JudikaturJustiz5Ob105/97w

5Ob105/97w – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 1997

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und Dr. Hradil als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich (Landesinvalidenamt für Wien, NÖ und Bgld), vertreten durch die Finanzprokuratur, Singerstraße 17-19, 1011 Wien, wider die beklagten Parteien 1.) Eduard B*****, vertreten durch Dr. Heinrich Schöll, Rechtsanwalt in Wien, und 2.) Alfred S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Jeannee, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 655.612,-- s.A. und Feststellung (Streitwert S 30.000,--), infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 17. Dezember 1996, GZ 11 R 230/96s-79, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17. Juni 1996, GZ 12 C 75/94a-72, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Den Revisionen wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als Kosten des weiteren Verfahrens zu behandeln.

Text

Begründung:

Mit den Urteilen des Landesgerichtes St.Pölten vom 12.1.1990, 18 E Vr 1101/87, Hv 70/88-41, sowie vom 25.4.1990, 31 Vr 1021/87, Hv 7/87-42, wurden die beiden Beklagten (der Erstbeklagte zu Hv 70/88-41, der Zweitbeklagte zu Hv 7/87-42), jeweils rechtskräftig wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs 1, 85 Z 1 und 3 StGB zu einjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie am 4.7.1987 in U***** im einvernehmlichen Zusammenwirken den Helmut S***** durch das Versetzen von Faustschlägen und Fußtritten in das Gesicht vorsätzlich am Körper verletzt haben, wobei die Tat für immer eine schwere Schädigung des Sehvermögens des Helmut S*****, nämlich eine einer Blindheit gleichkommenden Sehschwäche des rechten Auges, und die Berufsunfähigkeit des Helmut S***** zur Folge hatte. Der Privatbeteiligte Helmut S***** wurde mit seinen Ersatzansprüchen jeweils auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Das Strafgericht ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Der Zweitbeklagte lebte in Scheidung von seiner Ehefrau Leopoldine S*****. Diese hielt sich in der Nacht zum 4.7.1987 in einem Gartenhaus mit Helmut S***** auf. Der Zweitbeklagte fuhr mit dem Erstbeklagten und mit Rudolf W***** zu diesem Gartenhaus, wo er seine Ehefrau vermutete, um mit ihr zu sprechen (so das den Zweitbeklagten betreffende Urteil), bzw weil er schauen wollte, ob seine Gattin allein oder in Begleitung war und mit ihr allenfalls sprechen wollte (so das den Erstbeklagten betreffende Urteil). Der Zweitbeklagte riß das Fliegengitter von dem südseitigen Fenster des Holzhauses und rief, S***** solle herauskommen. Leopoldine S***** und Helmut S*****, die geschlafen hatten, wollten durch die Tür flüchten, wobei S***** das Gartenhaus als erster verließ. Er wurde sogleich vom Erstbeklagten an den Haaren erfaßt. Die Beklagten versetzten ihm Faustschläge und Tritte, wobei er zu Boden stürzte. Sie traten ihm ins Gesicht und am Oberkörper, Leopoldine S***** wollte die beiden Angreifer von S***** trennen, wobei sie keinen Gegenstand benützte. Da ihr dies nicht gelang, lief sie zu einer Nachbarin, welche die Gendarmerie verständigte. S***** erlitt eine Prellung des rechten Augapfels mit einer Netzhautschädigung mit einer an Blindheit des rechten Auges gleichkommenden Sehschwäche.

