JudikaturJustiz5Ob212/74

5Ob212/74 – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. Dezember 1974

Kopf

SZ 47/142

Spruch

Ist die Verständigung einer der in § 75 AußStrG genannten Personen unterblieben, weil ihr Vorhandensein - aus welchen Gründen immer - dem Abhandlungsakt nicht zu entnehmen war, dann bleibt einem solchen Erbansprecher nach rechtskräftiger Einantwortung des Nachlasses nur noch der in § 180 AußStrG vorgezeichnete Weg einer Klage gegen den Erbschaftsbesitzer

OGH 4. Dezember 1974, 5 Ob 212/74 (LGZ Wien 43 R 364/74; BG Döbling 1 A 356/72)

Text

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Döbling vom 17. Jänner 1973, 1 A 356/72-13, wurde der Nachlaß des am 25. Juni 1972 verstorbenen Leopold S auf Grund des Gesetzes dem erblasserischen Neffen Rudolf K zur Gänze eingeantwortet.

Mit Schriftsatz vom 4. April 1973 gab Heinz B auf Grund des - im Abhandlungsverfahren bisher unberücksichtigt gebliebenen - erblasserischen Erbvertrages bzw. wechselseitigen Testamentes vom 19. November 1922 zu 1/28 des Nachlasses die bedingte Erbserklärung ab und beantragte deren Annahme zu Gericht. Ferner beantragte er die Zustellung sämtlicher im Verlassenschaftsverfahren nach Leopold S ergangenen Gerichtsbeschlüsse, außerdem die Aufhebung der diesen Beschlüssen, insbesondere der Einantwortungsurkunde, allenfalls erteilten Vollstreckbarkeitsbestätigungen wegen Nichtigkeit.

Das Erstgericht wies die bedingte Erbserklärung des Heinz B mit der Begründung zurück, daß der Nachlaß mit rechtskräftiger Einantwortungsurkunde dem erblasserischen Neffen Rudolf K als Alleinerbe eingeantwortet worden sei. Die letztwilligen Anordnungen, auf welche Heinz B seine bedingte Erbserklärung stütze, seien zwar am 10. März 1967 im Verlassenschaftsverfahren nach der vorverstorbenen erblasserischen Ehegattin Magdalena S (1 A 55/67 des Bezirksgerichtes Döbling) kundgemacht, im gegenständlichen Verfahren jedoch erst am 9. März 1973 bekannt geworden. Es komme daher § 180 AußStrG zur Anwendung. Danach finde nach erfolgter Einantwortung eine neuerliche Abhandlung der Erbschaft nicht statt; vielmehr stehe es Heinz B frei, auf Grund der entdeckten letzten Willenserklärung sein Recht gegen den Erbschaftsbesitzer K im Klagewege geltend zu machen.

Infolge Rekurses des Heinz B änderte das Rekursgericht den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß die von Heinz B abgegebene bedingte Erbserklärung zu Gericht angenommen werde.

In der Begründung dieses Beschlusses führte das Rekursgericht aus, daß Voraussetzung des Verfahrens nach § 180 AußStrG das Vorliegen einer rechtskräftigen Einantwortung nach Durchführung eines gesetzmäßigen Verlassenschaftsverfahrens sei. Dies erfordere, daß der in § 75 AußStrG genannte Personenkreis der Abhandlung beigezogen wurde. War eine dieser Personen jedoch der Abhandlung nicht beigezogen, könne die Einantwortungsurkunde ihr gegenüber nie Rechtskraft erlangen, und es stehe diesem Erbansprecher jederzeit frei, eine Erbserklärung, von der er gesetzwidrigerweise ausgeschlossen war, abzugeben und damit Beteiligtenstellung im Verlassenschaftsverfahren zu erlangen. Im vorliegenden Falle sei entscheidend, daß Heinz B zum Personenkreis des § 75 AußStrG gehöre. Gemäß § 68 Abs. 2 AußStrG sei eine Abschrift der über eine letztwillige Anordnung errichteten Urkunde nach deren Kundmachung "den Abhandlungsakten" beizulegen. Unter diesen Abhandlungsakten seien solche eines jeden Verlassenschaftsverfahrens gemeint, das nach einer Person stattfindet, deren Testament bereits ordnungsgemäß kundgemacht wurde. Verstoße des Abhandlungsgericht gegen seine mit der Beachtung dieser Bestimmung verbundene Diligenzpflicht - deren Wahrnehmung durch § 168 Geo. erleichtert werden solle - und komme es dadurch bei Beurteilung der Frage, wer im Sinne des § 75 Abs. 2 AußStrG als vermutlicher Erbe anzusehen sei, zu einem unrichtigen Ergebnis, dann sei ein übergangener Testamentserbe gesetzwidrig vom Verfahren ausgeschlossen worden, und dieser könne seine Erbserklärung jederzeit nachtragen.

