, der von drei Antragstellern, die überdies durch denselben Vertreter vertreten waren, hinsichtlich des Erstantragstellers ab-, hinsichtlich der übrigen Antragsteller hingegen an eine andere Abteilung des Gerichts überwiesen. Gegen den – bloß den Erstantragsteller betreffenden – abweisenden „Sachbeschluss“ stand diesem gemäß § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG eine vierwöchige Rekursfrist offen, während der Überweisungsbeschluss ein „allgemeiner“ Beschluss war, gegen den die Rekursfrist bloß 14 Tage betrug. Der 5. Senat wies den gegen die Entscheidung des Rekursgerichts erhobenen Revisionsrekurs, soweit er vom Zweit- und Drittantragsteller erhoben worden war, als verspätet zurück, weil diesen bloß eine 14 tägige Frist zur Verfügung gestanden wäre.

2.3. Die Frage, ob die Kläger als Vereinsmitglieder, die gemeinsam die Feststellung der Nichtigkeit eines (Wahl )Beschlusses anstrebten, im Verfahren als einheitliche Streitgenossen nach § 14 ZPO zu beurteilen sind, kann dahin gestellt bleiben. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs verhindert § 14 Satz 2 ZPO, wonach sich die Wirkung der Prozesshandlungen des tätigen Streitgenossen auch auf säumige Streitgenossen erstreckt, nicht, dass einzelne Streitgenossen eines eigenen Rechtsmittels durch Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist verlustig gehen. Diese Frist läuft nämlich auch bei der einheitlichen Streitpartei gegen jeden einzelnen Streitgenossen gesondert. Sie wird für jeden der Streitgenossen mit Bewirkung der Zustellung an ihn in Gang gesetzt und endet demnach für jeden Streitgenossen mit Ablauf der durch den jeweiligen Zustellakt ausgelösten Frist. Erhob jedoch einer der Streitgenossen ein Rechtsmittel, so wirkt es auch zu Gunsten der Säumigen (9 Ob 36/05t; 10 Ob 47/11a). Damit hat aber das Zweitinstanzgericht das als Rekurs zu wertende Rechtsmittel der Zweit- bis Siebtkläger zutreffend infolge Versäumung der 14 tägigen Rekursfrist zurückgewiesen (vgl 10 Ob 47/11a).

Dass der säumige Streitgenosse im Rahmen des rechtzeitig erhobenen Rechtsmittels auch am Rechtsmittelverfahren teilnimmt und in höherer Instanz auch wieder selbstständig ein Rechtsmittel einbringen kann (9 Ob 36/05t), schlägt hier nicht zugunsten der Zweit- bis Siebtkläger aus; die Revision wurde ausschließlich vom Erstkläger eingebracht.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Revisions (rekurs )verfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Revisionsbeantwortung steht kein Streitgenossenzuschlag zu, für die Revisionsrekursbeantwortung ein solcher in Höhe von 30 %.

Rechtssätze
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