Die klagende Republik Österreich nimmt nunmehr bei den Beklagten zur ungeteilten Hand Regreß für Hilfeleistungen, die dem Helmut S***** nach den Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes 1972 (VOG) erbracht wurden. Außerdem begehrt sie die Feststellung der solidarischen Haftung der Beklagten für zukünftig notwendig werdende Leistungen. Da diese Rechtssache den Obersten Gerichtshof schon einmal befaßte (5 Ob 527/94), kann zur Klarstellung der Streitpunkte auf die damaligen Entscheidungsgründe verwiesen werden. Von Bedeutung für die Erledigung des jetzt vorliegenden Rechtsmittels ist lediglich, daß die Beklagten ihre Haftung insbesondere mit einem Mitverschuldenseinwand sowie dem damit verbundenen Hinweis auf die Ausschlußbestimmungen des § 8 Ab 1 Z 1 und 3 VOG bestritten haben. Helmut S***** treffe nämlich ein Mitverschulden, wenn nicht gar das Alleinverschulden an den erlittenen Verletzungen, weil er sofort auf die Beklagten eingeschlagen habe, bzw "weil die Verletzungen den Teilnehmer an einem Raufhandel betreffen". Im ersten Rechtsgang war dieser (auch in einer Bestreitung des vom Strafgericht festgestellten Tathergangs enthaltene) Einwand schon wegen der Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof als beachtlich behandelt worden.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang sowohl dem Leistungsbegehren (S 655.512,-- s.A.) als auch dem Feststellungsbegehren statt. Es nahm unter Berufung auf die Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes vom 17.10.1995, 1 Ob 612/95, ua veröffentlicht in SZ 68/195, eine Bindung an die strafgerichtlichen Verurteilungen der Beklagten an und führte zu deren Mitverschuldenseinwand lediglich aus, daß angesichts des vorsätzlichen (bewußten und gewollten) Zusammenwirkens der Beklagten bei der Verletzung des Helmut S***** für die Annahme eines Mitverschuldens des Verletzten (etwa durch eine Provokation) kein Raum bleibe. Zusätzliche Beweisaufnahmen zum Tathergang lehnte das Erstgericht ab.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung aus folgenden Erwägungen:

Nach der zu 1 Ob 612/95 ergangenen Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes wirke die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, daß der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muß. Wirke dieses Urteil für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so könne sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, daß er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist. Daraus ergebe sich, daß im Falle einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung der Verurteilte sich nicht darauf berufen könne, er habe die Tat, deretwegen er verurteilt wurde, nicht begangen.

Diese Erwägungen seien auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden.

Die Beklagten hätten ihren Mitverschuldenseinwand darauf gestützt, daß der Sachverhalt anders gewesen sei als er den strafgerichtlichen Verurteilungen zugrundeliege. Es sei Helmut S***** gewesen, der sofort begonnen habe, auf die Beklagten einzuschlagen, als er sie erblickte. Dieses Vorbringen stehe jedoch im Widerspruch zu den strafgerichtlichen Verurteilungen. Nach diesen seien die Beklagten wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung mit Dauerfolgen nach den §§ 83 Abs 1, 85 Z 1 und 3 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Ein Mitverschuldenseinwand könne sich nur auf Umstände beziehen, die nicht im Widerspruch zu den rechtskräftigen Strafurteilen und zu den strafgerichtlichen Feststellungen stehen, die dem verurteilenden Spruch zugrunde liegen. Da sich der Mitverschuldenseinwand der Beklagten auf einen anderen Sachverhalt als denjenigen gestützt habe, welcher der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegt, habe es das Erstgericht mit Rücksicht auf die Wirkung der materiellen Rechtskraft des Strafurteils zu Recht abgelehnt, diesbezüglich ein weiteres Beweisverfahren durchzuführen. Das Erstgericht habe aber auch nicht die Frage klären müssen, welcher der beiden Beklagten dem Helmut S***** die schwere Augenverletzung zufügte, zumal das Strafurteil davon ausgehe, daß die Beklagten im einvernehmlichen Zusammenwirken vorsätzlich gehandelt haben. Darüberhinaus sehe § 1302 ABGB im Falle einer vorsätzlichen Schadenszufügung eine Solidarhaftung der Mitwirkenden vor. Diese Haftung trete bei vorsätzlichem gemeinschaftlichen Handeln unabhängig von der Bestimmbarkeit der wirklich verursachten Schadensteile ein (MGA ABGB34, E 1a zu § 1302). Im übrigen sei kein Vorbringen erstattet worden, welcher der beiden Beklagten dem Helmut S***** die schwere Schädigung des Sehvermögens zufügte.