Der Oberste Gerichtshof gab dem dagegen von Rudolf K erhobenen Revisionsrekurs dahin Folge, daß der erstgerichtliche Beschluß aufgehoben und dem Erstgericht aufgetragen wurde, zunächst über den Antrag des Heinz B auf Zustellung der im Verlassenschaftsverfahren nach Leopold S ergangenen Beschlüsse zu entscheiden. Sollte sich in dem darüber abzuführenden Verfahren herausstellen, daß Heinz B in gesetzwidriger Weise vom Verfahren ausgeschlossen war, könne von dessen rechtskräftiger Beendigung nicht gesprochen werden. In diesem Falle werde das Verlassenschaftsverfahren fortzuführen und in einem Zuge über die Annahme der bedingten Erberklärung des Heinz B zu entscheiden sein. Im gegenteiligen Fall werde der Antrag abzuweisen und - zufolge rechtskräftiger Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens - die bedingte Erberklärung des Heinz B zurückzuweisen sein.

Das Erstgericht veranlaßte hierauf (mit Außerstreitformular 15) die Beischaffung zweier Abschriften des Testamentes des Leopold S im Notariatsakt des Notars Ferdinand B, GZ 21.616-1922, vom Notariatsarchiv beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien. Nach dem Akteninhalt (ON 42) wurde die letzte Willenserklärung des Leopold S, nämlich ein Notariatsakt GZ 21.616-1922 "betreffend Erbvertrag bzw. wechselseitiges Testament vom 19. November 1922, errichtet in der Notariatskanzlei Ferdinand B" am 23. Jänner 1974 im Notariatsarchiv ordnungsgemäß kundgemacht. Sodann trug das Erstgericht dem Heinz B auf, durch Vorlage entsprechender Urkunden nachzuweisen, daß er der Sohn des Josef B und dieser ein Bruder der am 13. Jänner 1967 verstorbenen Magdalena S (der Ehefrau des Erblassers Leopold S) gewesen sei. Nachdem Heinz B diese Nachweise erbracht hatte, wies das Erstgericht seinen Antrag auf Zustellung sämtlicher im Verfahren bisher ergangenen Gerichtsbeschlüsse unter Berufung auf die Bestimmungen der §§ 180 AußStrG und 823 ABGB neuerlich zurück. Im gegenständlichen Verlassenschaftsverfahren sei das Testament des Erblassers Leopold S bis zur Rechtskraft der Einantwortungsurkunde nicht bekannt gewesen; ohne Antrag des Testators gemäß §§ 587 ff. ABGB bestehe keine Vorschrift oder Möglichkeit, das Testament eines Lebenden in gerichtlicher Evidenz zu halten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluß gab das Rekursgericht dem Rekurs des Heinz B Folge und änderte den erstgerichtlichen Beschluß dahin ab, daß die Zustellung sämtlicher in diesem Verlassenschaftsverfahren bisher ergangenen Beschlüsse an Heinz B verfügt wurde. In der Begründung führte das Rekursgericht aus, daß die entscheidungswesentliche Frage darin liege, ob das Erstgericht hätte erkennen müssen, daß der Rekurswerber als Testamentserbe nach § 7 AußStrG dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen sei. Dies sei zu bejahen, weil gemäß § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG, sofern dem Verlassenschaftsgericht die letztwilligen Anordnungen des Erblassers nicht ohnehin bekannt sind, die sorgfältigste Nachforschung zu pflegen sei, ob ein letzter Wille vorhanden sei oder an einem dritten Ort, allenfalls bei einem Gericht oder öffentlichen Notar erliege. Nach dem klaren Wortlaut der Außerstreitgesetzes genüge es daher nicht, wie es im gegenständlichen Fall geschehen sei, bloß in der Wohnung des Erblassers, wenn auch wiederholt, Nachforschungen nach dem Vorhandensein eines Testamentes zu pflegen. Die Bestimmung des § 168 Abs. 6 Geo. solle nur die Einhaltung der Bestimmung des § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG für den Regelfall gewährleisten; eine Anordnung nach §168 Abs. 5 Geo. sei für den Sprengel des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien nicht getroffen worden. Zwar sei nicht zu verkennen, daß es in der Praxis undurchführbar wäre, anläßlich eines jeden Verlassenschaftsverfahrens bei allen Gerichten und Notaren in Österreich nachzufragen, ob der Erblasser daselbst ein Testament hinterlegt habe, doch umfasse die Vorschrift des § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG richtig verstanden Nachforschungen, die sich auf den engeren Lebenskreis des Erblassers beziehen, also Nachforschungen bei dem für den Wohnsitz zuständigen Bezirksgericht, den dort tätigen Notaren, aber auch mit Rücksicht auf die Einrichtung der Notariatsarchive bei dem für den Wohnsitzbereich des Erblassers zuständigen Notariatsarchiv. Der Fall, daß ein älterer Erblasser eine letztwillige Verfügung bei einem inzwischen aus dem Amt getretenen oder verstorbenen Notar seines Wohnsitzsprengels, allenfalls eines benachbarten Sprengels, errichtet habe, könne durchaus als nicht so ungewöhnlich angesehen werden, daß sich die Unterlassung einer entsprechenden Nachforschung mit der Bestimmung des § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG vereinbaren ließe. Im vorliegenden Fall komme noch hinzu, daß der Erblassern nicht nur einen frei vererblichen, sondern auch einen Substitutionsnachlaß hinterlassen habe. Wenn die Abhandlung darüber auch gemäß § 26 AußStrG abgesondert zu führen sei und die Substitutionsabhandlung einen Teil der Abhandlung nach der vorverstorbenen Ehegattin bilde, sei es doch naheliegend, wenn schon - wie hier - Hinweise auftauchten, daß der Erblasser ein Testament hinterlassen habe, auch in diesen beim selben Gericht geführten Verlassenschaftsakt Einsicht zu nehmen, ob daraus Aufschlüsse über das Vorhandensein eines letzten Willens, eines Erbvertrages, einer Schenkung auf den Todesfall oder von Ehepakten gewonnen werden könnten. Gerade wenn die Ehegattin vorverstorben sei, bestehe eine gesteigerte Wahrscheinlichkeit dafür, in ihrem Verlassenschaftsakt Hinweise für das Vorhandensein von Ehepakten aufzufinden. Tatsächlich habe auch die Substitutionsabhandlung zur Auffindung des Testamentes des Erblassers geführt. Somit ergebe sich, daß die Verletzung der Verfahrensbestimmung des § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG zum Ausschluß des Heinz B vom Verlassenschaftsverfahren entgegen der Bestimmung des § 75 AußStrG geführt habe. Er sei daher auf seinen Antrag an diesem Verfahren nachträglich zu beteiligen, was unter anderem bedeute, daß ihm sämtliche in diesem Verfahren ergangenen Beschlüsse zuzustellen seien.