Die Verurteilung der Beklagten wegen vorsätzlich schwerer Körperverletzung schließe auch die Annahme aus, die Verletzung wäre im Zuge eines Raufhandels im Sinne des § 91 StGB zugefügt worden. Dem Tatbestand des Raufhandels im Sinne des § 91 StGB liege ein anderer Sachverhalt zugrunde, nach welchem die Beklagten jedoch nicht verurteilt worden seien. Die rechtskräftige Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung lasse die Annahme nicht zu, daß Helmut S***** im Zuge eines Raufhandels die schwere Verletzung zugefügt worden sei. Die rechtskräftigen Strafurteile schlössen es aus, daß Helmut S***** durch eine tätliche Teilnahme an einer Schlägerei oder an einem Angriff mehrerer verletzt wurde. Die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung stehe dementsprechend der Annahme entgegen, es lägen die Ausschlußtatbestände des § 8 Abs 1 Z 1 und 3 VOG vor, auf welche sich die Beklagten berufen haben. Der erstmals in der Berufung vom Zweitbeklagten erhobene Einwand, es läge der Ausschlußgrund nach § 8 Abs 1 Z 2 VOG vor, weil sich Helmut S***** ohne anerkennenswerten Grund grobfahrlässig der Gefahr ausgesetzt habe, Opfer eines Verbrechens zu werden, ebenfalls zu verneinen. Es könne nicht gesagt werden, daß sich Helmut S***** durch sein Verhalten grobfahrlässig der Gefahr ausgesetzt hätte, Opfer eines Verbrechens zu werden.

Der Mitverschuldenseinwand könne auch schon deshalb nicht zum Tragen kommen, weil ein Mitverschulden auf Fahrlässigkeit, nämlich einer Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Rechtsgütern, beruhen müsse. Die Verurteilung der Beklagten wegen eines Vorsatzdeliktes würde aber ein allfälliges fahrlässiges Verhalten des Verletzten konsumieren (Kulpakompensation).

Aus diesen Gründen reiche der vom Erstgericht festgestellte Sachverhalt, nämlich die rechtskräftigen strafgerichtlichen Schuldsprüche der beiden Beklagten, für die rechtliche Beurteilung des Streitfalls aus. Feststellungsmängel lägen nicht vor.

Soweit sich der Zweitbeklagte auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes bezogen habe, nach welcher gegenüber einer Versicherung keine Tatbestandswirkung der strafgerichtlichen Verurteilung eintrete, sei diese auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil es sich hier um eine Regreßklage bezüglich aufgrund einer Legalzession an den Geschädigten gemäß § 12 VOG geleisteter Zahlungen handle. Werde von der strafgerichtlichen Verurteilung der Beklagten wegen vorsätzlich schwerer Körperverletzung ausgegangen, so stehe dem Verletzten gegenüber den Tätern ein Anspruch auf Ersatz des durch die Tat verminderten Verdienstes und der Aufwendungen für Heilbehelfe zu. Habe die klagende Partei dem Verletzten diese Leistungen erbracht, so seien die Ansprüche des Geschädigten gemäß § 12 VOG auf sie übergegangen.

Das erstgerichtliche Urteil entspreche damit der Rechtslage.

Diese Entscheidung enthält den Ausspruch, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Begründet wurde dies damit, daß erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zu lösen gewesen seien.

Mit den jetzt vorliegenden Revisionen streben beide Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Abweisung des Klagebegehrens, hilfsweise dessen Aufhebung und die Rückverweisung der Rechtssache zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an eine der Vorinstanzen an. Sie erblicken (ua) darin eine Verkennung der Rechtslage durch das Berufungsgericht, daß mit dem Hinweis auf die Bindungswirkung der Strafurteile eine Erörterung des Mitverschuldenseinwands abgeschnitten wurde. So weit reiche die Bindungswirkung von Strafurteilen keinesfalls.

Der Klägerin wurde die Beantwortung der Revision freigestellt. Sie hat von dieser Möglichkeit auch Gebrauch gemacht und die Bestätigung des Berufungsurteils beantragt.

Die Revisionen sind zulässig, weil das Berufungsgericht den Umfang der Bindungswirkung der strafgerichtlichen Verurteilungen der Beklagten verkannte, und erweisen sich im Sinne ihrer Aufhebungsbegehren auch als berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Vorauszuschicken ist, daß der Erstbeklagte in seiner Revision nur einen Teil der vom Zweitbeklagten geltend gemachten Anfechtungsgründe ausgeführt hat. Die folgenden Erwägungen beziehen sich daher auf das Rechtsmittel des Zweitbeklagten, gelten aber, soweit der Erstbeklagte Revisionsgründe ausführte, auch für diesen, weil er keine zusätzlichen Argumente vorbrachte. Der letztlich als berechtigt erkannte Aufhebungsgrund wurde in beiden Revisionen geltend gemacht.

Nicht zu folgen ist dem Argument, die Bindung des Berufungsgerichtes an den zu 5 Ob 527/94 ergangenen Aufhebungsbeschluß bestehe nach wie vor und sei durch die Entscheidung des verstärkten Senates vom 17.10.1995 zu 1 Ob 612/95 nicht hinfällig geworden, weil letztere Entscheidung zu einem nicht vergleichbaren Sachverhalt ergangen sei. Beide Entscheidungen beschäftigten sich nämlich mit dem Problem, inwieweit die Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung ein Beweisaufnahmeverbot in einem nachfolgenden Zivilprozeß bewirkt. Zutreffend haben schon die Vorinstanzen darauf hingewiesen, daß die dem Obersten Gerichtshof nach herrschender Auffassung durch § 511 Abs 1 ZPO auferlegte Selbstbindung an eine im konkreten Streitfall bereits geäußerte Rechtsansicht durch eine Änderung der Rechtslage hinfällig wird. Als eine solche Änderung der Rechtslage ist auch anzusehen, wenn der Oberste Gerichtshof in einer Entscheidung des verstärkten Senats zu einer abweichenden Rechtsansicht gelangt (vgl RZ 1977, 37/15 uva; Kodek in Rechberger, Rz 1 zu § 511 ZPO). Genau das ist hier der Fall. Maßgeblich für die Entscheidung des Rechtsstreits ist daher nicht die noch im Aufhebungsbeschluß ON 53 (5 Ob 527/94) vertretene Rechtsansicht, die Aufhebung des § 268 ZPO durch den Verfassungsgerichtshof habe alle Beweisverbote über die Begehung und Zurechnung der Straftat beseitigt, sondern die sich aus der später ergangenen Entscheidung des verstärkten Senats (1 Ob 612/95 = SZ 68/195) ergebende Rechtslage. Demnach verbietet sich die Annahme, die Beklagten hätten die ihnen in den eingangs erwähnten rechtskräftigen Strafurteilen zur Last gelegten Straftaten nicht begangen, und auch jede Beweisaufnahme, die auf ein solches Verfahrensergebnis abzielt.

Diese Konsequenz läßt sich auch nicht durch den Versuch vermeiden, die beiden Schuldsprüche als "klassische Fehlurteile" hinzustellen, die wegen der Verurteilung verschiedener Personen wegen desselben Delikts einem Wiederaufnahmeantrag keinesfalls standhalten würden. Die Bindungswirkung der Strafurteile ergibt sich nämlich aus der andauernden Rechtskraft, die nur in einem strafgerichtlichen Wiederaufnahmeverfahren, nicht vom Zivilrichter, beseitigt werden könnte.