Infolge Revisionsrekurses des Rudolf K stellte der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Erstgerichtes zur Gänze wieder her.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Rechtsmittelwerber verweist auf seine Ausführungen im Revisionsrekurs vom 13. Juli 1973 gegen die erwähnte frühere rekursgerichtliche Entscheidung (ON 28) und erklärt, daß "das Vorbringen in diesem Revisionsrekurs diesbezüglich auch zum Vorbringen dieses Revisionsrekurses erhoben " werde. Im übrigen verweist er darauf, daß sich die in § 39 Abs. 2 Z. 7 AußStrG festgehaltene Diligenzpflicht des Abhandlungsgerichtes bezüglich der Beurteilung der Rechtskraft der Einantwortungsurkunde nach § 75 AußStrG bestimme und für die Beurteilung der vermutlichen Erbeneigenschaft die Aktenlage maßgeblich sei. Nur wenn nach der Aktenlage eine als Erbe berufene Person dem Verfahren nicht beigezogen werde, könne dieses nichtig sein; verständigt können nur bekannte Erben werden. Heinz B sei aber weder nach der Aktenlage als vermutlicher Erbe dem Gericht bekannt noch sonst irgendwie als solcher erkennbar gewesen.

Der Revisionsrekurs ist gerechtfertigt.