Zutreffend weisen die Revisionswerber allerdings darauf hin, daß die Bindung des Zivilrichters an ein rechtskräftiges strafgerichtliches Erkenntnis nicht so weit geht, jegliche Erörterung des Mitverschuldens des Verletzten auszuschließen, wenn der Straftatbestand an sich die Möglichkeit eines solchen Mitverschuldens offenläßt (vgl RIS-Justiz RS0026953). Bei der Beurteilung eines allfälligen Mitverschuldens des Geschädigten ist der Zivilrichter vielmehr frei (E 37 zum mittlerweile aufgehobenen § 268 ZPO MGA14). Dementsprechend erörterungsbedürftig ist der Einwand der Beklagten, Helmut S***** sei überhaupt kein oder jedenfalls kein die Klagsforderung erreichender Ersatzanspruch zugestanden, weil er die tätliche Auseinandersetzung begonnen bzw am Raufhandel teilgenommen habe.

An sich hat auch das Berufungsgericht den Mitverschuldenseinwand als erörterungsbedürftig angesehen. Es hat jedoch gemeint, daß er im konkreten Fall nicht zielführend sei, weil er im Widerspruch zu den strafgegerichtlichen Verurteilungen stehe; der vom Strafgericht festgestellte Sachverhalt gebe für die Annahme eines Mitverschuldens des Helmut S***** nichts her. Die damit zum Ausdruck gebrachte Bindung des Zivilrichters an alle die Straftat individualisierenden Feststellungen des Strafgerichtes ist jedoch abzulehnen.

Schon vor der erwähnten Entscheidung des verstärkten Senates des Obersten Gerichtshofes (die keine Erweiterung der Bindungswirkung rechtskräftiger Strafurteile gegenüber der Rechtslage vor Aufhebung des § 268 ZPO ausspricht: vgl Albrecht, Probleme der Bindung an strafgerichtliche Verurteilungen im Zivilverfahren, ÖJZ 1997, 201 ff [207 ff]) war klar, daß sich die Bindung nur auf die den Schuldspruch notwendigerweise begründenden Tatsachen erstreckt. Vom Strafgericht festgestellte Tatsachen, die über den Straftatbestand hinausreichen, binden den Zivilrichter nicht (SZ 61/234 mwN). Maßgebend für die Beurteilung der Bindungswirkung eines rechtskräftigen strafgerichtlichen Erkenntnisses ist daher in erster Linie der Spruch der Entscheidung, wogegen den Entscheidungsgründen in der Regel nur eine Hilfsfunktion für die Auslegung seiner Tragweite zukommt (vgl SZ 60/43 ua). Umstände, die nicht die Schuldfrage, sondern nur die Strafbemessung betreffen oder gar ohne jede Relevanz für die Entscheidung des Strafgerichtes sind, unterliegen der freien Kognition des Zivilrichters (vgl Albrecht aaO, 208).

Als keiner weiteren Übeprüfung zugänglich steht demnach im gegenständlichen Zivilrechtsstreit nur fest, daß die beiden Beklagten dem Helmut S***** am 4.7.1987 in bewußtem und gewolltem Zusammenwirken Faustschläge sowie Fußtritte versetzten und ihn dadurch am rechten Auge schwer verletzten. Ein solches Delikt läßt die Möglichkeit eines Mitverschuldens des Geschädigten unter beiden von den Beklagten behaupteten Tatumständen - Beginn der tätlichen Auseinandersetzung bzw Beteiligung an einem Raufhandel - offen.

Die vom Berufungsgericht gegen eine solche Anspruchskürzung ins Treffen geführte "Kulpakompensation" (siehe zum richtigen Verständnis dieses Begriffs Rummel in Rummel2, Rz 6 zu § 878 ABGB, sowie Apathy in Schwimann V2, Rz 13 zu § 878 ABGB; gemeint war wohl, daß bei vorsätzlicher Schädigung unter dem Gesichtspunkt des behaupteten Mitverschuldens ein bloß fahrlässiges Verhalten des Geschädigten vernachlässigt werden kann) überzeugt nicht. Angesichts der den Beklagten zur Last liegenden vorsätzlichen schweren Körperverletzung wäre es zwar zu rechtfertigen, einen nur auf leichte Fahrlässigkeit des Helmut S***** (bzw die Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten) gegründeten Mitverschuldenseinwand zu negieren (vgl Reischauer in Rummel2, Rz 5 zu § 1304 ABGB; Arb 10.028 ua), doch ist der (Mit )Verschuldensvorwurf der Beklagten, Helmut S***** habe sofort auf sie eingeschlagen, möglicherweise von größerem Gewicht.

Ähnlich verhält es sich mit der Behauptung, Helmut S***** sei bei einem Raufhandel mit den Beklagten verletzt worden und habe sich damit gemäß § 1304 ABGB eine Anspruchskürzung gefallen zu lassen, falls nicht überhaupt die Ausnahmebestimmung des § 8 Abs 1 Z 3 VOG greife. Auch hier ist das Argument des Berufungsgerichtes, die strafgerichtliche Verurteilung der Beklagten wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 85 Z 1 und Z 3 StGB schließe die Annahme eines Raufhandels aus, nicht zu halten. Dieses Delikt kann nämlich auch im Zuge eines Raufhandels gesetzt werden (vgl 7 Os 71/81; 13 Os 108/90 = JBl 1992, 264 ua; Leukauf/Steininger, Kommentar zum StGB3, Anm 16 f zu § 91). Daß der Verletzte selbst (mangels anderer Schwerverletzter) nicht strafgerichtlich wegen Raufhandels iSd § 91 StGB belangt werden kann, schließt entgegen der von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsansicht die Annahme eines Raufhandels, der zur Anspruchskürzung nach § 1304 ABGB oder nach § 8 Abs 1 Z 3 VOG führen könnte, nicht aus. Für ein Mitverschulden iSd § 1304 ABGB reicht grundsätzlich (hier: bei entsprechendem Gewicht) die Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten (Reischauer aaO, Rz 1 zu § 1304 ABGB mwN); was andererseits den in § 8 Abs 1 Z 3 VOG Ausschluß von Hilfeleistungen bei Teilnahme des Verletzten an einem Raufhandel betrifft, ist nicht zu erkennen, daß der Gesetzgeber das beim Raufhandel teilnehmende und dabei (als einziges) selbst schwer verletzte Opfer begünstigen wollte. Die fragliche Regelung ist daher nicht so zu verstehen, daß sie nur den nach § 91 StGB strafbaren Teilnehmer am Raufhandel treffen sollte.

Zu Unrecht haben es daher die Vorinstanzen abgelehnt, auf den Verschuldenseinwand der Beklagten einzugehen. Es wird zu prüfen sein, ob Helmut S***** tatsächlich mit den Tätlichkeiten begonnen hat oder ob zwischen ihm und den Beklagten ein Raufhandel stattfand. Letzteres wäre freilich nur anzunehmen, wenn es zu gegenseitigen, abwechselnden, jeweils von feindseliger Absicht getragenen Angriffs- und Abwehrhandlungen der Beteiligten gekommen ist (vgl 10 Os 171/73 ua). Nach wie vor unerörtert kann hingegen bleiben, ob sich Helmut S***** wegen seines Zusammenseins mit der Gattin des Zweitbeklagten in grob fahrlässiger Weise der Gefahr aussetzte, Opfer eines Verbrechens zu werden, weil mit diesem auf den Ausschlußgrund des § 8 Abs 1 Z 2 VOG abzielenden Vorbringen (unabhängig von allen inhaltlichen Einwendungen gegen diesen Verschuldensvorwurf) gegen das Neuerungsverbot des § 482 Abs 2 ZPO verstoßen wurde. Letztlich ist auch dem aus § 8 Abs 1 Z 1 VOG abgeleiteten Ausschlußgrund nicht mehr nachzugehen, weil konkretes Vorbringen nur zum Tatbestand der Z 3 leg cit erstattet wurde und eine Tatbeteiligung des Helmut S***** an dem den Beklagten angelasteten Verbrechen der schweren Körperverletzung nicht in Frage kommt.

Aus allen diesen Gründen war wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 Abs 2 ZPO.

Rechtssätze
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