Wenn nach erfolgter Einantwortung eine letzte Willenserklärung "entdeckt" wird, hat das Abhandlungsgericht diese kundzumachen und zu den Akten zu nehmen. Eine neuerliche Abhandlung der Erbschaft findet nicht statt; Erbansprechern steht es frei, ihre Rechte gegen den Erbschaftsbesitzer im Klageweg geltendzumachen (§ 180 AußStrG). Der Grundsatz, daß der Abhandlung nicht beigezogene Erbansprecher nach Rechtskraft der Einantwortungsurkunde gegen diese kein Rechtsmittel haben, kommt allerdings nur dort zur Anwendung, wo die Abhandlung gesetzmäßig durchgeführt wurde und das Abhandlungsgericht trotz gesetzmäßiger Durchführung nicht in der Lage war, die vom Rechtsmittelwerber behaupteten Ansprüche zu berücksichtigen. Von einer rechtskräftigen Beendigung des Verfahren kann aber (nur) dann nicht gesprochen werden, wenn Personen, die ein Recht auf Beteiligung an dem Verfahren hatten und deren Beteiligung nach dem Inhalt des Aktes auch möglich gewesen wäre, dem Verfahren nicht zugezogen wurden und ihnen, insbesondere auch durch Unterlassung der Zustellung des das Verfahren beendigenden Beschlusses, die Möglichkeit, vor Gericht zu verhandeln, entzogen wurde (EvBl. 1957/388 = JBl.1958, 23; JBl. 1971, 46 = NZ 1971, 123; auch JBl. 1951, 596). Es kommt somit darauf an, ob nach dem Inhalt des die jeweilige Verlassenschaft betreffenden Aktes eine der in § 75 AußStrG genannten Personen zu verständigen unterlassen wurde. Unterblieb eine Verständigung, weil das Vorhandensein solcher Personen nicht aktenkundig war, so können diese Erbansprecher gemäß § 180 AußStrG nur noch im Rechtsweg gegen den eingeantworteten Erben vorgehen. Nicht entscheidend kann demnach sein, auf Grund welcher Umstände das Vorhandensein solcher Personen nicht aktenkundig war; insbesondere spielt es keine Rolle, ob wegen Unvollständigkeit der Todfallsaufnahme eine in § 75 AußStrG genannte Person übergangen oder eine eine letztwillige Anordnung enthaltende Urkunde - aus Versehen des Gerichtes oder aus welchem Grund immer - nicht rechtzeitig entdeckt wurde. Das Wort "entdeckt" ist wörtlich auszulegen; es kann sinnvollerweise nur auf das jeweilige Abhandlungsverfahren bezogen werden. Die Kundmachung der schriftlichen letzten Willenserklärung kann zufolge § 61 Abs. 1 AußStrG schon begrifflich nur nach dem Tod des Erblassers erfolgen. Dies bedeutet, daß eine Testamentsabschrift nur dem Abhandlungsakt des Erblassers, von dem das Testament herrührt, beigelegtwerden kann. Die Vorschrift über die Aufbewahrung derartiger Urkunden (§ 68 AußStrG) betrifft daher ebenfalls nur im jeweiligen Verfahren bereits kundgemachte letztwillige Anordnungen. Erliegt - wie hier - ein wechselseitiges Testament im Notariatsarchiv und wurde dieses zwar anläßlich des Todes der vorverstorbenen Ehegattin in deren Verlassenschaftsverfahren kundgemacht, unterblieb jedoch seine Kundmachung im Verlassenschaftsverfahren des nachverstorbenen Erblassers, weil das Gericht nach der Aktenlage von dieser letzten Willenserklärung keine Kenntnis hatte, und wurde das Abhandlungsverfahren durch rechtskräftige Einantwortung beendet, so bleibt dem Erbansprecher nur noch der Rechtsweg, auf den ihn § 180 AußStrG verweist (s. Rintelen, Grundriß des Verfahrens außer Streitsachen, 86; auch Ott, Rechtsfürsorgeverfahren, 168 und 262). Da nach dem Akteninhalt dem Erstgericht das Vorhandensein eines Testamentes bis zur Rechtskraft der Einantwortung des Nachlasses an Rudolf K nicht bekannt war, das Erstgericht bis zu diesem Zeitpunkt somit nicht erkennen konnte, daß Heinz B zum Personenkreis des § 75 AußStrG gehört, dieser daher nicht in gesetzwidriger Weise von der Verlassenschaftsabhandlung ausgeschlossen war, ist der Eintritt der Rechtskraft der Einantwortungsurkunde durch das in bezug auf das Verlassenschaftsverfahren nach Leopold S neu entdeckte vorgenannte Testament nicht beeinflußt worden. Das Erstgericht hat daher rechtmäßig die Erbserklärung des Heinz B zurückgewiesen. Diesem steht es frei, seine Ansprüche im Rechtsweg gegen den eingeantworteten Erben zu verfolgen.

Rechtssätze
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